Protokoll der Sitzung vom 20.02.2013

Diese Initiative beinhaltet im Kern zwei wichtige Punkte. Sie führt mit der Regelung des § 25b eine alters- und stichtagsunabhängige Bleiberechtsregelung bei nachhaltig festgestellter Integration im Aufenthaltsgesetz ein und sie reduziert mit einer Änderung des § 25a den nötigen Voraufenthalt von Jugendlichen mit erfolgreichem Schulabschluss von sechs auf vier Jahre.

Das, meine Damen und Herren, sind zwei wichtige Änderungen, die für viele Menschen Verbesserungen bringen können. Wir sind gewillt, diese Veränderungen anzustreben. Ich hoffe, wir befinden uns auf einem guten Weg.

Allerdings bleibt darüber hinaus noch viel zu tun. So ist gerade die Voraufenthaltszeit für Erwachsene, die von diesen Neuregelungen nicht erfasst sind, mit acht Jahren immer noch zu lang. Wir regen an, diese Frist zumindest auf fünf Jahre, besser noch auf drei Jahre abzusenken.

Deshalb, meine Damen und Herren, haben wir in unserem Antrag vier weitere Kriterien formuliert, die als Vorschläge zur weiteren Verbesserung der Bundesratsinitiative gedacht sind. Deswegen wäre ein entsprechender Landtagsbeschluss heute für Sie, Herr Minister, in erster Linie ein Auftrag zur Zustimmung zu der bestehenden Bundesratsinitiative. Das allein ist bereits viel wert.

In zweiter Linie gäbe Ihnen der Beschluss heute den nötigen Raum und die parlamentarische Rückendeckung, um die Bundesratsinitiative entlang der aufgezeigten Kriterien weiter zu qualifizieren und zu verbessern und damit einen noch wichtigeren, größeren Schritt in Richtung eines modernen und gerechteren Bleibrechts zu gehen, wie es unserem gemeinsamen Wunsch entspricht.

Ich bitte Sie um ein breite Zustimmung zu unserem Antrag. - Vielen Dank, meine Damen und Herren.

(Beifall bei den GRÜNEN - Zustimmung bei der LINKEN)

Danke sehr für die Einbringung, Herr Kollege Herbst. - Zur Einbringung des Antrags der Fraktion DIE LINKE unter Tagesordnungspunkt 4 b erteile ich der Abgeordneten Frau Quade das Wort.

Während sie sich auf den Weg zum Rednerpult begibt, sage ich ihr, dass die Redezeituhr falsch eingestellt ist. Sie ist auf einen Beitrag von fünf Minuten eingestellt. Wir werden nach Ablauf von zehn Minuten ein Zeitfenster von fünf Minuten anzeigen lassen. Sie haben also eine Redezeit von 15 Minuten.

Das ist in der Tat ein wichtiger Hinweis, Frau Präsidentin, vielen Dank.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die asyl- und aufenthaltsrechtlichen Bestimmungen der Bundesrepublik sowie die konkreten Lebensbedingungen von Menschen, die als Ausländer, als Geduldete, als Asylsuchende oder als Flüchtlinge gelten, haben uns in dieser Legislaturperiode bereits öfter beschäftigt, und nicht selten hatten die Oppositionsfraktionen einen großen Anteil daran.

Die Unzulänglichkeiten und die Notwendigkeiten, die Ungerechtigkeiten und das Gerechtfertigtsein, die politische Relevanz und die konkreten Ableitungen daraus haben wir dabei meist recht unterschiedlich bewertet. Heute jedoch deutet sich eine unerwartete und angesichts der nicht nur in Sachsen-Anhalt kontrovers geführten Debatten zum Thema Asyl- und Bleiberecht wohl auch seltene Einmütigkeit an. Was ist der Hintergrund dessen?

In den vergangenen Monaten gab es immer wieder Berichte von Abschiebungen von Menschen, die vollziehbar ausreisepflichtig geworden waren, die also keinen Aufenthaltstitel bekommen haben. Ihr Asylantrag wurde abgelehnt, die Ausreise bzw. die Abschiebung konnte aber nicht selten eine beträchtliche Zeit lang nicht vollzogen werden, oder sie fielen unter eine der verschiedenen Sonderregelungen, die der Kollege Herbst beschrieben hat.

Diese Menschen befanden sich im Status der Duldung. Dies ist ein überaus prekärer Status, weil diese Menschen in permanenter Ungewissheit leben mussten. Sie waren im Grunde jederzeit von Abschiebung bedroht, durften nicht oder nur in Ausnahmefällen arbeiten und hatten somit kaum eine Chance, sich ein eigenständiges Leben, geschweige denn eine Perspektive zu schaffen.

Zugleich sind diese Menschen in ihrer Heimat bzw. in den Ländern, in die sie abgeschoben werden, oftmals von Verfolgung bedroht, haben keine Grundlage für die Sicherung ihres Lebensunterhaltes, teilweise keinerlei Verbindungen in und zu

dem Land und sind von existenzieller Armut bedroht.

Trotz widriger Bedingungen haben es manche dieser Menschen geschafft, beachtliche Integrationsleistungen zu erbringen, und führen ein Leben, das hier seine Wurzeln hat. Ihre Kinder sind oftmals hier geboren, sie sprechen perfekt Deutsch, sie besuchen erfolgreich die Schule und sie betrachten den Ort, an dem sie leben, als ihr Zuhause.

Mit dem Auslaufen von stichtagsgebundenen Regelungen, mit dem Enden altersbezogener Sonderregelungen, mit dem Auftauchen neuer Unterlagen, manchmal aber auch aus nicht nachvollziehbaren Gründen werden diese Menschen dennoch plötzlich zur Ausreise aufgefordert bzw. ihnen wird die Abschiebung angedroht.

Abschiebungen sind oft dramatisch. Ein Fall erregte jedoch öffentliches Interesse und ist in der Tat ein herausragender Fall. Es ist der einer Familie in Magdeburg, die in der „Mitteldeutschen Zeitung“ Familie Abramow genannt wurde. Die Familienmitglieder sind Angehörige der kurdischen Minderheit der Yeziden. Es ist eine Familie mit vier Kindern, von denen zwei hier geboren wurden. Diese Familie sollte nach Armenien abgeschoben werden.

Die Mutter ist ernsthaft krank. Sie leidet an einem posttraumatischen Belastungssyndrom. Nach den Äußerungen der Mitarbeiter der Ausländerbehörde Magdeburg, die in der Presse zitiert wurden, war diese Erkrankung offenkundig bekannt.

Unangekündigt und im Morgengrauen sollte die Abschiebung vollzogen werden. Es kam zu den Ereignissen, von denen wir lesen mussten.

Offenbar herrschte Panik. Der Vater wehrte sich; er wurde abgeführt. Die Frau brach, offenbar nach Medikamenteneinnahme, zusammen und musste ins Krankenhaus eingeliefert werden. Die Abschiebung des Vaters und der vier Kinder lief derweil weiter.

Allein diese Punkte sind aus meiner Sicht durch die Ausländerbehörde Magdeburg, aber auch durch die eigens einbezogene Polizei und auch durch das Innenministerium dringend zu erklären.

Absolut nicht nachvollziehbar ist jedoch, was im Artikel der „Mitteldeutschen Zeitung“ vom 17. Februar 2013 beschrieben wurde. Hiernach soll die Ausländerbehörde auf die in der Klinik befindliche Frau massiven Druck ausgeübt haben, mit dem Ziel, die komplette Familie abschieben zu können. Das ist schlichtweg skandalös. In diesem Fall sind die Behörden eine Erklärung mehr als schuldig.

Erst als die Frau - offenbar in größter Verzweiflung - versuchte, sich die Pulsadern aufzuschneiden, wurde die Abschiebung der Familie gestoppt und die Familie konnte zur Mutter zurückkehren.

Wie kann es zu einer solchen dramatischen Situation kommen? Warum war die Familie beispielsweise noch immer in einer Gemeinschaftsunterkunft untergebracht, obwohl es seit dem Jahr 2008 eine anderslautende Empfehlung und Bitte des Innenministeriums gibt, obwohl es einen anderslautenden Landtagsbeschluss gibt, obwohl es einen anderslautenden Erlass gibt? Wieso musste die Familie überhaupt abgeschoben werden? - Hierzu erwarten wir in der Tat Antworten.

Offenkundig waren es diese dramatischen Ereignisse, die den Innenminister zu einem Umdenken in Bezug auf die Bleiberechtsregelungen der Bundesrepublik brachten.

Im November 2011 brachte die Fraktion DIE LINKE einen Antrag unter dem Titel „Für ein neues Bleiberecht“ in den Landtag ein. Wir wollten die Landesregierung damals beauftragen, sich auf der Bundesebene für ein grundsätzlich neues Bleiberecht einzusetzen, das sich an humanitären statt an Nützlichkeitskriterien orientiert und für die Betroffenen endlich eine dauerhafte und verlässliche gesetzliche Regelung schafft.

Der Innenminister sagte in der damaligen Debatte - ich zitiere -, „dass die vorhandenen Regelungen ausreichend sind, zumindest aber nicht so extendiert werden sollten, wie Sie es vorschlagen“. Für einige Empörung sorgte damals in der Debatte die Feststellung, dass die gegenwärtigen aufenthaltsrechtlichen Bestimmungen auf Dauer zu inhumanen Lebensbedingungen führen.

Heute scheint die Sichtweise ein andere zu sein. Heute beschreibt der Minister selbst die Situation als teilweise inhuman und sieht Handlungsbedarf. Ich bin sehr froh, dass es zu diesem Umdenken gekommen ist, und ich begrüße das ausdrücklich.

(Beifall bei der LINKEN - Zustimmung bei den GRÜNEN)

Offenkundig - zumindest war das der Presse zu entnehmen - hat dieses Umdenken auch in der CDU-Fraktion stattgefunden; denn ich habe die Ankündigung gelesen, dass zumindest dem Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, die Bundesratsinitiative von Hamburg zu unterstützen, zugestimmt werden soll. In diesem Fall könnte es also in der Tat ein seltenes Zeichen der Einmütigkeit geben.

Selbstverständlich ist die Bundesratsinitiative Hamburgs, die mittlerweile von mehreren Bundesländern unterstützt wird, eine richtige und eine wichtige. Es steht der Landesregierung gut zu Gesicht, sie zu unterstützen.

Ich hoffe natürlich, dass auch bezüglich der von meiner Fraktion beantragten Punkte Einigkeit herrscht. Denn damit gehen wir über die Bundesratsinitiative Hamburgs weit hinaus. Die Änderung des Aufenthaltsgesetzes, die Hamburg beantragt,

ist nur eine Fassette des notwendigen Umdenkens. Es braucht darüber hinaus auch den Verzicht auf restriktive Ausschlussgründe, wie zum Beispiel mangelhafte Ausweisdokumente. Denn Asylsuchenden in Deutschland wird häufig vorgeworfen, durch fehlende Mitwirkung bei der Passbeschaffung eine mögliche Ausreise verzögern oder verhindern zu wollen.

Passlosigkeit ist eines der Haupthindernisse für ein Bleiberecht. Das aber ignoriert die Realität von Geflüchteten völlig. Ausweispapiere beschaffen, sie korrekt stempeln lassen und dann weiterreisen - das sind nicht die Regelbedingungen, unter denen eine Flucht geschieht. Die aktive Mitwirkung an der eigenen Abschiebung zur Voraussetzung für ein dann vielleicht doch mögliches Bleiberecht zu machen, ist für Menschen, die auf der Suche nach nichts anderem als einem Leben in Sicherheit und Würde sind, einfach unzumutbar.

Es braucht dringend den Verzicht auf sogenannte Dublin-II-Rückführungen, also Abschiebungen in Staaten, die bei der Einreise nach Deutschland durchquert wurden, die ein menschenwürdiges Leben für Asylsuchende nicht gewährleisten können. Ja, es braucht eine grundsätzliche Überarbeitung der geltenden Aufenthalts- und Bleiberechtsgesetze. Dies ist in der Tat eine überfällige Debatte.

(Beifall bei der LINKEN - Zustimmung bei den GRÜNEN)

Darüber hinaus beantragen wir mit unserem Antrag, dass sich die Landesregierung auf der Bundesebene für die Abschaffung der Residenzpflicht einsetzt. Sie ist Teil der zahlreichen Sondergesetze, die für Flüchtlinge und Asylsuchende gelten, aber nicht für Deutsche. Sie beschränkt die Bewegungsfreiheit auf den jeweils zugewiesenen Landkreis bzw. den definierten Aufenthaltsbereich.

Die Abschaffung der Residenzpflicht ist seit Jahren eine Forderung von zahlreichen Wohlfahrtsverbänden, christlichen Hilfsorganisationen und Flüchtlingsorganisationen und auch eine der Kernforderungen des „Marsches der Flüchtlinge“, der im letzten Jahr durch die gesamte Bundesrepublik gezogen ist. Die Flüchtlinge treten in Berlin nach wie vor für ihre Rechte ein.

Ein weiterer Punkt, auf den wir mit unserem Antrag eingehen, ist die geplante Neufassung der sogenannten Aufnahmerichtlinie für Asylsuchende, die richtigerweise eher Inhaftierungsrichtlinie heißen müsste. Bislang ist es den Mitgliedstaaten der Europäischen Union überlassen, die mögliche Inhaftierung Asylsuchender zu gestalten.

In Griechenland beispielsweise, aber auch in anderen Ländern ist eine Inhaftierung von Asylbewerbern unter tatsächlich unmenschlichen Bedingungen, wie mittlerweile bereits mehrere Ge

richte, auch Gerichte in Sachsen-Anhalt festgestellt haben, durchaus üblich und kommt sehr häufig vor.

Die Europäische Union hatte sich deshalb bereits im Jahr 2005 darauf verständigt, ein gemeinsames Asylverfahren für Europa zu etablieren. Das ist prinzipiell zu begrüßen. Auch die Aufnahmerichtlinie sollte im Zuge dessen harmonisiert werden, was aber, wie wir nunmehr sehen müssen, keineswegs zu einer Begrenzung oder Abschaffung von Haft führt.

Die jetzt in Erarbeitung befindliche Richtlinie der EU wird nicht zu weniger, sondern zu mehr Haft führen. Denn die Gründe, aus denen ein Mensch dann inhaftiert werden kann, sind so vage definiert, dass sehr viel darunter fällt.

Menschen sollen inhaftiert werden können, um ihre Identität zu überprüfen, um das Recht auf Einreise in den jeweiligen Mitgliedstaat zu überprüfen - ein Bruch mit der Genfer Flüchtlingskonvention -, aus Gründen der nationalen Sicherheit und Ordnung - unbestimmte Rechtsbegriffe - oder auch wegen der Gefahr des Untertauchens, der verspäteten Stellung eines Asylantrages oder zur Beweissicherung, also falls es etwa irgendwelche Unstimmigkeiten in den Dokumenten gibt, was, wie ich bereits sagte, ein sehr häufiger Fall ist und der Realität vieler Flüchtlinge entspricht. Erlaubt werden soll zudem explizit die Inhaftierung von Kindern und Minderjährigen.

Diese Menschen haben kein Verbrechen begangen. Ihr einziges Verbrechen ist die Flucht. Der Haftgrund ist ihr Status als Asylbewerber. Das ist ein rechtsstaatliches Unding. Ein faires Asylverfahren ist so nicht möglich.

(Beifall bei der LINKEN - Zustimmung von Frau Prof. Dr. Dalbert, GRÜNE)

Es ist offenkundig, dass die Staaten mit restriktiven Haftgründen die Leitlinie bei der Erarbeitung dieser Richtlinie vorgaben. Offenkundig nimmt die Bundesregierung dies hin. Deswegen ist es unsere Pflicht als Landtag, zu intervenieren und beispielsweise im Rahmen der Fachministerkonferenz und auf der Ebene des Bundesrates für ein Umdenken zu werben.

Wenn der Innenminister im Fall der Aufenthaltsgesetze von der Notwendigkeit humanerer Regelungen spricht, dann sollte er sich diesem Problem nicht verschließen. - Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN - Zustimmung bei den GRÜNEN)