Protokoll der Sitzung vom 22.03.2013

Zweitens. Ich befürchte, dass eine rezeptfreie Abgabe der „Pille danach“ in einigen Fällen durchaus zu größerer Nachlässigkeit bei der Empfängnisverhütung führen kann, frei nach dem Motto: Wenn etwas schiefgeht, kann ich ja anschließend in die Apotheke gehen, das Problem beheben und deshalb zum Beispiel auf Kondome verzichten.

Auf das damit möglicherweise einhergehende Risiko der Übertragung von Geschlechtskrankheiten, HIV usw. brauche ich, glaube ich, hier nicht weiter einzugehen. Das Thema kennen wir.

Um nicht falsch interpretiert zu werden: Das ist jetzt hier keine generelle Unterstellung. Aber diese Fälle wird es geben; diese Fälle hat es gegeben. Ich habe auch mit Apothekern gesprochen. Dabei wurde mir bestätigt, dass bereits Leute kamen und meinten: Ich habe jetzt ein Problem. Kann ich die Pille danach bekommen? - Übrigens haben die dann ihr Problem nach Arztkontakt gelöst bekommen.

Mit einem kurzfristigen Arztbesuch ist es im ländlichen Bereich schwierig. Frau Lüddemann, das ist bekannt, das wissen wir. Es ist kein Geheimnis, aber es ist ein Problem, das ich zumindest sehe.

Drittens - das ist angesprochen worden -: Der dramatischste, aber im Zusammenhang mit der „Pille danach“ am häufigsten genannte Fall ist die Vergewaltigung. Gerade in diesem Falle dürfen Frauen nicht alleingelassen werden. Hierbei sind zunächst eine medizinische und psychologische Begleitung der Opfer und im Weiteren eine polizeiliche und hoffentlich auch juristische Aufarbeitung unverzichtbar. Gerade in diesen Fällen werden Arzt und Psychologe dringend gebraucht.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Frau Lüddemann! Ich habe wirklich hohes Vertrauen in die Qualifikation, in die Fähigkeiten unserer Apotheker. Aber ihnen allein die Rolle von

Polizei und Justiz, Arzt und Psychologe und vielleicht auch noch - Sie haben es hier angesprochen - eines Moraltheologen zuzuweisen halte ich für unzumutbar.

Sie merken - ich sagte es schon eingangs -: Ich neige eigentlich zur Ablehnung Ihres Antrags. Aber da das Thema zugegebenermaßen durchaus vielschichtig ist - Frau Lüddemann und Herr Minister haben schon einige interessante Aspekte erwähnt -, schlage ich vor, dass wir uns mit diesem Thema im Rahmen eines Fachgesprächs unter Hinzuziehung diverser Experten im Ausschuss befassen.

Dann können wir über das Thema noch einmal in Ruhe reden, auch über die Erfahrungen, die andere gemacht haben. Gerade den Aspekt, dass dadurch möglicherweise die Zahl von Schwangerschaftsabbrüchen sinkt, halte ich für interessant. Aber das sollten wir im Ausschuss diskutieren. Ich bin ein lernfähiger Mensch und durchaus neugierig auf die Argumente, die zu anderen Auffassungen und liberaleren Regularien in anderen Ländern führten.

Ich beantrage deshalb namens meiner Fraktion die Überweisung dieses Antrags in den Ausschuss für Arbeit und Soziales. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Zustimmung bei der CDU)

Vielen Dank, Herr Schwenke. Frau Wicke-Scheil würde auch Sie gern etwas fragen.

Machen wir.

Dann fragt sie jetzt.

Danke schön. - Herr Schwenke, Sie haben das jetzt in den gesundheitlichen Bereich gerückt und darauf abgehoben, dass die Einnahme durchaus Nebenwirkungen haben kann. Ihnen ist aber sicherlich bekannt, dass zum Beispiel Paracetamol, das frei verkäuflich ist, bei bestimmten Personen zu schweren Leberschäden führen kann. Warum wägen Sie das nicht gegeneinander ab?

Es gibt durchaus unterschiedliche Medikamente und unterschiedliche Wirkungen. Hierbei geht es auch um Nebenwirkungen. Aus meiner Kenntnis heraus halte ich in dem Fall ein Rezept für notwendig. Aber wie gesagt, Sie und die Experten können mich im Ausschuss vom Gegenteil über

zeugen. Schauen wir einmal, worüber wir im Ausschuss diskutieren.

(Zustimmung von Herrn Schröder, CDU)

Vielen Dank, Herr Kollege Schwenke. - Für die Fraktion DIE LINKE spricht jetzt Frau Zoschke. Bitte schön, Frau Kollegin.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gleich vorab: Der vorliegende Antrag der Fraktion BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN wird von unserer Fraktion unterstützt.

(Zustimmung bei der LINKEN und von Herrn Striegel, GRÜNE)

Meine Herren, ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren: Ginge es hier um eine Pille für Männer, würden wir eine solche Diskussion nicht führen.

(Zustimmung bei der LINKEN und bei den GRÜNEN)

Eine Frage an Sie alle: Welches Risiko, meine Herren, tragen Sie eigentlich im Zusammenhang mit der „Pille danach“?

(Zuruf von der CDU: Nur keine Unterstellun- gen!)

Herr Minister, wo gibt es 100-prozentige Sicherheit? Eine Lösung des Problems - Verschreibungspflicht oder nicht - ist zwar eigentlich Gegenstand bundespolitischer Entscheidungen. Da es aber laut Aussagen der Bundesregierung in einer Antwort auf eine parlamentarische Anfrage der LINKEN vom August 2012 in dieser Hinsicht vor allem an Mehrheiten im Bundesrat hapern soll, ist die Befassung auf Landesebene durchaus angebracht,

(Zustimmung bei der LINKEN und bei den GRÜNEN)

zumal unser Sozialminister in diesem Jahr als Vorsitzender der Arbeits- und Sozialministerkonferenz vielleicht auch etwas mehr Möglichkeiten zur Einflussnahme auf seine Kolleginnen und Kollegen hat.

(Zustimmung von Herrn Striegel, GRÜNE)

Traurige Aktualität erlangte die Forderung nach Freigabe kürzlich durch den öffentlich gemachten Fall einer vergewaltigten Frau in Köln. Sie erinnern sich: Katholische Krankenhäuser weigerten sich, dieser Frau, die Opfer einer Vergewaltigung geworden war, die „Pille danach“ zu verschreiben. Die Begründung, man dürfe nicht in Sachen Abtreibung beraten, brachte die Öffentlichkeit auf.

Welches Bild vom Selbstbestimmungsrecht von Frauen wird hier vertreten,

(Frau Weiß, CDU: Mannomann!)

ganz abgesehen von der Tatsache, dass dieses Notfallmedikament eine Schwangerschaft verhindert, sie jedoch nicht unterbricht? Allerdings muss es, um wirksam zu sein, maximal 72 Stunden nach dem ungeschützten Verkehr eingenommen werden. Da bleibt keine Zeit, noch lange durchs Gesundheitswesen zu „touren“.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Da ist die nächste Apotheke die optimale Lösung. Dort gibt es nicht nur einen funktionierenden Bereitschaftsdienst, sondern vor allem auch fachliche Beratung. Unsere Forderung lautet: Apothekenpflichtig, aber nicht verschreibungspflichtig!

Positive Fachaussagen zur rezeptfreien Abgabe des Notfallmedikaments Levonorgestrel gibt es sowohl von der in Deutschland zuständigen Behörde, vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte - wir hörten es bereits -, als auch durch internationale Erfahrungen in 28 europäischen Ländern und in weltweit 79 Ländern.

(Unruhe)

Frau Kollegin, ich würde Ihnen gern etwas Ruhe verschaffen.

(Herr Borgwardt, CDU: Noch lauter geht es nicht!)

Es ist mir gelungen. Danke schön.

Schon im Jahr 2003 empfahlen die Sachverständigen die Aufhebung der Verschreibungspflicht in Deutschland. Auch die WHO stellte fest, dass die Nachverhütungsmethode auf der Basis von LNG sehr sicher ist. Sie wirkt nicht abortiv oder schädigend auf eine bereits bestehende Schwangerschaft.

Deutschland hat sich mit der Ratifikation des UNSozialpakts zudem verpflichtet, das Menschenrecht auf reproduktive Selbstbestimmung zu gewährleisten. Der rechtzeitige Zugriff auf schwangerschaftsverhütende Mittel, also auch auf die „Pille danach“, ist eine Voraussetzung für die Umsetzung dieses Rechts. Deshalb sollte Deutschland die hier bestehenden Hürden zügig abbauen.

Am 31. Januar 2013 brachten die SPD-Fraktion und die Fraktion DIE LINKE entsprechende Anträge in den Bundestag ein. Diese wurden in die Ausschüsse für Gesundheit sowie für Familie, Senioren, Frauen und Jugend überwiesen. In beiden Anträgen wird die Aufhebung der Verschreibungspflicht gefordert. Zudem werden in beiden Anträge auch entsprechende Aufklärungs- und Evaluationsmaßnahmen gefordert.

Die LINKE fordert außerdem, für dieses Notfallmedikament die gleichen Regeln zur Erstattungs

fähigkeit zu treffen wie bei regulären Verhütungspillen, also die Kosten für Frauen bis zum vollendeten 20. Lebensjahr grundsätzlich von den Krankenkassen zu erstatten. Das wollen wir auch.

Insoweit möchte ich nachdrücklich auch auf die in der Begründung des Antrags der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN dargelegten Argumente verweisen und plädiere dafür, dass der Landtag von Sachsen-Anhalt mit einer positiven Beschlussfassung zur Beschleunigung der Arbeit des Deutschen Bundestages beiträgt.

(Beifall bei der LINKEN und bei den GRÜ- NEN)

Danke schön, Frau Zoschke. - Für die Fraktion der SPD spricht die Kollegin Frau Grimm-Benne. Bitte schön, Frau Grimm-Benne.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren Kollegen! Über die Möglichkeit einer rezeptfreien Abgabe der „Pille danach“ mit dem Wirkstoff Levonorgestrel wird in Deutschland schon seit Langem diskutiert. Ich musste vorhin schmunzeln; Frau Zoschke sollte bei ihrer eigenen Bundestagsfraktion wildern.

Meine Fraktion hat im Bundestag unter der Überschrift „Rezeptfreiheit für Notfallkontrazeptiva - Pille danach gewährleisten“ einen ähnlich lautenden Antrag gestellt, der am 31. Januar 2013 in den Gesundheitsausschuss des Bundestags überwiesen worden ist.

Dennoch hat der Antrag auch in meiner Fraktion zumindest Nachfragen ergeben. Diese möchte ich Ihnen an dieser Stelle nicht vorenthalten. Unter anderem ist mir in der Debatte der Verweis auf mögliche Gesundheitsrisiken zu kurz gekommen. Ich möchte zudem sozialpolitische Erwägungen einbeziehen und den bürokratischen Hürdenlauf aufzeigen, der eine Rezeptfreiheit mit sich bringt.