- Natürlich. Da haben Sie Recht. Oftmals ist das der Fall. Im Unterschied zu Ihnen finde ich das nicht weiter aufregend.
Mit Blick auf den vorliegenden Antrag ist es ein Stück weit richtig; denn die Kritik meiner Fraktion an der Abschiebungshaft ist immer auch verbunden mit der Kritik am System der Abschiebung und
an den politischen Entscheidungen, die die gegenwärtige Abschiebungspraxis in der Bundesrepublik legitimiert haben.
Ja, wir wollen - das sage ich ganz deutlich -, dass in Deutschland weniger Abschiebungen stattfinden und mehr Menschen ein sicherer und dauerhafter Aufenthalt ermöglicht wird.
Mit dem heute hier zur Beratung stehenden Antrag konzentrieren wir uns allerdings auf einen sehr speziellen Bereich, auf den Bereich der Abschiebungshaft mit dem Ziel, dieses Instrument staatlichen Handelns zu überwinden.
Die Abschiebungshaft wird in § 62 des Aufenthaltsgesetzes geregelt und für Menschen angeordnet, die ausreisepflichtig sind, die keinen gültigen Aufenthaltstitel haben oder bei denen die Ausländerbehörde den Verdacht hegt, sie könnten sich der Abschiebung durch sogenanntes Untertauchen entziehen. Sie kann außerdem verhängt werden, um die Betroffenen zur Mitwirkung an der Beschaffung der für die Abschiebung notwendigen Dokumente zu bewegen.
Betroffene sind außerdem Personen, die als so genannte Dublin-II-Fälle gelten, die also hier einen Asylantrag stellen wollen, für die aber nach der Dublin-II-Verordnung ein anderes Land der Europäischen Union zuständig ist.
In Sachsen-Anhalt wird die Abschiebungshaft für Männer in der JVA Volkstedt realisiert, wo die Abschiebungshäftlinge in einem separaten Hafthaus untergebracht sind. Weibliche Abschiebungsgefangene werden im Bereich des geschlossenen Vollzuges für Frauen in der JVA Halle in Haft genommen. Im letzten Jahr waren davon nach Angaben des Innenministeriums 63 Menschen betroffen, von denen dann tatsächlich 51 abgeschoben wurden.
Die Abschiebungshaft ist für die von ihr Betroffenen eine massive Belastung. Zahlreiche Untersuchungen und Studien unterschiedlicher Institutionen und Organisationen, von Medizinerinnen und NGOs, aber auch von staatlichen und politischen Entscheidungsträgerinnen belegen dies.
Die Abschiebungshaft trifft Menschen in ganz unterschiedlichen Lebenssituationen. Sie kann das Ende eines langjährigen vorherigen Aufenthaltes in der Bundesrepublik sein. Sie kann der Beginn eines Aufenthaltes sein und somit der erste Ort, den Menschen unmittelbar nach ihrer Ankunft in der Bundesrepublik kennenlernen. Nicht selten ist es auch der einzige Ort, den diese Menschen in der Bundesrepublik sehen. Das gilt natürlich insbesondere für die Haftanstalten in den Transitbereichen der Flughäfen und die grenznahen Haftanstalten.
Die Abschiebungshaft trifft also Menschen in ganz unterschiedlichen Situationen. Spezifische Probleme ergeben sich für besondere Gruppen. Für alle gilt, dass die Abschiebungshaft eine enorme psychische Belastung ist. Sie ist nicht geeignet, um Traumatisierungen oder psychische Erkrankungen, die bei Flüchtlingen häufig vorkommen und mit dem Fluchtgeschehen und dem Dasein als Flüchtling verknüpft sind, zu erkennen und zu behandeln.
Sie erschwert den Zugang zu juristischer Beratung und sozialer Betreuung genauso wie den Kontakt zu Angehörigen, Freundinnen oder Unterstützerinnen. Sie bringt für die Betroffenen ein großes Maß an Unsicherheit und Ungewissheit mit sich und sie ist die wohl unmittelbarste und direkteste Ausübung staatlichen Zwangs mithilfe des Freiheitsentzuges.
Die Abschiebungshaft ist eine Haft zur Durchsetzung staatlichen Verwaltungshandelns, nicht zur Ahndung einer Straftat. Es ist eine Haft, ohne dass ein Verbrechen geschehen ist. Das Einzige, was diese Menschen verbrochen haben, ist, dass sie da sind.
Für Familien und Paare ist insbesondere das Problem der Familientrennung durch die Abschiebungshaft und die Umsetzung des Trennungsgebotes zwischen Männern und Frauen von besonderer Bedeutung. Nur in fünf Haftanstalten bundesweit können Familien gemeinsam untergebracht werden. In allen anderen Fällen führt die Inhaftierung zwangsläufig zur Familientrennung.
Für Frauen ergibt sich neben der Familientrennung noch eine weitere besondere Problemlage; denn die Zahl der inhaftierten Frauen ist bundesweit und seit jeher deutlich niedriger als die der Männer und insgesamt sehr gering. Dadurch kommt es nicht selten dazu, dass nur sehr wenige Frauen und in manchen Fällen auch nur eine einzige Frau als Abschiebungshäftling inhaftiert ist, was zu weitgehender Isolation führt. Die Isolation ist nahezu für alle ein Problem, die von Abschiebungshaft betroffen sind, besonders dann, wenn die Unterbringung in normalen JVA erfolgt und lediglich eine Abteilung für den Vollzug der Abschiebungshaft freigemacht wird.
Auch die Inhaftierung von Minderjährigen ist möglich. Es war eben auch die Bundesrepublik, die bei den Verhandlungen mit der Europäischen Kommission über ein angedachtes Verbot der Inhaftierung Minderjähriger zwingend an eben dieser Möglichkeit festhalten wollte. Weder verfassungsrechtliche Zweifel noch eindeutige Urteile des BGH noch die schlichte Anerkenntnis, dass eine Inhaftierung, wie auch die Abschiebung, in keinem Fall im Interesse des Kindeswohls sein kann,
Mittlerweile haben sich die Europäischen Staaten sogar auf eine sogenannte Aufnahmerichtlinie geeinigt, die von den Hardlinern europäischer Abschottungspolitik dominiert wurde und die die Inhaftierung Asylsuchender und Geflüchteter prinzipiell, aber eben auch die von Kindern erleichtert.
Für Transgender in Abschiebungshaft stellt sich dasselbe Problem wie für Transgender in Strafhaft. Sie kommen schlichtweg nicht vor. Sie werden schlichtweg nicht mitbedacht und ihre Probleme werden überhaupt nicht wahrgenommen.
Für jene, die als Papierlose hier ankommen und deswegen inhaftiert werden, eigentlich aber einen Asylantrag stellen wollen, erschwert die Haft genau dieses legitime Vorhaben. Seit dem Jahr 2007 ist es möglich, Asylsuchende in Haft zu nehmen.
Bundesweit ist zu beobachten, dass es sich bei immer mehr Abschiebungshäftlingen um Asylsuchende handelt. Das erschwert die Führung eines fairen Asylverfahrens, mit welchem Ausgang auch immer. Es macht die Kontaktaufnahme zu Beratungsstellen und Unterstützerinnen schwieriger. Es erschwert die Umsetzung des Anspruches auf rechtliches Gehör. Vor allem aber macht es den Betroffenen enorm schwer, sich überhaupt zu orientieren und zu prüfen, welches ihre Optionen sind.
Bei einem Asylverfahren von einem Verfahren auf Augenhöhe zu sprechen, ist, glaube ich, illusorisch. Aber es liegt doch auf der Hand, dass dies aus der Abschiebungshaft erst recht nicht der Fall sein kann. - So weit vielleicht zu den spezifischen Problemlagen bei besonderen Gruppen von Inhaftierten und zu den besonderen Lebenssituationen.
Doch auch abstrahiert und auf die Abschiebungshaft insgesamt bezogen steht für meine Fraktion Folgendes fest: Mit Blick auf die Verfassungsgrundsätze der unteilbaren Menschenwürde, Verhältnismäßigkeit und Rechtsstaatlichkeit, an die jegliches staatliches Handeln gebunden ist, ist die Abschiebungshaft ein unverhältnismäßiges, nicht menschenwürdiges und nicht angemessenes Instrument, das wir überwinden wollen.
Ich will den europäischen Ausschuss zur Verhütung von Folter zitieren, der die Inhaftierung von Asylsuchenden in JVA nachdrücklich kritisiert und es als einen grundsätzlich fehlerhaften Ansatz bezeichnet, Abschiebegefangene in Justizvollzugsanstalten zu inhaftieren, wohlgemerkt auch dann, wenn die eigentlichen Haftbedingungen der betroffenen Personen in bestimmten untersuchten Hafteinrichtungen angemessen waren. Das CPT hat wiederholt betont, dass eine Justizvollzugsanstalt per definitionem kein angemessener Ort ist, um
eine Person zu inhaftieren, die weder einer Straftat verdächtig ist noch wegen einer Straftat verurteilt wurde.
Meine Damen und Herren! Mir würden die eben genannten Gründe an sich schon reichen. Es kommen aber zu den humanitären Gründen und unserer Verpflichtung zu prüfen, ob mildere Mittel möglich sind, noch konkrete juristische und im Übrigen auch finanzielle Gründe hinzu.
Zunächst zur rechtlichen Problemlage. Der BGH geht davon aus, dass es zweifelhaft ist, ob der Vollzug der Abschiebungshaft in deutschen JVA, in denen normaler Strafvollzug erfolgt, zulässig ist. Denn diese Praxis verstößt mutmaßlich gegen die Rückführungsrichtlinie der EU. Genau diese Frage liegt dem Europäischen Gerichtshof auf Antrag des BGH zur Klärung vor.
Der BGH geht davon aus, dass angesichts dieser aus seiner Sicht zweifelhaften Rechtslage der Vollzug der Abschiebungshaft auszusetzen ist. Es gibt mehrere Urteile, die dieser Rechtsauffassung gefolgt sind und die unmittelbare Haftentlassung zur Folge hatten.
Nun wissen wir aus der Antwort auf meine Kleine Anfrage zu diesem Thema, dass der Innenminister des Landes diese Rechtsauffassung nicht teilt und davon ausgeht, dass die Umsetzung im Land Sachsen-Anhalt EU-rechtskonform ist. Wir haben hier einen klaren Dissens.
Meine Fraktion - das habe ich dargelegt - ist nicht nur in der Frage der Rechtsauffassung beim BGH; wir sehen vor allem die, wie wir finden, unverhältnismäßigen Nachteile, die die Abschiebungshaft für die Betroffenen mit sich bringt. Wir finden, es stünde dem Land tatsächlich sehr gut zu Gesicht, hierbei einen anderen Weg zu gehen und auf den Freiheitsentzug zur Durchsetzung einer Verwaltungshandlung zu verzichten
Ich will noch auf einen weiteren Aspekt eingehen, der in unseren Augen mindestens für die Prüfung des Instruments Abschiebungshaft spricht. Denn auch wenn Sie weder die Argumente, die ich in Bezug auf die Rechtsstaatlichkeit nannte, noch die Argumente in Bezug auf die Nachteile für die besonderen Gruppen noch - davon gehe ich ebenfalls aus - unsere prinzipielle Kritik an der Abschiebepolitik der Bundesrepublik teilen: Angesichts der permanent sinkenden Zahlen der zur Abschiebung Inhaftierten stellt sich nun auch die Frage der Notwendigkeit des Instruments und des dafür zu erbringenden finanziellen Aufwands.
Im Jahr 2013 - ich erwähnte es eingangs - waren es 51 Menschen, die aus der Abschiebungshaft heraus abgeschoben worden sind. Das sind nicht
viele Menschen. Ich bin mir sicher, wenn die Landesregierung es wollte, wäre sie in der Lage, eine andere Lösung zu finden, auch wenn sie am grundsätzlichen Ziel der Abschiebung - das ist angesichts der politischen Mehrheitsverhältnisse klar - festhalten will. Es gibt da durchaus Beispiele, angefangen bei der simplen behördlichen Meldeauflage.
Die Frage nach den Alternativen zur Abschiebungshaft ist jedoch nicht nur eine Frage des politischen Willens, sie ist auch rechtlich geboten. Denn unsere Verfassung wie auch die europäische Rückführungsrichtlinie erlauben die Abschiebungshaft erst dann, wenn im konkreten Einzelfall keine andere Maßnahme wirksam umgesetzt werden kann, um das Ziel der Abschiebung zu erreichen.
Das verpflichtet uns auch, jede Möglichkeit zu nutzen, um Abschiebungshaft zu vermeiden, und mildere Mittel zu prüfen und zur Verfügung zu halten, zumal der Grund für die Inhaftierung oftmals die bloße Vermutung oder der Verdacht ist, die Betroffenen würde sich einer Abschiebung entziehen und die Behörden könnten ihrer nicht mehr habhaft werden, weil sie untertauchen würden.
Die Frage, wo hierbei eigentlich die Unschuldsvermutung bleibt, nur aufgerufen, will ich zu dem prinzipiellen Problem des sogenannten Abtauchens - und um zumindest einmal hier im Parlament die Perspektive derjenigen, die dies tun, aufzumachen - den Jesuit Refugee Service zitieren. Dieser ging im Jahr 2012 mit einer Studie der Frage nach möglichen Alternativen und ihrer Erprobung im europäischen Bereich nach. Zusammenfassend stellt der JRS mit Blick auf das sogenannte Abtauchen fest - ich zitiere -:
„Die Entscheidung zum Abtauchen ist nicht böse Absicht. Sie scheint mit zum persönlichen Überlebenskampf zu gehören. Diese Strategie verfolgt man, wenn man glaubt, dass der augenblickliche Weg, sich den Bedingungen der Einwanderungsbehörde zu fügen, mehr Schaden als Nutzen bringt. Dahinter verbirgt sich die Angst - Angst, abgeschoben zu werden, Angst, mittellos auf der Straße zu landen, Angst, nicht für die Familie sorgen zu können, Angst, kein Geld zurücklegen zu können, Angst vor einer Trennung von der Familie und Angst vor dem Verlust der persönlichen Würde.“
Ich finde, es ist enorm wichtig, diese Perspektive aufzurufen, selbst wenn man an der Abschiebung festhalten will. Denn das verweist auf die Frage, wie wir mit diesen Menschen umgehen, auch wenn sie nur vorübergehend und nach dem politischen Willen der Mehrheit nicht hierbleiben dürfen. Auch sie - angesichts ihrer verletzlichen Lebenssituation gerade sie - haben Rechte; und der Staat hat ihnen gegenüber Pflichten.
Wenn es darum geht sicherzustellen, dass die Betroffenen den Kontakt zu den Behörden halten, nennt der Jesuit Refugee Service folgende Faktoren, die darauf maßgeblichen Einfluss haben:
Abdeckung elementarer Grundbedürfnisse; umfassende Betreuung in sozialer, rechtlicher und medizinischer Hinsicht; regelmäßige und aktuelle Informationen zum möglichen Asyl- und aufenthaltsrechtlichen Verfahren; qualifizierter Rechtsbeistand; Offenheit gegenüber jedem denkbaren Verfahrensausgang und frühzeitig einsetzende Unterstützung.
All diese Faktoren lassen sich bedeutend besser ohne die Abschiebungshaft erreichen und würden nicht nur denjenigen, die abgeschoben werden sollen, bessere Bedingungen für die Dauer ihres Aufenthaltes in der Bundesrepublik sichern. Es wäre nach unserer Überzeugung auch im Interesse der Verfassung und des Europarechtes. - Vielen Dank.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Wenn in einem Asylverfahren oder in einem ausländerrechtlichen Verfahren, sehr verehrte Frau Quade, bestandskräftig festgestellt wird, dass ein Bleiberecht nicht besteht, muss das regelmäßig zur Konsequenz haben, dass der Betroffene seiner hieraus resultierenden gesetzlichen Pflicht zur Ausreise auch tatsächlich nachkommt.