Protokoll der Sitzung vom 09.06.2011

In dem Leitfaden I spricht man von „Chancen und Risiken von PPP-Projekten in den neuen Bundesländern“, in Leitfaden IV von „PPP-Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen“.

Es gibt den Runderlass des Innenministeriums unseres Landes vom 28. April 2004 mit dem Titel „Behandlung von PPP-Projekten auf kommunaler Ebene“, in dem das MI den Kommunalaufsichtsbehörden und den Kommunen Hinweise zum Umgang mit entsprechenden Projekten gab. Zudem gibt es die „Handhabung öffentlich-privater Partnerschaft durch Kommunen in Sachsen-Anhalt“ vom Januar 2007, ebenfalls aus dem MI des Landes Sachsen-Anhalt.

Deshalb begehrt unser Antrag ein zwischen Bund, Ländern und Kommunen abgestimmtes Bewertungsverfahren, das auch von den Rechnungshöfen anerkannt wird. Es sollen also nicht zusätzliche Haushaltsmittel parallel auf verschiedenen Ebenen eingesetzt werden, sondern es soll ein möglichst koordiniertes Vorgehen erfolgen, welches schnelle Ergebnisse zeitigt.

Sehr geehrte Damen und Herren! Das prominenteste Beispiel von PPP aus der fünften Wahlperiode war die JVA Burg-Madel. Den Wirtschaftlichkeitsvergleich zur JVA zwischen der Eigenrealisierung des Landes und dem PPP-Modell führte in diesem Beispiel ein externes privates Beraterteam durch. Allein durch die vorbereitenden Beratungen über einen Zeitraum von drei Jahren wurden Kosten in Höhe von 1,5 Millionen € verursacht. Jenes externe Team maß das wirtschaftlichste Angebot am PSC, dem Public Sector Comparator, also an dem Vergleichswert für die Eigenrealisierung durch die öffentliche Hand als Kostenobergrenze. Zum PSC später mehr.

Nicht überraschend ermittelten die privaten Berater einen Barwertvorteil des PPP-Modells gegenüber dem konventionellen Eigenbau und Betrieb in Höhe von etwa 12 %. Das war erst einmal eine Ansage. Im Fachausschuss LEV verstiegen sich die Vertreter der Landesregierung auf eine Präzisierung bis auf die Kommastelle und sprachen von einem Kostenvorteil von 12,1 %.

Neben dieser Behauptung erlebten wir Nachteile am Beispiel JVA Burg-Madel. Sie sind bereits in der Debatte zu dem Antrag „Mehr Transparenz für öffentlich-private Partnerschaften“ in der Drs. 5/2551 am 2. Februar 2011 an dieser Stelle angemerkt worden und sollen nicht wiederholt werden. Denn das Risiko bleibt immer bei der öffentlichen Hand. Damit sind wir bei der Betrachtung dazu.

Es ist gängige PPP-Praxis, in die Verträge eine Feinheit aufzunehmen, die Forfaitierung, also den Forderungsverkauf mit Einredeverzicht. Das heißt, der private Investor verkauft den Vertrag, den er mit dem öffentlichen Auftraggeber gemacht hat, mit den festgeschriebenen Mietverpflichtungen an eine Bank. Diese kauft die Forderungen unter der

Bedingung, dass der öffentliche Auftraggeber die Miete nicht an den Investor zahlt, sondern an sie.

Außerdem besteht der öffentliche Auftraggeber nicht auf dem sonst üblichen Recht des Mieters, bei Mängeln, Minderleistungen oder Schlechterfüllungen der vertraglichen Pflichten die Miete zu mindern. Diese Selbsteinschränkung des Auftragsgebers wird Einredeverzicht genannt, und dadurch geht er erhebliche Risiken ein.

Selbst wenn der Insolvenzfall des Investors eintritt - das ist üblicherweise ein Kündigungsgrund im öffentlichen Auftragswesen -, muss der öffentliche Auftraggeber weiterhin Zahlungen in vollem Umfang an die Bank leisten. Der Investor braucht keine Garantien für die termingerechte Fertigstellung des Projektes zu geben. Die finanziellen Risiken und die Risiken der Erfüllung liegen allein beim Auftraggeber.

ÖPP-Verträge werden zum Beispiel in Kommunen oft nur in nichtöffentlichen Gemeinderatssitzungen beraten. Die beschriebenen Regelungen unterfallen der Geheimhaltung. Damit sind wir beim Thema Nachprüfbarkeit und Transparenz.

Sehr geehrte Damen und Herren! Die Landeshauptstadt Magdeburg verwies bei der Vorstellung des PPP-Projektes Schulen Paket I im September 2007 auf die Finanzierung von PPP-Projekten mittels kommunaler Forfaitierung. Wörtlich hieß es dazu: Das Modell der kommunalen Forfaitierung wurde gewählt, um niedrige Finanzierungskonditionen zu erzielen und den regionalen Mittelstand zu beteiligen. - Das klingt gut und ist ganz im Sinne des im Antrag erwähnten Landtagbeschlusses vom Juli 2006: PPP zur Stärkung des Mittelstandes - aber mit einem Risiko für und auf Kosten der öffentlichen Hand?

Auch die PPP-Beispiele zur Sanierung von Schulen und Kitas in Halle erwecken kaum mehr Vertrauen. Hier sprach im September 2008 der zuständige Ressortleiter Jörg Baus von Effizienzvorteilen bei den Schulen von 19 % und bei den Kitas von 11 %. Wörtlich sagte er gegenüber dpa: Auch für PPP braucht man Geld, aber man spart auch. - Aber nach welcher Vergleichsberechnung wurde das durch wen so präzise festgestellt?

Auf der Internetseite Halleforum.de gab es am 31. Mai 2010 einen Artikel über einen kritischen Bericht des Landesrechnungshofs über eben jene PPP-Projekte in Halle. Das Prüfungsergebnis des Landesrechnungshofes ist wie bei früheren Untersuchungen annähernd ernüchternd. Typisch war die Reaktion der Betreiber in Halle: Die Projektgesellschaft hat mitgeteilt, dass einer Veröffentlichung des Jahresberichtes nicht zugestimmt werden kann, da es sich hierbei um interne Planbilanzen des Unternehmens handelt. - Das ist auch von anderen PPP-Projekten bekannt: Was unangenehm werden könnte, wird zur Geheimsache erklärt.

Laut Halleforum.de kritisierten die Rechungsprüfer, dass die PPP-Projekte die Finanzprobleme der Stadt Halle nicht lösten und dass es vielmehr zu einer Verlagerung der finanziellen Belastung in die Zukunft komme.

Der Landesrechnungshof formulierte damit wieder einmal deutlich, dass diese Form der Privatisierung insgesamt in den meisten Fällen schlicht eine Verlagerung der Kosten auf die Allgemeinheit darstellt, und von nachgewiesenen Kostenvorteilen findet sich keine Spur.

(Frau Niestädt, SPD: Das ist aber auch ein bisschen plump!)

Diese Geheimniskrämerei um die Verwendung öffentlicher Gelder zugunsten privater Unternehmen gab es nicht nur in Halle, sondern auch unter unserer letzten Landesregierung.

Der Landesbeauftragte für den Datenschutz merkt in seinem achten Tätigkeitsbericht in der Drs. 5/715 unter der Überschrift „Datenschutz und ein großes Investitionsprojekt: PPP-Burg“ kritisch an, dass er einer Antwort des MJ auf eine Anfrage hin, ihn über datenschutzrechtlich bedeutsame Aspekte zu informieren, lange harrte. Er sollte eine Schweigeverpflichtungserklärung abgeben, obwohl ihm die Zusendung aller erforderlichen Aussagen vorab zugesagt worden war. In der Stellungnahme der Landesregierung zu seinem Bericht in der Drs. 5/1097 heißt es dazu:

„Die Landesregierung ist der Auffassung, dass auch in diesem Fall öffentlich-rechtliche Grundsätze gelten und damit grundsätzlich die Kontrollzuständigkeit des Landesbeauftragten für den Datenschutz besteht. Deshalb ist der Zeitpunkt der späten Übermittlung den einschlägigen vergaberechtlichen Vorschriften geschuldet, die anderenfalls ein Verfahren zur Unterzeichnung einer Vertraulichkeitsvereinbarung notwendig gemacht hätten.“

Das Problem der Intransparenz bleibt bestehen.

Sehr geehrte Damen und Herren! Wirtschaftlichkeit ist d a s Vergabekriterium. In der öffentlichen Anhörung am 7. Februar 2007 erklärte der Präsident des Landesrechnungshofs Folgendes:

„PPP-Projekte sind zunächst eine wertneutrale Variante zu allen anderen Finanzierungsformen … Sie werden jedoch häufig als Ausweg aus der finanziellen Notlage der Gebietskörperschaften angesehen, mit dem Investitionsstaus aufgelöst und neue Wachstumsimpulse gesetzt werden können.

Der wichtigste … Punkt ist: PPP-Projekte, die sich die öffentliche Hand konventionell finanziert nicht leisten kann, darf sie sich ebenso wenig alternativ finanziert leisten.“

Bezüglich des Verfahrens wies er auf folgende fünf Punkte hin:

• erstens die Feststellung der Notwendigkeit und langfristigen Finanzierbarkeit,

• zweitens die Wirtschaftlichkeit eines Projektes über die gesamte Laufzeit hinweg, die nachzuweisen ist;

• drittens müsse es zwischen der öffentlichen Hand und dem privaten Partner eine angemessene und wirtschaftliche Risikoverteilung geben;

• viertens mahnte er das Risiko der komplexen PPP-Verträge an und

• fünftens sind „PPP-Projekte über ihre gesamte Vertragslaufzeit im Haushalt klar darzustellen, um die Belastung künftiger Haushalte eindeutig zu regeln“.

Aus diesen Darlegungen des Landesrechnungshofs ergibt sich eigentlich die Notwendigkeit, eines Prüf-, Vergleichs- oder Berechnungssystem zwischen ÖPP und Eigenbaulösung.

(Minister Herr Bullerjahn: Das wird jedes Mal gemacht!)

- Herr Minister, Sie haben gleich Gelegenheit dazu. - Sehr geehrte Damen und Herren! Der konventionelle Vergleichswert, der Public Sector Comparator, beinhaltet geschätzte, im Rahmen kameralistischer Haushaltsführung unvollständige Werte. Hierzu haben Sie, Herr Minister, mir schon einmal gesagt, das seien alles Schätzungen.

Beim PSC müssen dem privatrechtlichen Angebot die bei der öffentlichen Körperschaft verbleibenden einzelfallspezifischen Kosten hinzugerechnet werden. Aber bei einer kameralistischen Haushaltsführung ist dies mangels eigener Kostenstellen, Kostenträger oder Kostenartenrechnung unmöglich. PSC ist als Maßstab der Bewertung privatrechtlicher Angebote zur Entscheidung pro PPP nur bedingt verwendbar. Und PSC betrachtet keine Risiken, wie zum Beispiel Leistungsunfähigkeit durch Insolvenz, Mängel in der Ausführung oder nicht gehaltene Termine.

Anders sieht es bei der Kosten-Nutzen-Betrachtung aus. Sie ist im Vergleich dazu die umfassendere Wirtschaftlichkeitsbetrachtung. Sie berücksichtigt alle Wirkungen, insbesondere deshalb, weil sie sowohl direkte als auch indirekte geldwerte Vorteile und darüber hinaus monetär schwer oder nicht bewertbare Kriterien, zum Beispiel städtebauliche, ökologische oder soziologische Wirkungen, als auch Auswirkungen auf die regionale und raumordnerische Entwicklung berücksichtigt.

Die Kosten-Nutzen-Betrachtung beinhaltet im Unterschied zu PSC tatsächlich anfallende Kosten, welche im Rahmen kameralistischer Haushaltsführung praktisch nicht ermittelt werden können. Sie

liefert zur Bewertung der Wirtschaftlichkeit von ÖPP-Projekten umfassende Aussagen, welche weit über die eigentlichen Kalkulationsmaßstäbe hinausgehen.

Nur durch diesen umfassenden volkswirtschaftlichen, mindestens wertanalytischen Ansatz liefert die Kosten-Nutzen-Betrachtung einen objektiven Maßstab. Nur sie legt alle Chancen und Risiken von ÖPP offen und kann daher als Grundlage für die Feststellung von Effizienzvorteilen dienen.

Sehr geehrte Damen und Herren! Wir sollten die Erfahrungen anderer nutzen. Zum Beispiel hat der Rechnungshof des Landes Baden-Württemberg im Jahr 2009 eine Wirtschaftlichkeitsanalyse von ÖPP-Projekten der ersten und zweiten Generation bei Hochbaumaßnahmen des Landes vorgelegt und festgestellt, dass die behaupteten Effizienzrenditen von 11 % bis 19 % auf Dauer nicht zu halten sind. Die meisten der untersuchten Fälle ergaben im Durchschnitt einen Kostenvorteil von etwas über 2 %. Dabei ist ein Vergleich anhand konkreter Angebote für beide Varianten erforderlich.

„Schätzungen sind hypothetisch, Marktpreise real“ - dies führte der Präsident des Landesrechnungshofes Baden-Württemberg aus. Insbesondere bei ÖPP-Projekten der zweiten Generation, die neben der Planung, der Finanzierung und dem Bau auch den Betrieb umfassen, vergleichbar der JVA BurgMadel, sei es wegen der Kosten für die Risikovorsorge und den langen Vertragslaufzeiten schwierig, Vergleiche mit einer Eigenrealisierung hinsichtlich der Wirtschaftlichkeit anzustellen. Es müsse ein sorgfältiger Vergleich auf der Basis von Marktpreisen für alle Realisierungsvarianten erfolgen.

Sehr geehrte Damen und Herren! Im Antrag ist auf den Beschluss des Landtages aus dem Jahr 2006 hingewiesen worden. Wenn Sie sich diesen noch einmal anschauen, stellen Sie fest, dass einige Punkte in der letzten Wahlperiode noch nicht vollständig abgearbeitet worden sind. Darauf sollte aufgebaut werden. Namens meiner Fraktion bitte ich Sie um Zustimmung zu unserem Antrag. - Danke.

(Beifall bei der LINKEN)

Herr Minister Bullerjahn, möchten Sie jetzt sprechen? Es ist Ihre Entscheidung. - Für die Landesregierung spricht Minister Herr Bullerjahn.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Henke, ich glaube, wir haben das Thema hier schon vier- oder fünfmal ausgiebig beraten. Und auch jetzt habe ich nichts Neues gehört. Das ist kein Vorwurf, sondern eine schlichte Feststellung.

Niemand hier vorn hat behauptet, dass ÖPP oder was es da alles gibt, automatisch besser ist. Sie

sind der Frage ausgewichen - ich weiß, dass das damals in Halle mit den Schulen kein einfaches Verfahren war -, was diejenigen sagen würden, wenn das über eine solche Maßnahme nicht gebaut würde, wenn man gleichermaßen den Stadtrat verantwortlich machen und sagen würde, die Schulen müssten endlich saniert werden.

Ich befand das, was Halle und Magdeburg damals getan haben, für richtig. Wer sagt, dass diese Verfahren anders laufen sollten - wohl wissend, dass man kein Geld hat - und dass man das im Eigenbau machen sollte, der ist auf der sicheren Seite. Irgendwann muss man sich entscheiden. Sie wissen doch nur zu gut - deshalb schätze ich Sie als Fachmann -: Jede einzelne Baumaßnahme wird vorher durch eine Wirtschaftlichkeitsuntersuchung dahin gehend geprüft, mit welcher Finanzierungs- und Umsetzungsart sie realisiert wird. All das wissen Sie doch.

Sie stellen das hier übrigens sehr einseitig dar, wenn Sie sagen, ÖPP hätte tausend Risiken. Wissen Sie, wie viele Maßnahmen im Eigenbau am Ende teurer geworden sind und wie viele Maßnahmen nicht termingerecht realisiert worden sind, obwohl sie alle mit staatlichen Gremien realisiert wurden? Ich wäre hierbei sehr vorsichtig. Ich kann nur sagen: Dort, wo ich zum Teil mit Privaten gebaut habe, waren diese genau auf den Tag fertig und haben auch den Preis eingehalten; denn es wurde vorher geklärt, was passiert, wenn sie den Termin nicht halten.

In der öffentlichen Verwaltung haben wir teilweise ein halbes Jahr und länger Diskussionen darüber, warum etwas nicht fertig oder letztlich teurer geworden ist, ob es nun die Stahlpreise waren oder die Erhöhung der Mehrwertsteuer oder das schlechte Wetter.

Übrigens hatte man, wenn eine Firma in Konkurs ging, auch während einer solchen Maßnahme im Eigenbau das gleiche Problem: Es konnte nicht weitergebaut werden. Auch in diesem Verfahren konnten wir selbst als Bauherr auf der Baustelle nicht einfach tun und lassen, was wir wollten. All das wissen Sie doch.

Ich habe jetzt ein riesiges Verfahren beim Finanzamt in Halle zu der Frage, ob wir eine solche Maßnahme auch über diesen Weg finanzieren lassen könnten. Das ist sogar im Vorfeld extra ausgeschrieben worden. Bevor wir uns diesbezüglich im Finanzausschuss und im Bauausschuss festlegen, ist es wichtig zu klären, über welche Finanzierungs- und Betreiberart wir eine solche Investition tätigen wollen und können.