Protokoll der Sitzung vom 12.09.2013

Um es deutlich zu sagen: Es geht nicht nur darum, Standortdaten abfragen zu können, um beispielsweise mögliche Suizide verhindern zu können, wie bei der Einbringung des Gesetzentwurfes argumentiert wurde - nein, mit der Ermächtigung zum Zugriff auf PINs und PUKs ist auch der Zugang zu Inhalten von privater Kommunikation und zu hochsensiblen Daten geöffnet. Damit sind staatlicher Schnüffelei Tür und Tor geöffnet.

Ich möchte einen weiteren Punkt ansprechen. Als in der letzten Sitzung des Landtages vor der Sommerpause der Gesetzentwurf eingebracht wurde, äußerten beide Oppositionsfraktionen die Befürchtung, dass dieser Entwurf im parlamentarischen Schnellverfahren verabschiedet werden soll. Exakt so ist es gekommen. Statt einer ausführlichen Anhörung - es gab noch nicht einmal eine schriftliche Anhörung - und einer ausführlichen Beratung wurde der Entwurf tatsächlich im Schnellverfahren beschlossen.

Ein solcher Umgang ist aus der Sicht eines Fachpolitikers ärgerlich, wenn man damit konfrontiert wird. Ich finde es aber weit problematischer, dass dieses Vorgehen symptomatisch für den Umgang

der Landesregierung mit dem Parlament ist. Es ist zudem symptomatisch für den Umgang mit Grund- und Freiheitsrechten.

(Zustimmung bei der LINKEN und von Herrn Striegel, GRÜNE)

Nun sagt die Landesregierung wahlweise, es sei alles gar nicht so wild; denn es werde lediglich die gängige Praxis legitimiert oder aber es seien die Vorgaben des Bundes. Dazu will ich Folgendes deutlich sagen: Es war jene gängige Praxis, die das Bundesverfassungsgericht mit seiner Entscheidung vom 24. Januar 2012 als nicht zulässig bewertete. Insofern scheint mir dieses Argument mehr als untauglich.

Meine Fraktion wird diesem Gesetzentwurf nicht zustimmen.

(Beifall bei der LINKEN)

Danke sehr, Frau Kollegin Quade. - Für die SPDFraktion spricht der Abgeordnete Herr Erben.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren Kolleginnen und Kollegen! Ich bewerte das Ergebnis des Gesetzgebungsverfahrens, das uns heute vorliegt, ausschließlich positiv, und zwar aus mehreren Gründen.

Erstens geben wir der Polizei und der Verfassungsschutzbehörde ein wichtiges Instrumentarium wieder rechtssicher an die Hand; denn sie hatten es über mehrere Monate nicht mehr.

Zweitens schaffen wir Rechtssicherheit. Das ist auch eine Frage der Anwender des Rechts. Diese Sicherheit war spätestens seit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nicht mehr gegeben.

Drittens stärken wir sogar Grundrechte, und zwar nicht nur durch eine verfassungsfeste Norm, sondern auch indem wir in dem Bereich der Befugnisse der Verfassungsschutzbehörden die Eingriffshürde in diesem Zusammenhang ausdrücklich angehoben haben.

Ich wehre mich an dieser Stelle auch gegen zwei Vorwürfe, die Sie, Kollegin Quade, eben unterschwellig erhoben haben. Erstens erwecken Sie den Eindruck, dass beim Verfassungsschutz irgendwelche Massenverfahren durchgeführt werden. Ihre Vertreter in der G10-Kommission dürfen Ihnen nicht erzählen, wie viele G10-Verfahren es gibt. Aber glauben Sie mir, dass es mit Sicherheit keine Routine in diesem Land ist, dass in G10Verfahren massenhaft Bestandsdaten abgefragt werden. Das war auch in der Vergangenheit nicht der Fall.

Zudem will ich mich gegen den Vorwurf wehren, wir wüssten in einem Schnellverfahren nicht, was wir täten. Ich weiß sehr wohl, was ich tue. Ich weiß auch, unter welchen Bedingungen ich in der Ausschusssitzung etwas zugestimmt habe. Gerade weil wir uns über diese Frage tiefgründig Gedanken gemacht haben, wie wir mit der Umsetzung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes zu den Bestandsdaten umgehen, haben wir bei der Einbringung des Gesetzentwurfes in den Landtag bereits unseren Änderungsantrag eingebracht. Deswegen werbe ich namens meiner Fraktion für die Annahme der Beschlussempfehlung.

(Zustimmung bei der SPD und bei der CDU)

Danke sehr, Kollege Erben. - Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN spricht der Abgeordnete Herr Striegel.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren Kolleginnen und Kollegen! Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN lehnt den Gesetzentwurf auch in der vorliegenden Fassung weiterhin ab.

Was das Polizeigesetz betrifft, so mag man die Änderungen noch hinnehmen, auch wenn ich weiterhin der Meinung bin, dass die Eingriffsschwelle „konkrete Gefahr“ im neuen § 17a Abs. 1 zu niedrig angesetzt ist und auch schon den Verdacht umfasst.

Zwar erachtet das Bundesverfassungsgericht Eingriffe beim Vorliegen einer konkreten Gefahr als verhältnismäßig und- Zitat - „verfassungsrechtlich gerade noch hinnehmbar“. In Zeiten massiver Spionage von Sicherheitsbehörden - die Kollegin Quade hat die Stichworte Prism und Tempora bereits erwähnt -, deren volles Ausmaß wir noch immer nicht kennen, hätte ich mir an dieser Stelle jedoch mehr Sensibilität gewünscht.

Auch wenn das Bundesverfassungsgericht die Grenze des gerade noch Zulässigen abgesteckt hat, heißt das noch lange nicht, dass wir als Landesgesetzgeber permanent an diese Grenzen gehen müssen.

Ich will es nochmals wiederholen: Mit dieser und den weiteren Ermächtigungen können Bestandsdaten, wie Name, Adresse, Kontodaten und Geburtsdaten sowie PIN- und PUK-Nummer des Handys, des Smartphones oder des Tablets, aber auch IP-Adressen, Passwörter für Mail-Accounts usw. sowie Zugangsdaten zu digitalen Adressbüchern beim Provider abgefragt werden. Jeder Internetnutzer, jeder Besucher einer Web-Seite, jeder Mail-Absender kann jederzeit namentlich identifiziert werden. Über die im TKG vorgesehene

Schnittstelle könnte für jede IP-Adresse jederzeit die Identität der Person ermittelt werden.

Der im Gesetzentwurf vorgesehene Richtervorbehalt läuft - das wissen Sie genauso gut wie ich - in der Praxis ins Leere. Die „Gefahr im Verzug“ wird nämlich die Regel sein und eine richterliche Kontrolle wird nur stattfinden, sofern die Betroffene bzw. der Betroffene von der Maßnahme Kenntnis erlangt und im Nachhinein Rechtsmittel gegen die Maßnahme einlegt. Wir alle wissen, dass im Bereich des Verfassungsschutzes die Kenntnis von solchen Maßnahmen faktisch unmöglich ist.

Die Notwendigkeit und die Erforderlichkeit der Ermächtigung zur Erhebung von Bestandsdaten ist weder in der Begründung zum Gesetzentwurf noch in den Ausschussberatungen dargelegt worden. Umso mehr wäre eine Evaluation und Berichtspflicht sowie eine Befristung angezeigt gewesen, wie es auch der Landesbeauftragte für den Datenschutz gefordert hat.

Was die Änderung des Verfassungsschutzgesetzes betrifft, wird es Sie nicht überraschen, dass wir diese nicht nur kritisch sehen, sondern sie gänzlich ablehnen. Es ist nämlich nicht erkennbar, weshalb und warum der Verfassungsschutz so weitgehende Eingriffsrechte erhalten und diese für seine gesetzliche Aufgabenerfüllung unerlässlich sein sollen. Ohne Berichts- und Evaluationspflicht ist eine solche Ermächtigung aus unserer Sicht überhaupt nicht denkbar.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Dieser Gesetzentwurf ist ein weiterer Schritt zur Aushöhlung des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung. Meine Fraktion lehnt den Gesetzentwurf daher ab.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der LIN- KEN)

Danke sehr, Kollege Striegel. - Für die CDU-Fraktion spricht der Abgeordnete Herr Kolze.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der vorliegende Gesetzentwurf schafft für die bereits bisher möglichen Bestandsdatenauskünfte im Bereich der Gefahrenabwehr der Polizei und für den Bereich des Verfassungsschutzes eine den Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts genügende neue normative Grundlage.

Die Bestandsdatenabfrage ist für den Verfassungsschutz und für die Polizei kein neues Instrument. Es handelt sich hierbei um bundesweit bewährte Befugnisse der Sicherheitsbehörden. Unsere Sicherheitsbehörden, meine Damen und Herren, brauchen diese Befugnisse.

Das, was wir jetzt machen, ist lediglich die Umsetzung einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. Das Bundesverfassungsgericht hat dem Landesgesetzgeber ins Hausaufgabenheft geschrieben, dass es einer landesrechtlichen Ermächtigung dafür bedarf, dass die Sicherheitsbehörden die Daten von Telekommunikationsunternehmen abfordern dürfen.

Ich sage es noch einmal: Wir machen nichts Neues und wir erweitern auch keine Rechte. Vielmehr setzen wir lediglich eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts um.

Liebe Kollegin Quade, Sie haben während der ersten Befassung des Plenums mit dem Gesetzentwurf unserem Koalitionspartner vorgeworfen, dass die SPD die Verankerung der Bestandsdatenabfrage im Bundesrat nicht gestoppt habe. Kollege Erben hat Ihnen bereits - zu Recht, wie ich meine - das Abstimmungsverhalten des federführenden Justizministers - der bekanntlich von Ihnen ist - im Bundesrat vorgeworfen.

Aber jetzt kommt für Sie sicherlich der Hammer. Die Landesregierung in Brandenburg wird im September einen Gesetzentwurf über das sogenannte „Manuelle Auskunftsverfahren über Telekommunikationsbestandsdaten“ einbringen. Gleich am Anfang des Gesetzentwurfes wird ausgeführt, dass diesem Instrument in der Praxis der polizeilichen Gefahrenabwehr eine hohe Bedeutung zukommt.

(Zustimmung bei der CDU)

Ich bin mal gespannt, ob Ihre Kolleginnen und Kollegen der LINKEN in Potsdam dabei auch vom Ausverkauf der Unschuldsvermutung als zentrales rechtsstaatliches Prinzip oder von einer unkontrollierten staatlichen Schnüffelei - wie Sie es gerade noch einmal ausgeführt haben - sprechen werden. Ich sage es ganz deutlich: Von Ihnen müssen wir uns nun wirklich kein schlechtes Gewissen einreden lassen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist nicht neu, dass Sie von der Opposition unseren Sicherheitsbehörden immerwährend ein strukturelles Versagen vorwerfen, auf der anderen Seite aber auch nicht bereit sind, den Sicherheitsbehörden die notwendigen Instrumente für ihre Arbeit an die Hand zu geben.

Ich bitte Sie daher erneut inständig, hier nicht weiter Nebelkerzen zu zünden und die Diskussion zum Gesetzentwurf mit der Diskussion über Abhörskandale und Überwachungsprogramme wie Prism und Tempora der amerikanischen und britischen Geheimdienste zu vermischen; denn damit hat die Bestandsdatenabfrage wahrlich nichts zu tun.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zahlreiche Bundesländer haben die Neuregelung der Erhebung von telekommunikations- und telemedien

rechtlichen Bestandsdaten bereits auf den Weg gebracht. Auch Brandenburg wird sich diesem notwendigen Instrument nicht versperren.

Ich bitte Sie hiermit um Zustimmung zu der Beschlussempfehlung des Innenausschusses. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU)

Danke sehr, Kollege Kolze. - Damit sind wir am Ende der Debatte. Wir treten in das Abstimmungsverfahren zur Drs. 6/2341 neu ein. Ich möchte über die selbständigen Bestimmungen in ihrer Gesamtheit abstimmen lassen. - Es gibt keinen Widerspruch. Wer stimmt den Bestimmungen zu? Den bitte ich um Kartenzeichen. - Das sind die Koalitionsfraktionen. Wer ist dagegen? - Das sind die Oppositionsfraktionen. Damit ist den selbständigen Bestimmungen zugestimmt worden.

Ich lasse über die Artikelüberschriften abstimmen. Wer stimmt zu? - Die Koalitionsfraktionen. Wer ist dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Die Oppositionsfraktionen. Den Artikelüberschriften ist zugestimmt worden.

Ich lasse über die Gesetzesüberschrift abstimmen. Sie lautet: Gesetz zur Neuregelung der Erhebung von telekommunikations- und telemedienrechtlichen Bestandsdaten. Wer stimmt zu? - Die Koalitionsfraktionen. Wer ist dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Die Oppositionsfraktionen. Der Gesetzesüberschrift ist zugestimmt worden.

Wir stimmen jetzt über das Gesetz in seiner Gesamtheit ab. Wer stimmt dem Gesetz zu? - Die Koalitionsfraktionen. Wer ist dagegen? - Die Oppositionsfraktionen. Damit ist das Gesetz angenommen worden. Wir verlassen Tagesordnungspunkt 7.

Vereinbarungsgemäß werden wir jetzt den Tagesordnungspunkt 15 behandeln.

Beratung

Besetzung der Stellen von Schulleiterinnen und Schulleitern in Sachsen-Anhalt

Antrag Fraktion DIE LINKE - Drs. 6/2391