Protokoll der Sitzung vom 10.06.2011

Zu berücksichtigen ist auch die steigende Anzahl der Haushalte Alleinerziehender, wobei die Alleinerziehenden meist Frauen sind und ein besonders hohes Armutsrisiko aufweisen.

(Beifall bei der LINKEN)

Am Arbeitsplatz muss die Notwendigkeit der Vereinbarkeit von Beruf und Familie für Frauen und Männer noch stärkere Anerkennung finden. Der Wirtschaftsabschwung sollte nicht als Vorwand dienen, um Fortschritte auf dem Gebiet der Vereinbarkeit von Familie und Beruf wieder infrage zu stellen oder um die Mittel für Betreuungseinrichtungen und Urlaubsregelungen zu kürzen, die insbesondere für den Zugang von Frauen zum Arbeitsmarkt wichtig sind.

Meine Damen und Herren! Lassen Sie uns gemeinsam diesen Antrag als Anstoß für SachsenAnhalt im Bundesrat und auf Landesebene betrachten, um den ersten Schritt in die richtige Richtung zu gehen.

Unser Antrag eröffnet nicht nur beruflich qualifizierten Frauen endlich den Weg zu den ihnen bisher weitgehend versperrten Führungspositionen in der deutschen Wirtschaft. Durch ihn kann auch die so genannte gläserne Decke im öffentlichen Dienst zerbrochen werden. Zugleich wahrt er mit Augenmaß die Interessen der Unternehmen an einer an Qualität und kontinuierlicher Entwicklung des Füh

rungskräftenachwuchses orientierten Personalpolitik.

Das nun folgende Zitat von Erich Kästner trifft auf die Karriereförderung von Frauen ebenso zu wie auf die Einführung einer gesetzlichen Frauenquote:

(Herr Borgwardt, CDU: Jetzt bin ich ge- spannt!)

„Es gibt nicht Gutes. Außer man tut es.“

(Beifall bei der LINKEN)

In diesem Sinne bitte ich Sie, den Antrag meiner Fraktion zu unterstützen. - Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der LINKEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin Edler. - Als Nächste nimmt Frau Ministerin Professor Dr. Kolb das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordneten! Sachsen-Anhalt hat viele Schätze, aber einen ganz besonders wertvollen Schatz, nämlich seine Frauen und Mädchen.

(Beifall bei der LINKEN - Zustimmung bei der CDU)

Das machen vor allem die Bildungskarrieren deutlich. Schon in der Grundschule ist die Lesekompetenz der Mädchen höher ausgeprägt als die der Jungen. Bei der naturwissenschaftlichen Kompetenz in den höheren Klassenstufen haben die Mädchen die Jungen fast eingeholt und sie machen die besseren Schulabschlüsse.

(Zustimmung bei der CDU)

54,3 % der Abiturienten sind Mädchen, aber - hier kommt wahrscheinlich die erste Wegkreuzung, die Frau Edler gemeint hat - nur 46,2 % der Frauen fangen danach ein Studium an. Was für ein verschenktes Potenzial!

(Zustimmung bei der CDU)

Auch bei den Studienanfängern, die in SachsenAnhalt studieren, liegen die Frauen mit 51,7 % vorn. Interessant ist, dass Sachsen-Anhalt bei einzelnen Fächergruppen deutlich vom Bundesdurchschnitt abweicht, nämlich nach oben. Vielleicht auch dazu einige Zahlen. Dann höre ich mit den Zahlen auf.

In den Bereichen der Agrar-, Forst- und Ernährungswissenschaften beträgt der Frauenanteil 64,1 %, in den Bereichen der Rechts-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften beträgt er 58,6 % und in den Bereichen der Humanmedizin und der Gesundheitswissenschaften liegt er bei 62,1 %. Das

sind jeweils Zahlen, die deutlich über dem Bundesdurchschnitt liegen.

Dieser hohe Anteil gut ausgebildeter Frauen ist ein enormer Gewinn für unser Land und muss in Zukunft noch besser gefördert werden. Ich betrachte es als eine der Zukunftsaufgaben, die jungen Frauen an unser Land zu binden und ihnen hier Perspektiven aufzuzeigen.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Dazu müssen die Rahmenbedingungen in vielen Bereichen verbessert und im Rahmen eines Konzeptes von Gender-Mainstreaming im Hinblick auf die einzelnen Politikfelder ausgerichtet werden, sodass Frauen und Männer gleiche Entwicklungschancen haben.

Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordneten! Lassen Sie mich an dieser Stelle auch noch einmal deutlich machen, dass wir in Sachsen-Anhalt gute Voraussetzungen für die Vereinbarkeit von Familie und Erwerbsarbeit haben; denn eines der Argumente der Kritiker von Frauenquoten ist: Wir müssen erst die Rahmenbedingungen verändern und dann kommt das andere von allein.

Wenn man sich einmal die Situation bei uns anschaut, dann stellt man fest: Es gibt 1 939 Kitas. Die Betreuungsquote in der Kinderkrippe liegt bei knapp 56 %. Nach dem ersten Lebensjahr werden sogar 70 % der Kinder in der Kinderkrippe betreut.

(Zuruf von Herrn Borgwardt, CDU)

95,5 % der Kinder besuchen einen Kindergarten. 90 % der Kinder besuchen den Hort, wenn man die Schüler nach der 4. Klasse ausnimmt.

Das heißt also, in Sachsen-Anhalt kann es nicht an mangelnden Rahmenbedingungen im Bereich der Kinderbetreuung liegen, dass Frauen nicht immer den Weg bis in die Spitzenpositionen der Wirtschaft finden.

Wenn ich mir den aktuellen Diskurs über die Geschlechterpolitik in Deutschland anschaue, dann stelle ich eine deutliche Zuspitzung fest. Während die einen aufgrund des Bildungserfolgs der Frauen und ihrer öffentlichen Präsenz die Frauenfrage für passé erklären, sehen die anderen sogar eine klare Benachteiligung von Männern, weil diese unter anderem die Bildungsverlierer seien.

Gleichwohl hat die Forderung nach Frauenquoten für die unterschiedlichsten Bereiche an Dynamik gewonnen. Interessant ist, dass das gerade meist von jungen Frauen abgelehnt wird. Ich sehe das als die möglicherweise bestehende Hoffnung, dass man es aus eigener Kraft schafft. Wenn die Frauen im Laufe der Entwicklung feststellen, welche Hindernisse es gibt, sprechen sie sich im höheren Lebensalter durchaus für eine Frauenquote aus.

Dazu gibt es jetzt eine Forsa-Umfrage für das „Handelsblatt“, in der nicht nur Frauen, sondern

auch Männer befragt worden sind. Die Meinungsforscher kommen nach dieser repräsentativen Umfrage zu dem Ergebnis, dass sich 52 % der Bundesbürgerinnen und Bundesbürger für staatliche Vorgaben im Hinblick auf eine Frauenquote aussprechen.

Die hiergegen immer wieder vorgebrachten verfassungsrechtlichen Bedenken hat die Justizministerkonferenz mittlerweile geklärt. Es gab einen eindeutigen Beschluss, der die Bundesregierung auffordert, entsprechende gesetzliche Initiativen auf den Weg zu bringen.

Ich möchte im Hinblick auf den Antrag der LINKEN noch einmal ausdrücklich betonen, dass wir hierbei immer über Bundeskompetenz reden. Das heißt, wir können die Forderung in den unterschiedlichsten Gremien stellen. Wir können sie auch zuspitzen. Aus meiner Sicht haben wir das in den letzten Jahren auch getan, sodass der Druck so hoch ist, dass ich die Hoffnung habe, dass jetzt tatsächlich auch etwas passiert.

Auch die Anhörung im Rechtsausschuss sowie des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend des Deutschen Bundestages hat ergeben, dass die Mehrheit der Experten eine solche Frauenquote befürwortet.

Last, but not least vermehren sich die Zeichen auch auf europäischer Ebene. Es ist damit zu rechnen, dass Ende 2011, spätestens aber im Jahr 2012 europäische Vorgaben kommen.

(Frau Niestädt, SPD: Schön!)

Deshalb kann ich die Bundesregierung nur auffordern, selbst aktiv zu werden und zu gestalten; denn wir haben jetzt noch die Chance, das in Deutschland selbst zu regeln und zu gestalten. Wir sollten nicht warten, bis uns die Europäische Union das als Verpflichtung vorgibt.

(Beifall bei der LINKEN - Frau Niestädt, SPD: Genau!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Was die Datenlage im Hinblick auf die Gleichstellung von Frauen und Männern angeht, haben wir mit dem Gender-Atlas eine gute Grundlage, um für Sachsen-Anhalt auch eine Standortbestimmung im Ländervergleich zu ermöglichen.

Dieser Gender-Atlas erlaubt auch jetzt schon konkrete Handlungsbedarfe im Hinblick auf die Führungspositionen im Bereich der obersten Landesverwaltung. Hierbei rangiert Sachsen-Anhalt nämlich unter dem Bundesdurchschnitt. Der Anteil der Frauen an den Hochschulprofessoren liegt allerdings erfreulicherweise leicht über dem Bundesdurchschnitt.

Schaut man sich dann aber die tatsächlichen Zahlen an, kann einen das keinesfalls beruhigen, weil gerade im Bereich der Hochschulprofessoren der

Frauenanteil so gering ist, dass man hierbei wirklich nicht davon sprechen kann, dass man mit dieser Situation zufrieden sein kann.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Nicht zuletzt ausgehend von der Erkenntnis, dass in diesem Kontext dringender Handlungsbedarf besteht, ist in der Koalitionsvereinbarung als eines der wesentlichen Ziele festgeschrieben worden, den Frauenanteil in den gehobenen Positionen der Landesverwaltung schrittweise auf 40 % zu erhöhen. Dieses Ziel wird also der Schwerpunkt im Rahmen des Arbeitsfeldes Gender-Mainstreaming sein.

Dazu bedarf es zunächst einer genauen und aktuellen Bestandsanalyse, der Erarbeitung eines Konzeptes, aber eben auch der Sensibilisierung und Routinierung des Gender-Mainstreaming; denn Konzepte allein nützen nicht. Sie müssen gelebt, sie müssen praktisch verwirklicht und bei allen Entscheidungen - sei es in der Verwaltung oder im politischen Bereich - auch tatsächlich so umgesetzt werden.

Das Ministerium für Justiz und Gleichstellung wird deshalb bis zum Ende des Jahres 2011 ein Arbeitsprogramm und ein erstes Grobkonzept vorlegen. Die Fortschreibung des gesamten GenderMainstreaming-Konzeptes ist bis zum Ende des Jahres 2012 vorgesehen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn man über die Gleichstellung von Männern und Frauen in der Arbeitswelt spricht, ist es sicherlich gerechtfertigt, sich zunächst top-down die Führungspositionen anzuschauen.

Ich hatte allerdings von der LINKEN erwartet, dass sie auch noch einen anderen Bereich anspricht, der mir genauso viele Sorgen macht; denn wenn man sich die Einkommensunterschiede zwischen Männern und Frauen anschaut, dann stellt man fest, dass das ein Zustand ist, der angesichts der Tatsache, dass wir auch europarechtlich zur Entgeltgleichheit verpflichtet sind, unhaltbar ist. Es ist eigentlich erschreckend, dass in Deutschland nach wie vor noch ein Unterschied von 23 % besteht. Zwei Drittel dieser Lohnlücke sind strukturell bedingt.