Protokoll der Sitzung vom 20.09.2012

Hinzu kommt der große physische und psychische Druck auf Flüchtlinge unter den besonderen Bedingungen hermetischer Abriegelung in der Flughafenunterkunft. Als solche ist diese Regelung ein Anachronismus, ähnlich wie das Thema der Gemeinschaftsunterbringung von Anfang der 90erJahre, als wir es mit ganz anderen Zahlen zu tun hatten. 440 000 Asylverfahren pro Jahr gab es damals; das wurde schon erwähnt.

Aus dieser Zeit kommt dieses Gesetz, das damals als eine Notstandsregelung gedacht war. Es wurde als Notstandsregelung bezeichnet. Deswegen ist es spätestens heute an der Zeit, darüber nachzudenken. Deswegen unterstützen wir als Grüne auch die Bundesratsinitiative. Das geht in die richtige Richtung. Diese Regelung im Asylverfahrensgesetz gehört abgeschafft. Diesen Menschen muss wie allen anderen auch die Chance gegeben werden, sich einem ganz normalen Asylverfahren zu stellen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Das Flughafenasylverfahren ist auch nicht auf dem Stand der Rechtsprechung. Darauf wurde heute bereits eingegangen. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat es kritisiert. Viele Organisationen, allen voran amnesty international, aber auch Kirchen und Flüchtlingsorganisationen kritisieren das Verfahren immer und immer wieder.

Auch in der Politik hat es mehrer Anläufe gegeben, Änderungen herbeizuführen bzw. die Regelung abzuschaffen. Ich finde, meine Damen und Herren, wir sollten diese Warnungen und diese rechtlichen Bedenken - es wurde detailliert darauf eingegangen; deswegen will ich sie nicht wiederholen - sehr ernst nehmen.

Denn wir leben in einem Land, in dem immer häufiger auch das Bundesverfassungsgericht politisch nicht kluge und politisch nicht weise Entscheidungen erst kippt und damit in letzter Sekunde nicht richtige Dinge und Fehlentwicklungen stoppt.

Ich finde, das ist eine traurige Entwicklung. Gut, dass es dieses Gericht gibt; aber es ist schade, dass wir als Politik nicht so weise sind, Sachverhalte, von denen wir wissen, dass sie gerichtlich nicht mehr lange Bestand haben werden, von vornherein zurückzunehmen bzw. an den Stand der Zeit anzupassen.

Sie alle wissen, dass gerade die Rechtsprechung auf dem Gebiet der Menschenrechte nicht nur in Deutschland, sondern in Europa und letztlich weltweit in den letzten Jahren große Fortschritte gemacht hat und es auch sehr viele kritischere Kriterien gibt, die angelegt werden.

Meine Damen und Herren! Zu den besonderen Bedingungen und auch zu den Zahlen der letzten Jahre ist schon viel gesagt worden. Vielleicht noch einmal zur Verweildauer der Menschen, die betroffen sind. Das hat bisher noch niemand erwähnt. Gedacht war im Jahr 1993, dass die Verweildauer im Transitbereich 19 Tage nicht überschreiten sollte; auch das ist schon wahnsinnig lang. So war es angesetzt.

De facto ist es so, dass wir in vielen Fällen im Jahr 2011 eine Verweildauer von mehr als 30 Tagen auf den deutschen Flughäfen hatten. Zum Teil verweilten die Antragsteller im vorletzten Jahr mehr als 100 Tage, 100 Tage im Transitbereich auf einem deutschen Flughafen! Man muss sich einmal vorstellen, was das für humanitäre Bedingungen sind. Ich glaube, auch aus humanitären Gründen ist das auf keinen Fall zu rechtfertigen.

(Beifall bei den GRÜNEN - Zustimmung bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren! Vielleicht auch dazu noch ganz kurz: Es wird gar nicht mehr an vielen Flughäfen gemacht. Der Flughafen Frankfurt am Main ist der, wo wir in Deutschland das Flughafenasylverfahren im Wesentlichen überhaupt noch anwenden, in wesentlich geringerem Umfang auch noch in Hamburg, Düsseldorf, München und Berlin-Schönefeld.

Nichtsdestotrotz - auch das, so glaube ich, ist eine fatale Entscheidung - wurde jetzt beim Katastrophen- oder Skandalflughafen BBI eine Kapazität

von 300 Arrestzellen bzw. 300 Aufnahmemöglichkeiten für Flughafenasylverfahren eingeplant und eingebaut. Von den horrenden Kosten, die so etwas verursacht, will ich gar nicht sprechen.

Wir müssen dabei, glaube ich, über die übergeordnete Ebene nachdenken, warum aus Verfahrens- und humanitären Gründen dieser Paragraf im Asylverfahrensgesetz nicht mehr zeitgemäß ist.

Ich will es damit bewenden lassen, meine Damen und Herren. Denken Sie daran, es war als Notstandsmaßnahme gedacht. Wir haben in der Bundesrepublik Deutschland ein geregeltes Asylverfahren. Die Zahlen sind weit, weit zurückgegangen. Deswegen sollten wir diesen Anachronismus beenden.

Ich würde mich freuen, wenn es morgen auch aus unserem Bundesland zu dieser klugen Bundesratsinitiative Zustimmung geben würde. - Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

Danke sehr, Herr Kollege Herbst. - Für die CDUFraktion spricht der Abgeordnete Herr Kolze.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die antragstellende Fraktion wird uns sicherlich beipflichten, dass die Verkehrsflughäfen in Sachsen-Anhalt eher den Regional- und Geschäftsreiseverkehr im Inland abdecken. Gleichwohl führen wir heute auch hier den Diskussionsprozess eines anderen Bundeslandes fort, in dem in bisher noch nicht ganz so konkret absehbarer Zeit ein großer Flugverkehrsknotenpunkt Europas liegen wird.

Nach dem Willen des Bundesinnenministeriums soll das Flughafenasylverfahren auch auf dem künftigen Großflughafen Berlin-Brandenburg angewendet werden. Eine eigens auf dem Gelände errichtete Aufnahmeeinrichtung ist bereits fertig und wurde der Öffentlichkeit vorgestellt.

Standpunkt des Ministeriums ist, dass dieses Flughafenasylverfahren eine zügige Entscheidung unter Wahrnehmung rechtsstaatlicher Grundsätze ermöglicht. Das sehen wir auch so. Die schnelle und direkte Bearbeitung von Asylgesuchen hat sich bewährt.

Tatsächlich Schutzbedürftige werden durch dieses Verfahren nicht an der Einreise gehindert. Durch eine kostenlose Rechtsberatung für die Ausländer und aufgrund der Beteiligung des Jugendamtes bei minderjährigen Flüchtlingen wird auch rechtsstaatlichen Gesichtspunkten Genüge getan.

Ich kann auch nur davor warnen, im Zusammenhang mit diesem Verfahren von Freiheitsentzie

hung oder Inhaftierung zu sprechen. Das Bundesverfassungsgericht hat in einer Entscheidung im Jahr 1996 festgestellt, dass dieses Verfahren verfassungsgemäß ist und dass die für die Dauer des Asylverfahrens auf maximal 19 Tage befristete Unterbringung keine Freiheitsentziehung und auch keine Freiheitsbeschränkung im rechtlichen Sinne darstellt.

Das Verfahren ist auch human, da die Flüchtlinge nicht in Terminals eingesperrt werden. Voraussetzung für dieses Verfahren an den Flughäfen Schönefeld, Hamburg, München, Düsseldorf und Frankfurt am Main sind nämlich bauliche Voraussetzungen für eine menschenwürdige Unterbringung.

Zur Genese nur so viel: Bereits in dem derzeit noch geöffneten alten Flughafen Schönefeld gibt es diese Einrichtung. Während der Regierungsverantwortung der LINKEN in Berlin wurde daran auch kein Anstoß genommen. Nunmehr hat das Land Brandenburg eine Bundesratsinitiative angekündigt, da das Verfahren sehr kostenintensiv sei und nur geringe Fallzahlen vorlägen. Im letzten Jahr waren nur elf Flüchtlinge in der Einrichtung Schönefeld untergebracht.

Aber warum sind die Fallzahlen so gering? - Sicherlich auch, weil durch dieses Verfahren ein Signal in die Welt gesetzt wird, dass auf deutschen Flughäfen kontrolliert wird und die Ankunftshallen kein freies Eintrittstor in die vermeintlich bessere Welt sind.

Nach unserer Auffassung muss jeder Staat dazu berechtigt sein, auf seinem Gebiet den freien Zutritt zu begrenzen oder Kriterien für eine Zutrittsberechtigung festzulegen. Der Staat muss die Möglichkeit haben, unberechtigte Einwanderung zu einem asylfremden Zweck aus einem sicheren Herkunftsland zu unterbinden.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Seien Sie auch gewiss, die Fallzahlen werden sich nach Eröffnung des Großflughafens erhöhen. Es wird mit etwa 300 Fällen jährlich gerechnet, so das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Diese Zahlen werden auch durch einen Vergleich der Planung des Flughafens mit den Großflughäfen Frankfurt am Main und Hamburg gestützt.

Und was ist Ihre Alternative zu diesem Verfahren? - Es ist unserer Auffassung nach jedenfalls nicht humaner, Menschen in Kenntnis des Umstandes einreisen zu lassen, dass sie Monate später wieder in ihr sicheres Herkunftsland zurückgeführt werden müssen.

Das Flughafenasylverfahren wurde durch den Bund im Jahr 1993 eingeführt und die Länder zur Durchführung verpflichtet. Meiner Auffassung nach ist dies der einzige Berührungspunkt für unser Bundesland.

Gleichwohl bitte ich Sie um Überweisung des Antrages in den Ausschuss für Inneres. Es dürfte hin

länglich bekannt sein, dass auch die rot-grüne Bundesregierung der Jahre 1998 bis 2005 auf Bundesebene eine Arbeitsgruppe eingesetzt hat, die die Verhältnismäßigkeit des Flughafenasylverfahrens eingehend untersucht hat. Ergebnis der Untersuchung war, dass am Verfahren festgehalten worden ist.

Diesen Bericht, meine sehr verehrten Damen und Herren, möchten wir in die Beratung des Antrages mit einbeziehen. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU)

Frau Tiedge, Sie können noch einmal erwidern.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Gerade die Ausführungen von Herrn Kolze haben mich dazu veranlasst, noch einmal ans Rednerpult zu treten. Sie sagten, dass eine zügige Entscheidung unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten möglich ist. Genau das ist es nicht.

(Beifall bei der LINKEN)

Und wenn Sie davon sprachen, dass das schließlich keine freiheitsentziehende Maßnahme im rechtlichen Sinne ist, dann ist das wohl wahr. Für die Betroffenen unterscheidet sich das aber überhaupt nicht, weil sie sich genauso im Gefängnis fühlen wie einer, der zu einer Gefängnisstrafe verurteilt worden ist.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir hätten schon gern gewusst, wie die Landesregierung ihre Entscheidung - wir haben das zwischen den Bänken gehört -, ihre Stimmenthaltung begründen wird. Das hätten wir schon gern zur Kenntnis genommen. Ich glaube, dann wären uns einige Gründe klarer geworden, warum morgen im Bundesrat eine Stimmenthaltung abgegeben wird. Das wäre für uns sicher sehr erhellend gewesen.

Ich frage Sie allen Ernstes, was soll eine Ausschussüberweisung? - Morgen fällt im Bundesrat die Entscheidung. Wir können im Ausschuss sicher trefflich darüber reden, was wäre wenn. Aber wir erwarten von Ihnen eine klare Entscheidung. Dann seien Sie so ehrlich zu sich selber und zu uns und lehnen unseren Antrag ab.

(Beifall bei der LINKEN und bei den GRÜNEN - Zustimmung von Herrn Scheurell, CDU)

Eine Ausschussüberweisung halten wir für unehrlich. Deswegen werden wir eine Überweisung dieses Antrages in den Innenausschuss ablehnen, weil dies nicht zielführend ist und auch nicht den Intentionen unseres Antrages entspricht.

(Beifall bei der LINKEN)

Damit ist die Debatte beendet. Wir stimmen jetzt über Drs. 6/1419 ab. Es ist eine Überweisung in den Innenausschuss beantragt worden. Wer stimmt dem zu? - Das sind die Koalitionsfraktionen. Wer ist dagegen? - Das sind die Oppositionsfraktionen. Wer enthält sich der Stimme? - Nie

mand. Damit ist der Antrag in den Innenausschuss überwiesen worden. Wir verlassen den Tagesordnungspunkt 17.

Morgen früh um 9 Uhr beginnen wir mit den Aktuellen Debatten. Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Abend.

Schluss der Sitzung: 20.10 Uhr.