Die Entscheidung darüber, ob eine Organisation verfassungsfeindlich oder extremistisch sein soll, obliegt laut Gesetz ausschließlich den Landesämtern für Verfassungsschutz und dem Bundesamt für Verfassungsschutz.
Genau der Verfassungsschutz, der über zehn Jahre lang zugesehen hat, wie eine rechte Terrorgruppe mordend durchs Land zog, der durch üppige Zahlungen an nicht kontrollierbare V-Leute die
neonazistischen Strukturen mitfinanziert hat, der warnende Hinweise auf rechte Terrorstrukturen ignoriert hat und dessen Verstrickung in die Mordserie des NSU nach wie vor nicht geklärt ist und seiner Konstruktion nach wohl auch nicht vollständig aufklärbar sein wird - ausgerechnet diese Behörde soll nun zum Demokratie-TÜV werden. Meine Damen und Herren, das ist absurd.
Das ist absurd und ein Schlag in das Gesicht derjenigen, die beispielsweise nach einem rassistischem Angriff auf die Hilfe jener zivilgesellschaftlichen Initiativen, auf die staatlicherseits immer wieder verwiesen wird, angewiesen sind, wenn es um Aktivitäten gegen Rechts geht, die aber andererseits beispielsweise wegen eines dezidierten Antifaschismus durch Erwähnung im Verfassungsschutzbericht inkriminiert werden.
Damit sind wir beim dritten Problem. Die Erwähnung und auch die unbestimmte Nennung in einem der Verfassungsschutzberichte soll laut Gesetzentwurf automatisch ohne weitere Prüfung durch die Finanzämter, vor allem aber - das ist die eigentliche Neuerung in dem Entwurf gegenüber der Fassung aus dem Jahr 2009 - nicht widerlegbar zur Aberkennung der Gemeinnützigkeit führen.
Der Verfassungsschutz mutiert zur Steuerbehörde. Die Finanzämter verlieren damit ihren Ermessensspielraum. Die Betroffenen verlieren die Möglichkeit, bei den Finanzgerichten Rechtsschutz zu suchen. Es bliebe lediglich ein langjähriges Verwaltungsgerichtsverfahren.
Für die Betroffenen bedeutet die Streichung des Wortes „widerlegbar“ in der Abgabenordnung Folgendes: Während eines solchen Verfahrens würden alle steuerlichen Begünstigungen ruhen. Die Möglichkeit, steueranrechnungsfähige Zuwendungsbescheide auszustellen, entfiele. Förderanträge könnten nicht mehr gestellt werden. Hinzu können erhebliche Körperschaftsteuernachforderungen kommen, was angesichts der fast überall etablierten kurzfristigen Förderpraxis für nicht wenige dieser Organisationen das finanzielle Aus bedeuten kann.
Viertens stellt sich die Frage nach der Konstruktion des Verfassungsschutzes und der Qualität der Informationen, die er bietet. Ich zitiere aus dem Verfassungsschutzbericht des Bundes für das Jahr 2008:
„Rechtsterroristische Strukturen waren auch 2008 in Deutschland nicht feststellbar. Wie im Vorjahr fand 2008 in der rechtsextremistischen Szene keine Debatte über rechtsterroristische Gewalt statt.“
Meine Damen und Herren! Zu diesem Zeitpunkt hatte der NSU mutmaßlich bereits zehn Menschen ermordet. Deswegen ist es völlig richtig, dass der
Verfassungsschutz nicht der Demokratie-TÜV dieser Gesellschaft sein darf und nicht über das Wohl und Wehe und die Zulässigkeit zivilgesellschaftlicher Initiativen entscheiden darf. - Vielen Dank.
Danke schön, Frau Abgeordnete Quade. - Auf der Tribüne können wir begrüßen: Seniorinnen und Senioren der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft Halle - herzlich willkommen! -
sowie Studentinnen und Studenten der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Seien Sie ebenfalls herzlich willkommen im Haus!
Herr Präsident! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen Abgeordnete! Eines gleich vorab: Eine Förderung von extremistischen Organisationen, ob durch Zuweisungen oder steuerliche Begünstigung von Zahlungen, darf nicht erfolgen.
Organisationen, die die Verfassung ganz oder in Teilen infrage stellen, dürfen nicht unsere Steuergelder hinterher geworfen werden. Kein Geld für verfassungsfeindliche Organisationen - das ist meine völlig unverrückbare Meinung.
Dennoch habe ich - und das will ich nicht verhehlen - Bedenken bei der von der Bundesregierung vorgesehenen Änderung im Jahressteuergesetz 2013. Darin ist - das haben wir jetzt mehrfach gehört, das wird auch in dem Antrag korrekt dargestellt - vorgesehen, in § 51 Abs. 3 Satz 2 der Abgabenordnung das kleine Wort „widerlegbar“ zu streichen.
Folge dieser lediglich kleinen Änderung ist die Erhebung des endgültigen Verfassungsberichtes zu einem Grundlagenbescheid für die Anerkennung als gemeinnützige Organisation. Der bislang offene Weg zum Finanzgericht würde damit verbaut.
Die Erkenntnisse der vergangenen Jahre dazu, wie Verfassungsschutzberichte zum Teil zustande gekommen sind - dafür wurden unter anderem auch Zeitungsartikel ausgeschnitten -, bereiten mir - milde gesagt - Unbehagen gegenüber den Berliner Absichten.
die im Jahr 2011 eingeführt wurde, auslassen. Ich glaube, diese Diskussion muss an einer anderen Stelle geführt werden.
Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN geforderte gänzliche Streichung der Regelung des § 51 Abs. 3 Satz 2, wie unter Punkt 3 des vorliegenden Antrags gefordert, kann von der SPD-Fraktion nicht mitgetragen werden.
Ist eine Organisation tatsächlich verfassungsfeindlich, so kann und darf sie nicht gemeinnützig sein. Eine die Verfassung bekämpfende Organisation ist der Gemeinschaft in unserem Lande nicht nützlich und darf damit keine Förderung durch die Gemeinschaft erhalten.
Danke schön, Frau Niestädt. Es liegt eine Anfrage von Frau Kollegin Quade vor. Möchten Sie diese beantworten?
Frau Niestädt, geben Sie mir Recht, dass einer Organisation, die nachgewiesenermaßen gegen die Verfassung dieses Landes gerichtet ist und aktiv gegen sie kämpft, nicht die Gemeinnützigkeit aberkannt werden sollte, sondern dass sie verboten werden sollte?
Vielen Dank. - Wir setzen die Debatte fort. Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat noch einmal Herr Kollege Striegel das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Steuerrecht muss unpolitisch sein. Es muss insofern unpolitisch sein, als es nicht parteipolitischen Interessen dienen sollte. Diesen Grundsatz haben Sie, meine Damen und Herren von der
CDU, im Jahr 2009 in Berlin aufgegeben. Das muss an dieser Stelle noch einmal deutlich gesagt werden.
- In der Form des § 51 der Abgabenordnung. - Wir haben es gerade von Frau Niestädt gehört. Ich glaube, wir sind uns in diesem Haus über alle Fraktionsgrenzen hinweg darin einig: Wer die Verfassung bekämpft, der soll nicht als gemeinnützig anerkannt sein.
Die Frage ist bloß, ob wir das Bekämpfen der Verfassung über einen Extremismusbegriff sinnvoll feststellen können und ob diese Feststellung auch noch diejenige Institution treffen soll, die in den vergangenen Jahren offensichtlich immer wieder Falsch- und Fehleinschätzungen, zum Teil auch politischer Natur, getroffen hat, nämlich der Verfassungsschutz. Das ist der Dissens und über diesen Dissens müssen wir in diesem Hause reden.
Kollege Barthel, das ist auch nicht verschwendete Zeit, sondern das ist eine wichtige gesellschaftspolitische Auseinandersetzung. Diese sollten wir hier führen. Dafür sind wir das Parlament.
Meine Damen und Herren von den Sozialdemokraten, ich kann gut verstehen, dass Sie es genauso wenig wie wir wollen, dass mit Steuermitteln letztlich indirekt verfassungsfeindliche Organisationen, Vereine und Institutionen finanziert werden. Das Extremismusmodell taugt aber nicht, um dieses Ziel zu erreichen. Das Extremismusmodell blendet vielmehr die Probleme in der Mitte der Gesellschaft aus und fokussiert sich ausschließlich auf den Rand. Deswegen ist es abzulehnen.
Deswegen brauchen wir auch für die zukünftige Arbeit des Verfassungsschutzes - Herr Minister Stahlknecht ist jetzt wieder im Raum -, wenn wir ihn denn erhalten wollten, ein anderes Modell als den Extremismus. Wenn wir mit der Schere des Extremismus im Kopf herumlaufen, werden wir die Bedrohung der Demokratie in diesem Land nicht adäquat bekämpfen können. Das wird nicht funktionieren.
(Zustimmung bei den GRÜNEN und bei der LINKEN - Zuruf von der CDU: Dann sind wir wieder beim Verfassungsschutz!)
- Wir sind beim Verfassungsschutz. Es tut mir leid. Ihre Bundesregierung hat das in das Gesetz geschrieben. Ich kann doch nichts dafür.