Dann gab es einen Vergleich dieser Berliner Kommission, die sagte: Wenn man beide Arzneimittelgesetze miteinander vergleicht, das der DDR aus dem Jahr 1964 und das der Bundesrepublik aus den 70er-Jahren - das wurde mehrfach geändert -, dann wird man feststellen, dass die gesetzlichen Bestimmungen in der DDR nicht hinter die bundesdeutschen zurückgefallen sind, sondern in einzelnen Punkten sogar darüber hinausgingen. Aber das ist lediglich die rechtliche Betrachtungsweise.
In wenigen Fällen wurden Abweichungen von einzelnen Bestimmungen festgestellt, die aber keinen Anlass dazu gaben, die Praxis der Arzneimittelerprobung in Ostberliner Kliniken generell zu kritisieren. Auch die Aufklärung der Patienten, die an klinischen Prüfungen teilnahmen, erfolgte in der Mehrzahl der Fälle nicht so ausführlich, wie es heute gefordert wird; zumindest war dann klar, dass ein Entwicklungsprozess in Gang kam.
Skandalöse Zustände wurden jedenfalls von dieser Kommission damals nicht festgestellt. Zu dem „Spiegel“-Artikel wurde gesagt, er sei überzogen. Aber trotzdem gilt, wenn neue Fälle aufgedeckt werden, sollte man nicht sagen, der Beweis sei klar und es sei nicht so gewesen.
In Brandenburg hat der Landtag bereits im Januar 2013 beschlossen, diese Angelegenheit aufzuarbeiten. Auf der Verbraucherministerkonferenz im Mai 2013 wurde beschlossen, dass eine zügige Aufklärung der Medikamentenerprobung dringend geboten ist. Dort wurde deutlich gesagt - das halte ich auch für richtig -, dass hierbei die Bundesregierung zuerst in der Pflicht ist, etwas zu unternehmen.
Deshalb fordern wir, dass der Bund, der auch eine Arbeitsgruppe einrichten soll - das wird die Gesundheitsministerkonferenz in der kommenden Woche beschließen -, eine unabhängige Kommission einsetzt, die eine Überprüfung vornimmt und möglichst auch Transparenz erzeugt. Die Kommission, die man im Jahr 1991 in Berlin hatte, war in vielen Dingen - wenn man das einmal nachliest -
in der Tiefe vielleicht nicht so gründlich. Man sollte Wert auf eine transparente Durchforstung legen.
Ich habe die Mitglieder der Krankenhausgesellschaft gebeten, die Krankenhäuser aufzufordern, die Mindestaufbewahrungsfristen - es besteht eine Aufbewahrungsfrist von 30 Jahren - so zu interpretieren, dass keine Akten, die für diese Angelegenheit relevant sein können, vernichtet werden. Ich werde den Landtag, sobald ich neue Erkenntnisse habe und Fakten vorliegen, sofort unterrichten. Mir ist wichtig, dass wir transparent sind.
Jetzt schon eine Anlaufstelle zu errichten, halte ich für nicht zielführend. Ich würde das dann eher als Aktionismus bezeichnen; denn so viel Erkenntnisse haben wir nicht.
Die Berichterstattung in den letzten Monaten war deutlich. Bei der Landesbeauftragten für die Unterlagen der Staatssicherheit fand am Dienstag, dem 11. Juni 2013, ein Runder Tisch statt, an dem wir teilgenommen haben. Mir liegen zurzeit insgesamt zwei Schreiben von Bürgerinnen und Bürgern vor. Das bedeutet nicht, dass nicht noch mehr Schreiben eingehen. Wir müssen genau schauen: Was steckt dahinter? Was kann man nachweisen? Was ist in der Folge passiert?
Wir haben zumindest zurzeit den Hinweis, dass in den beiden jetzigen Universitätskliniken - damals Uniklinik Halle, Medizinische Akademie Magdeburg, Lungenklinik Lostau, Fachkrankenhaus Bernburg und Fachkrankenhaus Haldensleben - Listen existieren, aus denen ersichtlich ist, dass Tests durchgeführt worden sind. Diesen werden wir uns besonders widmen. Es wurde auch schon die Bereitschaft dazu erklärt.
Auch die Pfeiffer’schen Stiftungen haben eine aktive lückenlose Aufarbeitung in Aussicht gestellt. Auch das Salus-Fachklinikum Bernburg, das sozusagen in Landesregie ist, wird sich mit dem Thema noch intensiver beschäftigen.
Wir müssen an dieser Sache dranbleiben. Eine Vorverurteilung würde ich nicht vornehmen wollen. Man muss erst einmal prüfen, wie das gelaufen ist, und dann die entsprechenden Schlussfolgerungen ziehen.
Vielen Dank, Herr Minister. - Für die Fraktion DIE LINKE spricht jetzt Frau Zoschke. Bitte schön, Frau Kollegin.
Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Die Regierungsfraktionen haben uns einen Antrag zu einem enorm ernsten Thema vorgelegt. Die schlüssige Begründung des Antrages
verdeutlicht recht gut dessen gesellschaftliche und politische Brisanz, aber - ich sage das gleich vorweg - gemessen an dieser Brisanz erscheint uns der Antrag der Regierungsfraktionen noch viel zu unspezifisch. Ich meine damit insbesondere den ersten der beiden Punkte des Antrages. Die Kollegin Grimm-Benne hat bereits gesagt, dass das verändert wird. Ich zitiere:
„Die Landesregierung wird gebeten zu berichten, ob Erkenntnisse über die Durchführung von derartigen Medikamententests auf dem heutigen Gebiet von Sachsen-Anhalt vorliegen.“
Es stellen sich aber wohl längst nicht mehr die Frage des Ob und die Frage, wie wenig wir zurzeit wissen. Die Fragen müssen vielmehr lauten: Wie viele Menschen sind betroffen? Gab es Einwilligungen zu den Tests und wenn ja, unter welchem Kenntnisstand? Waren unter den Betroffenen auch Kinder oder andere Personen, die keine souveräne Entscheidung über eine Testteilnahme hätten fällen können? Welche gesundheitlichen Konsequenzen hatten die Menschen zu tragen? Wer hat welche Rolle in dieser Ost-West-Zusammenarbeit gespielt? Welche gesetzlichen Grundlagen des Patientenschutzes wurden wie und von wem untergraben? Und für die Politik: Welche Schlussfolgerungen ziehen wir für das Heute?
Den Blick auf die eingezäunten Landesgrenzen von Sachsen-Anhalt, der in dem Antrag deutlich wird, halten wir für sehr fragwürdig. Wir haben uns daher in unserem Änderungsantrag auf die Empfehlung der Verbraucherschutzministerkonferenz bezogen, die eine einheitliche und gemeinsame Untersuchung der Ostbundesländer bevorzugt. Denn einerseits sind die Entscheidungen zu DDRZeiten zentralistisch gefallen und andererseits ist es höchst wahrscheinlich, dass Personen aus dem heutigen Sachsen-Anhalt zu DDR-Zeiten auch in Kliniken außerhalb der Landesgrenze untergebracht waren, wie zum Beispiel in der Berliner Charité.
Wenn der Untersuchungsprozess bestätigt - davon ist wohl leider auszugehen -, dass viele Personen ohne ihre Einwilligung bzw. mit beschränkten Kenntnissen als Probanden an den Medikamententests teilgenommen haben, dann handelt es sich in jedem Einzelfall um ein Verbrechen. Unabhängig von juristischen Verjährungsfristen liegt es in der Verantwortung der Politik, die Verantwortlichkeiten für diese Verbrechen so umfassend wie möglich aufzuklären.
Im Hinblick auf die DDR gestaltet sich dies auf den ersten Blick insofern schwierig, als sie nun seit knapp 23 Jahren nicht mehr existiert. Und dennoch: Hinter den Entscheidungen stecken Personen. Natürlich haben die Betroffenen bzw. deren Angehörige ein berechtigtes Interesse daran zu
erfahren, wer Verantwortung für diese Tests trägt, insbesondere dann, wenn sie Schädigungen an Leib und Gesundheit davongetragen haben.
Auf der anderen Seite sind die westlichen Pharmafirmen in den Fokus zu nehmen, die für diese Tests ebenfalls Verantwortung tragen. Es hat doch Gründe, warum diese Tests nicht in der damaligen Bundesrepublik an freiwilligen Probanden durchgeführt wurden, so wie es heute Gründe dafür gibt, dass die gleichen Firmen ihre neuen Produkte in Bangladesh und in anderen Ländern der Welt erproben, in denen bitterarme Menschen leben.
Wie Einwilligungserklärungen von von Hunger betroffenen Menschen zu bewerten sind, sollte doch allen hier im Raum klar sein.
Wenn wir sagen, dass das genau erforscht werden muss, dann heißt das aber nicht, dass die Betroffenen auf den Sankt-Nimmerleins-Tag vertröstet werden dürfen. Wir stehen vor einem Dilemma. Wir haben einerseits kaum stichhaltige Kenntnisse zu den genauen Vorgängen, andererseits gibt es offenkundig Menschen, deren berechtigte Interessen schon seit über 30 Jahren vernachlässigt werden.
Wem Schäden an Leib und Leben zugefügt wurden, der muss Unterstützung erhalten. Wir sprechen uns daher für eine Anlaufstelle auf Landesebene aus und ebenso für einen Unterstützungsfonds, der insbesondere den Pharmafirmen eine Möglichkeit bieten soll, ihren guten Willen in diesem Prozess zu signalisieren. Das unwürdige und jahrzehntelange Ringen um Entschädigungsleistungen, das den Contergan-Geschädigten aufgenötigt wurde, sollte uns ein mahnendes Beispiel sein.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! In den letzten Wochen erreichten uns wieder verstärkt Informationen zu Medikamentenversuchen an DDR-Bürgern vor allem in den 80er-Jahren des letzten Jahrhunderts.
dienstes der ehemaligen DDR dieses Themas angenommen und unter anderem umfassende Aufklärung gefordert. Dieser Aufforderung muss unbedingt Folge geleistet werden. Dies vor allem auch deshalb, weil bisher vorliegende Gutachten und Erkenntnisse nicht dem Anspruch auf ausgewogene und gründliche Auswertung gerecht werden.
Auch die von meinen Vorrednern erwähnte und zitierte Studie der im Jahr 1991 berufenen Kommission zur Aufklärung der Praxis von Arzneimittelprüfungen im Ostteil Berlins ist bei Weitem nicht ausreichend, zumal selbst das von Herrn Minister zitierte Gesamtergebnis meines Erachtens nicht die in dem Gutachten aufgeführten Einzelergebnisse widerspiegelt.
Wenn ich einige Detailaussagen lese, würde ich ganz andere Schlüsse ziehen. Diese wären dann wesentlich weniger beruhigend. Selbst in diesem Gutachten stecken einige das DDR-System entlarvende Erkenntnisse.
Wichtig ist allerdings, dass eine generelle und pauschale Vorverurteilung der beteiligten Ärzte oder weiterer Beteiligter nicht korrekt wäre. Zu einer realistischen Beurteilung der Vorgänge bedarf es zwingend einer intensiven Aufklärung. Eines scheint mir aber doch schon jetzt sicher zu sein: Die betroffenen Patienten wussten nicht, dass sie Bestandteil von Versuchsreihen waren, ja geradezu als Versuchskaninchen dienten.
Allein dies ist schon ein Skandal. Schon gar nicht war den betroffenen Patienten bewusst, dass sie dadurch dem kommunistischen DDR-Regime als Devisenbeschaffer dienten. Selbst wenn sie Ähnliches vermutet haben sollten, welche Wahl hätten sie denn gehabt?
Das in manchem Rückblick so glorifizierte DDRGesundheitssystem war eben in vielen Bereichen so marode, dass die Patienten nur die Wahl hatten, entweder kaum eine Chance auf Gesundung oder gar Überleben zu haben oder eben ein neues Westmedikament zu nehmen - mit oft dramatischen Folgen.
Ich könnte hierzu mindestens ein Beispiel aus meinem familiären Umfeld nennen. Ja, ich weiß, dass hier ein direkter kausaler Zusammenhang sehr schwer zu beweisen ist. Aber meist ist die Indizienkette sehr eindeutig.
Sicherlich haben es auch die meisten beteiligten Ärzte - auch das wurde schon genannt - sehr gut gemeint, waren persönlich sehr engagiert. Die Hauptverantwortung für die Vorgänge liegt meines Erachtens - das muss hier klipp und klar gesagt werden - bei den politisch Verantwortlichen in der DDR, denen Devisenbeschaffung wichtiger war als
Es ist durchaus davon auszugehen, dass sie wussten, was sie tun, wenn sie mit der DDR Geschäfte machten. Dabei wurden Negativauswirkungen auf die DDR-Bevölkerung zumindest billigend in Kauf genommen.