Dieses historische Ereignis mit all seinen Folgen ist gesellschaftspolitisch wie auch individuell von einer derart dramatischen Bedeutung, dass wir eine aktuelle Debatte darüber in der Gesellschaft führen müssen, in der Gesellschaft brauchen, die über den Pflichtcharakter zyklisch wiederkehrender Gedenktage hinausgeht.
Der Bau der Berliner Mauer ließ die Menschen vor nur 50 Jahren in Schockstarre gefrieren. Plötzlich wurden nicht nur Straßen, Plätze und Häuser durch Bauwerke aus Stacheldraht und Beton geteilt, plötzlich wurden auch Familien, Freundschaften und Lieben mit brachialer Gewalt getrennt. Wo anfangs noch die Hoffnung keimte, die Führung der DDR werde die Barrieren nach einer Zeit der Entspannung vielleicht wieder abbauen, wandelte sich diese Stimmung bald in Entsetzen, Trauer und Wut.
Viele Menschen haben den Mauerbau als einen Akt der Gewalt erlebt. Für viele in der jungen DDR, die der Idee eines sozial gerechteren, eines besseren Deutschlands aufgeschlossen gegenüberstanden, stellte sich diese Idee mit dem Mauerbau schlagartig als Illusion heraus.
Für andere, die schon früh von Repressionen und politischer Verfolgung in der DDR betroffen waren, bedeutete die Mauer, dass ihnen ein letzter Ausweg genommen wurde. Die Mauer war kein Schutzwall - das wurde heute schon richtig gesagt -, wie es die DDR-Führung weiszumachen versuchte, sondern sie diente ausschließlich und allein dem Machterhalt der SED.
Zusammen mit dem Ministerium für Staatssicherheit, Schild und Schwert der Partei, und den anderen zentralen Institutionen war die Mauer ein zentrales Element des Unterdrückungsapparates der DDR.
Die Teilung Berlins und die unverfrorene und zynische Lüge des Staatsratsvorsitzenden Ulbricht, niemand habe die Absicht, eine Mauer zu errichten, stehen bis heute für die Unmenschlichkeit dieses politischen Systems und für die Engstirnigkeit und die Unmoral seiner politischen Führung.
Wolf Biermann hat einmal gesagt: „Ich kann nur lieben, was ich die Freiheit habe auch zu verlassen.“ Viele Menschen konnten ab 1961 keine Liebe mehr für ein Land empfinden, in dem sie eingemauert wurden.
Heute, 50 Jahre später, 20 Jahre nach der Wiedervereinigung Deutschlands, befinden wir uns in einer paradoxen Situation. Auf der einen Seite haben „Schlagersüßtafel“ und „Mocca Fix Gold“ wieder die Regale und Kati Witt wieder die Fernsehsender erobert. Im Radio läuft ein Programm für den Osten und im Souvenirladen gibt es TrabiModelle und Pittiplatsch. Vielleicht ist gegen ein bisschen Ostfolklore auch nichts einzuwenden.
Auf der anderen Seite aber sieht es sehr schlecht aus, was die Kenntnisse gerade jüngerer Menschen über die Geschichte der deutschen Teilung angeht. Bei Menschen, die im Jahr 1989 gerade erst geboren worden sind, sind sie überaus mangelhaft.
Doch nicht nur den fast 1 000 Toten an der innerdeutschen Grenze, die der Schießbefehl das Leben kostete, sind wir es schuldig, nicht nur die Erinnerung wach zu halten, sondern auch unsere gemeinsame Teilungsgeschichte stärker zu thematisieren.
Bei unseren Schülerinnen und Schülern müssen deshalb die Kenntnisse über die politischen Systeme, aber auch über die Lebensumstände in Ost und West stark verbessert werden, auch hier in
Sachsen-Anhalt. Wie anders sollen sie denn verstehen, was mit diesem „Früher“ gemeint ist, von dem sie ihre Eltern sprechen hören? Doch gerade im Bildungsbereich wird zu wenig Aufmerksamkeit auf die gemeinsame Geschichte der beiden deutschen Staaten verwendet. Ich finde, dass es unerträglich ist und nicht sein kann und nicht sein darf, dass einige Schülerinnen und Schüler im Geschichtsunterricht heute mit dem Thema DDR überhaupt nicht in Verbindung kommen, weil es einfach hinten herunterfällt.
Selbstverständlich ist es in den Lehrplänen enthalten, aber es wird nicht immer behandelt. Das ist ein unhaltbarer Zustand. - Herr Dorgerloh, Sie applaudieren. Ich fordere Sie auf, in Sachsen-Anhalt daran etwas zu verbessern.
Uns heute für eine umfassende Vermittlung unserer gemeinsamen Geschichte einzusetzen ist ein Auftrag, der sich auch direkt an uns in der Politik wendet. Wir müssen junge Menschen mit unserer gemeinsamen Geschichte wieder in Berührung bringen. Dabei müssen wir uns bemühen, die Sprache derer zu sprechen, die wir erreichen wollen. Es reicht nicht aus, ereignisgeschichtlich allein auf einen historischen Erkenntnisgewinn zu zielen. Vielmehr muss die Vermittlung der Vorzüge einer demokratischen Gesellschaft, aber auch die Vermittlung von Gefahren, denen sich eine Demokratie ständig ausgesetzt sieht, im Vordergrund stehen.
Der 50. Jahrestag des Mauerbaus muss für uns ein Stein des Anstoßes sein; denn uns ist es in Deutschland noch immer nicht gelungen, die Teilung unseres Landes endgültig zu überwinden. Ich würde nicht dazu tendieren, eine innere Einheit zu fordern; denn ich kann mir nicht vorstellen, dass Ost und West jemals zu den immer gleichen Bewertungen kommen werden. Das fände ich auch nicht erstrebenswert. Aber die Mauer in den Köpfen muss weg.
Noch immer bestimmt ein Gefühl der Ungleichwertigkeit und Unterschiedlichkeit öffentliche Debatten und wir müssen aufpassen, dass diese subjektiven Wahrnehmungen nicht kontinuierlich an einem Geschichtsbild bauen, das mit der Realität der DDR nicht mehr viel zu tun hat.
Im Jahr 2010 wurde der „Sozialreport“ veröffentlicht, eine Studie der „Volkssolidarität“, die zu Ergebnissen kommt, die uns alarmieren müssen. Danach fühlt sich ein Anteil von 25 % der Ostdeutschen nicht als richtige Bundesbürger. Dann frage ich mich: Als was fühlen sie sich denn dann?
Ich denke, dass Politik sich fragen lassen muss, was sie dagegen tut. Auch Sie müssen sich das fragen lassen, Herr Ministerpräsident. Zum Beispiel müssen Sie sich fragen lassen, welche Wirkungen Äußerungen wie Ihre viel zitierte Bemerkung zur unkomplizierten ostdeutschen Frau haben.
Ich meine, dass Äußerungen wie diese keinen Beitrag dazu leisten, die innere Teilung in unserem Land zu überwinden.
Ihre Regierung muss sich auch fragen lassen, wie ernst sie es mit der Aufarbeitung von DDR-Unrecht wirklich meint. Dass die Stasi-Unterlagen-Behörde seit mehr als einem Jahr kopflos dasteht, weil Ihre Regierung auf Biegen und Brechen an einem Kandidaten festhält, der überhaupt nicht mehr die Möglichkeit hat, stark in das Amt zu starten,
- Ja, Frau Budde, das ist in der Tat ein starkes Stück, was Sie da angefangen haben. - Nicht nur, dass Opfer und Opferverbände seit mehr als einem Jahr keinen verlässlichen Ansprechpartner haben; die Untätigkeit der Regierung in dieser Sache ist ein verheerendes Signal in die Gesellschaft.
Ich meine, dass wir es uns nicht leisten können, den Eindruck zu vermitteln, dass uns Aufarbeitung und Aufklärung 20 Jahre nach dem Ende der DDR nicht mehr so wichtig sind. Die Tatsache, dass die Stelle unbesetzt ist, Frau Budde, lässt diesen Eindruck entstehen.
Die Frage der endgültigen Überwindung der inneren Teilung ist nicht nur eine Debatte für gesellschaftliche Nischen. Vielmehr berührt sie alle Bereiche der Gesellschaft, übrigens auch und gerade den wirtschaftlichen Bereich. Denn mangelnde Geschichtskenntnis betrifft nicht nur den Osten, sondern in gleichem Umfang auch den Westteil unseres Landes. Eine kritische Reflektion der Rolle der BRD während der Zeit der innerdeutschen Teilung findet außerhalb wissenschaftlicher Diskurse so gut wie nicht statt. Der 50. Jahrestag des Mauer
Die Mauer hat die Dimension des tödlichen Bauwerkes verlassen. Doch die Dimension ihres Schreckens, der gesellschaftliche Realitäten in unserem Land verändert, hat sie noch längst nicht abgelegt. Wir täten sehr gut daran, der Mauer nicht das Schicksal des Vergessenwerdens zuteil werden zu lassen, das so vielen Mahnmalen und Denkmalen in unserem Land blüht. - Vielen Dank.
Herr Kollege Herbst, muss ich Ihre Äußerungen zum Thema Stasi-Beauftragter so deuten, dass Sie die Bedeutung der dritten Gewalt in der Demokratie, in dem Falle der Justiz, missachten?
(Zuruf von der CDU: Stimmt! - Frau Budde (SPD): Stimmt, es ist beim Bundesverfassungsgericht anhängig!)
Nein, die sollen Sie in keiner Weise so deuten. Ich habe vielmehr das Festhalten an dem Kandidaten auf Biegen und Brechen kritisiert. Das beinhaltet für mich auch schon den Prozess der Findung und der Auswahl des Kandidaten, an dem es meiner Meinung nach sehr viel zu kritisieren gibt und an dem jetzt sozusagen auch auf dem gerichtlichen Wege Kritik geübt wird. Dieser Prozess muss natürlich akzeptiert werden.
Aber ich sehe, dass sich Ihre Parteien in keiner Weise generell qualitativ zur vakanten Besetzung äußern. Jetzt gibt es zwar keine Möglichkeit mehr für das Parlament oder für den Ministerpräsidenten, in diesem Fall zu handeln und etwa einen Kandidaten zurückzuziehen,
aber man muss schon die Frage stellen, ob der Kandidat nicht selber weiß, was in einer solchen Situation zu tun wäre. Und Sie, Frau Budde, haben darauf sicherlich den größten Einfluss. - Vielen Dank.
Beschlüsse in der Sache werden gemäß § 46 der Geschäftsordnung nicht gefasst. Wir schließen somit das erste Thema ab.