Protokoll der Sitzung vom 21.02.2013

Es bedarf tatsächlich wirksamer Instrumente, um Integrationshemmnisse wie fachliche Defizite und gesundheitliche und soziale Probleme abzubauen.

Ich will einmal deutlich machen, was wir in dem einen neuen Programm leisten. Wir haben jetzt die Chance, diejenigen, die immer unter diese 30 % gezählt werden und von denen meines Erachtens nicht nur fälschlicherweise, sondern auch demütigenderweise immer gesagt wird, sie hätten sich im System eingerichtet, in den nächsten Jahren doch noch flott zu machen.

Es gibt viele, die in den letzten zehn, 15 Jahren einfach die Erfahrung gemacht haben, dass es sich nicht lohnt, Bewerbungen zu schreiben und etwas anzunehmen. Sie haben erlebt, dass sie mit ABM, Ein-Euro-Jobs oder auch Initiativbewerbungen keine Möglichkeit auf dem ersten Arbeitsmarkt haben, und haben den Mut verloren. Zwischen den Mut zu verlieren, weil man es vier- oder fünfmal erfolglos versucht hat, und sich im System einzurichten, besteht ein großer Unterschied. Diese zu finden, bei diesen nach Defiziten zu suchen und diese fit zu machen, das ist, glaube ich, unser Ziel.

Wir haben versucht, in der laufenden Förderperiode umzuswitchen, und das Programm „Familien stärken - Perspektiven eröffnen“ ins Leben gerufen, das meines Erachtens gut anläuft. Den Ansatz finde ich so wichtig, eine Gruppe oder Betroffene bis zum Ende zu führen und ihnen nicht nur eine kurzzeitige Beschäftigung anzubieten.

Das Programm richtet sich vornehmlich an Alleinerziehende oder an Familien, in denen beide Elternteile arbeitslos sind. Es geht darum, sie abzuholen, sie wirklich zu qualifizieren, fachliche Defizite festzustellen und zu schauen, wo sie nachqualifiziert werden müssen, aber auch, wo die sozialen Schwerpunkte liegen, was im Hintergrund los ist, wie die familiäre Situation ist und welche gesundheitlichen und Erziehungsprobleme bestehen. Das sind oft Hemmnisse, die mit eine Rolle spielen.

Wir haben in den Landkreisen - alle Landkreise machen mit - Familiencoaches etabliert, die wir mit finanzieren, die diese Betroffenen mit begleiten, und zwar von Anfang an, gleich mit einem Partner auf dem ersten Arbeitsmarkt, wodurch sie sozusagen gekoppelt sind, wobei sie, wenn sie die Ausbildung abgeschlossen haben, noch ein Jahr weiter begleitet werden, damit erst gar kein Drehtüreffekt eintritt.

Denn davon sind die meisten geprägt: Es lohnt sich ja sowieso nicht. Die Erfahrung machen wir jetzt, wenn diejenigen das durchlaufen, dass es jetzt eine Perspektive gibt.

Für sie ist es manchmal auch eine harte Schule. Ich habe 18- oder 19-jährige Alleinerzeihende erlebt, die frühmorgens ihre Kinder in den Kindergarten gebracht haben und dann mit dem Zug - denn ein Auto können sie sich nicht leisten - von Burg nach Magdeburg - die Weiterbildungseinrichtung befindet sich auf dem Werder - gefahren sind und abends wieder zurück. Ich muss sagen: Hut ab vor denen, die das ein paar Jahre lang machen.

Aber das Ziel besteht darin, dass man danach wirklich eine Beschäftigung auf dem ersten Arbeitsmarkt hat und den Arbeitgeber schon kennt, weil man dort ein Praktikum gemacht hat. Das halte ich für zielführend. Deshalb glaube ich, wir sollten mit dieser gezielten Förderung jene aus dem Pool der 30 % Langzeitarbeitslosen herausfischen und herausholen.

Deshalb ist die Frage auch, ob man Arbeitgeber unterstützt, die auch junge Leute - es gibt ein Programm, das auf Menschen bis zum Alter von 25 Jahren erweitert worden ist - in ihren Betrieb hineinholen. Ich ermuntere sie dazu. Oftmals sagen Arbeitgeber, es lohne sich nicht, die jungen Leute hätten einen schlechten Schulabschluss, sie könnten noch nicht einmal die Prozentrechnung. Denen sollte man sagen: Probiert es einfach mal, wir unterstützen euch mit unseren Mitteln.

Denn es gibt junge Leute, die wachen auf, wenn sie das erste Mal gelobt werden, wenn jemand sagt, er könne sogar etwas. Manch einer lernt die Prozentrechnung erst, wenn er Schrauben zählt oder wenn er zum ersten Mal in seinem Leben erlebt hat, dass jemand sagt: Du passt gut in unser

Team hinein, du bist klasse. Oftmals haben sie das in der Schule nicht erlebt.

Diese Arbeitgeber, die nicht immer nur maulen, dass die Jugendlichen nicht gut ausgebildet sind, sondern die bereit sind, sie zu unterstützen, gibt es. Die gibt es auch hier im Land. Sie gilt es zu ermuntern. Es gibt Spätzünder. Es gibt junge Menschen, die noch nie ein Erfolgserlebnis hatten. Ich halte es für wichtig, sie hereinzuholen. Deshalb würde ich dort die meiste Energie hineinstecken.

Im zweiten Punkt geht es um diejenigen, für die keine Chancen mehr bestehen. Wie wir damit umgehen wollen, das haben Sie in unserem arbeitsmarktpolitischen Konzept gelesen. Ich habe gar nicht gewusst, dass Sie es erwähnen. Dieses Konzept wollten wir erst einmal zur Diskussion stellen.

Ich freue mich darüber, dass Sie mich loben. Es ist nicht überall so, dass ich gelobt werde. Ich empfinde es nach wie vor als ein gutes Konzept. Ich habe es doch an alle Fraktionen verteilt und ins Netz gestellt, weil es dann schon irgendwann bei den Zeitungen war. Ich wolle es eigentlich erst intern diskutieren. Denn wir hätten bis zum Ende des Jahres Zeit gehabt, dieses Konzept vorzustellen. Es ist aber auch nicht schlimm. Dann ist es eben jetzt in der Diskussion und kann um viele Punkte erweitert werden.

Ich gehe einmal davon aus, dass es jetzt im Antrag nicht enthalten ist, liegt tatsächlich daran, dass dieses Konzept noch nicht abgestimmt ist, weder mit der eigenen Fraktion noch mit den Regierungsfraktionen, sondern es ist ein Konzept meines Hauses. Es ist auch nicht das Konzept der Landesregierung, sondern quasi ein Vorentwurf. Insofern kann es sein, dass es noch Vorbehalte oder unterschiedliche Meinungen gibt in Dingen, bei denen Sie an uns appelliert haben, über unseren Schatten zu springen.

Ich sehe es persönlich so, dass es Menschen gibt, für die wir trotz aller Bemühungen wahrscheinlich keine Möglichkeiten finden, sie direkt auf dem ersten Arbeitsmarkt unterzubringen. Für sie sollten wir eine sinnvolle Beschäftigung finden.

Insoweit, denke ich, ist der Alternativantrag - Sie haben ihn am Anfang auch gelobt - schon ein großer Schritt. Deshalb sollten wir diese Chancen, die wir in den nächsten Jahren haben, die uns die Nachfrage nach Fachkräften und die demografische Entwicklung bescheren und die uns neue Möglichkeiten eröffnen, wirklich wahrnehmen. Ich danke Ihnen für Ihre Unterstützung.

(Zustimmung bei der SPD)

Für die CDU-Fraktion spricht der Abgeordnete Herr Rotter.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Arbeit ist das halbe Leben. Arbeit ist des Lebens Würze. Tätigkeit ist das Salz des Lebens.

(Minister Herr Dorgerloh stöhnt - Heiterkeit bei der SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wie Sie anhand dieser deutschen Sprichwörter selbst feststellen können, wurde und wird der Arbeit ein hoher Stellenwert zugeschrieben. - Der Herr Minister ist müde. Der Tag war lang. Ich kann es mir vorstellen.

(Zuruf von Herrn Borgwardt, CDU)

- Ich weiß, davon gehe ich aus. - Wie gesagt, der Arbeit wird ein hoher Stellenwert zugeschrieben. Wie wichtig Arbeit im Leben eines Menschen sein kann, das kann meiner Meinung nach nur jemand beurteilen, der selbst einmal in der Situation war, arbeitslos zu sein. Ich war es kurzzeitig und kann es mir deshalb vorstellen. Ich kann mir allerdings nur schwer vorstellen, wie es ist, über einen längeren Zeitraum oder sogar über einen sehr langen Zeitraum ohne Arbeit zu sein.

Leider gibt es in unserer Republik und in unserem Bundesland noch zu viele Menschen, die diese bittere Erfahrung am eigenen Leib erleben mussten und noch immer erleben müssen. Ja, es sind noch immer zu viele Menschen in Sachsen-Anhalt arbeitslos. Viele suchen nach einer Beschäftigung, die ihr Auskommen sichert und ihnen neue Lebensperspektiven eröffnet. Andere sorgen sich um die Sicherheit ihres Arbeitsplatzes oder wünschen sich dringend bessere Arbeitsbedingungen und eine bessere Bezahlung.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich eines feststellen: Unser Land hat bisher gerade im Bereich der Arbeitsmarktpolitik großen politischen Gestaltungswillen gezeigt und möchte seine Spielräume auch zukünftig zur politischen Gestaltung nutzen.

Dies kommt auch in den Zielen zum Ausdruck, die in der Koalitionsvereinbarung für die sechste Legislaturperiode festgelegt wurden. Dort wird der Anspruch formuliert, die ganzheitliche Arbeitsmarktpolitik in Sachsen-Anhalt fortzuentwickeln und an die aktuellen Herausforderungen anzupassen.

Eine der Herausforderungen, der wir uns in naher Zukunft intensiv stellen müssen, ist die immer noch zu hohe Zahl von Langzeitarbeitslosen. Trotz verbesserter Bedingungen auf dem Arbeitsmarkt und trotz des steigenden Fachkräftebedarfes gibt es im Land eine große Anzahl Langzeitarbeitsloser mit vielfältigen Problemlagen, bei denen das übliche, auf schnelle Integration in reguläre Beschäftigung ausgerichtete Instrumentarium der Arbeitsmarktpolitik in der Regel ohne Erfolg bleibt.

Für diese Arbeitslosen ist im Rahmen langfristig angelegter individueller Integrationsstrategien auch

oder besser: gerade das Angebot von öffentlich geförderten Beschäftigungsmöglichkeiten sinnvoll und oft die einzige Alternative. Mit dem Ende 2012 neu angelaufenen Programm „Familien stärken - Perspektiven eröffnen“ ist eine Möglichkeit geschaffen worden, einen integrierten arbeitsmarktpolitischen Ansatz zu erproben, der die individuelle Begleitung der Betroffenen durch sogenannte Familienintegrationscoaches mit Möglichkeiten der Arbeitserprobung auf realen Arbeitsplätzen in Unternehmen verbindet.

Im Fokus des Programms stehen insbesondere junge arbeitslose Alleinerziehende und Arbeitslose aus jungen Familien, die dabei unterstützt und begleitet werden, einer Arbeitsaufnahme entgegenstehende Hemmnisse zu bewältigen und sich über eine öffentlich geförderte Beschäftigung neue berufliche Chancen zu eröffnen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Für meine Fraktion kann ich eines mit Sicherheit feststellen: Solidarisches Handeln auf dem Arbeitsmarkt bleibt eines unserer Grundprinzipien. Der zweite Arbeitsmarkt kann und soll den ersten Arbeitsmarkt auf Dauer nicht ersetzen. Dennoch ist er weiterhin unverzichtbar. Durch berufliche Qualifizierung und Rehabilitation sollen für arbeitslose Mitmenschen Brücken in den ersten Arbeitsmarkt, in geförderte Erwerbsarbeit geschaffen werden.

Die Aufgabe einer Gesellschaft, Menschen wieder an Erwerbsarbeit heranzuführen, scheint schon viel älter zu sein, als ich es mir persönlich vorgestellt habe. Denn wie sonst soll man den Ausspruch des römischen Redners und Staatsmannes Marcus Tullius Cicero verstehen - er lebte übrigens 106 bis 43 vor Christus -, der heißt: Die Leute sollen wieder lernen zu arbeiten, anstatt auf öffentliche Rechnung zu leben.

(Frau Zoschke, DIE LINKE: Und das ohne SGB II!)

- Ohne SGB II, da sehen Sie es einmal.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Geben wir von Langzeitarbeitslosigkeit betroffenen Mitmenschen die Möglichkeit zu arbeiten und dadurch die Chance, wieder arbeiten zu lernen. Ich bin der felsenfesten Überzeugung, dabei kann unser Alternativantrag helfen. Frau Dirlich, da Sie ja auch unseren Alternativantrag durchaus gelobt haben und ihm eine durchaus hohe Qualität bescheinigt haben, wenn ich Sie richtig verstanden habe,

(Frau Dirlich, DIE LINKE: Aber nicht nur!)

bin ich der Meinung, steht auch bei Ihnen einer Zustimmung zu unserem Alternativantrag nichts im Wege.

Ich bitte Sie hiermit um Zustimmung zu unserem Alternativantrag und bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Zustimmung bei der CDU)

Danke sehr, Herr Rotter. - Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN spricht die Abgeordnete Frau Latta.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Der Antrag der Fraktion DIE LINKE „Öffentlich geförderte Beschäftigung neu gestalten“ greift die Bundesratsinitiative aus dem Jahr 2012 auf, die von den Bundesländern Bremen, Baden-Württemberg, Brandenburg, Hamburg und Rheinland-Pfalz initiiert wurde. Damit sollte die Bundesregierung aufgefordert werden, gesetzliche Rahmenbedingungen für eine sozialversicherungspflichtige öffentliche Beschäftigung zu schaffen. Allerdings hat der Bundesrat in seiner 904. Sitzung am 14. Dezember 2012 beschlossen, die Entschließung nicht zu fassen.

In Deutschland sind derzeit trotz Aufschwungs und Fachkräftemangels nahezu 900 000 Menschen länger als ein Jahr lang arbeitslos. Sie brauchen dringend eine gute Förderung. Viele von ihnen können bei entsprechender Qualifizierung offene Stellen übernehmen und damit den Fachkräftemangel entschärfen.

Daher wollen wir GRÜNE in die Betreuung, in die Qualifizierung und in die Vermittlung Langzeitarbeitsloser investieren. Zusätzlich wollen wir aber auch für diejenigen Chancen eröffnen, die trotz guter Konjunktur in den kommenden Jahren den Sprung in den ersten Arbeitsmarkt nicht schaffen werden. Für sie fordern wir einen verlässlichen, sozialen Arbeitsmarkt.

Der heute vorgelegte Antrag der Fraktion DIE LINKE „Öffentlich geförderte Beschäftigung neu gestalten“ ist an die Initiative aus dem Jahr 2012 angelehnt. Langzeitarbeitslose Menschen erhalten mit der Bundesratsinitiative eine Perspektive auf dem Arbeitsmarkt jenseits des Hartz-IV-Bezugs. Gut sind auch die individuelle Unterstützung und Begleitung in eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung sowie Nachbetreuungsangebote, mit denen die Integration nachhaltig gefördert wird. Deshalb sollte sich auch Sachsen-Anhalt einer solchen Initiative anschließen. Eine Bundesratsinitiative hat den richtigen Adressaten und einen längeren Atem.

BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und die SPD hatten sich auf der Bundesebene bereits im Oktober 2012 für die Errichtung eines sozialen Arbeitsmarktes ausgesprochen und dafür einen Gesetzentwurf vorgelegt. Aktuell wird von der grün-roten Regierung in Baden-Württemberg ein solcher sozialer Arbeitsmarkt erfolgreich umgesetzt, und zwar im Rahmen des dortigen „Landsprogramms gute und sichere Arbeit“. Die Beschäftigungsverhältnisse auf dem sozialen Arbeitsmarkt müssen sozialversiche

rungspflichtig, gerecht entlohnt und arbeitsmarktnah sein sowie in ein Konzept von Betreuung und Qualifizierung eingebunden werden.

Die Identifizierung und Organisation zusätzlicher und gemeinwohlorientierter Tätigkeiten soll der lokalen Ebene in die Hand gegeben werden, um das wirtschaftspolitische Know-how der örtlichen Arbeitgeberinnen, der Kammern und der Tarifparteien sowie den sozialpolitischen Sachverstand von Vereinen und Verbänden einbeziehen zu können.

Zur Finanzierung der Beschäftigungsverhältnisse am sozialen Arbeitsmarkt sollen passive Leistungen, beispielsweise der Regelsatz Arbeitslosengeld II, Kosten der Unterkunft, Sozialversicherungsbeiträge und Maßnahmekosten, in ein Arbeitsentgelt umgewandelt werden.

Wir, die grüne Landtagsfraktion, können den einzelnen Punkten heute zustimmen, da die Anträge in die Ausschüsse überwiesen werden. Wir freuen uns, dass beide Anträge überwiesen werden sollen.