Protokoll der Sitzung vom 13.09.2013

Aber das würde ich gern im Innenausschuss und in den Gremien des Landtages besprechen und nicht der Zeitung oder irgendwelchen großen De

batten überlassen, die zwischen den Koalitionsfraktionen und dem Innenministerium geführt werden. Deswegen bitte ich die Landesregierung an dieser Stelle noch einmal: Kommen Sie in den Innenausschuss, kommen Sie in das Parlament und lassen Sie uns über die Polizeistrukturreform reden. Wir wollen eine effiziente Struktur.

(Herr Leimbach, CDU: Wir auch!)

Wir wollen, dass es möglichst viele Beamtinnen und Beamte in der Fläche gibt. Das müssen wir hinbekommen. - Herzlichen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN - Zuruf von Herrn Bommersbach, CDU)

Danke schön. - Weitere Wortmeldungen und Nachfragen sehe ich nicht. - Für die Landesregierung spricht der Minister des Innern Herr Hövelmann.

(Heiterkeit bei der CDU)

- Entschuldigung! Herr Minister Stahlknecht.

(Herr Hövelmann; SPD: Die Rechnung geht auf den Präsidenten! - Heiterkeit bei der CDU - Herr Borgwardt, CDU: Aber nur für den heutigen Tag! - Herr Gallert, DIE LINKE: Wir erstellen einen Sozialplan für ehemalige Minister!)

Das eine hängt mit dem anderen zusammen. - Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir leben in einem freien Land und Freiheit braucht Sicherheit. Zum Fundament einer freiheitlich-demokratischen Grundordnung gehört die Wahrung der inneren Sicherheit und Ordnung.

Dabei kommt der Polizei unseres Landes eine zentrale Rolle zu. Wir müssen dafür sorgen, dass die dafür erforderlichen Strukturen und Ressourcen zur Verfügung stehen. Dies ist mit Blick auf die demografischen, personellen und finanziellen Rahmenbedingungen des Landes eine besondere Herausforderung, der wir uns aber stellen müssen. Dies sind wir sowohl den Bürgerinnen und Bürgern unseres Landes als auch den Kolleginnen und Kollegen unserer Polizei schuldig.

(Zustimmung bei der CDU)

Die Überlegungen zu einer Polizeistrukturreform basieren am Anfang und am Ende, meine Damen und Herren, auf harten Zahlen und Fakten. Sehr geehrter Herr Kollege Hövelmann! Im Jahr 2008, in dem Jahr, in dem die letzte Polizeistrukturreform zur Umsetzung kam, umfasste der Personalbestand der Landespolizei insgesamt

9 558 Bedienste. Zum 1. Januar dieses Jahres hatte die Landespolizei noch 8 436 Bedienstete, also 1 122 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter weniger.

Um Ihnen das bildlich klarzumachen: Das, was wir weniger an Personal haben, entspricht dem Personalbestand der gesamten Polizeidirektion Ost. Das ist im Augenblick die Lebensrealität, in der ich in meiner Verantwortung mit unserer Polizei die Sicherheit in diesem Land gewährleisten muss.

Im Polizeivollzug arbeiten heute 6 765 Kolleginnen und Kollegen. Es ist bereits jetzt abzusehen, dass bis zum Jahr 2016 weitere 761 Beamte wegen Erreichens des Ruhestandsalters aus dem Dienst ausscheiden werden.

In dieser kleinteiligen Struktur sind bereits heute 18 % - das ist beinahe ein Fünftel der Polizeivollzugsbeamtinnen und -beamten - allein mit der Führung und mit administrativen Aufgaben betraut. Diese Kolleginnen und Kollegen fehlen im operativen Dienst. Wir haben zu viele Häuptlinge und zu wenige Indianer.

(Beifall bei der CDU - Zustimmung von Herrn Striegel, GRÜNE)

Dieser Trend - dem kann sich niemand verschließen - wird sich mit den sinkenden Personalzahlen stetig fortsetzen. Insgesamt werden zum 1. Januar 2016 6 394 Polizistinnen und Polizisten zum Personalbestand der Landespolizei gehören.

Dieser Personalrückgang, der durch die bisher vorgenommenen und künftig beabsichtigten Neueinstellungen in den Landespolizeidienst nicht mehr kompensiert werden kann, führt zwangsläufig zu einer erheblichen Aufgabenverdichtung und zunehmenden Belastung für jede einzelne Polizeibeamtin und jeden einzelnen Polizeibeamten, zumal durch Krankheit, Teilzeit, Beurlaubung oder Inanspruchnahme der Freistellungsphase nicht alle Beamtinnen und Beamten vollumfänglich einsetzbar sind.

Neben der Veränderung im Personalbestand stellt uns auch die materielle Ressourcenausstattung, insbesondere die zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel, vor erhebliche Herausforderungen.

Bereits im Haushaltsjahr 2012 mussten die beschlossenen Ansätze für den Aufbau des Digitalfunks, für Sondereinsatzmaßnahmen der Polizei, für den Kauf von Dienstfahrzeugen und für die Heilfürsorge um ca. 12 Millionen € deutlich aufgestockt werden.

Im Jahr 2013 führten die im Rahmen der Haushaltskonsolidierung drastisch verminderten Ansätze zu massiven finanziellen Nachforderungen, um den Dienstbetrieb der Landespolizei überhaupt noch - ich unterstreiche: überhaupt noch - aufrechterhalten zu können. Dies wiederum war nur

durch den Verzicht bzw. die Verschiebung eigentlich dringend notwendiger Beschaffungsmaßnahmen im investiven Bereich möglich.

In den kommenden Haushaltsjahren, verehrte Kolleginnen und Kollegen, steht die Landespolizei vor weiteren Schwierigkeiten. Den Konsolidierungszwängen stehen beispielsweise jährliche Bewirtschaftungskosten in Höhe von 31 Millionen € für die von der Polizei derzeit genutzten, aber vielfach nicht ausgelasteten Liegenschaften - ich betone: Bewirtschaftungskosten in einer kleinteiligen Struktur für nicht ausgelastete Dienststellen in Höhe von 31 Millionen € - und ein Sanierungsbedarf in allen Liegenschaften, die wir eigentlich nicht mehr brauchen - wenn wir uns nicht bewegen, werden sie auf uns zukommen -, im Umfang von 154 Millionen € gegenüber.

Ein ähnliches Bild zeichnet sich bei den Investitionsmaßnahmen der Landespolizei ab. Unter den gegenwärtigen finanziellen und strukturellen Rahmenbedingungen droht der Polizei in SachsenAnhalt ein Substanzverlust durch einen bis zum Jahr 2017 anwachsenden Investitionsstau in Höhe von 90 Millionen €.

Über den über 20 Jahre aufgelaufenen Beförderungsrückstau möchte ich heute gar nicht reden.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich denke, es ist deutlich geworden, dass die aufgezeigten Veränderungen hinsichtlich des Personals, der materiellen Ressourcen und der Gebäude eine bisher nie dagewesene Herausforderung bedeuten.

Aus diesem Grund habe ich bereits im Mai 2011 eine kleine Arbeitsgruppe und im September 2012 die Projektgruppe „Polizei 2020“, der Fachleute und Praktiker aus dem Polizeivollzug und der Verwaltung angehören, ins Leben gerufen. Denn, Herr Striegel, ich gebe Ihnen Recht: Wer politische Verantwortung hat, der muss gestalten. Er kann nicht nur gestalten, wenn Wahlen anstehen; vielmehr muss er über die Legislaturperiode hinaus gestalten, um ein Land zukunftsfähig zu machen.

(Zustimmung bei der CDU)

Diese Arbeitsgruppe hat bei ihrer Arbeit auch allgemeine Daten wie Einwohnerzahlen, Geografie des Landes sowie vorgegebene Rahmenbedingungen, wie etwa Personalentwicklungskonzepte und Finanzplanungen, berücksichtigt. Darüber hinaus sind polizeiliche Statistiken, unter anderem zum Einsatz-, Kriminalitäts- und Unfallgeschehen, ausgewertet worden.

Diese Projektgruppe hat aufgezeigt, dass sich die für den Erhalt der Handlungs- und Leistungsfähigkeit der Polizei erforderlichen Änderungen nicht mehr im Wege einer Anpassung der aktuellen Struktur gestalten lassen. Vielmehr bedarf es - Herr Striegel, darin gebe ich Ihnen Recht - eines ganzheitlichen Strukturkonzeptes, das sowohl die

Organisationsstrukturen als auch die Ausrichtung der Aufgabenbewältigung beinhaltet.

Vor dem Hintergrund dieser Erkenntnis hatte die Projektgruppe den Auftrag, zwei ganzheitliche Konzepte auf der Grundlage von zwei Strukturmodellen zu erarbeiten, die, meine Damen und Herren, nicht mit politischer Vorgabe, sondern eben ausschließlich nach fachlichen Aspekten des Vollzuges und der Polizei entwickelt wurden.

Wenn wir Polizei fachlich gestalten wollen, dann müssen wir den Fachleuten die Chance geben, zunächst ohne jeden politischen Einfluss das vorzustellen, was aus ihrer Sicht fachlich erforderlich ist. Wer, wenn nicht die Spezialisten unserer Polizei, hat dafür das entsprechende Know-how?

Darüber hinaus unterbreitet die Projektgruppe auch Vorschläge für eine Neuausrichtung der polizeilichen Aufgabenerfüllung.

Des Weiteren gelang es der Arbeitsgruppe erstmals in der Geschichte Sachsen-Anhalts, den quantitativen Personalbedarf für die Polizei Sachsen-Anhalts belastungsorientiert zu ermitteln. Dafür stellten die beiden oben genannten Strukturkonzepte die Berechnungsgrundlage dar.

Der Prozess der Personalbedarfsermittlung ist jedoch noch nicht abgeschlossen. Derzeit werden die Ergebnisse überarbeitet.

Zu den Aufgaben und Aufträgen der Arbeitsgruppe gehören darüber hinaus unter anderen die Erarbeitung eines weiteren Strukturkonzeptes, die Identifizierung von Aufgaben sowie die Vorbereitung der Wirtschaftlichkeitsbetrachtung für eine Polizeistrukturreform.

Aufgrund der Tragweite der Arbeitsergebnisse und der Erkenntnisse, die sich mir dann darstellten, bin ich von Anfang an der Überzeugung gewesen, dass eine solch tiefgreifende Reform nicht allein in einem Ministerium beschlossen werden sollte, sondern nach Möglichkeit eine breite Zustimmung im politischen und öffentlichen Raum haben sollte und muss.

Die Grundmodelle sind bewusst in die Öffentlichkeit getragen worden, um sie auf der kommunalen Ebene, im parlamentarischen Raum - letztmals Ende Mai 2013 - und auch in den Medien vorzustellen, zu erörtern und weiterzuentwickeln; denn wir wollen das gemeinsam tun.

Wenn wir Transparenz in einer Demokratie fordern und einen solchen Prozess transparent gestalten, dann kann es nicht angehen, dass es möglicherweise kritische Stimmen gibt, die sagen, wir sollten es nicht transparent gestalten und das Konzept erst dann vorstellen, wenn es fertig ist. Dies ist nicht mein Verständnis von Transparenz.

Insbesondere die Vorschläge zur künftigen Gewährleistung von Flächenpräsenz und Bürgernähe

waren Gegenstand der Regionalkonferenzen in Halle und Magdeburg im März bzw. April dieses Jahres. Dazu sind die innenpolitischen Sprecher aller Fraktionen und der Vorsitzende des Innenausschusses eingeladen worden.

Ziel ist es, weniger Beamte in der Verwaltung und mehr Polizisten vor Ort für die Aufklärung zu haben. Polizei muss für die Menschen fühlbar und spürbar sein, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der CDU)

Wir haben auch eine Verantwortung für das subjektive Sicherheitsgefühl in diesem Land, und wer sich dieser Verantwortung nicht stellt, gefährdet das subjektive Sicherheitsgefühl der Menschen und das gedeihliche Zusammenleben.

Gegenwärtig werden in Workshops mit den kommunalen Verantwortungsträgern - denn wir sagen auch: Sicherheitsarchitektur erfolgt mit denen, die vor Ort kommunalpolitische Verantwortung tragen - die Möglichkeiten einer gemeinsamen Gestaltung der Sicherheitsarchitektur besprochen. Die hierbei erarbeiteten Aspekte und Anregungen gehen in die weiteren Überlegungen der zwischenzeitlich beauftragten Arbeitsgruppe „Strategie Polizei 2020“ ein.

Die Landesregierung sowie die polizeilichen Entscheidungsträger tragen eine gemeinsame Verantwortung für die Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Land. Um dieser Verantwortung gerecht zu werden, ist insbesondere die Polizei des Landes für eine auch künftig umfassende Aufgabenerfüllung entsprechend den besten Rahmenbedingungen aufzustellen, zu organisieren und auszustatten.

Ziel muss es sein, die Polizei Sachsen-Anhalts mit einem langfristig angelegten und tragfähigen Organisationsmodell strategisch so auszurichten, dass eine Nachhaltigkeit auch über das Ende der sechsten Legislaturperiode hinaus erreicht werden kann, ohne den Weg der Haushaltskonsolidierung, lieber Herr Kollege Bullerjahn, von vornherein verlassen zu müssen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sind es den Bürgerinnen und Bürgern im Land schuldig, dass sie sicher sind und dass sie sich sicher fühlen. Und wir sind es den Kolleginnen und Kollegen der Polizei schuldig - ich begrüße die dort oben sitzenden -, dass wir mit tragfähigen Strukturen unsere Polizeibeamtinnen und -beamten nicht verschleißen.