Protokoll der Sitzung vom 20.06.2013

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Hochkonzentriertes Publikum!

(Herr Dr. Brachmann, SPD: Ich bin hochkon- zentriert!)

Wir setzen die Sitzung des Plenums fort.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 5 auf:

Beratung

Unterstützung der Bundesratsinitiative zur Änderung des Gesetzes über befristete Arbeitsverträge in der Wissenschaft (WissZeitVG-ÄndG)

Antrag Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Drs. 6/2098

Für die Einbringerin erteile ich der Abgeordneten Frau Professor Dr. Dalbert das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wissenschaft braucht besondere Bedingungen. Wissenschaft lebt von mehreren aufeinanderfolgenden Bewährungsphasen, die notwendig befristet sind. Wissenschaft lebt vom Wechsel von der einen in die andere Arbeitsgruppe, um sich befruchten zu lassen, wie es andere machen, wie die ein Problem lösen. Wissenschaft lebt vom Reisen in andere Länder mit anderen Wissenschaftstraditionen, und Wissenschaft lebt auch von Projekten, die notwendigerweise befristet sind. Also: Wissenschaft braucht Zeitverträge und lebt von Zeitverträgen. Zeitverträge sind per se nichts Schlechtes für die Wissenschaft.

Wenn wir uns aber die Entwicklung bei uns im Land anschauen, dann sehen wir, dass sich an den Hochschulen in Deutschland eine ungesunde Personalstruktur entwickelt hat. Dazu zwei Zahlen: Zum professoralen Überbau in der Wissenschaft in Deutschland gehören 15 % der Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen. International, wenn Sie beispielsweise nach Frankreich oder Großbritannien schauen, sind es 35 %. Das heißt, wir haben einen sehr viel größeren Mittelbau, also Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen, die weisungsgebunden arbeiten.

Wenn wir uns die Befristungen anschauen, dann sehen wir, dass nur ein kleiner Teil der Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen unbefristet beschäftigt ist. Ein übergroßer Anteil von mehr als 80 % ist befristet beschäftigt. Das ist eine sehr asymmetrische Personalstruktur, die in der Tat sehr kritisch zu beleuchten ist.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Deswegen gibt es das Wissenschaftszeitvertragsgesetz, das im Jahr 2007 eingeführt wurde. Im Kern enthält es die sogenannte 6+6-Regel. Danach kann man in der Wissenschaft Zeitverträge abschließen. Diese dürfen in der ersten Phase, bis zur Promotion, für längstens sechs Jahre geschlossen werden und für die Phase nach der Promotion wiederum für längstens sechs Jahre respektive für längstens neun Jahre in der Medizin. Der Gedanke dahinter war - so wurde es uns damals von der Regierung Merkel verkauft -, die befristeten Strukturen nachzujustieren und die Zahl der befristeten Verträge zu verringern, also eine ausgewogenere Personalstruktur zu erreichen.

Gut ist gewesen, dass man das Hochschulinformationssystem beauftragt hat, eine Evaluation vorzunehmen und zu schauen, ob es gelungen ist, die Personalstruktur ausgewogener zu gestalten und die Zahl der Befristungen zu verringern. Das Ergebnis der Evaluationsstudie ist sehr klar, dass das Ziel des Gesetzes verfehlt worden ist.

Die Befristungen nehmen zu. Nachdem wir in den 80er-Jahren bis in das Jahr 2005 hinein im Mittelbau eine Struktur hatten mit einem Anteil von Zeitverträgen um 75 %, hat sich der Anteil der Befristungen nach Einführung des Gesetzes auf zum Beispiel 83 % im Jahr 2009 erhöht. Es wurde also das Gegenteil von dem erreicht, was man eigentlich erreichen wollte, und, mehr noch, die Laufzeiten der Verträge werden immer kürzer.

Das ist ein Thema, über das wir hier im Landtag schon mehrfach gesprochen haben. Die Laufzeiten kann ich eigentlich nur noch als sittenwidrig bezeichnen. Den jungen Menschen wird überhaupt nicht die Möglichkeit gegeben, qualitätsvoll zu arbeiten. Auch dazu eine Zahl: Im Jahr 2009 waren 53 %, also mehr als die Hälfte der befristeten Verträge, auf weniger als ein Jahr begrenzt.

Diese Entwicklung führt zu enormen Belastungen des Mittelbaus in zweierlei Weise. Zum einen machen sich Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen im Mittelbau große Sorgen um die Zukunft. Sie sind permanent in einer Situation, dass sie sich fragen, wie es nach neun, zwölf oder 15 Monaten weitergehen soll. In dieser Taktfrequenz ist dies nicht förderlich für die Arbeit. Zum anderen wird dadurch der wissenschaftliche Arbeitsmarkt unattraktiv, wenn wir nicht in der Lage sind, auskömmliche Verträge zu gestalten.

Wenn gesagt wurde, es sei das Ziel des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes, zu einer ausgewogeneren Personalstruktur zu kommen, mit weniger Zeitverträgen, dann muss man dazu sagen, dass das Gesetz, glaube ich, das falsche Instrument ist, und zwar aus drei Gründen.

Die Verträge an den Hochschulen werden für einen immer kürzeren Zeitraum befristet, weil die Hochschulen unterfinanziert sind. Durch diese

Unterfinanzierung werden sie motiviert, das Geld hin- und herzuschieben und die Verträge immer kürzer zu befristen, sogar so kurz, dass die Laufzeit kürzer als die Laufzeit der entsprechenden Drittmittelprojekte sind. Das bedeutet, dass eine Hochschule zum Beispiel für zwei Jahre Drittmittel bekommt, aber dennoch nur einen Vertrag für ein halbes Jahr macht. Damit erhält man sich in einer prekären Haushaltssituation die Flexibilität.

Der Anteil der befristeten Verträge nimmt natürlich auch deshalb zu, weil die Professorinnen und Professoren immer erfolgreicher werden. Das ist ein positiver Punkt. Der Druck, Drittmittel einzuwerben, ist in den vergangenen 20 Jahren erheblich gestiegen. Die Professorinnen und Professoren haben diesen Druck positiv aufgenommen und werben mehr Drittmittel ein. Drittmittel führen zu Projekten und Projekte sind befristet. Das ist also sozusagen auch etwas Positives.

Das Wissenschaftszeitvertragsgesetz ist das falsche Instrument, um zu anderen Vertragsstrukturen zu kommen. Stattdessen müssen wir über Karrierewege reden. Das habe ich in diesem Hohen Haus auch schon erwähnt. Das ist ein ganz wichtiger Punkt, dem wir uns zu einem späteren Zeitpunkt ausführlich widmen müssen.

Es kann nicht sein, dass der Weg zu einer Professur in Deutschland im Vertragshopping besteht, von einem Vertrag für ein halbes Jahr zu einem Vertrag für ein Jahr und, wenn man Glück hat, vielleicht auch einmal zu einem Vertrag für drei Jahre und danach wieder zu einem Vertrag für ein Jahr. Das sind keine attraktiven Karrierewege.

Die internationale Nachbarschaft macht es uns vor, dass es andere Wege gibt - ich nenne das Stichwort Tenure-Track -, auf denen man die Karrierewege attraktiv gestalten kann, wodurch den betroffenen jungen Menschen mehr Sicherheit gegeben wird, ohne Qualitätseinbußen hinnehmen zu müssen.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Kurz und gut: In Anbetracht all dessen sagen wir, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, das Wissenschaftszeitvertragsgesetz bedarf einer Generalüberholung. Das ist der Inhalt der Bundesratsinitiative, die von Nordrhein-Westfalen, Hamburg und Baden-Württemberg in den Bundesrat eingebracht wurde. Damit sollen die Auswüchse des Gesetzes wieder etwas eingegrenzt, aber auch eine rechtliche Klarstellung vorgenommen werden, die dringend geboten ist. Das hat die Evaluation deutlich aufgezeigt.

Das Wissenschaftszeitvertragsgesetz hat im Gegensatz zu seiner Intention dazu beigetragen, den Wildwuchs bei den Zeitverträgen zu schaffen, weil es die sogenannte sachgrundlose Befristung eingeführt hat. Danach muss man innerhalb des Zeit

raumes der sechs und nochmals sechs Jahre nicht begründen, warum ein Vertrag befristet ist.

Das war sicherlich in bester Absicht gedacht, ist aber nach hinten losgegangen. Die erste Korrektur, die vorgeschlagen wird, ist deshalb, dass man ganz klar sagt, in der Postdocphase muss ein Vertrag auf mindestens 24 Monate befristet sein. Das ist ein Zeitrahmen, mit dem man vernünftig arbeiten kann. Das sollte die Mindestlaufzeit sein.

Wenn Verträge wegen Drittmitteln befristet werden, weil sie überwiegend mit Drittmitteln bezahlt werden, dann muss klargestellt werden, dass die Mindestlaufzeit des Vertrags der Laufzeit entspricht, für die Drittmittel bewilligt worden sind. Wenn für drei Jahre Drittmittel bewilligt worden sind, dann muss auch der Vertrag über drei Jahre laufen. Es gibt keinen Grund, kürzere Verträge zu schließen.

Wir haben ein großes Problem in der Promotionsphase, die in Deutschland noch immer nicht geregelt ist. Das hat uns im Land schon beschäftigt. Promotionsinitiativen haben mit uns das Gespräch gesucht. Der Status der Promovenden ist nicht klar. Die Betreuung ist nicht klar.

Mit der Bundesratsinitiative wird vorgeschlagen, dass für die Verträge in der Promotionsphase eine begleitende Rahmenvereinbarung geschlossen werden soll. Ich halte das für dringend geboten. In der Rahmenvereinbarung muss klar festgehalten werden, welche Bedingungen es gibt, damit sich die junge Frau oder der junge Mann in der Promotionsphase auch tatsächlich qualifizieren kann, anstatt nur sozusagen für den Chef, den Professor und die Professorin, zu arbeiten und zu lehren und sich ansonsten Sorgen darüber zu machen, was in den nächsten sechs Monaten mit dem Vertrag passiert. Ich denke, das ist eine dringend gebotene Veränderung.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Ebenso dringend geboten ist eine Reihe von Klarstellungen. Das Gesetz hat eine familienpolitische Komponente eingeführt und besagt, wer Zeit für Betreuung und Pflege aufwendet, dem muss diese Zeit auf den Zeitraum von sechs und sechs Jahren aufgeschlagen werden. Offensichtlich ist es zu Verwerfungen gekommen, dass das zwischen den Bundesländern unterschiedlich gehandhabt wird. Deswegen bedarf es einer rechtlichen Klarstellung, damit die Familienkomponente tatsächlich in allen Bundesländern gleichermaßen greift.

Eine Klarstellung muss auch passieren bei der Frage, was der Abschluss eines Studiums ist. Wir haben inzwischen Bachelor und Master. Wenn ich die Perspektive der Promotion, die Perspektive einer wissenschaftlichen Karriere einnehme, dann ist ganz klar, dass das Studium mit dem Master abgeschlossen wird. Ansonsten kann ich nicht pro

movieren. Das muss klargestellt werden, damit die Phase des Masterstudiums nicht in einigen Bundesländern auf die Befristung nach dem Wissenschaftszeitvertragsgesetz angerechnet wird.

Eine weitere Verbesserung sieht die Bundesratsinitiative für das nichtwissenschaftliche und nichtkünstlerische Personal vor. Das Gesetz hat es eingeräumt, dieses Personal befristet zu beschäftigen. Mit der Bundesratsinitiative soll klargestellt werden, dass es einer Begründung bedarf, wenn nichtwissenschaftliches und nichtkünstlerisches Personal befristet eingestellt werden soll, und es soll auch klargestellt werden, dass das nur dann möglich ist, wenn wenigstens die Hälfte dieses Personals an einer Einrichtung unbefristet beschäftigt wird; denn das sind eigentlich von ihrem Wesen her Tätigkeiten, die unbefristet ausgeübt werden. Ich denke, dass sind dringend notwendige Verbesserungen und Klarstellungen.

Es gibt noch einen wichtigen Punkt, bei dem man sich nur wundern kann, dass er in dem Gesetz enthalten ist. Wir haben eine Tarifhoheit. Das heißt, die Tarifpartner haben das Recht, über Tarifverträge die Arbeitsbedingungen zu bestimmen. Das ist die eine Leitplanke. Die andere Leitplanke bildet die Föderalismusreform, in deren Rahmen die Verantwortung für Bildung und Wissenschaft auf die Länder übertragen wurde. Die Länder sollen sich um Bildung und Wissenschaft kümmern.

Nun haben wir aber ein Wissenschaftszeitvertragsgesetz, ein Bundesgesetz, das einen Passus enthält, der besagt, dass die Tarifpartner keine Tarifverträge zu den wissenschaftlichen Arbeitsbedingungen abschließen dürfen, die in diesem Gesetz angesprochen werden.

Ich halte das sogar für juristisch fragwürdig, weil ein Tarifpartner - so ist das in Deutschland geregelt - überhaupt nicht die Autonomie hat, seine Tarifhoheit aufzugeben. Insofern halte ich das für eine nachgerade unsinnige Bestimmung und die muss aus dem Gesetz heraus. Nicht dass ich die Hoffnung hätte, dass gleich morgen die Tarifpartner einen tollen Tarif dazu aushandeln würden. Aber der erste Schritt ist, dass das aus dem Gesetz heraus kommt; dort gehört es nicht hin.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Kurz und gut, am 3. Mai 2013 haben die Bundesländer Nordrhein-Westfalen, Hamburg und BadenWürttemberg eine Bundesratsinitiative zur Reform des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes eingebracht. Diese ist gut begründet. Sie beruht auf einer ausführlichen Evaluation des Hochschulinformationssystems. Sie ist ein richtiger und wichtiger Schritt in die richtige Richtung.

Deswegen begrüßen wir, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, diese Initiative und fordern unsere Landesregierung auf, dieser Initiative beizutreten. Ich wür

de mich freuen, wenn das Hohe Haus uns in diesem Wunsch unterstützen würde. - Herzlichen Dank.

Danke schön, Frau Kollegin Dalbert. - Es ist eine Fünfminutendebatte vereinbart worden. Nun spricht der Wissenschaftsminister.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Dalbert, Sie haben durch den Hinweis auf eine Äußerung von Frau Merkel den Versuch unternommen, so zu tun, als ob Frau Merkel das erfunden hätte.

Das stand vorher im Hochschulrahmengesetz. Weil dieses abgeschafft werden sollte, hat man es in das Wissenschaftszeitvertragsgesetz geschrieben. Das galt also auch schon unter Rot-Grün, es galt unter Helmut Kohl, es galt unter Helmut Schmidt, und - Sie werden sich wundern - es war keine Spezialität der Bundesrepublik Deutschland, sondern das Gleiche gab es in der DDR; denn es ist sachlich gerechtfertigt, in der Wissenschaft Zeitverträge abzuschließen.

Über diesen Gesetzentwurf, der hier diskutiert wurde, ist im Ausschuss für Kulturfragen und im Ausschuss für Arbeit und Sozialpolitik des Bundesrates im Mai 2013 beraten worden. Beide Ausschüsse haben die Beratung vertagt, weil sie noch Informationen brauchten. Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Landtag greift mit ihrem Antrag nun die Initiative von fünf Bundesländern auf.

Befristete Arbeitsverhältnisse im Hochschulbereich sind nicht neu, es gab sie auch schon vor dem Wissenschaftszeitvertragsgesetz durch die Bestimmungen der §§ 57 ff. des Hochschulrahmengesetzes. Ich sagte es gerade.

Sie sind im Hochschulbereich auch nicht per se Teufelszeug. Bei vielen Stellen liegt die Befristung vielmehr in der Natur der Sache. Wenn sich jemand nach dem Studium wissenschaftlich weiterqualifizieren möchte und eine Promotion beginnt, ist das naturgemäß keine Daueraufgabe und darf auch keine sein. Die Befristung schafft die Möglichkeit, danach einen neuen Doktoranden finanziell zu unterstützen.

So gibt es gute, im Wesen der Hochschule liegende Gründe für die Zeitrahmen sechs plus sechs bzw. sechs plus neun, die Sie auch genannt haben. Und das muss auch so sein. Die Hochschulen sind dafür da, Menschen auszubilden, und nicht dafür, ihnen einen Arbeitsplatz geben.