Protokoll der Sitzung vom 12.07.2013

Oder ist sie der Landesregierung insgesamt egal?

Erklärungen im Landesaktionsplan zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention zu diesem Thema hören sich gut an. Die Praxis der Sozialagentur spricht aber eine andere Sprache.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sind natürlich ganz auf Ihrer Seite, wenn es um die Frage der möglichst zeitnahen Bundesbeteiligung in der Eingliederungshilfe geht. Mit der Zustimmung des Bundesrates zum Fiskalpakt vor gut einem Jahr wurde den Ländern ein entsprechendes Bundesbeteiligungsgesetz zugesagt.

Wir sollten unabhängig von den neuen Mehrheitsverhältnissen in Berlin nach dem 22. September entsprechend Druck auf die Bundesebene ausüben;

(Frau Grimm-Benne, SPD: Nun sagen Sie es auch!)

denn eine solche Bundesbeteiligung in der Eingliederungshilfe ist schlicht und ergreifend überfällig.

(Beifall bei der LINKEN)

Doch die Aussicht auf ein höheres Finanzvolumen für die Eingliederungshilfe allein wird die angestaute Problematik nicht lösen können. Die dargestellte Sackgasse zwischen Leistungserbringern und Menschen mit Behinderungen einerseits sowie der Sozialagentur und dem zuständigen Ministerium andererseits muss durchbrochen werden.

Dem Ministerium für Arbeit und Soziales obliegt in diesem Feld die Dienst- und Fachaufsicht. Hier sehen wir daher auch den Ort, an dem ein solches Fachgremium angesiedelt sein sollte, das Expertenkenntnisse vermittelnd einbringt und mit fachlichem Know-how in Streitfragen Lösungsformeln bereitstellen kann.

Ich möchte zu guter Letzt darauf hinweisen, dass in anderen Politikfeldern, wie der Erarbeitung des Kinderförderungsgesetzes, keine Fraktion den Nutzen der Fachgespräche infrage gestellt hat. Dem Dauerproblemfeld Eingliederungshilfe kann aus unserer Sicht nur mit eben solcher Fachorientierung begegnet werden.

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit und freue mich auf eine rege Debatte über meinem Antrag.

(Beifall bei der LINKEN)

Vielen Dank, Frau Zoschke. - Für die Landesregierung spricht jetzt Herr Minister Bischoff. Bitte schön, Herr Minister.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Zoschke, ich frage Sie nicht.

(Lachen bei der LINKEN - Frau Zoschke, DIE LINKE: Schade! - Frau Lüddemann, GRÜNE: Mich hätte aber die Antwort interessiert!)

Wir haben an vielen Veranstaltungen gemeinsam teilgenommen, weshalb ich die Frage nicht stellen muss.

(Unruhe)

Manchmal gehören Auseinandersetzungen dazu.

Dies ist auch eine Auseinandersetzung. Ich muss in meiner Rede etwas weglassen, weil die Überschrift dazu verleitet hat, über die UN-Behindertenrechtskonvention zu reden, als wäre dafür eine Expertengruppe vorgesehen.

Wir haben den Landesaktionsplan mit den verschiedenen Themengruppen im Landtag vorgestellt. Darin sind inzwischen 164 Maßnahmen zugrunde gelegt, an deren Erarbeitung Experten beteiligt sind und eingebunden werden. Dies hat der Landtag so gewollt und ausdrücklich in mein Stammbuch geschrieben. Diese Experten werden beteiligt.

Nun habe ich gehört, dass Sie in der Sozialagentur ein Expertengremium etablieren wollen. Ohne dass mir dazu etwas Schriftliches vorliegt, möchte ich sagen: Das ist ein Problem, nämlich ein ererbtes Problem. Trotzdem bin ich dafür verantwortlich.

Ich bin natürlich mit Blick auf die Rechts- und Fachaufsicht nicht nur verantwortlich - das möchte ich in diesem Hohen Hause sagen -, sondern ich stelle mich auch hinter die Sozialagentur. Dies mache ich schon eine ganze Weile, weil die öffentlichen Anfeindungen, die ich höre, nicht nur die Beschäftigten dort - viele von ihnen sind sehr engagiert - demotivieren. Ich bin überzeugt davon, dass 95 % der Aufgaben, die die Sozialagentur erledigt, zur Zufriedenheit erledigt werden.

An dieser Stelle möchte ich sagen, dass sie im Ländervergleich, auch mit Blick auf das persönliche Budget, nicht schlechter aufgestellt ist. Ich habe selbst nachgeschaut. Es gibt durchaus schwierige Einzelfälle, und es gibt Fälle, in denen das persönliche Budget nicht in Anspruch genommen wird.

Ich sehe das Problem eher darin, dass dies nicht bundeseinheitlich geregelt ist. Deshalb warten wir auf dieses Bundesleistungsgesetz. Dieses Gesetz wird übrigens auch für die Blinden in diesem Land einheitliche Bedingungen schaffen.

In Bezug auf die Frage, ob man einen Nachteilsausgleich erhält, spielt dann keine Rolle mehr, wo man gerade wohnt und wie die jeweilige Haushaltslage ist. Vielmehr wird dies bundeseinheitlich geregelt. Im Moment ist dies nicht der Fall. Vielmehr legen die Länder das Gesetz entsprechend aus. Das generelle Problem in der Behindertenhilfe bzw. in der Eingliederungshilfe ergibt sich aus dieser fehlenden Regelung.

Ich gehe davon aus, dass diese Regelung in den nächsten zwei Jahren kommt, weil sie von den Ministerpräsidenten und den Finanzministern im Rahmen des Fiskalpakts beschlossen worden ist. Der Finanzminister hatte dabei auch den Landeshaushalt im Auge. Wenn diese Regelung in den nächsten zwei Jahren nicht kommt, dann habe ich keine Hoffnung mehr, weil es sich dann wahrscheinlich bis zum Ende der nächsten Wahlperiode hinzieht.

Wir dürfen uns die Chance nicht entgehen lassen, mit den Ländern gemeinsam zu fordern, dass der Bund diesbezüglich mehr tätig wird, weil es für alle Länder gilt. In der UN-Behindertenrechtskonvention, die die Bundesrepublik Deutschland unterschrieben hat, und auch in dem Nationalen Aktionsplan ist verankert, mehr für die Teilhabe von Menschen mit Behinderung zu tun.

Nun komme ich zur Sozialagentur. Ich lebe, seitdem ich diese Funktion habe, damit, dass es nicht vorwärts geht. Genau in dem Jahr, als ich anfing, wurde vonseiten der Leistungserbringer und nicht vonseiten des Landes zu Verhandlungen aufgefordert. Weder ich noch die Sozialagentur haben zu Verhandlungen aufgefordert.

Bis zu diesem Zeitpunkt waren in diesem Land alle Träger damit einverstanden, dass es Jahr für Jahr

Pauschalen gab, obwohl das SGB XII vorgibt, Verhandlungen zu führen. Dann haben alle diese Pauschalen aufgekündigt und haben gesagt, wir wollen verhandeln. Deshalb gibt es die Fülle von Verhandlungen, die es in keinem anderen Land gibt. Andere Länder haben Jahr für Jahr Einzelverhandlungen gemacht.

Da sind die Leistungserbringer, was auch ihr gutes Recht ist, mit Forderungen in die Verhandlungen getreten, zu denen wir gesagt haben, das geht nicht, weil das Bundesgesetz vorschreibt, dass für vergleichbare Hilfebedarfsgruppen möglichst auch das Gleiche gezahlt werden muss.

Die Auseinandersetzung, die jetzt läuft, richtet sich erstes auf die Vergütung und zweitens auf die neuen Hilfebedarfe. Da haben Sie Recht. Aber an den Rahmenvertrag ist niemand herangegangen. Es hat bisher niemand den Rahmenvertrag gekündigt, auch niemand von den Trägern.

Ich glaube auch nicht, dass es eine Expertengruppe gibt, die diesen kündigen würde. Das kann sie übrigens auch gar nicht. Diesen können nur die Träger kündigen. Wer weiß, wie lange dieser Prozess gedauert hat, diese K75, bevor es diesen Rahmenvertrag gab, weiß auch: Wir würden uns total übernehmen, wenn wir glaubten, dass wir die Experten wären.

Beim KiFöG ging es um Inhalte. Bei der Sozialagentur geht es zurzeit um Vergütungsverhandlungen und um die Frage, ob es bestimmte neue Bedarfe gibt.

Ich kann und will mich nicht in die Verhandlungen einmischen. Es gibt auch von mir keine Vorgabe, Geld zu sparen. Wer die mittelfristige Entwicklung der Sozialausgaben betrachtet - deshalb nehme ich den Finanzminister in Schutz, und Deubel hat das auch gerechtfertigt -, stellt fest, die Sozialausgaben laufen in den nächsten Jahren bis auf 800 Millionen € auf, wobei sie jetzt bei über 500 Millionen € liegen.

Der Sozialhaushalt, der jetzt unter 3 % freiwillige Aufgaben hat, ist dann völlig zu. Zu sagen, das Land wird sich auf Kosten der Eingliederungshilfe sanieren - lassen wir die Blinden außen vor -, ist, glaube ich, falsch.

Jetzt sage ich einmal eines: Ich halte mich bei den Verhandlungen raus. Das sollte man als Minister auch machen. Das ist ein unabhängiges Gremium, ebenso die Sozialagentur. Ich muss dafür sorgen, dass zügig verhandelt wird. Ich muss dazu sagen, dabei liegt es an der Sozialagentur. Das gebe ich zu. Es muss zügig verhandelt werden. Es fallen Verhandlungen aus, es wird wieder nachverhandelt und Ähnliches. Dies ist ein zäher Prozess.

Es sind auch auf beiden Seiten Verhärtungen passiert. Deshalb - das habe ich schon einmal angekündigt - hat die Landesregierung in einer Kabi

nettssitzung gebilligt, dass wir die Sozialagentur in das Landesverwaltungsamt zurückholen, damit wir mehr personelle Flexibilität haben. Wir haben zu wenige Leute dort. Wenn auf einmal 500 oder 600 Verfahren laufen, dann sind die Leute überfordert. Dazu brauchen wir mehr Personal. Eine Expertengruppe hilft mir dabei nichts. Wir brauchen Personal, das diese Verhandlungen führt.

Das gilt übrigens bei Schiedsstellenverfahren auch, obwohl ich nicht so genau weiß, ob die Träger wirklich Schiedsstellensprüche wollen. Wenn diese nämlich gefällt werden und man damit nicht einverstanden ist, dann muss man den langen Weg der Klage gehen.

Ein Drittes ist mir wichtig. Ich glaube, dass Sie mir abnehmen, dass mir gerade die sozial Schwachen und Benachteiligten schon am Herzen liegen: Bei Verhandlungen ist es so - das akzeptiere ich auch -, dass die einen mit Maximalforderungen kommen und die anderen sagen, wir müssen das vergleichbar machen und sehen, dass uns nichts aus dem Ruder läuft. Dazu sagen mir die Träger schon, natürlich kommen wir mit Maximalforderungen. Wenn wir Personalkosten aufstellen, berechnen wir die auf dem höchsten Stand: Altersgruppe, vier Kinder usw., und dann können die uns herunterverhandeln.

Ich möchte, dass alle nach Tarif bezahlt werden. Alle, und zwar jetzt schon. Ich möchte nicht nur, dass nach Tarif kalkuliert wird, sondern auch, dass nach Tarif gezahlt wird. Das möchte ich mir zeigen lassen. Da weiß ich, dass dies nicht alle machen, weil sie sagen, das müssen wir ja nicht.

Ich beharre darauf, dass die, die dort tätig sind und arbeiten, sowie Menschen mit Behinderung selbst ein ordentliches Entgelt bekommen. Das ist auch nicht überall der Fall.

(Beifall bei der SPD - Zustimmung bei der CDU)

Ich glaube, es ist richtig, dass dementsprechend verhandelt wird. Mein Problem ist, dass dies nicht zügig genug geht und das Problem immer wieder ansteht.

Zur Frage der seelisch Behinderten. Sie haben Recht. Wir haben ein Gutachten erstellen lassen, um erst einmal zu wissen, was denn überhaupt ein angemessener Personalschlüssel ist, weil das immer unter den Tisch gefallen ist. Ich finde, dabei haben wir einen Nachholbedarf.

Zum Schluss: Richtig ist, es ist ein Problem für mich, für das Haus, vielleicht auch für die Landesregierung, weil viele sehr unzufrieden sind. Das geht bis hin zur Diakonie hauptsächlich, weil diese die meisten Einrichtungen hat und ziemlich nah am öffentlichen Dienst, manchmal sogar mehr als im öffentlichen Dienst, bezahlt. Wir brauchen Lösungen, aber sie müssen vergleichbar bleiben, damit

nicht der eine - so war es in der Vergangenheit ein ordentliches Entgelt bekommt, weil er das im Jahr 1998 einmal gut ausgehandelt hat, und die anderen weniger. Dann haben alle akzeptiert, dass es Pauschalerhöhungen gibt. Jetzt sagen sie: Nein, das wollen wir nicht mehr. Das kann ich auch akzeptieren. Und nun haben wir diesen Wust der Verhandlungen.

Ich hatte mir erhofft, dass die Verhandlungen schneller vorangehen und wir Ende des Jahres damit fertig sind. Diese Hoffnung habe ich jetzt nicht ganz, weil wir die Überführung in das Landesverwaltungsamt frühestens zum 1. Januar 2014 realisieren können. Aber ich hoffe, dass man dann zeitweise, wenn so etwas wieder auftritt, auch mehr Personal dafür einsetzen kann als manchmal die vier oder fünf Stellen, die mir der Finanzminister genehmigt. Dann brauchte man auch einmal 20 oder mehr Leute, die sich dieser Probleme annehmen. - Ich danke für das Zuhören.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Vielen Dank, Herr Minister. - Wir treten jetzt in die vereinbarte Fünfminutendebatte ein. Auch hierzu darf ich sagen, nicht jeder muss das Geschenk des Ministers an Zeit in Anspruch nehmen. Für die CDU spricht als Erste Frau Gorr. Bitte schön.