Protokoll der Sitzung vom 10.06.2011

Dann ist der so geänderte Antrag angenommen worden.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 auf. Es handelt sich um die Beratung - -

(Anhaltende Unruhe)

- Wollen wir weitermachen oder brauchen Sie eine Pause?

(Herr Dr. Schellenberger, CDU: Nein, jetzt geht’s wieder! - Frau Brakebusch, CDU: Wä- re doch prima!)

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 auf:

Beratung

Kultur ins Grundgesetz

Antrag Fraktion DIE LINKE - Drs. 6/78

Änderungsantrag Fraktionen CDU und SPD - Drs. 6/102

Einbringer ist der Abgeordnete Herr Gebhardt. Bitte sehr.

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich hoffe, es besteht in diesem Hohen Hause Einigkeit darin, dass die Kulturpolitik in der politischen Agenda dieses Landes kein Randthema darstellt, sondern gerade im Kulturland Sachsen-Anhalt mit im Zentrum dieser Agenda stehen sollte.

Kultur entscheidet über die Lebensqualität der Menschen. Sie ist die gemeinsame ideelle Lebensgrundlage unserer Gesellschaft und somit ein wesentlicher Bestandteil unserer eigenen Identität. Und - ich denke, auch daran besteht hier kein Zweifel -: Kultur ist unverzichtbar für eine lebendige Demokratie.

Im Schlussbericht der Enquetekommission „Kultur in Deutschland“ heißt es deshalb auch treffend:

„Kultur ist das Fundament, auf dem unsere Gesellschaft steht und auf das sie baut. Es ist die Aufgabe der Politik, dieses zu sichern und zu stärken.“

Wenn dem so ist, dann muss das aus unserer Sicht aber auch Konsequenzen haben. Zumindest eine Konsequenz daraus beantragt DIE LINKE hier und heute erneut im Landtag, nämlich die Kultur als Staatsziel im Grundgesetz zu verankern und den Artikel 20b des Grundgesetzes um den folgenden Satz zu ergänzen:

„Der Staat schützt und fördert die Kultur.“

Ich möchte nun auf einige Argumente zu der Frage zu sprechen kommen, warum DIE LINKE seit vielen Jahren konsequent für eine solche Verankerung im Grundgesetz streitet.

Erstens. Aus unserer Sicht ist die Aufnahme des Staatsziels Kultur ein wichtiger Schritt, um die vielfältige Kulturlandschaft in Deutschland, die auch künftig auf öffentliche Förderung angewiesen sein wird, zu erhalten. Denn durch die Aufnahme von Kultur als Staatsziel sind der Gesetzgeber, aber auch die Rechtsprechung und die Verwaltung stärker als bislang angewiesen, bei Entscheidungen dem Staatsziel, nämlich dem Erhalt und der Förderung der Kultur, Rechnung zu tragen. Wie bei anderen Staatszielen auch würde dann die Möglichkeit bestehen, Ermessens- und Beurteilungsspielräume bei Gerichten oder beispielsweise auch bei Finanzverwaltungen zu eröffnen.

Zweitens. Man würde im Grundgesetz die Kultur mit anderen Bereichen gleichstellen. Fortan wäre die Kultur im Grundgesetz gleichberechtigt mit den wirtschaftlichen Zielen, mit den sozialen, mit den umweltbezogenen oder den tierschutzbezogenen Zielen verankert. DIE LINKE ist der Auffassung, dass diese Gleichbehandlung der Kultur notwendig ist, und wir wollen auch ausdrücklich, dass dieses Signal vom Kulturland Sachsen-Anhalt ausgeht.

Ein weiterer Hintergrund für unseren Antrag ist die reale Situation bei den öffentlichen Kulturausgaben. Diese sind seit Jahren rückläufig. Wenn man konstatiert, dass in den letzten zehn Jahren die öffentlichen Kulturausgaben bundesweit um über 1 Milliarde € zurückgegangen sind, so ist das, denke ich, doch ein alarmierendes Signal.

Nun ist allerdings auch uns völlig klar, dass die Verankerung von Kultur als Staatsziel im Grundgesetz nicht einen einzigen Cent mehr in die öffentlichen Kassen spülen wird. Aber die Gewichtung bei den Ausgaben wird dann selbstverständlich eine andere. Diesbezüglich bleibt DIE LINKE dabei, dass die Kultur mit den wirtschaftlichen und umweltpolitischen Zielen, die im Grundgesetz verankert sind, auf eine Stufe gehört. Immerhin geht es hierbei um das fundamentale Erbe unseres Landes und nicht alles lässt sich mit Sparzwängen irgendwie und einfach so begründen.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren! Wenn sich heute im Landtag eine Mehrheit für dieses Anliegen fände, würde man auch der Empfehlung der Enquetekommission „Kultur in Deutschland“ gerecht werden. Denn diese Enquetekommission hatte sowohl in ihrem Zwischenbericht im Jahr 2005 als auch in ihrem späteren Abschlussbericht genau jene Forderung erhoben und der Politik eindringlich empfohlen, Kultur als Staatsziel in das Grundgesetz aufzunehmen.

Bevor die Enquetekommission zu dieser einstimmigen Empfehlung kam, hat sie Pro und Kontra bezüglich einer solchen Empfehlung sorgfältig abgewogen. Eine sehr breit angelegte Expertenanhörung wurde seinerzeit durchgeführt, bei der selbst

verständlich auch Verfassungsrechtler - es ist ja eine Verfassungsfrage - einbezogen waren.

Letztlich kam es dann zu der eben erwähnten einstimmigen Empfehlung der Enquetekommission. DIE LINKE vertritt ohne Wenn und Aber die Auffassung, dass ein solches Votum von der Politik ernst genommen werden muss und dass eine solche Empfehlung dann auch umgesetzt gehört.

Als die Enquetekommission sich im Abwägungsprozess zwischen Pro und Kontra befand, wurde selbstverständlich auch über die Kontra-Argumente, also die Argumente, die gegen eine solche Grundgesetzänderung sprechen könnten, ernsthaft diskutiert. Auch mit denen haben wir uns auseinandergesetzt. Ich möchte kurz darauf eingehen.

Eingeräumt werden muss, dass die vorgeschlagene Grundgesetzverankerung bzw. die neue Staatszielbestimmung Kultur nicht justiziabel wäre. Sie wäre also vor Gericht nicht einklagbar. Dennoch hätte es Auswirkungen auf die Rechtsprechung; denn es bestünde fortan die Möglichkeit, wie ich zu Beginn meiner Ausführungen bereits erwähnte, rechtliche Spielräume zu eröffnen bzw. bereits vorhandene Spielräume zu erweitern.

Gerade das wäre aus unserer Sicht ein ungemein wichtiges Signal, und zwar an alle Ebenen, vor allem auch an die kommunale Ebene in unserem Land. Wir würden schließlich unsere Gemeinden mit einer solchen Grundgesetzänderung bei der Wahrnehmung ihres eigenen Kulturauftrages unterstützen.

Ein weiteres Gegenargument, mit dem man sich in der Debatte auseinandersetzen musste, ist der Fakt, dass die Kultur unter Länderhoheit steht und dass auch in fast allen Landesverfassungen ein Bekenntnis zur Kultur festgeschrieben ist. Aber, meine Damen und Herren, eine Verankerung von Kultur als Staatsziel im Grundgesetz würde keinesfalls die Länderhoheit aushebeln. Denn auch die Enquetekommission kam in ihrer abschließenden Bewertung zu dem Umkehrschluss, dass mit einer Grundgesetzänderung die Länder in ihrem Bestreben nach Schutz und Förderung der Kultur sogar noch deutlich gestärkt würden.

Meine Damen und Herren! Die Abgeordneten, die in der letzten Legislaturperiode schon Mitglieder des Landtages waren, werden sich vielleicht daran erinnern, dass meine Fraktion zu Beginn der letzten Legislaturperiode schon einmal den Antrag stellte, Kultur als Staatsziel im Grundgesetz zu verankern. Damals - es war im Jahr 2006 - fand unser Anliegen keine Mehrheit, obwohl es allerdings schon damals bundespolitisch zwischen den verschiedenen Parteien kaum einen Dissens zu dem Thema gab.

Die Empfehlung der Enquetekommission Kultur wurde damals parteiübergreifend positiv gewertet.

SPD und GRÜNE forderten auf Bundesebene eine zügige Umsetzung der Empfehlung der Enquetekommission. Das Kulturforum der Sozialdemokratie startete sogar einen bundesweiten Aufruf „Kultur ins Grundgesetz“. Auch von der CDU/CSU war Zustimmung zu erfahren und die FDP brachte - damals noch in der Opposition um Bundestag - einen Gesetzentwurf zu diesem Thema ein. Eigentlich war bei so viel parteiübergreifender Übereinstimmung die damalige Antragstellerin, die Linkspartei.PDS, optimistisch, eine Mehrheit für ihr Anliegen zu finden.

Heute sind wir noch ein ganzes Stück optimistischer; denn mittlerweile bekennen sich die CDU und die SPD in Sachsen-Anhalt in ihrem eigenen Koalitionsvertrag klar und eindeutig zu einer Aufnahme von Kultur als Staatsziel im Grundgesetz. Wörtlich heißt es im Koalitionsvertrag der SPD und der CDU - ich zitiere -:

„In Übereinstimmung mit der Handlungsempfehlung der Enquetekommission ‚Kultur in Deutschland’ unterstützen die Koalitionspartner die Bestrebungen, Kultur als Staatsziel im Grundgesetz zu verankern.“

Das sehen auch wir so, nur sollte man dann den Worten auch Taten folgen lassen. Lassen Sie uns als Kulturland Sachsen-Anhalt ein wichtiges Signal aussenden. Ich bitte Sie um Zustimmung zu unserem Anliegen.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Ich würde, damit ich mir nachher vielleicht die Erwiderung sparen kann, gern noch etwas zu dem vorliegenden Änderungsantrag sagen. Der Änderungsantrag der CDU- und der SPD-Fraktion zielt grundsätzlich in die gleiche Richtung; er möchte lediglich keine wörtliche Formulierung vorgeben. Er unterstützt aber das Ziel, eine solche Grundgesetzänderung herbeizuführen und fordert die Landesregierung auf, eine Bundesratsinitiative zu starten.

Wir würden uns, wenn der Änderungsantrag bestehen bliebe, der Stimme enthalten, wenn Sie bereit wären, das Wort „zeitnah“ in Ihren Änderungsantrag aufzunehmen, das bei uns verankert ist, sodass der Satz bei Ihnen lauten würde:

„Die Landesregierung wird gebeten, sich mit einer Bundesratsinitiative zeitnah für eine entsprechende Grundgesetzänderung einzusetzen.“

Dann könnten wir Ihrem Änderungsantrag zustimmen. Ihre Formulierung „noch in dieser Legislaturperiode“ halten wir insofern für schwierig - deshalb würden wir uns der Stimme enthalten -, als wir eine solche Empfehlung an die Landesregierung, wenn wir sie schon gleich zu Beginn der Legislaturperiode im Landtag aussprechen, nicht erst in vier oder fünf Jahren umgesetzt haben wollen,

sondern möglichst zeitnah. „Zeitnah“ ist ein Wort, das dennoch Handlungsspielräume eröffnet.

Wenn Sie diesem Anliegen folgen könnten, würden wir dem Änderungsantrag zustimmen. Ansonsten würden wir uns der Stimme enthalten; aber das würde dem Gesamtanliegen, zu dem wir deckungsgleich sind, dennoch Rechnung tragen. - Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Zustimmung bei der LINKEN und bei den GRÜNEN)

Danke, Kollege Gebhardt. - Für die Landesregierung spricht Kultusminister Herr Dorgerloh.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herzlichen Dank für diesen Antrag. Manche haben mich schon gefragt, was dieses „K“, das ich am Revers trage, bedeutet. Das ist eine Initiative des Deutschen Kulturrats und diese geht auf den Slogan „Kultur gut stärken“ zurück - das Wortspiel mit „Kulturgut stärken“ ist beabsichtigt. Diese Kampagne hat im Mai stattgefunden und zeigt schon, wie wichtig diese parteiübergreifende Wertschätzung für Kultur und Kunst nicht nur in unserer Republik, sondern, wie ich glaube, auch in unserem Bundesland ist. Ich freue mich darüber ausgesprochen.

In der Tat, der Antrag, den Sie, Herr Gebhardt, stellen, rennt förmlich offene Türen ein. Wir haben es im Koalitionsvertrag besprochen. Wenn man sich allerdings die letzten Versuche anschaut, Kultur als Staatsziel in das Grundgesetz aufzunehmen - Sie haben von dem Versuch im Jahr 2009 und auch von der Enquetekommission im Jahr 2007 berichtet -, dann stellt man fest, dass das kein ganz einfaches Unterfangen ist. Da gibt es mehrere wirklich lange vorbereitete Versuche, die im Endeffekt aus den unterschiedlichsten Gründen sämtlich nicht erfolgreich waren.

Von daher ist es sinnvoll, dass man einen neuen Vorschlag, wenn man einen solchen unterbreitet und einen neuen Anlauf unternimmt, tatsächlich sehr gründlich vorbereitet. Denn ein erneutes Scheitern, wenn man im Abstand von zwei oder zweieinhalb Jahren mit diesem Vorhaben nicht durchkäme, wäre in der Tat sehr misslich.

Von daher braucht es eine ganze Reihe von Vorbereitungen. Es braucht auch eine ganze Reihe von Spielräumen, um noch einmal zu überlegen, inwieweit man möglicherweise einen solchen Antrag erweitert. Es gibt Überlegungen, die Anfang des Jahres bei einer Tagung der Akademie für politische Bildung in Tutzing von Spitzenpolitikern wie Bundestagspräsident Lammert, aber auch von anderen Fachleuten geäußert worden ist, die dahin

gehen, die deutsche Sprache in das Grundgesetz aufzunehmen.