Protokoll der Sitzung vom 07.07.2011

Beschlüsse in der Sache werden gemäß § 46 der Geschäftsordnung nicht gefasst. Wir schließen somit das erste Thema ab.

Ich rufe das zweite Thema der Aktuellen Debatte auf:

Demokratie stärken - Radikalenerlass verwerfen

Aktuelle Debatte Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Drs. 6/184

Für die Debatte wird folgende Reihenfolge vorgeschlagen: GRÜNE, CDU, DIE LINKE und SPD.

Zunächst hat für die Antragsstellerin, die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Herr Striegel das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Minister! Wer die Demokratie durch Einschränkung von Grundrechten verteidigen will, der zerstört sie. Unliebsame politische Meinungen und die Zugehörigkeit zu Institutionen, die vom Verfassungsschutz beobachtet werden, mögen für unsere Gesellschaft eine Herausforderung sein, gegebenenfalls ist ein Vortragen derselben in der Öffentlichkeit sogar strafrechtlich relevant - eine Begründung für einen Radikalenerlass sind sie nicht.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der LIN- KEN)

Mit Ihrem Vorschlag, Herr Stahlknecht, betätigen Sie sich als Abbruchunternehmer in Verfassungsfragen. Sie entkernen die Demokratie.

(Oh! bei der CDU - Beifall bei den GRÜNEN und bei der LINKEN - Lachen bei der CDU - Zuruf von der CDU: Das kann nicht wahr sein! - Weitere Zurufe von der CDU)

Dass Neonazis, ob als NPD-Mandatsträger in Kommunalparlamenten, ob als rassistische Hetzer auf der Straße, ob als Gewalttäter gegen andere Menschen, durch ihr Tun die Demokratie und ein friedliches Zusammenleben in unserem Land bedrohen, daran gibt es hoffentlich auch in diesem Hohen Hause keinen Zweifel.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der LIN- KEN)

Ebenso wenig kann es Zweifel daran geben, dass Sachsen-Anhalt ein Problem mit Neonazis hat. Im bundesweiten Vergleich verüben Neonazis in Sachsen-Anhalt die meisten Angriffe. Nach Angaben der Sicherheitsbehörden im Land SachsenAnhalt waren allein im letzten Jahr 80 Angriffe, nach Recherchen der Opferberatungsstellen sind mindestens 102 Angriffe zu verzeichnen.

Die verfassungsfeindliche NPD schrammte vor gut einem Vierteljahr nur knapp am Einzug in den Landtag vorbei. Wer mit wachen Augen durch das Land geht, wird an vielen Orten Hinweise darauf finden, wie Neonazis versuchen, vor Ort Fuß zu fassen.

Wir streiten deshalb heute nicht um das Ob, sondern um das Wie der Bekämpfung einer neonazistischen Bedrohung. Die Landesregierung, insbesondere Innenminister Holger Stahlknecht, plädiert für eine Gesinnungsprüfung, für mehr Repression, für ein NPD-Verbot, für Radikalenerlasse und für ein wenig Prävention in Form eines bisher jedenfalls noch nicht näher spezifizierten Aussteigerprogramms.

BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN halten die bestehenden Gesetze für ausreichend. Gegebenenfalls wären sie konsequenter anzuwenden. Bei der Bekämpfung von Neonazis setzen wir auf mehr, nicht auf weniger Demokratie.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der LIN- KEN)

Die Ideen des Innenministers hingegen atmen den Geist der 70er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts,

(Zustimmung von Frau Bull, DIE LINKE, und von Herrn Gallert, DIE LINKE)

als in einem Zustand gesellschaftlicher Panik mit Radikalenerlassen, Extremistenbeschlüssen, Berufsverboten und Regelüberprüfungen beim Verfassungsschutz ganze Generationen junger Menschen in ihrem politischen Engagement nicht befördert und bestärkt, sondern gehindert und eingeschüchtert wurden.

(Zustimmung bei den GRÜNEN und bei der LINKEN - Zuruf von Herrn Leimbach, CDU)

Der Demokratie wurde mit diesen Maßnahmen ein Bärendienst erwiesen.

Nach Ihrer Aussage verfolgen Sie, Herr Stahlknecht, mit Ihrem Vorstoß nicht das Ziel, zukünftig alle Bewerber für öffentliche Ämter und Berufsanfänger im öffentlichen Dienst in Regelabfragen durch den Verfassungsschutz überprüfen zu lassen. Sie zielen stattdessen - so verstehe ich Sie - auf einen Erlass, der wie in Mecklenburg-Vorpommern dazu führt, dass NPD-Politiker nicht mehr bei Bürgermeister- und Landratswahlen antreten können.

(Zuruf von Herrn Bommersbach, CDU)

Das von uns beiden geteilte Ziel, dass niemals wieder in diesem Land diejenigen, die die Demokratie abschaffen wollen, mit legalen Mitteln an die Macht gelangen können, ist ein politisches. Es darf deshalb nicht mit juristischen Winkelzügen verfolgt werden, sondern es braucht politische Aktivität und engagiertes Eintreten für die Demokratie.

Wer Nazis nicht als Bürgermeister haben will, der muss eine Gesellschaft mitgestalten, in der neonazistische, antisemitische, rassistische, homophobe und allgemein menschenfeindliche Einstellungen zurückgedrängt werden,

(Zustimmung bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

der muss Bürgerinnen und Bürger davon überzeugen, dass sich Demokratie und Mitmachen lohnen. Er darf jedoch nicht all diejenigen unter Generalverdacht stellen, die für politische Ämter zum Beispiel als Ehren- oder Wahlbeamte auf Zeit kandidieren wollen. Nicht der Verfassungsschutz, sondern die wahlberechtigten Bürgerinnen und Bürger müssen durch Stimmabgabe entscheiden, ob die Kandidatur eines Neonazis Erfolg hat.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der LIN- KEN)

Im Übrigen geben uns bereits heute die beamtenrechtlichen Regelungen ausreichend Spielraum, um straffällig gewordene Anwärter auf solche Wahl- oder Ehrenämter gar nicht erst zu ernennen.

(Herr Leimbach, CDU: Wenn sie straffällig geworden sind!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Während der Innenminister in regelmäßigen Abständen Vorschläge für mehr Repression gegen Nazis - und man wird fragen dürfen: Wirklich nur gegen Nazis? - auf den Tisch wirft, versagt die Landesregierung beim wirksamen Engagement für mehr Demokratie.

(Herr Leimbach, CDU: Das ist doch Quatsch!)

Bei dem avisierten Landesprogramm ist noch nicht einmal die Zuständigkeit zwischen den Häusern geklärt. Es steht zu befürchten, dass wir Parlamentarier den Entwurf eines solchen Programms erst zur Diskussion vorgelegt bekommen, wenn der Haushalt für die Jahre 2012/2013 schon lange Geschichte ist. Ohne eine bedarfsgerechte finanzielle Untersetzung wäre ein solches Landesprogramm aber lediglich Symbolpolitik und die braucht in der Auseinandersetzung mit Neonazis wahrlich niemand.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der LIN- KEN)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Minister, Ihr Vorschlag, einen so genannten Radikalenerlass zu schaffen, geht am Kern des Problems vorbei. Er missachtet außerdem das Parlament.

Wenn Sie bereits die Kandidatur von Neonazis zu Wahlen rechtlich verhindern wollen, dann machen Sie ein Gesetz. Schlagen Sie eine Änderung der Gemeinde- und der Landkreisordnung, der Wahlgesetze und gegebenenfalls auch des Landesbeamtengesetzes vor und bringen Sie diese durch dieses Haus.

Eine Ermächtigung des Verfassungsschutzes zum Sammeln von Informationen, die anschließend Dritten zur Verfügung gestellt werden, allein auf der Grundlage eines Erlasses wie in MecklenburgVorpommern ist für einen solchen schwerwiegenden Eingriff in demokratische Grundrechte nicht ausreichend. Ohne Maßnahmen zur Stärkung der Demokratie greift am Ende noch jede Repression zu kurz.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der LIN- KEN - Zuruf von der CDU: Mein Gott! - Herr Borgwardt, CDU: Sehr geehrter Herr Präsi- dent, ich möchte eine Frage stellen!)

Vielen Dank, Herr Striegel. Möchten Sie eine Frage des Kollegen Borgwardt beantworten?

Sehr gern.

Ich habe Ihren relativ bemerkenswerten Beitrag nicht richtig verstanden.

(Herr Hövelmann, SPD: Das ist keine Frage!)

Sie haben zum einen gesagt: Wenn die Mehrheit Neonazis wählt, dann sind sie eben gewählt.

(Zuruf von der LINKEN: Nein, das hat er nicht gesagt!)

Zum anderen haben Sie gesagt: Wenn Sie das nicht wollen, dann ändern Sie die Wahlgesetze. - Habe ich Sie richtig verstanden?

(Zuruf von den GRÜNEN: Nein!)

Ich habe auf zwei Ebenen argumentiert, um vielleicht das Verständnis zu erleichtern. Das eine ist die Ebene - -

(Lachen bei der CDU)

- Ich beantworte auch gern Verständnisfragen. Das ist kein Problem.

(Heiterkeit und Beifall bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)