Protokoll der Sitzung vom 12.07.2013

Vielen Dank, Herr Minister. - Wir treten jetzt in die vereinbarte Fünfminutendebatte ein. Auch hierzu darf ich sagen, nicht jeder muss das Geschenk des Ministers an Zeit in Anspruch nehmen. Für die CDU spricht als Erste Frau Gorr. Bitte schön.

Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen Abgeordnete! Wir debattieren heute die Drs. 6/2240 der Fraktion DIE LINKE. Mit dieser Drucksache wird der Eindruck erweckt, dass durch ein wie auch immer zusammengesetztes Expertengremium im Ministerium für Arbeit und Soziales die von uns Abgeordneten überparteilich und mehrfach festgestellten Probleme bei der Arbeitsweise der Sozialagentur ausgeräumt werden können.

Zudem wird der Anschein erweckt, dass ein solches Expertengremium die Entwicklung von solchen Betreuungs- und Assistenzstrukturen fördert, die die Selbstbestimmung im Sinne der UN-Behindertenrechtskonvention tatsächlich gewährleisten.

Nun, liebe Kolleginnen und Kollegen, ein neu einzurichtendes Fachgremium als Kommunikationsproblemlöser ist schwer vorstellbar, da die Probleme, die zwischen Sozialagentur und Einrichtungsträgern bestehen, sehr komplex sind, wie die Fachpolitiker und Fachpolitikerinnen aus eigener Anschauung seit geraumer Zeit wissen. Dies wurde schon erwähnt.

Aus der Sicht der Koalitionsfraktionen wird das Thema „Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderungen“ über den Landesaktionsplan, der sich auf eine Vielzahl von mittelbar und unmittelbar Beteiligten stützt, aktiv begleitet.

Eine große Chance der tatsächlichen Weiterentwicklung und Verbesserung sehen wir in dem Vorsitz unseres Ministers für Arbeit und Soziales in der Sozialministerkonferenz; denn wir haben ihm dieses Problem als Auftrag mitgegeben.

Minister Bischoff hat in seiner Rede bereits ausführlich zu einzelnen Aspekten des Antrages ausgeführt. Deswegen würde ich hierfür mein Zeitbudget nicht beanspruchen wollen. Ich möchte aber abschließend bemerken, dass mich die Begründung der Fraktion DIE LINKE zu ihrem Antrag irritiert hat. Dort heißt es wörtlich:

„Nach dem Beispiel der Fachgespräche zur Umsetzung des KiFöG im Ministerium für Arbeit und Soziales sollte für den Bereich Eingliederungshilfe Ähnliches versucht werden.“

Werte Kolleginnen und Kollegen! Nach den Reaktionen im Lande auf das neue KiFöG, unter anderem der kommunalen Spitzenverbände, kann ich nicht erkennen, aus welcher Quelle die Fraktion DIE LINKE in diesem Zusammenhang die positiven Impulse eines zusätzlich einzurichtenden Expertengremiums für ihren Vorschlag zur Verbesserung der Kommunikation zwischen den beteiligten Parteien herleitet.

Liebe Kolleginnen und Kollegen Abgeordnete! Die Koalitionsfraktionen werden diesen Antrag ablehnen.

(Beifall bei der CDU)

Vielen Dank, Frau Gorr. - Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN spricht jetzt die Abgeordnete Frau Lüddemann. Bitte schön, Frau Kollegin.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Ich finde es gut und richtig und nachvollziehbar, die Situation rund um die Sozialagentur - so will ich es einmal nennen - in dem Hohen Haus zu beraten. Ich bin seit zwei Jahren Mitglied desselben. In den zwei Jahren haben wir uns regelmäßig mit dieser Fragestellung beschäftigt. Die Situation als verfahren zu bezeichnen - das wissen alle -, ist, so glaube ich, geschmeichelt formuliert.

Grundsätzlich muss ich mich fragen, ob es das wirklich so eine glückliche Entscheidung war, die Sozialagentur zu gründen und an dieser festzuhalten. Aber das ist eine andere Frage. Aber auch dieser müssen wir uns dringend stellen.

Grundsätzlich haben wir es hierbei mit zwei Problemstellungen zu tun. Zum einen haben wir ein quantitatives Problem. Es ist beschrieben worden, dass durch die Fülle von Einzelverhandlungen und

auch wegen des Fehlens eines Rahmenvertrags und dergleichen unheimlich viele Leistungs- und Entgeltvereinbarungen einzeln zu verhandeln sind und dies überhaupt nicht mehr schaffbar ist. - Mit viel Fleiß, Geduld, und immer wieder durch Motivation der Mitarbeiter ist das irgendwie zu schaffen.

Aber zu dem qualitativen Problem, das wesentlich grundlegender ist, nämlich die Eingliederungshilfe zu reformieren, kommt keiner.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Das ist das dringendere. Das ist wiederum das, was die quantitative Seite nach vorn treibt. Wenn Träger das anbieten, was die UN-Behindertenrechtskonvention fordert, nämlich personenzentriert und bedarfsgerecht zu versorgen, dann passt das nicht in das starre System der Leistungstypen und der Leitsyndrome, die wir in unserem Land leider Gottes immer noch haben.

Das sind Dinge, bei denen ich meine Zweifel habe, insbesondere ob das Fachexpertengremium das ist, was uns dabei weiter hilft. Ich bin mir auch nicht ganz sicher, was die Fraktion DIE LINKE damit meint. Fachexpertengremium steht in der Überschrift; in der Begründung steht: Verbesserung der Kommunikation zwischen den beteiligten Parteien ist das Ziel. Ist das eher etwas, was in Richtung Ombudsstelle geht, was vermitteln soll?

(Frau Gorr, CDU: Genau!)

Ist das irgendetwas, was dann möglicherweise parallel zu den Schiedsstellen läuft, was ja auch, denke ich, keiner wollen kann? Soll es ein wissenschaftlicher Beirat sein? Soll es inhouse oder extern besetzt werden? - Ich habe dazu schon eine ganze Menge von Fragen.

Deswegen möchte ich für meine Fraktion beantragen, dass wir diesen Antrag in den Ausschuss überweisen, um diese Fragen zu klären: Wer soll wie, wo genau daran arbeiten? Ich glaube, wir müssen jetzt jeden Strohhalm ergreifen, um die Situation aufzudröseln und den Stau, der sich angesammelt hat, aufzulösen. Ich kann ankündigen, dass wir uns, auch als Fraktion, dann gezielter mit der Sozialagentur beschäftigen wollen, um zu einer grundsätzlichen Lösung zu kommen, die dringend nötig ist. - Danke.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Lüddemann. - Zwischendurch möchte ich anmerken, dass hier vorn auf dem Rednerpult ein partei- und firmenunabhängiger Stift liegen geblieben ist. - Jetzt verzichtet Frau Grimm-Benne auf ihren Redebeitrag. Deshalb wäre Frau Zoschke für den Einbringer, für die Fraktion DIE LINKE, wieder dran. Bitte schön, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Mir ist klar, dass ich auch mit dieser Erwiderung die Koalitionsfraktion nicht umgestimmt bekomme. Ich will nur noch einmal sagen, Herr Minister, diese Anfeindungen, die Sozialagentur betreffend, kennen wir alle im Raum. Es gibt sicher unterschiedliche Meinungen dazu.

Dieses Expertengremium sollte letztlich auch helfen, die Sozialagentur genau davor zu schützen, dass es ungerechtfertigte und unsachliche Anfeindungen gibt. Wir wollten einfach klären, dass die Beteiligten menschlich miteinander reden und nicht nur juristisch miteinander verfahren. Das wäre eine der Möglichkeiten gewesen, diese Brücke zu bauen.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich denke auch, dass der Ansatz vergleichbarer Leistungen aufgrund von vergleichbaren Anforderungen in der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention nicht der richtige Ansatz ist. Bedarfe sind nun einmal individuell. Dabei müssen wir gemeinsam nach neuen Wegen suchen. Das ist momentan wegen der Absage der Koalitionsfraktionen offensichtlich nicht möglich.

Ich glaube auch nicht, dass nur mit Eingliederung in das Landesverwaltungsamt die Fülle der Probleme tatsächlich zu lösen ist. Es geht auch nicht nur darum, dass wir zu wenig Personal haben, sondern es geht tatsächlich darum, dass die individuellen Bedürfnisse sich nicht in irgendwelche Rahmen hineinpressen lassen.

Ich könnte mit einer Überweisung leben. Man kann eine ganze Menge miteinander bereden, wenn man es denn miteinander bereden will. Das ist hier offensichtlich nicht der Fall. Das tut mir ein bisschen leid, gerade für die Klientel, um die es geht.

(Beifall bei der LINKEN)

Vielen Dank, Frau Zoschke. - Damit ist die Debatte abgeschlossen.

Wir treten ein in das Abstimmungsverfahren zur Drs. 6/2240. Es hat einen Antrag auf Überweisung gegeben. Deshalb stelle ich jetzt die Frage: Wer dafür ist, dass dieser Antrag in den Ausschuss für Arbeit und Soziales überwiesen wird, den bitte ich jetzt um das Kartenzeichen. - Das sind die Fraktionen DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Wer ist dagegen? - Das sind die Koalitionsfraktionen. Enthält sich jemand der Stimme? - Nein. Damit ist die Überweisung abgelehnt worden.

Jetzt stimmen wir ab über den Antrag in Drs. 6/2240. Wer stimmt dem Antrag zu? - Das ist die Antragstellerin. Wer stimmt dagegen? - Das sind die Koalitionsfraktionen. Wer enthält sich der Stim

me? - BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Damit ist der Antrag abgelehnt worden.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 29 auf:

Beratung

Sanktionen im SGB II und SGB XII abschaffen

Antrag Fraktion DIE LINKE - Drs. 6/2241

Einbringerin ist die Abgeordnete Frau Dirlich. Frau Dirlich, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Würde des Menschen ist unantastbar. Das ist - das wissen Sie alle - die erste Aussage unseres Grundgesetzes. - Die Würde des Menschen ist antastbar. Das, meine Damen und Herren, ist der Inhalt des Sanktionsparagrafen im SGB II, in der Grundsicherung. Und nein, meine Damen und Herren, kleiner habe ich es nicht.

Das Bundesverfassungsgericht hat im Februar 2010 bestätigt, dass das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum dem Grunde nach unverfügbar ist, dass es also nicht angetastet werden darf. Eine gesetzliche Regelung, die es möglich macht, dieses Existenzminimum zu unterschreiten, ist mit dem Grundrecht auf ein existenzsicherndes Existenzminimum nicht vereinbar.

Auffassungen zur Höhe eines solchen menschenwürdigen Existenzminimums sind durchaus umstritten. Ich will mich daran heute gar nicht aufhalten. Auch von einer Existenzsicherung will ich nicht reden. Fakt ist, dass das sogenannte menschenwürdige Existenzminimum in der Bundesrepublik festgelegt ist, und zwar in der Höhe des Regelsatzes plus die Kosten für die Unterkunft und die Heizung.

Das Bundesverfassungsgericht hat im Jahr 2012 noch einmal nachgearbeitet und festgestellt, dass Leistungen, die erheblich unter dem Hartz-IVNiveau liegen, zur Deckung des lebensnotwendigen Bedarfs evident unzureichend und damit verfassungswidrig sind. Ich sage das vor dem Hintergrund, dass sich die Landesregierung in der Antwort auf eine Kleine Anfrage der GRÜNEN im vorigen Jahr auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2010 berufen hat.

Genau dieses Existenzminimum wird dann unterschritten, wenn durch Sanktionen nach SGB II oder durch Leistungseinschränkungen im SGB XII Abstriche gemacht werden, aus welchem Grund auch immer und in welcher Höhe auch immer. Begründet wird die Sanktionspraxis mit dem Grundsatz des Forderns und Förderns im Grundsicherungsgesetz.

Sanktionen werden aus sehr verschiedenen Gründen verhängt, vor allem wegen der Weigerung, die Pflichten aus den Eingliederungsvereinbarungen zu erfüllen, eine Arbeit, Ausbildung, Arbeitsgelegenheit oder eine Maßnahme aufzunehmen oder fortzuführen, weil eine Maßnahme abgebrochen oder Anlass für den Abbruch gegeben wird oder wegen Meldeversäumnissen beim Träger oder beim ärztlichen oder psychologischen Dienst.

Der Eindruck, der mit dieser Praxis vermittelt wird, ist, dass Arbeitslose nur unter Strafandrohung dazu zu bewegen sind, ihre Arbeitslosigkeit zu überwinden. Nur einmal nebenbei: Selbst wenn man Fehlverhalten feststellt, dann finde ich es zumindest moralisch fragwürdig, die Menschen sozusagen ohne Abendessen ins Bett zu schicken, ihnen also mit Essenentzug zu drohen.

(Beifall bei der LINKEN)

Schaut man sich die Statistik allerdings etwas genauer an, so stellt man fest, dass 70 % aller Sanktionen allein auf Meldeversäumnisse zurückzuführen sind. Die Betroffenen haben einen Termin verpasst. Wenn man dann noch genauer hinschaut, wird man feststellen, dass solche Versäumnisse viele Ursachen haben können und dass von den Betroffenen eine ständige und sofortige Verfügbarkeit erwartet wird, die keinerlei Rücksicht auf familiäre Planungen oder individuelle Probleme nimmt.

Bundesweit waren im Jahr 2012 ganze 10,8 % aller Sanktionen auf eine Weigerung zur Aufnahme einer Arbeit, Ausbildung, Arbeitsgelegenheit oder Maßnahme zurückzuführen. Fragen nach der der Qualität der Arbeitsangebote oder der Sinnhaftigkeit mancher Maßnahmen werden natürlich nicht gestellt.