Protokoll der Sitzung vom 19.10.2012

Deshalb, meine sehr geehrten Damen und Herren, haben wir als Koalition einen Alternativantrag formuliert, der eine Bestandsaufnahme zur Vermittlung von Kinderrechten gemäß der Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen in den Kindertagesstätten und in den Schulen zum Ziel hat.

Bevor wir uns unumstößlich auf die Schlussfolgerung einlassen, es gebe derartige Rechte nicht, ist es geboten festzustellen, an welcher Stelle überhaupt auf Kinderrechte in den Lehrplänen und Rahmenrichtlinien Bezug genommen wird.

Ich möchte an den folgenden Grundsatz erinnern - der Herr Minister hat schon einen kleinen Schlenker gemacht -, den wir alle nicht aus den Augen verlieren dürfen. Dieser Grundsatz lautet: Wer Rechte hat, hat auch Pflichten. - Auch und gerade Kinder müssen lernen, Pflichten gegenüber anderen Mitmenschen, insbesondere älteren Mitmenschen, einzulösen. Meiner Ansicht nach entwickeln wir uns zu einer Gesellschaft, in der nur noch die Ansprüche an andere im Vordergrund stehen.

Deshalb, meine Damen und Herren, bitte ich um Zustimmung zu unserem Alternativantrag. - Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Danke schön, Herr Kollege Güssau. - Als Nächste spricht für die Fraktion DIE LINKE in der Debatte Frau Abgeordnete Bull.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich finde das Anliegen, die UN-Kinderrechtskonvention hier in das Zentrum zu rücken, durchaus berechtigt; denn nach meinem Eindruck ist sie deutlich weniger in der gesellschaftlichen Debatte als beispielsweise die Behindertenrechtskonvention. Das finde ich ein bisschen schade.

An dieser Stelle muss dazu gesagt werden - Sie haben die 20 Jahre erwähnt -: Wenn man sich einmal den komplexen Stoff der KRK anguckt, dann merkt man ein Stück weit, dass doch schon die Zeit darüber hinweggegangen ist und dass es insofern Weiterentwicklungen geben muss. Die Kita beispielsweise ist dort noch sehr viel stärker unter dem Aspekt „Hilfe für Eltern“ drin. Wir sehen dies heutzutage deutlich anders, nämlich als ein komplexes Bildungsangebot, das Kindern zusteht. Ich denke, das muss man im Hinterkopf behalten.

Die Kinderrechtskonvention ist ein sehr komplexes Dokument. Es geht um Fürsorge, um Förderung und Schutz - alle diese Dinge sind wichtig - und es geht um Partizipation. Ich glaube, dass der Bereich Partizipation der schwierigste Bereich ist, der einen Paradigmenwechsel in der Gesellschaft erfordert.

Ich will mich gar nicht hervorstellen, wahrscheinlich wird sich jeder an seine eigene Nase fassen: Die Vorstellung, Kinder haben einfach das zu machen, was Erwachsene sagen, ist wahrscheinlich in subtiler und kleinteiliger Form noch in jedem und in jeder ein Stück weit enthalten.

Das erinnert mich auch ein bisschen an die Diskussion, die wir manchmal im Bereich der UN-Behindertenrechtskonvention führen. In diesem Zusammenhang stellt sich immer die Frage, ob man Menschen mit Behinderungen, also beispielsweise Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen, zutraut, ihre eigenen Rechte wahrzunehmen. Diese Frage ist immer an die Frage gekoppelt: Dürfen die das? Können die das überhaupt? Kann man ihnen das überhaupt zutrauen? - Das ist eine ähnliche Diskussion. Wir alle stimmen ganz sicher darin überein, wenn ich sage: Das geht natürlich weit über die Frage des Bekanntmachens hinaus. In dieser Hinsicht weiß ich Sie durchaus auf unserer Seite.

Ich denke, es gibt drei Handlungsbedarfe, die hier in die Wege geleitet werden müssen: Wir alle müssen zunächst einmal lernen - gerade wir Erwachsenen -, dass Kinder eigenständige Personen, eigenständige Persönlichkeiten sind. Widerspruch von Kindern muss man mitunter dulden. Das hat sehr schwerwiegende Konsequenzen.

Was ich aber noch als etwas deutlich Wichtigeres empfinde, ist der Anspruch, den Kindern wirklich echte Partizipationsmöglichkeiten zu geben. Da hört es dann nämlich meistens auf.

Ich will an dieser Stelle sagen, dass ich mich nach wie vor darüber ärgere, dass sich bei der Frage, welche echte Demokratie beispielsweise in Schulen möglich ist, beide Koalitionsfraktionen leider nach wie vor verweigern. Die CDU ist sich da treu geblieben; das verwundert jetzt niemanden. Aber ich bin nach wie vor enttäuscht, dass auch die SPD bei Forderungen wie der Drittelparität schon aus sich selbst heraus sagt: Nein, das wollen wir nicht. - Da muss ich jetzt einmal ein bisschen sticheln. Das ist so wie in „Szenen einer Ehe“: Man wird sich über die Jahre hinweg immer ähnlicher.

(Heiterkeit und Beifall bei der LINKEN)

Zu einigen Problemen, die ich insbesondere in dem Antrag selbst sehe: Man kann noch nicht sagen, dass die Einführungsphase der kompetenzorientierten Lehrpläne vorbei ist. Das heißt, dort jetzt punktuell einzugreifen wäre ein bisschen zeitig. Nach meiner Auffassung wäre es besser zu sagen: Wenn die Einführungsphase vollständig abgeschlossen ist, gibt es noch mehr Dinge, die miteinander beredet werden müssen. Das wäre ein wichtiger Punkt.

Bei der Frage der Fächergebundenheit bin ich immer ein bisschen skeptisch. Aber ich will jetzt nicht so kleinlich sein und Ihnen unterstellen, dass Sie nur das mit der Fächergebundenheit sehen.

Ein letztes Wort zu „Bildung elementar“: Ich fand es vorhin von Frau Lüddemann - vielleicht habe ich es aber auch nur falsch verstanden - ein Stück weit ungerecht, „Bildung elementar“ zu unterstellen, dass im Literaturverzeichnis nur einmal das Wort „Demokratie“ vorkommt; denn der ganze Ansatz ist ja ein höchst demokratischer.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Es geht also nicht nach dem Motto: Ich komme als Erzieherin daher, gebe euch einen Plan und sage: Das und das machen wir heute oder das und das bereite ich vor. Vielmehr ist es die hohe Kunst zu gucken, was mir die Kinder heute bieten. Eine pädagogische Inszenierung aus den Kindern heraus hinzubekommen, ist ein zutiefst demokratischer Ansatz.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Darüber, dass dazu auch formelle demokratische Prozesse gehören, sind wir uns dann wieder einig.

Also, alles in allem finde ich, dass es ein sehr lohnendes Thema ist. Unser Vorschlag wäre, das im Ausschuss zu bereden. Dort kann man das vielleicht auch ein drittes Mal weiter aufmachen, gerade was die echten Partizipationsmöglichkeiten angeht. Aber, wie gesagt, ich finde dieses Thema extrem wichtig. - Herzlichen Dank noch einmal für Ihren Antrag.

(Beifall bei der LINKEN)

Danke schön, Frau Abgeordnete Bull. - Als Nächste spricht in der Debatte für die Fraktion der SPD die Abgeordnete Frau Reinecke.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Dass Kinder Rechte haben, weiß heutzutage fast jedes Kind. Auch für die meisten Eltern und vor allem für diejenigen mit Kindern und für für Kinder tätige Fachkräfte ist diese Tatsache eine Selbstverständlichkeit.

Schwierig wird es - darin gebe ich der Kollegin Dalbert Recht -, wenn es bei der nächsten Frage darum geht, worin sich die Kinderrechte von den allgemeinen Rechten unterscheiden. Ich denke, das ist auch das Grundanliegen, das Frau Dalbert hier in die Debatte eingebracht hat.

Die gelingende Umsetzung der Kinderrechte ist - so sieht es die Fraktion der SPD - auch ein Gradmesser für die Zukunftsfähigkeit einer Gesellschaft, unserer Gesellschaft. Nur wenn Kinder sich in ihrem Lebensumfeld aktiv einbringen dürfen, lernen und erfahren sie demokratisches Handeln, mehr noch, sie gestalten nämlich unsere Gesellschaft mit. Die Gestaltungskompetenz bei Kindern und Jugendlichen zu fördern ist in der Tat eine wichtige Bildungsaufgabe.

Das Ziel ist es also, dass sich möglichst alle Kinder für die Gestaltung ihrer Schulgemeinschaft engagieren. Deshalb ist es wichtig, das Spektrum von Handlungsmöglichkeiten zu erweitern, um die Gestaltungskompetenzen von Kindern zu stärken mit all den Möglichkeiten, die hier bereits genannt wurden. Dieser Prozess beginnt in der Tat nicht erst in den Grundschulen, sondern bereits in den Kindertagesstätten, natürlich unter Berücksichtigung entsprechender entwicklungspsychologischer Ansätze. Auch das haben wir schon gehört.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Novellierung des KiFöG sieht die Verpflichtung zur Umsetzung des Bildungsprogramms „Bildung elementar - Bildung von Anfang an“ für alle Einrichtungsträger zukünftig verbindlich vor. Dieses Programm geht sehr wohl davon aus, dass vom Kind her gedacht wird. Ich denke, das ist der wissenschaftliche Ansatz, den wir auch schon in anderen Debattenbeiträgen sehr begrüßt haben.

Unter dem Punkt „Selbstbestimmung und Teilhabe“ wird nämlich im Bildungsprogramm beispielsweise verstärkt auch das Anliegen der Kinderrechte subsumiert. Insgesamt ist das Bildungsprogramm so angelegt, dass es den Kindern im Rahmen der Umsetzung optimale Voraussetzungen ermöglicht, um zu selbstbestimmten kleinen Persönlichkeiten heranzureifen. Diese Intention ist auch ein wesentlicher Bestandteil der genannten Kinderrechte. Herr Bischoff als zuständiger Fachminister für diesen Bereich ist intensiv darauf eingegangen.

Nicht nur für die vorschulische Bildung und Erziehung, sondern auch für die Fachlehrpläne für den Unterricht gibt es eine Reihe von Vorgaben für die Behandlung der Kinderrechte. Das fängt nicht erst in der Klassenstufe 8 oder 9 an. Vielmehr sind im Sachkundeunterricht der Klassen 1 bis 4 die Kinderrechte gemäß der UN-Konvention im Zusammenhang mit der Befähigung zur Ausübung des Rechtes auf körperliche Selbstbestimmung zu behandeln.

Neben dem Erlernen demokratischer Verhaltensweisen fängt es in der Tat in Klasse 1 an, wo es um einen verantwortungsbewussten Umgang geht und darum, in der Gemeinschaft das eigene Ich und andere zu akzeptieren und wertzuschätzen, um nur zwei Beispiele herauszugreifen.

Man kann sicherlich trefflich darüber streiten, ob die UN-Kinderrechte noch expliziter in allen betreffenden Rahmenrichtlinien und Bildungsprogrammen Sachsen-Anhalts benannt werden müssen. Wichtiger ist es aber - so meine ich -, die Anforderungen an die Kindertagesstätten und Schulen umzusetzen, die es jetzt schon bezüglich der Bekanntmachung und Anwendung der UN-Kinderrechte gibt.

Wir können davon ausgehen, dass die Beteiligten bei den Abstimmungen der Lehrpläne und der Rahmenrichtlinien mit einbezogen werden, wie der Landesschulbeirat, die Hochschulen und weitere Institutionen. Das ist gesetzlich so verankert. Wir können ebenfalls davon ausgehen, dass im Rahmen der Fort- und Weiterbildung gerade auch bei der Einführung der kompetenzorientierten Lehrpläne im Bereich der Sekundarschulen fachliche Veranstaltungen dazu stattfinden.

Auch außerunterrichtliche Aktivitäten, die in keinem Rahmenplan stehen, können ihre Wirkung entfalten. Ich erinnere zum Beispiel an eine Aktion, die schon einige Jahre zurückliegt, nämlich die Aktion Kinderrechtewahl der damaligen Kinderbeauftragten in Zusammenarbeit mit dem Kultusministerium.

Im Rahmen dieser Aktion hatten mehr als 46 000 Schülerinnen und Schüler der Klassen 1 bis 7 aus den zehn UN-Kinderrechten die ihrer Meinung nach drei wichtigsten Kinderrechte ausgewählt.

Dazu hat dann mit vielen Kindern eine Auswertung in der Staatskanzlei stattgefunden. Ich denke, das ist ein gutes Beispiel, das schon einige Jahre zurückliegt. Aber auch aktuell kenne ich selber viele Aktivitäten an Schulen, an Kindertagesstätten und im offenen Bereich.

Ich finde es gut, wenn Kinder den abstrakten Rechten durch unterschiedliche Aktionen im kulturellen Bereich einen konkreten Rahmen geben, ein konkretes Gesicht geben. Ich finde es auch gut, wenn die Kinder selber Botschafter ihrer Kinderrechte sind. Das unterstützen auch die Pädagogen in den Freizeiteinrichtungen.

Die SPD-Fraktion schlägt vor, dass die Landesregierung eine Bestandsaufnahme zur Umsetzung der Vermittlung der Kinderrechte gemäß der Konvention in den Kindertagesstätten und Schulen vornimmt und gute Erfahrungen verallgemeinert. Ob sich nach der vorgeschlagenen Berichterstattung noch Aufgaben für das Parlament ergeben, wird sich im Laufe der Zeit sicherlich erweisen.

In diesem Sinne bitte ich um Zustimmung zu dem gemeinsamen Alternativantrag der Koalitionsfraktionen.

Meine Damen und Herren! Die Bekanntmachung der UN-Kinderrechte und, was noch viel wichtiger ist, deren Umsetzung in der Gesellschaft und insbesondere in den Kitas und in den Schulen ist und bleibt eine grundlegende Aufgabe, die sich, wie ich meine, mit jeder jungen Generation neu stellt. - Vielen Dank.

(Zustimmung bei der SPD)

Danke schön, Frau Abgeordnete Reinecke. - Zum Schluss hätte noch einmal die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN die Chance, an das Pult zu treten und zu sprechen. Das macht Frau Fraktionsvorsitzende Dalbert.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst möchte ich mich für die sachliche und differenzierte Debatte zu unserem Antrag bedanken. Ich erlaube mir, auf ein paar Punkte einzugehen. Ich fange einmal von hinten an.

Frau Reinecke, Didaktik, die vom Kinde aus denkt, ist eine gute Didaktik. Sie hat nur gar nichts mit Kinderrechten zu tun. Auch wenn für mich das Kind ein Subjekt ohne Rechte wäre, könnte ich eine Didaktik machen, die vom Kinde aus denkt und den jeweiligen Entwicklungsstand des einzelnen Kindes berücksichtigt. Insofern ist es gut, dass es so ist. Das wurde bei dem Programm „Bildung elementar“ noch einmal beschrieben. Aber das hat nichts mit Kinderrechten zu tun.

Dann ist es in der Tat so - darin stimme der Kollegin Bull ausdrücklich zu -, dass der Knackpunkt die Partizipations- und Selbstbestimmungsrechte sind. Das wollen wir hier in den Fokus stellen, weil wir denken, dass es noch nicht genügend in unseren Bildungsplänen von der Kita über die Grundschule bis zu den weiterführenden Schulen verankert ist.

Was wir partiell haben, das sind die Beteiligungsrechte. Also, im Sachkundeunterricht steht auf dem Plan, man soll Demokratie erlernen; aber das Selbstbestimmungsrecht ist etwas ganz anderes. Es fällt uns in unserer Gesellschaft ganz schwer zu sagen: Auch ein Sechsjähriger hat das Recht, darüber zu bestimmen, ob er ein Ohrloch gestochen bekommt oder nicht, oder andere Dinge. Aber ich will hier nicht neue Debattenthemen aufmachen.

Das ist der Punkt. Das Selbstbestimmungsrecht und das Partizipationsrecht müssen verbindlich in die Bildungspläne hinein. Deshalb haben wir diesen Antrag gestellt.

Ich bin auch dem Minister Herrn Bischoff ausgesprochen dankbar, dass er schon angekündigt hat, dass wir bei dem Programm „Bildung elementar“ in den Kitas noch einmal genau hingucken müssen, ob das Thema Kinderrechte im Sinne der Selbstbestimmungs- und Partizipationsrechte ausreichend verankert ist. Vielleicht kann man an dieser Stelle noch einmal nachsteuern. Das wäre der erste wichtige entscheidende Schritt, der hier zu machen ist. Darüber habe ich mich sehr gefreut. Das ist schon ein erster Erfolg der Debatte, die wir heute hier geführt werden.

Den Alternativantrag der regierungstragenden Fraktionen halten wir für völlig unzureichend. Bestandsaufnahmen sind immer gut. Dagegen kann man nichts haben. Aber der Punkt ist, dass wir uns als Parlament dazu bekennen müssen, dass Kinderrechte die Rechte sind, die den Kinder zustehen, und wir machen ernst damit, dass wir die Kinder darüber informieren, dass wir die Kinderrechte erfahrbar machen, dass wir die Kinder dazu befähigen, für sich selber einzutreten. Das ist eine Verpflichtung, die wir vor 20 Jahren unterschrieben haben. Die gehört auch so klar benannt in die Bildungspläne hinein.