hier tatsächlich zu einer konsistenten Argumentation bezüglich des vorliegenden Antrages zu kommen. Aber gut, daran muss man sich vielleicht gewöhnen.
Zu den Begrifflichkeiten des „Flüchtlings“ und der „Flucht“ hat Kollege Herbst dankeswerterweise bereits ausgeführt. Ich will das nicht wiederholen. Auch ich meinte in der Tat nicht den Flüchtlingsbegriff, den wir meinen anwenden zu können und nach dem wir meinen Menschen klassifizieren und einstufen zu können. Ich meinte tatsächlich „Flucht“ und „Flüchtling“ mit Blick auf das, was Menschen erlebt haben. Es ist tatsächlich so: Nicht jeder, der eine Fluchtgeschichte hat, wird hier als Flüchtling anerkannt. Das ist so.
Ich freue mich, dass der Antrag in den Innenausschuss überwiesen wird. Das wird mit Sicherheit eine spannende Debatte.
Ich will abschließend noch ein Wort zu der Frage der Glaubwürdigkeit sagen. Der Minister sagte: Die Glaubwürdigkeit der deutschen Asylpolitik hängt an der Durchsetzung der Abschiebung. Ich will dem entgegenhalten: Meiner Meinung nach und nach Meinung meiner Fraktion hängt die Glaubwürdigkeit der Willkommenskultur eines Ministers eben auch daran, wie man mit Menschen umgeht, die nicht hierbleiben sollen. - Herzlichen Dank.
Danke sehr, Frau Quade. - Damit ist die Debatte beendet und wir treten in das Abstimmungsverfahren zu dem Antrag in der Drs. 6/2808 ein.
Aus den Reihen der Koalitionsfraktionen ist die Überweisung des Antrages in den Innenausschuss beantragt worden. Deshalb gehe ich davon aus, dass wir darüber abstimmen können. Wer den Antrag in der Drs. 6/2808 in den Innenausschuss überweisen will, den bitte ich um das Kartenzeichen. - Das ist das gesamte Haus. Es ist so beschlossen worden. Die Überweisung in einen zusätzlichen Ausschuss wurde nicht beantragt. Wir verlassen den Tagesordnungspunkt 15.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Eine neonazistische Ideologie ist ohne Gewalt nicht denkbar. Wer Menschen aufgrund ihrer Hautfarbe, ihrer sexuellen Identität, ihres Glaubens, ihrer politischen Einstellung oder anderer Eigenschaften nicht nur unterscheidet, sondern ihnen das Recht auf Leben, das Existenzrecht abspricht, für den ist Gewalt gegen Menschen mit Behinderungen, gegen Flüchtlinge, gegen Jüdinnen und Juden, gegen politische Gegner oder alternative Jugendliche notwendiger Bestandteil der eigenen politischen Aktivitäten. In einem Lied der Rechtsrockband „Frontalkraft“ heißt es - ich zitiere -:
„Schwarz ist die Nacht, in der wir euch kriegen, weiß sind die Männer, die für Deutschland siegen, rot ist das Blut auf dem Asphalt“.
Die Zeilen sind politisch symbolisch aufgeladen; sie machen gar nicht erst den Versuch, irgendetwas zu verschleiern oder zu beschönigen. Sie sind ebenso wenig hohle Drohung wie diejenigen der als kriminelle Vereinigung verbotenen Band „Landser“, die sangen:
„Gewalt, Gewalt - die nackte Gewalt. Was anders ist, wird umgeknallt. Emanzenscheiße - alles Mist, Türken raus - ich bin Sexist.“
In den vergangenen gut zwei Jahrzehnten haben Neonazis in der Bundesrepublik Deutschland - je nach Zählweise - mindestens 152 bis 180 Menschen zu Tode geprügelt, getreten, erstochen oder auf andere Weise aus dem Leben gebracht. Hunderte, ja Tausende Menschen wurden von Neonazis verprügelt, getreten, durch Sprengstoffanschläge und anderes verletzt und erlitten Schäden an Leib und Seele.
Ermittlungsbehörden und offizielle Stellen wollten von dieser Gewalt über Jahre oft nichts wissen. Neonazis als Täter, rassistische Tatmotive, obdachlosen- oder behindertenfeindliche Hetze vor oder während der Tat spielten bei den Ermittlungen, Anklagen oder der Strafzumessung häufig keine oder nur eine geringe Rolle.
Wenn die Täter nicht gerade während der Tat öffentlich den Hitler-Gruß zeigten, fiel ihre tatbegründende neonazistische Ideologie häufig unter den Tisch. Ich zitiere:
„folgen lokal wie bundesweit demselben Prinzip. Der Tod eines Menschen ist offiziell nur dann eine Folge politisch motivierter Gewalt, wenn es die politische Großwetterlage erzwingt.“
Es ist insoweit nur konsequent, dass von offiziellen Stellen in der Bundesrepublik Deutschland heute nur 69 Todesopfer rechter Gewalt seit dem Jahr 1990 gezählt werden. Die tödliche Dimension rechter und insbesondere rassistischer Gewalt wird seit Jahren unterschätzt und gefährlich verharmlost.
Erstmals aufgeschreckt wurde die Republik, als im Jahr 2000 der Journalist Frank Jansen und die Journalistin Heike Kleffner für den „Tagesspiegel“ und „Die Zeit“ eine Recherche vorlegten und eine deutlich höhere Zahl der seit 1990 durch Neonazis und aufgrund rechter Motive Getöteten angaben als offizielle Stellen.
Mit der Selbstaufdeckung des NSU im November 2011 gewann die Debatte über das wahre Ausmaß rechter Gewalt an Fahrt. Wenn es vorstellbar war, dass eine rechtsterroristische Mordserie, die zum Tod von zehn Menschen geführt hatte, über Jahre unerkannt bleiben konnte, ist es dann nicht auch wahrscheinlich, dass viele andere rechte Morde und Tötungsdelikte nicht erfasst worden sind?
Seit dieser Zeit laufen im Bund und in den Ländern in unterschiedlicher Intensität und Qualität Untersuchungen und Überprüfungen alter, zum Teil unaufgeklärter Tötungsdelikte auf eine rechte Tatmotivation hin.
Mai 2012 die Zahl der offiziell anerkannten Toten von vier auf nunmehr sieben erhöht, nachdem zivilgesellschaftliche Initiativen über Jahre auf eine Neueinschätzung gedrängt hatten.
In sechs weiteren Fällen sah die Landesregierung jedoch keine hinreichenden Hinweise auf eine rechte Tat oder hielt diese für nicht bewertbar, obwohl Opfer-Initiativen und Journalisten insgesamt mindestens 13 Fälle als rechte Tötungsdelikte einstuften.
Das Land Brandenburg lässt die Zahl möglicher Todesopfer rechter Gewalt seit dem Jahr 1990 in dem Bundesland inzwischen sogar wissenschaftlich untersuchen. Die Forschungsarbeit des Moses-Mendelssohn-Zentrums der Universität Potsdam, das die Überprüfung vornimmt, zieht die Verantwortung für die Prüfung aus dem Regierungsapparat heraus und garantiert so erstens Unabhängigkeit und zweitens auch die Einbeziehung aller Akteure von der Opferperspektive über die Staatsanwaltschaft und die Gerichte bis hin zum LKA. Hier könnte das Land Sachsen-Anhalt nachziehen.
Bund und Länder haben sich zudem im Rahmen der Arbeit des gemeinsamen Extremismus- und Terrorabwehrzentrums darauf verständigt, eine Überprüfung ungeklärter Tötungsdelikte auf möglicherweise politisch rechtsmotivierte Hintergründe vorzunehmen. Diese Überprüfung läuft.
Das Land Sachsen-Anhalt hat in den vergangenen Monaten nach Angabe der Landesregierung 28 ungeklärte Mord- und Totschlagsdelikte nach Berlin gemeldet, bei denen aufgrund eines Kriterienkatalogs nicht auszuschließen ist, dass es sich um rechte Tötungsdelikte handelt. Zudem sind die 13 Fälle der sogenannten Jansen-Liste aus SachsenAnhalt übermittelt worden.
Die nunmehr zwischen Bund und Ländern laufende Überprüfung ist richtig, sie ist aber insgesamt intransparent und sie greift zu kurz. So werden derzeit mit Ausnahme der sogenannten JansenListe nur ungeklärte Tötungsdelikte und lediglich Fälle von Mord und Totschlag betrachtet.
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sprechen sich in einer Initiative der drei mitteldeutschen Bundesländer Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen dafür aus, diese Überprüfung auszuweiten. Der von uns vorgelegte Antrag fordert konkret, die Fallüberprüfung auf schwere Straftaten auszudehnen, sodass beispielsweise auch Fälle von Körperverletzung mit Todesfolge von einer Überprüfung erfasst wären, ebenso Delikte, die wir im Kontext des NSU als Handlungsoptionen für rechte Gewalttäter kennengelernt haben, wie Sprengstoffanschläge, Bankraube etc.
genen zwei Jahrzehnte endlich ehrlich einschätzen müssen. Sie ist zudem notwendig, weil sie den individuellen Opfern Gerechtigkeit angedeihen lässt; sie bleibt notwendig, weil von ihr eine klare Botschaft auch an die Gesellschaft ausgeht. Heike Kleffner hat unlängst in einem Interview Folgendes gesagt:
„Rechte und rassistische Täter zielen mit ihren Angriffen nicht allein auf das spezifische Opfer, das sie zu Tode schlagen, zu Tode treten, erstechen, ertränken und zu Tode misshandeln. Ihnen geht es auch immer um die Botschaft an alle Angehörigen der jeweiligen Minderheit, der sie das Opfer zuordnen.“
Als Gesellschaft müssen wir den Tätern die Botschaft senden, dass wir ihren Rassismus, ihre Menschenverachtung zurückweisen und dass wir ihre barbarischen Akte gegenüber den von ihnen als Minderheiten wahrgenommenen Personengruppen als Bedrohung für uns und für die gesamte Gesellschaft begreifen.
Wenn wir den in einer Tat liegenden Rassismus leugnen, rechte Gewalt als „Kneipenschlägereien“, „Raufhändel“, „Volksfestauseinandersetzungen“ oder „Streit unter Jugendlichen“ entpolitisieren, dann leisten wir rechter Gewalt Vorschub. Wir entmutigen damit die Opfer und wir entsolidarisieren uns mit den Betroffenen; das ermutigt die Täter.
Wir müssen uns in Sachen rechter Gewalt und Rassismus in unserer Gesellschaft endlich ehrlich machen, und zwar sowohl mit Blick auf die Vergangenheit als auch mit Blick auf derzeit laufende und zukünftige Ermittlungen.
Die Antirassismus-Kommission des Europarates hat zeitlich nach der Vorlage unseres Antrages ihren Bericht zum Umgang mit Rassismus und rassistischer Kriminalität in der Bundesrepublik Deutschland vorgelegt. Sie bestätigt dort das, was auch wir Grüne einschätzen: Viel zu oft wird der Blick nur auf Taten organisierter Neonazis gelenkt, viel zu wenig kommen unorganisierte Täter in den Blick, die aus allgemein rassistischen und anderen menschenfeindlichen Motiven handeln.
Die rassistischen Motive von Straftaten werden von den Behörden viel zu rasch ausgeschlossen. Die Kommission wendet sich auch dem gesellschaftlichen Raum zu, in dem rassistische Gewalt entsteht, und sie benennt klar die Verantwortung gesellschaftlicher Eliten für die Entstehung rassistischer Stimmungen, wenn sie auf den Verlauf von Debatten über Zuwanderung, beispielsweise von
Sinti und Roma, oder die plumpen rassistischen Äußerungen eines Thilo Sarrazin, die „den eugenischen Theorien der Nationalsozialisten sehr nahe kommen“, verweist.
Die Kommission fordert Deutschland zu umfassenden Reformen bei der Erfassung und der Bekämpfung rassistischer Gewalt auf. Auch nach der Einschätzung der Kommission spiegeln die offiziellen Statistiken derzeit nicht das wahre Ausmaß von zum Beispiel fremden- oder schwulenfeindlicher Gewalt in der Bundesrepublik wider. Im Bereich der Statistik sowie bei der Ausgestaltung des Strafrechts, konkret im Bereich der sogenannten Hatecrimes und des Volksverhetzungsparagrafen, sehen die Kommissionäre dringenden gesetzgeberischen Handlungsbedarf. Auch an dieser Stelle sollten wir schauen, dass wir zu Lösungen kommen.
Meine Damen und Herren! Ich teile die Einschätzung der Kommission und ich hoffe, dass die Landesregierung unter Ministerpräsident Haseloff, der unlängst die Arbeit der Polizei und der Ermittlungsbehörden im Kontext rassistischer Gewalttaten in Sachsen-Anhalt deutlich kritisiert hat, Aktivitäten zur Umsetzung der Empfehlungen der ECRI-Kommission entfaltet.
Der Fraktion DIE LINKE danke ich, dass sie einen Änderungsantrag vorgelegt hat, den wir unterstützen und auch übernehmen würden.
Rechte Gewalt und ihre Todesopfer als solche anzuerkennen heißt auch, sich mit ihren Entstehungsbedingungen und Wirkungsweisen sowie mit ihren gesellschaftlichen Voraussetzungen und mit ihren Folgen auseinanderzusetzen.