Es ist richtig, bisher ungeklärte Altfälle, bei denen Anhaltspunkte für eine mögliche politisch rechte Tatmotivation bestehen, einer systematischen Prüfung zu unterziehen. Hierfür wird auf Bundes- und Landesebene sehr viel getan. Das sind wir den Opfern und ihren Angehörigen auch schuldig.
Ein erneuter Arbeitsauftrag dieses Hohen Hauses hierfür ist eigentlich nicht notwendig, da die Prüfung bereits läuft. Die von der antragstellenden Fraktion geforderte Ausweitung der Prüfung halten wir für nicht zielführend. Ich gehe nicht davon aus, dass dies im Hinblick auf den behördlichen Aufwand überhaupt leistbar ist.
Ich bin so weit. - Ich bitte Sie um Zustimmung zur Überweisung des Antrags in die Ausschüsse für Inneres und Sport sowie für Recht, Verfassung und Gleichstellung und bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Herr Kolze, Sie haben meine Fraktionskollegin Frau Quade dafür kritisiert, dass sie die Staatsanwaltschaft kritisiert hat. Dann möchte ich in diesem Zusammenhang mit dem Überfall auf den Bernburger Imbissbesitzer nur einmal sagen, dass Frau Quade nichts anderes gemacht hat als zu wiederholen, was die Richterin bereits in diesem Verfahren und zu Beginn dieses Verfahrens an Kritik - so kann man sie zweifellos bewerten - gegenüber der Staatsanwaltschaft geäußert hat, indem sie den rechtlichen Hinweis gegeben hat, warum die Staatsanwaltschaft hier nicht wegen versuchten Mordes anklagt. Das hat natürlich ausdrücklich etwas mit dem hier naheliegenden faschistischen bzw. rassistischen Tatmotiv zu tun.
Ich will noch einmal ganz klar sagen: An dieser Stelle ging es nicht darum, dass jemand aus dem rechtsextremen Spektrum irgendwas in einem Geschäft geklaut oder - was weiß ich - versucht hätte, an einem Automaten widerrechtlich Geld zu holen, sondern er hat jemanden ausländischer Herkunft mit ausländerfeindlichen Parolen beleidigt und ihn fast zu Tode geprügelt. Dort die Vermutung zu äußern, dass es sich um eine rassistisch motivierte Tat handelt, ist, denke ich, sehr naheliegend.
Darüber hinaus will ich sagen: Ich höre sehr häufig, man dürfe weder die Staatsanwaltschaft, die überhaupt keine richterliche Unabhängigkeit besitzt, die sich also sehr wohl in ihrem Verhalten der öffentlichen Auseinandersetzung auch durch Politiker aussetzen muss, noch Richter ob ihrer Unabhängigkeit oder Gerichtsurteile kritisieren. Ich merke immer nur, dass diese Forderung nur selektiv eingehalten wird.
Ich sage nur: Bei all dem, was ich an bewertenden Urteilen zum Bundesverfassungsgerichtsurteil zur Dreiprozenthürde gehört habe,
galt das auf einmal überhaupt nicht. Und bei den Äußerungen über die Aktivitäten oder Nichtaktivitäten der Staatsanwaltschaft im Fall Edathy galt das auf einmal auch nicht. Also: Wenn, dann müssten wir hier in der Argumentation schon sauber sein.
Das war eher eine Zwischenintervention. Aber die zweite Wortmeldung beinhaltet vielleicht eine Frage. - Frau Abgeordnete Quade, bitte.
Vielen Dank. - Dankenswerterweise hat mein Fraktionsvorsitzender hier noch einmal politisch deutliche Worte gefunden. Mir geht es jetzt tatsächlich um die sachliche Klarstellung. Wir haben hier wieder das Phänomen wie beim vorherigen Tagesordnungspunkt. Hören Sie mir einfach zu.
Ich habe mit Blick auf Bernburg dezidiert gesagt, dass das eigentliche Problem aus meiner Sicht mit Blick auf das Verfahren und die nicht erhobene und nicht befundene rassistische Tatmotivation durch die Staatsanwaltschaft nicht ist, dass die Täter bekannte Nazis sind. Das Problem besteht vielmehr hauptsächlich darin, dass sie rassistische Parolen gerufen haben. Das ist der Punkt.
Ich glaube, die Aussage, dass mir eine staatsanwaltschaftliche Entscheidung unverständlich ist, steht mir zu, wie sie jedem anderen Bürger und jeder anderen Bürgerin dieses Landes zusteht.
Danke schön. - Weitere Wortmeldungen gibt es nicht. Wir fahren in der Debatte fort. Zum Schluss hat noch einmal der Abgeordnete Herr Striegel das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bin Abgeordneter für den Saalekreis. Im Saalekreis haben wir seit dem Jahr 1990 drei Tote durch rechte Gewalt zu beklagen gehabt. Ich glaube, das ist neben der Stadt Magdeburg der Landkreis mit den meisten Toten durch rechte Gewalt seit dem Jahr 1990. Sie werden mir nachsehen, dass mich dieses Thema unter anderem auch deshalb seit vielen Jahren umtreibt.
Im Saalekreis ist schon im Jahr 1993 Matthias Lüders von Nazis bei einem Angriff auf eine Diskothek in Obhausen getötet worden. Er ist getötet worden, als Neonazis diese Diskothek überfielen. Hans-Werner Gärtner ist im Jahr 1999 getötet worden, weil er behindert war und weil die Täter
ihn nicht für lebenswert befanden. In Milzau ist Willi Worg auch aus einer nazistischen Gesinnung heraus getötet worden.
Diese nazistische Gesinnung ist vom Gericht gewürdigt worden. Es ist vom Gericht auch gewürdigt und vom Innenminister bestätigt worden, dass sich einer der Hauptangeklagten damals noch in der Untersuchungshaft ein Hakenkreuz hat auf den Bauch tätowieren lassen. Trotzdem sind die in den letzten beiden Fällen Getöteten in Sachsen-Anhalt noch nicht als Opfer rechter Gewalt anerkannt worden. Das ist ein Mangel. Dem müssen wir uns stellen. Ich finde, wir tun gut daran.
Dann bin ich beim aktuellen Thema, weil der Saalekreis in den letzten Tagen durchaus auch im Fokus stand, konkret meine Heimatstadt Merseburg. In Merseburg gab es in den letzten zehn Tagen drei Angriffe auf Migrantinnen oder konkret auf Migranten. Es waren nur Männer. Bei zwei Angriffen wissen wir mit Sicherheit, dass es rechte, also rassistische Angriffe waren. In einem Fall ist es noch nicht klar. Da sind die Ermittlungen noch nicht am Ende.
Wir erleben in Merseburg derzeit eine Eskalation rechter, eine Eskalation rassistischer Gewalt, die ich in dieser Form nicht für möglich gehalten hätte. Ich fühle mich in gewisser Weise und in der Verdichtung auf diese wenigen Tage und diese vielen Taten in eine Zeit zurückversetzt, die ich lange hinter mir geglaubt habe. Ich fühle mich in gewisser Weise in die Zeit von Mitte bis Ende der 90erJahre zurückversetzt. Das ist deshalb der Fall, weil Neonazis dort derart selbstbewusst und derart heftig auftreten. Ich glaube, das muss uns allen Sorge machen.
Dieses selbstbewusste Auftreten von Neonazis muss uns Sorgen machen. Wir dürfen andererseits aber auch ein Stück weit beruhigter sein als am Ende der 90er-Jahre, weil wir zumindest eine völlig andere gesellschaftliche Situation haben. Heute trifft es auf einen entschiedenen gesellschaftlichen und politischen Widerstand. Ich bin froh darüber, dass dieser Widerstand von der Antifa bis zur CDU reicht. Und das ist gut so.
Wir haben aber trotzdem die Tendenz, dass die Probleme, über die wir in Merseburg derzeit reden, von einigen politischen Akteuren, von herausgehoben handelnden politischen Akteuren am Ende unter dem Begriff „Image“ und der notwendigen Imagepflege subsumiert werden. Ich will sehr
deutlich sagen: Es geht in Merseburg, im Saalekreis, in Sachsen-Anhalt und in der Bundesrepublik Deutschland bei rassistischen Gewalttaten nicht darum, was irgendwer irgendwo von uns denkt.
Es geht um die Frage, dass Rassismus in dieser Gesellschaft ein Problem ist. Den müssen wir bekämpfen, ganz unabhängig davon, was die Meinung von irgendjemandem darüber ist.
Es geht mir nicht um das Image meiner Heimatstadt Merseburg. Ich glaube, diese Stadt hat vieles zu bieten. Es geht mir um die Frage, dass Rassismus ein ächtenswertes Verbrechen ist, dass rassistische Gewalt zurückgewiesen werden muss und wir etwas dagegen tun müssen.
Ich will auch, weil das heute hier angesprochen worden ist, das Handeln der Polizei und der Justiz in den Blick nehmen. Ich will deutlich sagen, da lohnt die Differenzierung. Herr Kollege Erben, wenn Sie mir da eine mangelnde Differenzierung vorwerfen, dann haben Sie mir erstens heute hier und zweitens auch in den vergangenen Tagen bei meinen öffentlichen Äußerungen zu diesem Thema nicht zugehört.
Von Frau Quade ist hier der Fall in Bernburg vorgetragen worden. Auch der Fall in Eisleben ist angemerkt worden. Ich könnte viele andere Fälle nennen, wie zum Beispiel den in Halberstadt. Mir fallen fast unendlich viele Fälle ein, bei denen es in den letzten Jahren aus meiner Sicht zu Recht Kritik an Polizei und Ermittlungsbehörden gab, weil manches einfach handwerklich falsch angefasst und fehlgegangen ist und manches sich auch in Ignoranz erschöpfte.
Es gab an vielen Stellen in diesem Land - und nicht nur hier, sondern in der gesamten Bundesrepublik - eine jahrelange Ignoranz gegenüber rassistischen und allgemein menschenfeindlichen Motiven bei solchen Straftaten, bei solchen Gewalttaten.
Ich bin froh, dass darüber inzwischen debattiert wird, dass wir eine andere gesellschaftliche Haltung dazu einnehmen. Ich hoffe, dass in Zukunft immer mehr Polizistinnen und Polizisten, immer mehr Staatsanwälte sowie Richterinnen und Richter hierbei sehr sensibel sind. Da sehe ich uns nicht auf dem Weg in ein Gesinnungsstrafrecht, sondern ich sehe uns auf dem Weg zu einer Gesellschaft, die aufmerksam ist für das, was Minderheiten in diesem Land passiert und passieren kann oder was von Neonazis als Minderheit wahrgenommenen Menschen in Form von rechter Gewalt angedroht wird. Hier müssen wir sensibel sein.
Ich will ausdrücklich sagen, ich habe in den letzten Tagen in Merseburg ein sehr konsequentes und ein sehr nachhaltiges Agieren durch die Polizei gegen Neonazis und gegen diejenigen erlebt, die dort Täter und Tatverdächtige sind. Das will ich sehr deutlich sagen, weil das auch einen Unterschied zu einigen früheren Jahren markiert.
Ich bin froh darüber, dass es im Fall des angegriffenen Somaliers in der letzten Woche ein konsequentes Vorgehen in dem Sinne gab, dass Hausdurchsuchungen beantragt und auch durchgeführt wurden sowie Beweismittel beschlagnahmt worden sind, wie wir der Pressemitteilung der PD Süd entnehmen konnten.
Ich bin sehr froh, dass die Polizei an diesem Mittwoch, als sich unmittelbar vor meinem Wahlkreisbüro ein Angriff auf einen Migranten ereignet hat, der vermutlich einfach zur falschen Zeit am falschen Ort war, tätig wurde. Denn es ist nicht nur nicht auszuschließen, sondern sehr wahrscheinlich, dass dieser Angriff dort der Gruppe galt, die sich in meinem Wahlkreisbüro befand. Dort hatten sich Menschen versammelt, die die morgige antirassistische Demonstration in Merseburg vorbereiteten. Darunter befanden sich unter anderem Migrantinnen und Migranten. Ich war auch dabei. Es ist davon auszugehen, dass dieser Angriff eigentlich uns galt.
Ich bin sehr froh, dass die Polizei sehr kurzfristig vor Ort war, dass sie sehr konsequent gehandelt hat, dass sie eine umfassende Nahbereichsfahndung gemacht hat, dass sie die Täter hat stellen können, dass sie auch das Messer, das benutzt worden ist, hat beschlagnahmen können und dass sie anschließend auch sehr klar kommuniziert und nicht versucht hat, dem Ganzen irgendwo auszuweichen und das als Auseinandersetzung unter Jugendlichen oder irgendetwas darzustellen, sondern von Anfang an gesagt hat, hier gab es einen rechten und neonazistischen Angriff.
Diese Deutlichkeit wünsche ich mir an allen Stellen im Land. Ich finde, dafür lohnt es sich, politisch zu streiten.
Ich hoffe, dass wir morgen in Merseburg ein deutliches Zeichen gegen Rassismus setzen können, aber nicht weil das für das Image dieser Stadt Merseburg notwendig ist. Merseburg ist eine großartige Stadt. Ich hoffe, dass wir ein deutliches Zeichen gegen Rassismus setzen können, weil das notwendig ist, weil das einer Gesellschaft wie der unsrigen gut ansteht und weil wir jeden Tag neu für eine Gesellschaft kämpfen müssen, in der Rassismus keinen Platz hat. - Herzlichen Dank.