Protokoll der Sitzung vom 27.03.2014

Meine Damen und Herren! Wir brauchen einen Paradigmenwechsel in der Einwanderungs- und Integrationspolitik. Das habe ich an dieser Stelle schon mehrfach gefordert.

Wir müssen die Biografien und Potenziale von Menschen mit Migrationsgeschichte nicht nur tolerieren, sondern wir müssen sie anerkennen, wertschätzen und ihnen ermöglichen, ihren Platz in der Gesellschaft zu finden und ihre Zukunft in Deutschland erfolgreich zu gestalten.

Insbesondere das deutsche Staatsangehörigkeitsrecht ist im Moment überhaupt nicht geeignet, diesen Herausforderungen gerecht zu werden.

(Zustimmung von Herrn Striegel, GRÜNE)

Es ist unzulänglich, unzeitgemäß und auch ungerecht. Seit vielen Jahren stellt insbesondere die sogenannte Optionspflicht, die eher ein Optionszwang ist, eine schwere integrationspolitische Hürde dar.

Seit der Reform des Staatsangehörigkeitsrechts im Jahr 2000 erhalten in Deutschland geborene Kinder von Ausländern mit unbefristeter Aufenthaltserlaubnis neben der Staatsangehörigkeit der Eltern automatisch auch die deutsche Staatsangehörigkeit. - So weit, so gut.

Aber nach diesem Optionsmodell müssen sich die jungen Menschen im Alter zwischen 18 und 23 Jahren für den deutschen oder den ausländischen Pass entscheiden. Ich frage mich: Was ist denn das eigentlich für eine Option?

Dieser Entscheidungszwang stellt die jungen Menschen vor eine Wahl, deren Konsequenzen sie in diesem Alter überhaupt nicht erfassen können. Die Entscheidung fällt in eine Lebensphase, in der die Menschen mit der Ausbildung oder mit der beruflichen Orientierung beschäftigt sind.

Statt sich auf diese wichtigen Aufgaben konzentrieren zu können, werden sie plötzlich mit der Aufgabe konfrontiert, ihre Identifikation mit der einen oder anderen Nationalität gegeneinander abzuwägen und dann auch noch eine folgenreiche und richtige, wenn man das überhaupt so sagen kann, Entscheidung zu treffen. Ich meine, das ist völlig lebensfremd, meine Damen und Herren.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Es fällt nicht schwer, sich vorzustellen, dass diese Entscheidung schwere Konflikte mit sich selbst und mit den Angehörigen und Freunden hervorrufen kann und letztlich auch einen biografischen Bruch darstellt, der schwer zu verarbeiten ist.

Meine Damen und Herren! Die Optionszwangregelung ist integrationspolitischer Unsinn. Sie ist ein politischer Kompromiss, der nie tragfähig gewesen ist, sondern der von Beginn an den kleinsten gangbaren Schritt darstellte.

Dieser Kompromiss ist das Ergebnis der leider gescheiterten Bemühungen der rot-grünen Bundesregierung, eine dauerhafte doppelte Staatsbürgerschaft zu ermöglichen, was damals an der schwarz-gelb dominierten Bundesratsmehrheit gescheitert ist. Dabei kam dieser eigenartige und lebensfremde Kompromiss heraus.

So unzureichend diese Regelung vor 14 Jahren gewesen ist, so verheerend, meine Damen und Herren, ist sie heute. 385 000 Optionskinder gibt es aktuell in Deutschland. Sie alle werden im schlimmsten Fall dazu gezwungen sein, ihre deutsche Staatsbürgerschaft, die sie schon haben, wieder abzugeben - nachdem sie ihr Leben lang nichts anderes getan haben, als mit einem deutschen Pass in Deutschland zu leben. Das ist eigentlich ein unvorstellbarer Vorgang, der übrigens auch weltweit seinesgleichen sucht.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Eine Regelung wie den Optionszwang gibt es ausschließlich in Deutschland. Während andere Länder ihre Bürgerinnen und Bürger mit allen Mitteln vor dem Verlust der Staatsangehörigkeit schützen, stellen wir sie auf der Grundlage eines ziemlich dilettantischen Kompromisses einfach zur Disposition.

Verantwortung für die Bürgerinnen und Bürger sieht anders aus. Deswegen muss damit Schluss sein, meine Damen und Herren.

(Zustimmung bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

Ein Ende dieser unbegründbaren Regelung fordern seit Jahren neben den Betroffenen natürlich auch die Fachverbände, die Kirchen und alle relevanten Parteien mit Ausnahme der CDU und der CSU. Rationale Gründe dafür kenne ich nicht. Vielleicht machen Sie, Herr Kolze, uns nachher schlauer. Aber ich glaube, viel werden wir dabei heute nicht lernen.

Fakt ist doch, meine Damen und Herren - das müssen wir doch zur Kenntnis nehmen -, dass sich unsere Gesellschaft gewandelt hat. Wir brauchen ein modernes und gerechtes Staatsangehörigkeitsrecht aus vielerlei Gründen.

Ich denke, letztlich werden auch Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU, sich diesen

Gründen, diesen Entwicklungen in unserer Gesellschaft und auch diesen Wünschen unserer Bürgerinnen und Bürger, die heute eine veränderte Lebensführung mit mehr Mobilität, mehr Kommunikation und mehr Flexibilität aufweisen, nicht verschließen können.

Die Frage ist nur, wie lange Sie diesen Prozess noch hinauszögern wollen und wie viele Menschen solange noch darunter leiden müssen, meine Damen und Herren.

Fakt ist aber - das gehört leider zur Wahrheit dazu -, auch die SPD bewegt sich hinsichtlich des Doppelpasses und des Optionszwanges leider auf recht dünnem Eis, was die Erfüllung ihrer Wahlversprechen angeht.

Der Koalitionsvertrag ist in diesen Punkten leider eine Enttäuschung geblieben für all jene, die einen echten Schritt nach vorn erwartet haben. Deswegen hat dieses Vertragswerk in dieser Hinsicht auch viel Kritik bekommen. Im Koalitionsvertrag heißt es - ich zitiere -:

„Für in Deutschland geborene und aufgewachsene Kinder ausländischer Eltern entfällt in Zukunft der Optionszwang und die Mehrstaatigkeit wird akzeptiert. Im Übrigen bleibt es beim geltenden Staatsangehörigkeitsrecht.“

Diese Eingrenzung auf in Deutschland geborene und aufgewachsene Kinder sowie die Formulierung „in Zukunft“ spaltet migrantische Communities in Deutschland und hat für viel Enttäuschung und für Verunsicherung unter den Betroffenen gesorgt.

Daran ändert auch nichts, dass es heute - wie es über die Ticker geht - in Berlin zwischen den Koalitionsspitzen eine Einigung dahingehend gegeben hat, was mit dieser Bezeichnung „in Deutschland aufgewachsen“ eigentlich gemeint ist. Nämlich dass die jungen Menschen bei Vollendung des 21. Lebensjahres acht Jahre in Deutschland gelebt haben müssen.

Aber auch das ändert an dem grundsätzlichen Problem nichts, dass der Optionszwang nicht vollständig abgeschafft werden soll. Es spaltet, wie gesagt, die migrantischen Communities, weil es sie gewissermaßen in mehrere Gruppierungen und Klassen einteilt.

Ich frage mich: Was passiert denn eigentlich mit denen, die dieses Kriterium mit den acht Jahren bei Vollendung des 21. Lebensjahres nicht erfüllen, also mit denen, die das „Pech“ hatten, erst mit 13 Jahren zu ihren Eltern nach Deutschland zu kommen? Sie sind davon ausgeschlossen.

Was wir nicht brauchen, ist ein erneuter Stichtag und mehr Bürokratie, wir brauchen eine grundsätzliche Einigung.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Ein Blick in das als Regierungsprogramm bezeichnete Wahlprogramm der SPD von 2013 lässt dann auch leicht den Grund dieses Unmutes erkennen. Heißt es doch hierin auf Seite 59 - ich darf noch einmal zitieren -:

„Die Optionspflicht, die junge Menschen mit der Volljährigkeit zwingt, sich für eine Staatsangehörigkeit zu entscheiden, werden wir abschaffen und insgesamt die doppelte Staatsbürgerschaft von Bürgerinnen und Bürgern akzeptieren. Die Optionspflicht ist ein integrationspolitischer Missgriff und ein bürokratisches Monstrum.“

Von einer Eingrenzung oder irgendwelchen Unterkriterien ist hierbei nicht die Rede. Die künftige Aufsplittung in mehrere Gruppen wird das bürokratische Monstrum, das Sie zu Recht bedauern, nur noch weiter aufblähen, meine Damen und Herren.

(Zustimmung von Frau Frederking, GRÜNE)

Außerdem ist unklar, wann die entsprechende Regelung aus dem Koalitionsvertrag umgesetzt wird. Schon jetzt wissen wir, sie wird uns bei einer modernen Integrationspolitik sicherlich nicht weiterbringen. Es ist zu befürchten, dass sie sogar das Gegenteil bewirken wird.

Sicherlich wüssten die von mir schon erwähnten fast 400 000 Optionskinder, die auf diese Entscheidung zulaufen, gern von Ihnen, wie Sie Ihre Ziele aus dem Wahlprogramm in die Realität umzusetzen gedenken.

Es ist noch offen, wann die Koalition den Optionszwang gemäß dem Koalitionsvertrag abschaffen wird. Das kann Jahre dauern. Wir wissen, wie lange solche Gesetzgebungsverfahren dauern können.

Völlig unklar ist darüber hinaus, was mit den jungen Menschen geschieht, die sich in den letzten Jahren für eine Staatsbürgerschaft entscheiden mussten und wie der Übergang bis zur Änderung des Staatsangehörigkeitsrechts für diese Gruppe geregelt wird.

Meine Damen und Herren! Wir treten mit unserem Antrag erstens für eine vollständige Abschaffung des Optionszwangs ein. Dafür soll sich SachsenAnhalt der laufenden Bundesratsinitiative der Länder Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein und Baden-Württemberg anschließen, die dessen Aufhebung zum Ziel hat und die vor 14 Tagen im Bundesrat in die Ausschussberatungen gegangen ist.

Zweitens soll die Landesregierung eine Übergangsregelung schaffen, die dafür sorgt, dass Menschen nicht von negativen Rechtsfolgen, sprich vom Verlust der deutschen Staatsbürgerschaft, heimgesucht werden, bis der Optionszwang abgeschafft ist.

Das ist ein Verfahren, das mehrere Bundesländer bereits implementiert haben. Hamburg, NordrheinWestfalen, Bremen und Niedersachsen machen das auf dem Wege einer Verwaltungsvorschrift. Wir sollten es ihnen gleichtun.

Weil der Optionszwang schon zum Zeitpunkt seiner Einführung genauso unsinnig war wie heute, soll sich die Landesregierung bei der Reform des Staatsangehörigkeitsrechts drittens dafür einsetzen, dass diejenigen, die auf der Grundlage des Optionszwangs seit dem Jahr 2000, also seit seiner Einführung, den deutschen Pass verloren haben, die Möglichkeit zur Wiedereinbürgerung erhalten.

Meine Damen und Herren! Wir als Fraktion glauben, diesen Schritt sind wir unseren ausländischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern in Deutschland schuldig.

(Zustimmung von Herrn Weihrich, GRÜNE, und von Frau Quade, DIE LINKE)

Meine Damen und Herren! Ich will schließen. Ich bitte Sie daher, gemeinsam mit uns diese ewige Salamitaktik des Sich-taktisch-Annäherns, des Einen-Schritt-aufeinander-Zugehens und des Hierwieder-eine-Regelung-und-einen-Stichtag-Einführens und des Verregelns dieser ganzen Ebene zu beenden. Wir haben mit diesem grundsätzlichen Antrag die Chance, eine unsinnige Kompromisslösung abzuschaffen. Damit hätten wir als Land Sachsen-Anhalt ebenfalls die Chance, auch bundesweit einmal integrationspolitisch Farbe zu bekennen und einen fachlich guten Akzent zu setzen. - Vielen herzlichen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN - Zustimmung von Frau Quade, DIE LINKE)

Danke schön, Herr Kollege Herbst. Es gibt eine Frage. Möchten Sie sie beantworten?

Ja, gern.

Herr Abgeordneter Hövelmann, bitte.