Protokoll der Sitzung vom 14.11.2013

Vielleicht kann ich es erreichen, dass Sie mir mehr zuhören. - Es gibt Zahlen von der Hauptstelle für Suchtfragen aus dem Jahr 2006.

(Unruhe)

Entschuldigung. - Liebe Kolleginnen und Kollegen, draußen versuchen Vertreter der Kulturlandschaft Sachsen-Anhalt, wie die Mauern von Jerichow mit

Trompeten auf sich aufmerksam zu machen mit dem Ziel, Denkblockaden einzureißen. Das geschieht mit einer entsprechenden Lautstärke vor dem Haus. Das beeinträchtigt die ohnehin schon schlechte Akustik. Was aber hier im Saal passiert, das liegt in unser aller Hände. Ich bitte, die schwierige akustische Situation zu berücksichtigen. Ich bitte um etwas mehr Ruhe im Saal.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Danke, Herr Präsident. - Die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen hat bereits im Jahr 2006 herausgefunden, dass 3 % der Männer und 1 % der Frauen über 60 Jahre ein schwerwiegendes Alkoholproblem haben und 10 % dieser Bevölkerungsgruppe psychoaktive Medikamente oder Schmerzmittel unkontrolliert und übermäßig gebrauchen, also missbrauchen.

Bei der Diskussion über Drogen und Sucht stellt sich sehr schnell heraus, dass es zwei Lager gibt, die sich gegenseitig Dramatisierung vorwerfen. Das eine Lager sagt immer: Das ist Privatsache. Deshalb sollte alles freigegeben werden. Alles sollte offen sein. Jeder darf machen, was er will. - Die andere Seite sagt: Man muss ganz rigoros dagegen vorgehen.

(Herr Scharf, CDU: Das sagen wir nicht! Das sagen nur die Grünen!)

- Wer spricht denn von Ihnen, Herr Scharf? Ich habe gesagt, dass es in der Theorie zwei Lager gibt. Wenn Sie sich da angesprochen fühlen - -

(Zustimmung bei den GRÜNEN und bei der LINKEN - Zurufe von der CDU)

Es gibt in der Theorie, in der Fachdiskussion und auch in manchen politischen Kreisen zwei Lager. Wenn man über Drogen und Alter spricht, wird auch sehr oft gesagt: Was soll das denn? Lassen wir doch den alten Damen ihr Likörchen am Nachmittag und den alten Herren ihr Bierchen abends vor dem Fernseher. Das ist doch deren Sache. Es lohnt sich doch überhaupt nicht, sich damit auseinanderzusetzen.

(Herr Scheurell, CDU: Genau so sehe ich das!)

- Sehen Sie. Es gibt also immer ein Beispiel für jede Sichtweise. Danke, Herr Scheurell.

Ich glaube aber, das ist zu einfach gedacht. Ich glaube, das ist zu kurz gesprungen. Das ist eine Verharmlosung, die dem Thema nicht gerecht wird.

(Zustimmung bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

An dieser Stelle möchte ich ganz deutlich sagen, weil das offenbar notwendig ist, dass wir Grüne

weder für eine alkohol- und drogenfreie Gesellschaft noch für eine unkontrollierte Abgabe sämtlicher Drogen sind. Ich glaube, man muss einen verantwortungsvollen Umgang mit allen Rauschmitteln erlernen. Das wird beim Flatrate-Saufen bei Jugendlichen deutlich. Einen sinnvollen Umgang mit Drogen werden viele von Ihnen sicherlich heute beim parlamentarischen Abend oder auch in anderen Runden pflegen. Auch das meine ich mit Suchtmitteln. Auch dabei müssen wir uns dieser Frage stellen.

Für uns geht es um Prävention und um Konsummündigkeit.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Deswegen rufen wir nicht zuvorderst nach den Strafvollzugsbehörden, sondern wir glauben, dass es immer einen gesundheitspolitischen und einen innenpolitischen Blick auf die Thematik geben muss.

Das scheint auch die Drogenbeauftragte der Bundesregierung so zu sehen; denn sie hat genau zu diesem Thema im Dezember 2012 ein Fachgespräch durchgeführt. Zudem fand ihre Jahrestagung im Juni 2013 zum Thema „Alter und Sucht“ statt.

Es gibt bereits seit 2009 ein vom Bundesministerium für Gesundheit gefördertes Projekt mit dem Titel „Ältere Drogenabhängige in Deutschland“. Von 2010 bis 2012 lief ein auf drei Jahre angelegtes Modellprojekt des gleichen Ministeriums. Die Fraktion DIE LINKE hat das offensichtlich zur Kenntnis genommen. Ich kann an dieser Stelle sagen, dass ich beide Aspekte des Änderungsantrages - es wurde beantragt, kleine Aspekte zu ändern - übernehme. Es ist quasi eine Untersetzung dessen, was wir sowieso beabsichtigen. Deshalb ist das kein Problem.

Dieses bundesweite Modellprojekt zur Sensibilisierung und Qualifizierung von Fachkräften in der Sucht- und Altenhilfe wurde an acht Standorten durchgeführt, leider nicht in Sachsen-Anhalt. Derzeit wird dieses Modellprojekt evaluiert. Ich glaube, aus den Erkenntnissen können wir einiges für Sachsen-Anhalt übernehmen.

Dabei geht es ganz konkret beispielsweise um die Erstellung von Schulungsmappen und eines Baukastensystems für Fortbildungen. Zudem sollen Hinweise zur konkreten Umsetzung von Kooperationen zwischen Sucht- und Altenhilfe gegeben werden.

Wir glauben, in Sachsen-Anhalt gibt es hierbei einen besonderen Handlungsbedarf; denn - das wird an vielen Stellen immer wieder gesagt - wir haben ein besonderes Problem aufgrund der demografischen Entwicklung. Im Vergleich zu anderen Bevölkerungsgruppen haben wir besonders viele alte Menschen. Deswegen ist es aus unserer Sicht

dringend notwendig, in diesem Bereich aktiv zu werden.

Wir brauchen einen fachlichen Austausch zwischen Altenhilfe und Suchtberatung und gemeinsame Fortbildungen. Ferner müssen die Curricula der Altenpflegeausbildung verändert werden. Gemeinsame Fallbesprechungen sind notwendig. Außerdem brauchen wir ein niedrigschwelliges Beratungsangebot für ältere Menschen.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Das alles muss strukturiert und verlässlich in der Zusammenarbeit sein. Das hat auch die Befragung der Hochschule Emden/Leer aus dem Jahr 2012 ergeben. Es zieht sich quer durch die Literatur und auch durch die von mir erwähnten Gespräche mit Praktikern, dass beide Seiten zu wenige Kenntnisse voneinander haben.

Die Altenhilfe weiß zu wenig über Drogen und zu wenig darüber, wie Substanzen wirken und was sie bewirken. Sie weiß auch zu wenig über Hilfsmöglichkeiten. Deshalb ist es in der Praxis sehr schwer einzuschätzen, ob es eine normale altersbedingte Ausfallerscheinung ist, wenn sich ein alter Mensch noch weniger merken kann, wenn er noch häufiger stolpert, oder ob das vielleicht das Ergebnis einer Sucht ist.

Auf der anderen Seite hat die Suchthilfe große Berührungsängste mit alten Menschen. Das ist völlig normal. Hier spiegelt sich das wider, was leider Gottes in unserer Gesellschaft immer noch gelebt wird. Sie wissen zu wenig über alte Menschen. Sie wissen zu wenig über Unterstützungsmöglichkeiten für alte Menschen und haben im Übrigen schon genug damit zu tun, sich dieses spezielle Feld eigenaktiv zu erarbeiten.

Die Alida-Schmidt-Stiftung in Hamburg, die auch ein Modellprojekt innerhalb der erwähnten bundesweiten Initiative bearbeitet hat, hat es auf den Punkt gebracht. Ich darf zitieren:

„Bislang sind jedoch die Fachkräfte in der Altenhilfe nicht ausreichend für Suchtprobleme bei älteren Menschen sensibilisiert und auf den Umgang mit ihnen vorbereitet. Die Suchthilfe wiederum ist nur ungenügend an dieser spezifischen Zielgruppe orientiert.“

Daraus folgt dann, dass Abhängigkeitserkrankungen sehr häufig nicht erkannt werden und dass gesundheitliche Konsumfolgen dem Alter zuschrieben werden und dann auch nicht entsprechend darauf eingegangen werden kann.

Besonders hervorstechend ist der schädliche Dauerkonsum von sogenannten Benzodiazepinen. Landläufig kann man das mit „Schlafpillen“ übersetzen. So wird das auch in den Medien bezeichnet. Viele kennen das sicherlich: Alte Menschen schlafen immer schlechter, bekommen also über

proportional häufig Schlafmittel verschrieben. Das führt sehr schnell - so ist es in der Fachliteratur zu lesen - zu Drogendauerkonsum.

Alte Menschen haben eine hohe Schamschwelle, dies auszusprechen, dies ihrem Arzt oder Betreuern gegenüber deutlich zu machen. Sie isolieren sich immer mehr. Die Spirale setzt sich in Gang und beschleunigt sich.

Wir glauben, wenn beide Arbeitsfelder, Altenhilfe und Suchtberatung, mehr voneinander wissen, erhöhen sich die Fachlichkeit und die Wirksamkeit der Handlungen. Das kann für unser Land nur gut sein.

Es war zu hören, dass in den Koalitionsverhandlungen auf Bundesebene über eine Erhöhung des Pflegebeitrags gesprochen wird. Deshalb muss geschaut werden, wie man adäquat handeln kann, damit man weniger von dem Geld ausgibt, das uns angeblich immer weniger zur Verfügung steht.

(Herr Borgwardt, CDU: Angeblich!)

Ich bin der Auffassung, dass das Gesundheitsziel der Senkung des Anteils an Rauchern in der Bevölkerung und der Senkung der alkoholbedingten Gesundheitsschäden auf den Bundesdurchschnitt durch eine verstärkte Zusammenarbeit beider Professionen besser angegangen werden kann.

Noch eine Randbemerkung: Auf der Website des Landesgesundheitsministeriums wird - an dieser Stelle knüpfe ich an meine Eingangsworte an - in Bezug auf den Alkoholkonsum nur von Jugendlichen gesprochen. Ich glaube, es ist an der Zeit, den Blick weiter zu führen.

(Zustimmung bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir wollen mit unserem Antrag erreichen, dass eine ressortübergreifende Arbeitsgruppe beim Ministerium für Arbeit und Soziales eingesetzt wird, die die Fäden in die Hand nehmen soll. Sie soll eine Netzwerkstelle bilden und ein Fachgespräch auf den Weg bringen, um zu schauen, was es in diesem Land schon alles gibt.

Ich bin gar nicht so negativ eingestellt. Ich sage gar nicht, dass es das nicht gibt. Ich sage aber, dass wir zu wenig davon wissen. Das können wir im Sinne von Best Practice zusammenführen und anderen zur Verfügung stellen. Das soll der Auftakt sein, ein landesweites Netzwerk zur Sucht- und Altenhilfe zu knüpfen.

Lassen Sie mich abschließend auf das eingehen, was mir sehr wichtig ist. Ich glaube, das ist der Anfang, um nachhaltig und dauerhaft eine neue Herangehensweise zu etablieren. Wir müssen uns die Curricula der Altenpflegeausbildung diesbezüglich noch einmal anschauen und überprüfen, ob das noch adäquat ist oder ob wir nachsteuern müssen.

Ich meine, dass wir nachsteuern müssen. Das können wir aber noch einmal gemeinsam diskutieren.

In diesem Sinne hoffe ich auf Zustimmung zu unserem Antrag. Dass wir den Änderungsantrag übernehmen, habe ich bereits gesagt. - Danke für das teilweise gute Zuhören.

(Zustimmung bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

Danke schön, Frau Kollegin Lüddemann. - Für die Landesregierung spricht Herr Minister Bischoff.

Herr Präsident! Sehr geehrte Abgeordnete! Der Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN beschreibt ein Problem, von dem ich der Auffassung bin, dass es richtig ist, sich damit zu beschäftigen. Das Suchtproblem ist aber ein Problem, das jedes Alter angeht.