Protokoll der Sitzung vom 25.04.2013

(Herr Scheurell, CDU: Schade!)

Jemand sagte schade.

Das betraf aber nicht die Redezeit.

(Zuruf von der CDU: Herr Scheurell war das!)

Sie haben Ihre Redezeit schon überschritten. Bitte kommen Sie zum Ende.

(Unruhe)

- Nun wollen wir sie aber auch zu Ende kommen lassen.

Ich denke, Sie haben die Frage, wer das bezahlen soll, weil diese Frage an dieser Stelle oft kommt. - Herr Scheurell nickt. Ich kann sagen, dass es ganz einfach ist. Das können alle Menschen, die heute mehr als 8,50 € verdienen. Durch eine andere Produktions- und Lebensweise entsteht auch ein Mehr an Arbeitsplätzen,

(Zustimmung von Herrn Scheurell, CDU)

sodass mehr Menschen gut verdienen können. Es kommt so auch mehr Geld in den ländlichen Raum und wir müssen uns nicht allein auf die EU-Zahlungen verlassen. Auf die Frage, Herr Aeikens, die Sie oft stellen, wer will das bezahlen, sage ich: Ich

gehe davon aus, die 93 % der Bevölkerung, die eine artgerechte Tierhaltung wollen. - Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Frederking. - Für die CDU-Fraktion spricht jetzt Herr Daldrup. Bitte schön, Herr Daldrup.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich könnte jetzt sagen, aus der Heidi- und Bambi-Welt zurück in die Realität.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU - Frau von Angern, DIE LINKE: Das sind doch kei- ne Argumente! - Zuruf von Herrn Czeke, DIE LINKE)

Zunächst einmal muss ich sagen, dass ich es begrüße, dass wir dieses Thema heute hier aufrufen. In den vorherigen Beiträgen ist sehr deutlich geworden, wie wichtig die Land- und Forstwirtschaft in Sachsen-Anhalt ist. Sie ist auch ausreichend gewürdigt worden.

Land- und Forstwirtschaft in Sachsen-Anhalt sind für uns in erster Linie Nahrungsmittelproduzenten und Rohstofflieferanten. Das sage ich nicht nur aus wirtschaftlichem Interesse, sondern das sage ich auch, weil ich glaube, dass wir es uns nicht leisten können, so arrogant zu sein und uns auf der einen Seite selbst zu genügen, wenn wir an Nahrungsmittel denken, und auf der anderen Seite von der Welt zu erwarten, dass sie unsere Industrieprodukte kauft, damit unser Wohlstand gesichert ist.

(Zustimmung bei der CDU)

Ich glaube, die Ernährung der Welt ist global, nicht mehr lokal. Ich glaube auch, dass wir eine Verantwortung haben. Diese Verantwortung rührt auch daher, dass Mitteleuropa eine der Regionen in der Welt ist, die unvergleichlich begünstigte Standortfaktoren für die Erzeugung von Nahrungsmitteln und landwirtschaftlichen Produkten hat. Eine Selbstbeschränkung ist an dieser Stelle eine Sünde gegenüber anderen in der Welt, die diese Voraussetzung nicht haben.

(Beifall bei der CDU)

Damit ist das Verteilungsproblem noch nicht gelöst, das will ich auch sehr deutlich sagen. Aber wir müssen einfach zur Kenntnis nehmen, dass wir an dieser Stelle nicht allein sind, dass wir nicht nur Europa, sondern dass wir Welt sind.

Die Landwirtschaft in Sachsen-Anhalt ist auch ein Wirtschaftsfaktor. Wirtschaftsfaktor heißt für mich Wertschöpfung, und zwar Wertschöpfung in Bezug

auf Arbeitsplätze, Wertschöpfung in Bezug auf Ausbildung und Wertschöpfung in Bezug auf Produktion.

Wenn wir über Arbeitsplätze reden, dann wissen wir, dass der Arbeitsplatz in der Landwirtschaft heute nicht mehr der Arbeitsplatz mit der Forke ist, sondern dass er eine hohe intellektuelle Fähigkeit des Landwirts voraussetzt, der unglaublich flexibel sein muss, was die Arbeitszeiten und den Anspruch angeht, zu wissen, was er tut. Es gibt wohl wenige Bereiche und wenige Wirtschaftszweige, in denen die Arbeitsplätze so vielfältig sind wie in der Landwirtschaft.

Zudem ist die Landwirtschaft auch bei uns ein multifunktionaler Wirtschaftszweig mit gelebter Nachhaltigkeit. Multifunktionaler Wirtschaftszweig heißt, dass er sehr viele unterschiedliche Funktionen erfüllt, die die Gesellschaft hat.

Ich will einige nennen. Dazu gehören - ich sage es gerade - die Nahrungsmittelproduktion, die Energieerzeugung, der Naturschutz und die Erholungsfunktion. Letztlich sind der Bereich der Landwirtschaft und der ländliche Raum mit Blick auf die Werte in unserer Gesellschaft ein Rückzugsgebiet. Auch das dürfen wir nicht vergessen.

(Zustimmung von Herrn Scheurell, CDU)

Neben den von mir gerade genannten Funktionen ist die Landwirtschaft auch ein Wirtschaftszweig, der in der Vergangenheit stets als Inflationsbremse gewirkt hat. Nirgendwo auf der Welt waren Nahrungsmittel so günstig wie in Europa und in Deutschland. Das hat viele Gründe. Aber es hat in der Vergangenheit dazu geführt, dass der Wirtschaftszweig insgesamt dazu beigetragen hat, dass die Verbraucher ihre Grundbedürfnisse zu angemessenen Preisen und in angemessener Qualität befriedigen konnten.

Seit einiger Zeit erleben wird, dass die Land- und Forstwirtschaft vollkommen neuen Herausforderungen gegenübersteht. Sie ist nämlich auch zum Energielieferanten geworden, nachdem wir festgestellt haben, dass die Energieproduktion, der Energieverbrauch und die nachhaltige Energieverwendung nicht mehr so funktionieren können, wie sie in der Vergangenheit funktioniert haben, weil die fossilen Brennstoffe auf Dauer zur Neige gehen und wir uns entschieden haben, von der Atomkraft Abschied zu nehmen.

Ich sage aber auch: Unsere Energieprobleme kann man über die Produktion auf der Fläche nicht lösen.

(Zustimmung bei der CDU)

Es ist aber richtig: Die Energiewende findet im ländlichen Raum statt. Der ländliche Raum stellt diese Fläche gern zur Verfügung und schafft gern diese Produktionsvoraussetzung. Deswegen ist es

so wichtig, dass wir den ländlichen Raum an der Stelle nicht vernachlässigen.

Der ländliche Raum wird bei uns im Wesentlichen über die Europäische Gemeinschaft gefördert, über ELER, über Leader und über die Programme, die damit verbunden sind.

Wir haben in der Vergangenheit Großes für den ländlichen Raum geleistet. Wenn wir uns unsere Dörfer ansehen, dann muss man feststellen: Die ländliche Förderung, die ländliche Entwicklung in Sachsen-Anhalt ist eine wirkliche Erfolgsgeschichte.

(Zustimmung bei der CDU und von der Re- gierungsbank)

Diese Erfolgsgeschichte ist von CDU-Ministern gestaltet worden - das darf man an dieser Stelle sagen -, angefangen von Petra Wernicke, die sich sehr stark für die Dorferneuerung und für die Dorfentwicklung eingesetzt hat und die viele Dinge auf den Weg gebracht hat, die fortgesetzt worden sind von unserem jetzigen Minister Hermann Onko Aeikens.

Ich glaube, dass wir gut daran tun, das Förderprogramm ELER und die Leader-Methode weiter fortzuführen und weiterzuentwickeln. Vielleicht müssen wir das etwas regionalspezifischer und angepasster an die jeweiligen Bedingungen machen. Aber das Ziel muss es jetzt sein, mit diesen Fördermitteln neue Wertschöpfungsketten, neue Wirtschaft und im ländlichen Raum Haltefunktionen zu organisieren sowie Rückkehroptionen für unser Land zu eröffnen.

Denn wir haben im ländlichen Raum eine Ressource, die nur wenige andere Länder haben. Wir haben eine gute Verkehrsinfrastruktur, wir haben relativ günstigen Wohnraum und wir haben Menschen, die bereit sind, andere Menschen aufzunehmen und in ihre Gesellschaft, in ihren Lebensraum zu integrieren.

Warum sollten wir das verschenken? Warum sollten wir diese einmalige Chance nicht nutzen, Menschen zu uns zu holen, die vielleicht schon einmal weggegangen sind und die hierherkommen möchten?

Damit komme ich zu den folgenden Fragen: Was bewegt Menschen, in den ländlichen Raum zu ziehen? Was hat es zu bedeuten, wenn ich sage, der ländliche Raum ist in Bezug auf Werte und Wertekontexte ein Rückzugsgebiet?

Ich sage: Die Landwirtschaft ist an dieser Stelle beispielhaft. Sie hat über Generationen bewiesen, dass Risiko und Verantwortung zusammengehören, dass Eigentum und Verantwortung zusammengehören, dass man in Generationen denkt und nicht nur für sich, sondern für seine Kinder und für seine Kindeskinder. Das sind Grundüberzeugun

gen, die im ländlichen Raum jeden Tag gelebt werden in der Landwirtschaft, im Handwerk, in der Kirche, im Kindergarten und in den Schulen.

Zudem wird an dieser Stelle die persönliche Verantwortung sichtbar. Wir sehen, was der der Landwirt tut, wenn er auf dem Acker ist. Er ist in seiner Tätigkeit greifbar. Das ist bei vielen anderen Tätigkeiten nicht mehr der Fall. In vielen anderen Wirtschaftszweigen ist man davon sehr viel weiter entfernt als im Fall des Landwirts, für den ich das gerade beschrieben habe.

Weiterhin darf man nicht vergessen, dass wir im landwirtschaftlichen Bereich von fast allen Wirtschaftszweigen die geringste Anzahl an Insolvenzen zu verzeichnen haben. Landwirte geben in der Regel nicht auf, weil sie insolvent sind; vielmehr geben sie auf, weil sie nicht mehr wettbewerbsfähig sind. Sie geben ihre Produktion auf, behalten aber in der Regel ihr Eigentum.

Wenn das so ist, müssen wir uns fragen: Wie kommt es dann, dass Flächenerwerber aus anderen Regionen oder aus dem außerlandwirtschaftlichen Bereich solche Erfolge haben? - Das hat etwas mit unserer geschichtlichen Entwicklung zu tun. Zu Beginn des letzten Jahrhunderts hatten wir schon einmal die Situation, dass Industrielle landwirtschaftliche Produktionsflächen und Güter gekauft, übernommen und Landwirtschaft betrieben haben. Damals hatten wir schon einmal eine Phase, in der Industrieelle aus fast den gleichen Gründen und fast den gleichen Argumenten wie heute Landwirtschaft betrieben haben.

Aber es gab einen wesentlichen Unterschied: Sie sind in gewachsene Strukturen eingestiegen und die Wertschöpfung dieser Erwerbung, auch wenn sie nicht am Ort des Unternehmens oder des Käufers stattfand, ist in den Dörfern geblieben.

Das ist heute anders. Heute kauft jemand per Aktiengesellschaft oder wie auch immer Fläche, der in der Regel, wenn er aus dem außerlandwirtschaftlichen Bereich ist, nicht in dem betreffenden Dorf wohnt. Wenn er nicht im Dorf wohnt, dann heißt das, dass er für sein eingesetztes Kapital eine Grundrendite haben will, die sich in der Regel an der Grundrente orientiert. Das heißt, dass die Wertschöpfung aus der Fläche verlorengeht.

In Dörfern, in denen die einzige tatsächliche Wertschöpfung aus der Landwirtschaft und dem Boden erzielt wird, können wir uns das, glaube ich, auf Dauer nicht leisten.

Ich bin bei Minister Aeikens, wenn er sagt, wir müssen, was den Bodenmarkt und die Veränderung der Gesetzgebung angeht, sehr behutsam vorgehen und uns sehr genau überlegen, was wir tun können; denn es gibt unglaublich viele Fallstricke an dieser Stelle.

Es gibt kaum ein Gebiet, das so ausgeklagt ist wie das Bodenrecht. Trotzdem müssen wir uns etwas Neues überlegen. Das Bodenrecht ist nicht mehr zeitgemäß. Diese Gesetze sind unter völlig anderen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen entstanden. Deshalb erwarte ich mit großer Zuversicht, aber auch mit Neugier, was die Arbeitsgruppe des Ministeriums für diese Fragen uns in absehbarer Zeit vortragen wird.