vereinigung und mit steigenden Flüchtlingszahlen nahmen die Auseinandersetzungen um das Recht auf Asyl eine neue Dimension an.
Die rassistischen Angriffe auf Asylbewerberinnen und Asylbewerber im Jahr 1992 führten statt zu einer Solidarisierung mit den Opfern zu einer Radikalisierung der Politik und wirken in den Asylgesetzen bis heute fort.
Mit den Stimmen der CDU, der CSU, der FDP und der SPD wurde im Dezember 1992 mit dem sogenannten Nikolauspapier das Grundrecht auf Asyl de facto abgeschafft. Indem die sogenannte Drittstaatenregelung eingeführt wurde, mit deren Hilfe Asylsuchende, die auf dem Landweg über einen als sicher geltenden Drittstaat einreisen wollen, abgewiesen werden können, schottete sich Deutschland ab.
Als sicher gelten alle Staaten der Europäischen Union. Da Deutschland von solchen als sicher geltenden Staaten umgeben ist, ist die legale Einreise für Asylsuchende auf dem Landweg mit dieser Regelung im Grunde nicht mehr möglich.
Doch damit nicht genug. Da als Folge der Drittstaatenregelung eine stärkere Verlagerung der Einreise Asylsuchender auf den Luftweg befürchtet wurde, sollte für diese Fälle ein Verfahren gefunden werden, welches die Einreise kontrollierte, vor allem aber begrenzte.
Damit sind wir beim Flughafenasylverfahren. Nach § 18 des Asylverfahrensgesetzes können also Asylsuchende - auch Kinder und unbegleitete Minderjährige - für die Dauer ihres Asylverfahrens am Flughafen festgehalten und an der Einreise gehindert werden, wenn sie aus einem als sicher geltenden Herkunftsland kommen und ohne gültige Papiere über den Luftweg einreisen wollen.
Außerdem muss das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge einschätzen, dass das Asylverfahren inklusive anschließendem Rechtsschutzverfahren innerhalb von 19 Tagen abgeschlossen werden muss.
Das gesamte Asylverfahren soll damit für die beschriebenen Personengruppen bereits vor der Einreise durchgeführt werden.
Voraussetzung für die Durchführung solcher Verfahren ist, dass es eine angemessene Unterkunft im Transitbereich des Flughafens gibt, damit die Betroffenen an einem Ort in Verwahrung genommen werden können, an dem sie als noch nicht eingereist gelten.
Innerhalb von zwei Tagen nach Stellung des Asylantrags ergeht dann die Entscheidung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, ob der Asylantrag als offensichtlich unbegründet abgelehnt oder die Einreise erlaubt wird.
automatisch Asyl gewährt wird. Sie haben lediglich die Chance auf ein reguläres Asylverfahren, das für die überwiegende Mehrheit der Betroffenen keineswegs zu einem sicheren und dauerhaften Aufenthaltstitel führt.
Aber die Debatte um Bleiberechtsregelungen ist an dieser Stelle nicht unser Thema. Im ersten Fall, also bei der Ablehnung des Antrages als offensichtlich unbegründet, bleiben den Asylbewerbern und Asylbewerberinnen drei Tage Zeit, um Klage beim Verwaltungsgericht einzureichen sowie einen Eilrechtsschutzantrag zu stellen. Wenn dieser Eilantrag gegen die Verweigerung der Einreise innerhalb von zwei Wochen abgewiesen wird, bleiben die Asylbewerberinnen und Asylbewerber am Flughafen interniert, bis die Abschiebung möglich ist. Das kann einen monatelangen haftähnlichen Aufenthalt am Flughafen zur Folge haben.
Bereits bei seiner Einführung wurde das Flughafenasylverfahren verfassungsrechtlich scharf kritisiert. Insbesondere die extrem verkürzten Antrags- und Entscheidungsfristen für das gerichtliche Eilverfahren wurden unter anderem auch bei der Anhörung des Innenausschusses des Bundestages von den Expertinnen und Experten als verfassungsrechtlich bedenklich bewertet, weil dadurch der effektive Rechtsschutz stark eingeschränkt wird.
Diese Kritik ist nie abgerissen. Im Gegenteil wird von ganz unterschiedlichen Stellen auf dieses Problem immer wieder hingewiesen. Ich will den katholischen Erzbischof von Berlin Rainer Maria Woelki zitieren, der gegenüber der „Berliner Zeitung“ sagte - ich zitiere -:
„Das Flughafenverfahren bedeutet für die Flüchtlinge einen Verlust an Rechtsstaatlichkeit. Menschen, die bei uns Schutz suchen, müssen Zugang zu einem regulären Asylverfahren bekommen, wie es beispielsweise in Berlin-Tegel praktiziert wird.“
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte entschied im Februar dieses Jahres einstimmig, dass die Prüfung eines Asylantrages in einem Schnellverfahren eine Verletzung des Rechts auf effektiven Rechtsschutz gemäß Artikel 13 der Europäischen Menschenrechtskonvention bedeuten kann.
Die Neue Richtervereinigung und der Deutsche Anwaltverein kritisieren das Verfahren ebenfalls scharf und detailliert. Letzterer kommt zu der folgenden Feststellung - ich zitiere -:
„Die grundsätzlichen Bedenken gegen dieses Verfahren und seine Folgen bestehen unverändert. Es bringt notwendigerweise Anomalien und Verwerfungen mit sich, die unserem Rechtssystem und dem internationalen Schutzsystem strukturell fremd sind.“
Das Flughafenasylverfahren verstößt an vielen Stellen gegen die Aufnahme-, Verfahrens- und Rückführungsrichtlinien der Europäischen Union. Darin vorgesehene Rechte, wie Minderjährigenschutz, die Feststellung besonderer Schutzbedürftigkeit insbesondere aufgrund erlittener Folter und Misshandlung, Informationsrechte und der Zugang zu Beratung und Rechtsschutz, Kontaktaufnahme mit dem UNHCR, vor allem aber das Recht auf eine ordnungsgemäße Anhörung nach ausführlicher und unabhängiger Rechtsberatung, sind Rechte, die nicht nur ich mir wünsche, sondern die diese Richtlinien vorsehen und die unter den besonderen Bedingungen eines Flughafenverfahrens nicht beachtet werden können und zum Teil auch gar nicht vorgesehen sind.
Das Flughafenasylverfahren ist damit rechtlich betrachtet mehr als fragwürdig. Es stellt zudem einen großen Nachteil für die Betroffenen gegenüber anderen Asylsuchenden und mithin einen Verstoß gegen den rechtsstaatlichen Gleichheitsgrundsatz dar.
Vor allem aber wird es der besonderen Situation von Menschen, die Asyl suchen, nicht gerecht. Eine Entscheidung, die binnen zweier Tage herbeigeführt werden muss - dazu braucht es nicht die Kenntnis der juristischen Details und Problemstellungen -, kann einer gründlichen Prüfung und Bewertung des Einzelfalls nicht angemessen sein, zumal es an dieser Stelle nicht um irgendeine Kleinigkeit geht. Die Entscheidung durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ist eine Entscheidung über das weitere Leben dieser Menschen. Es ist eine Entscheidung über ihre Perspektive und es kann eine Entscheidung über Leben und Tod sein.
Ich möchte der Debatte an dieser Stelle vorgreifen. Der Hinweis, dass die Betroffenen klagen könnten, ist wirklich obsolet. Eine Frist von drei Tagen, fehlende Beratung und die in vielen Fällen ja durchaus anzunehmende fehlende Kenntnis des deutschen Rechtssystems stellen in den Augen meiner Fraktion keinen ernsthaft argumentierbaren Rechtsschutz dar.
Diese Menschen finden sich ausgeliefert, in einer für sie nicht überschaubaren haftähnlichen Situation wieder. Für meine Fraktion ist das nicht hinnehmbar.
Weil ich aber ahne, dass humanitäre Argumente allein Ihnen nicht ausreichen werden, will ich auch noch die Praktikabilität des Flughafenasylverfahrens beleuchten. Die Zahl der in Flughafenverfahren tatsächlich rechtskräftig entschiedenen Asylanträge ist laut Statistik des Bundesamtes seit Jahren deutlich rückläufig. Wenn wir uns den größten deutschen Flughafen Frankfurt am Main, an dem Flughafenasylverfahren praktiziert werden,
anschauen, sehen wir, dass vor zwölf Jahren, im Jahr 2000, von 1 092 an der Einreise gehinderten Menschen in 416 Fällen eine Entscheidung im Flughafenverfahren herbeigeführt wurde. Im Jahr 2009 war das noch bei 66 von 435 Anträgen der Fall, und im Jahr 2010 wurden 57 von 735 Anträgen am Flughafen Frankfurt entschieden.
Die anderen Anträge waren für das Bundesamt nicht in der vorgeschriebenen Zeit zu entscheiden. Die Betroffenen haben daraufhin ein normales Asylverfahren begonnen. Angesichts dieser wenigen Fälle, die in einem Flughafenverfahren entschieden werden können, ist in unseren Augen nicht zu erklären, warum der notwendige Aufwand, insbesondere für den Betrieb der Unterbringungsmöglichkeiten, für ein massiv in der Kritik stehendes, juristisch zumindest umstrittenes Verfahren, auch weiterhin betrieben werden soll.
Selbst wenn man sich also in die Logik der Notwendigkeit solcher Eilverfahren zur Begrenzung der Zuwanderung begeben will, was meine Fraktion ausdrücklich nicht tut, macht es keinen Sinn, am Instrument des Flughafenasylverfahrens festzuhalten.
Die Bundesländer Rheinland-Pfalz und Brandenburg teilen diese Auffassung und haben eine Bundesratsinitiative auf den Weg gebracht, die auf die Abschaffung des Flughafenverfahrens abzielt, sodass alle ankommenden Ausländerinnen und Ausländer, die bei der Grenzbehörde am Flughafen um Asyl nachsuchen, einreisen und das reguläre Asylverfahren durchlaufen können.
Dieser Entschließungsantrag steht morgen auf der Tagesordnung des Bundesrates, weshalb eine Abstimmung zu unserem Antrag bereits heute notwendig ist. Der Landesregierung stünde die Unterstützung dieser Initiative gut zu Gesicht. Vor allem aber wäre ein Erfolg der Initiative eine Stärkung des Rechtsstaates und eine konkrete Verbesserung der Situation von Asylsuchenden. Wir bitten Sie um Zustimmung zu unserem Antrag.
Danke sehr, Frau Kollegin Tiedge. - Die Landesregierung verzichtet auf einen Redebeitrag. Wir haben eine Fünfminutendebatte vereinbart. Für die SPD-Fraktion spricht die Abgeordnete Frau Schindler.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir behandeln heute diesen Tagesordnungspunkt, damit ein Votum des Landtages für die morgige Debatte und Entscheidung des Bundesrates mitgegeben werden kann.
wahrscheinlich nicht erhalten. Denn es gibt zu diesem Thema unterschiedliche Auffassungen in der Koalition. Einen entsprechenden Kompromiss auszuhandeln, war in der Kürze der Zeit nicht möglich. Aufgrund der unterschiedlichen Auffassungen sind wir in den Koalitionsfraktionen übereingekommen, eine Ausschussüberweisung des Antrags zu beantragen. Das wird allerdings in diesem Fall nicht viel nützen.
Ich möchte meine Redezeit nutzen, um die Position der SPD darzustellen. Sie haben es selber ausgeführt. Diese Vorschrift ist als § 18a im Jahr 1993 in das Asylverfahrensgesetz aufgenommen worden. Der Buchstabe a bedeutet, dass es eine zusätzliche Regelung gewesen ist unter den Bedingungen, die zu diesem Zeitpunkt in Deutschland herrschten. Sie erwähnten bereits, dass die Regelung vor dem Hintergrund aufgenommen wurde, dass im Jahr 1992 440 000 Asylsuchende nach Deutschland gekommen sind und diese Situation anders und neu geregelt werden sollte.
Sie haben erwähnt, dass die Aufnahme der Regelung mit der Zustimmung der SPD erfolgte, eben unter diesen Bedingungen und angesichts der damaligen Situation. Aber Sie haben nicht erwähnt - deshalb möchte ich es an dieser Stelle tun; es steht auch in Ihrem Antrag -, dass die jetzige Gesetzesinitiative von den SPD-regierten Ländern Brandenburg und Rheinland-Pfalz ausgeht und daher unsererseits unterstützt wird.
Die aktuellen Zahlen zeigen - Sie haben es auch erwähnt -, dass diese Ausnahmesituation, in der diese Regelung entstanden ist, heute nicht mehr gegeben ist. Daher wird dafür plädiert, dass diese Ausnahmeregelung verändert wird.
Im Jahr 2011 sind von den insgesamt 819 Asylanträgen 60 Anträge den Regelungen des § 18a des Asylverfahrensgesetzes unterfallen. Es ist eine geringe Anzahl. Deshalb ist auch das Verfahren nicht mehr begründbar.
Dieses Asylverfahren steht in der Kritik angesichts der Argumente, die auch Sie genannt haben: Die verkürzte Zeit von zwei Tagen, in der eine Entscheidung ergeht, die unverzügliche Anhörung, die dann durchgeführt werden muss, und das verkürzte Rechtschutzverfahren von 19 Tagen, das dann bestandskräftig abgeschlossen werden muss.
Auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat dieses kritisiert. Dieser Kritik wird sich angeschlossen. Ich erwähne diese Argumente genauso wie die zurückgehenden Fallzahlen.
Aus all diesen Gründen ist es vertretbar und auch notwendig, dass in diesen Fällen das normale Asylverfahren angewendet werden kann und diese Fälle auch bewältigt werden können. Deshalb würde unsere Fraktion diese Gesetzinitiative unterstützen. Aber wir werden den Antrag überweisen
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Interessant wäre es zu erfahren, wie morgen im Bundesrat abgestimmt werden soll.
(Frau Tiedge, DIE LINKE: Deswegen rede ich die ganze Zeit! - Minister Herr Stahl- knecht: Enthaltung!)
Es wäre schon schade, wenn wir nicht die Gelegenheit nutzen würden, uns gegenseitig zu überzeugen. Vielleicht gelingt dies ja noch. Ich bin mir da nicht sicher.
Das Flughafenasylverfahren ist ein Eilverfahren - das wurde bereits gesagt -, das aus sich heraus bereits als Fehler angelegt ist. Es wird dabei unter großem Fristendruck und unter Eilgeschwindigkeit und nicht mit der eigentlich notwendigen Sorgfalt und auch nicht mehr notwendigen Sachverhaltsaufklärung letztlich über Menschenleben entschieden.
Hinzu kommt der große physische und psychische Druck auf Flüchtlinge unter den besonderen Bedingungen hermetischer Abriegelung in der Flughafenunterkunft. Als solche ist diese Regelung ein Anachronismus, ähnlich wie das Thema der Gemeinschaftsunterbringung von Anfang der 90erJahre, als wir es mit ganz anderen Zahlen zu tun hatten. 440 000 Asylverfahren pro Jahr gab es damals; das wurde schon erwähnt.