Protokoll der Sitzung vom 15.05.2014

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mit Beschluss des Landtages vom 13. November 2009 wurde die damalige Landesregierung aufgefordert, ein Konzept für die zukünftige Ausgestaltung der Beratungslandschaft zu erarbeiten. Das mit den Wohlfahrtsverbänden und kommunalen Spitzenverbänden abgestimmte Konzept sollte insbesondere zu folgenden Bereichen Vorschläge enthalten:

erstens Art und Anzahl der durch die Träger der freien Wohlfahrtspflege vorzuhaltenden Beratungsstellen,

zweitens Anpassungsmechanismen an die demografische Entwicklung,

drittens Art und Umfang der Zusammenarbeit zwischen den unterschiedlichen Trägern und Beteiligten und

viertens Art und Umfang der finanziellen Beteiligung des Landes.

Die Landesregierung hat den Auftrag sehr ernst genommen und in den folgenden Jahren in zahlreichen Gremien darüber beraten, wie eine Neustrukturierung aussehen könnte. Einen wichtigen

Beitrag leistete eine vom Deutschen Verein geleitete Projektgruppe der Landesregierung, die umfangreiche Untersuchungen unter Beteiligung der Wohlfahrtsverbände und der kommunalen Spitzenverbände vornahm.

Letztlich sind auch diese Ideen in dem nun von der CDU- und SPD-Fraktion vorgelegten Gesetzentwurf aufgegriffen worden. Für die Ausarbeitung der Gesetzesvorlage möchte ich mich im Namen der Landesregierung herzlich bedanken.

(Zustimmung von Frau Niestädt, SPD - Frau Bull, DIE LINKE: Bei wem? - Frau Grimm- Benne, SPD: Bei dir auch!)

In dem Entwurf wird das Konzept einer integrierten psychosozialen Beratung aufgegriffen. Die bisher noch vielfach einzeln agierenden Beratungsstellen sollen ein Beratungsangebot aus einer Hand zur Verfügung stellen. Es hat sich herausgestellt, dass vor allem die Ratsuchenden mit Multiproblemlagen mit dem getrennten Angebot - die Fachleute sprechen von einem versäulten Angebot - nicht optimal bedient werden. Dessen Folge ist, dass die Betroffenen zunächst nur von einer Beratungsfachkraft angehört werden. Stellt sich im Gespräch heraus, dass weiterer Beratungsbedarf besteht, müssen sich Ratsuchende bislang häufig selbst darum kümmern, eine geeignete weitere Beratungsstelle zu finden.

Zukünftig soll allen Ratsuchenden in den Bereichen von Sucht-, Gewalt-, Überschuldungs- und Partnerschaftsproblemen durch ein fachübergreifendes Kompetenzteam schneller und wirksamer geholfen werden. Die von einer ratsuchenden Person zuerst aufgesuchte Stelle ist sozusagen der Türöffner für andere Fachkräfte. Diese sind entweder in einer integrierten oder aber in einer vernetzten Beratungsstelle zu finden.

Dieses Konzept ist bereits von der Liga der Freien Wohlfahrtspflege im Ausschuss für Soziales und Arbeit vorgestellt worden. Die Frage, wie im Einzelnen nun eine gesetzgeberische Umsetzung erfolgen sollte, ist mit dem vorliegenden Gesetzentwurf dahingehend beantwortet worden, die Beteiligung des Landes an der Finanzierung der örtlichen Beratungsangebote künftig den integriert arbeitenden Beratungsstellen vorzubehalten und die öffentliche Planung der Angebote zu stärken.

Den Kommunen soll dabei eine entscheidende Rolle bei den administrativen Aufgaben zukommen. Sie empfangen die finanziellen Mittel, welche das Land bislang auch schon zur Verfügung gestellt hatte. Die Kommunen erstellen dazu einen für ihren Bereich zugeschnittenen Jugend- und Sozialplan. Die Aufgaben der Beratung werden - von Ausnahmen abgesehen - weitgehend von den im jeweiligen Beratungsbereich bislang vorgefundenen Trägern der freien Wohlfahrtspflege durchgeführt.

Die Mittelzuweisung an die Träger erfolgt durch die Landkreise und kreisfreien Städte. Letztere erhalten die im Gesetz genannten Summen vom Land. Dabei wird nach einem entsprechenden Verteilerschlüssel verfahren, dem die Einwohnerzahl zugrunde liegt. Damit können die Landkreise und kreisfreien Städte zukünftig in ihrer Region und in ihrer Stadt eine den sozialen Verhältnissen besser angepasste Beratungslandschaft aufbauen.

Die vorgeschlagene Neuregelung bringt ihnen und den beteiligten Trägern durch die gesetzliche Feststellung der Finanzierungsbeteiligung des Landes zudem mehr Planungssicherheit. Gleichzeitig wird der Gestaltungsspielraum vergrößert, weil über die Maßgabe der integrierten Beratungsarbeit hinausgehende zentrale Vorgaben entfallen. Die kommunale Selbstverwaltung wird also gestärkt.

Bislang förderte das Land direkt die unterschiedlichen Träger. Diese haben oftmals nur ein Beratungsangebot in einer Beratungsstelle vorgehalten. Auf die Belange in den einzelnen Städten und Landkreisen und deren spezifische regionale Besonderheiten wurde zu wenig Aufmerksamkeit gerichtet. Dies liegt in der Natur einer zentralen Entscheidung.

Mit einer Betonung der örtlichen Planungshoheit soll dem Gedanken der Regionalplanung Vorrang eingeräumt werden. Das Land behält durch Zusendung der einzelnen Pläne im Bereich der Sozial- und Jugendhilfeplanung einen Überblick und kann, wenn es erforderlich sein sollte, ergänzend tätig werden. Das Ziel der Stärkung der örtlichen Planungs- und Aufgabenverantwortung verfolgen auch die bislang vom Ministerium für Arbeit und Soziales ausgereichten Förderprogramme Fachkräfteprogramm und Jugendpauschale. Es ist daher folgerichtig, diese in den Gesetzentwurf einzubeziehen. Insgesamt handelt es sich um die Umsetzung eines neuen und modernen Konzeptes, das in keinem Land der Bundesrepublik in dieser Form vorzufinden ist.

(Zustimmung von Frau Budde, SPD)

Vielen Dank, Herr Minister. - Wir treten jetzt in die vereinbarte Fünfminutendebatte ein. Sie wird eröffnet durch den Kollegen Rotter von der CDU. Bitte schön, Herr Kollege.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Da meine Kollegin Frau Grimm-Benne bei der Einbringung des Gesetzentwurfes der Regierungsfraktionen die wesentlichen Inhalte des Gesetzes und die Motive für deren Erarbeitung vorgetragen hat, muss ich dies nicht wiederholen und kann die Gelegenheit nutzen, auch auf einige

Punkte des Redebeitrages der Landesregierung zu diesem Entwurf einzugehen.

Es tut mir in diesem Zusammenhang ausdrücklich leid, dass Herr Minister Bischoff nicht persönlich bei der heutigen Debatte anwesend sein kann und insofern Herr Minister Dorgerloh als sein Vertreter meine kritischen Anmerkungen entgegennehmen muss. Herr Minister, ich hoffe, Sie sehen mir das nach.

Aus meiner Sicht ist der von der Landesregierung gewählte Rückgriff auf den Beschluss des Landtages vom 13. November 2009 zumindest missverständlich wiedergegeben worden. Die Landesregierung erweckt damit den Eindruck, als sei der damalige Beschluss quasi der Auslöser für den nunmehr vorliegenden Gesetzentwurf der Regierungsfraktionen gewesen und man habe dabei auf die umfangreichen Vorarbeiten der Landesregierung zurückgegriffen.

Diese Einschätzung teile ich nicht. Um deutlich zu machen, was ich damit meine, erlaube ich mir den in Rede stehenden Beschluss des Landtages der fünften Wahlperiode zur Neustrukturierung der Beratungslandschaft in Sachsen-Anhalt vom 13. November 2009 auszugsweise zu zitieren, obwohl die Kollegin Grimm-Benne inhaltlich dazu schon ausgeführt hat. Zitat:

„Die Landesregierung ist gebeten, bis zum dritten Quartal 2010 für die unterschiedlichen Beratungsangebote unter Einbeziehung der Träger der Liga der Freien Wohlfahrtspflege und der kommunalen Spitzenverbände Grundlagen für die jeweilige strukturelle und inhaltliche Entwicklung zu erarbeiten und den Ausschüssen für Soziales, für Finanzen sowie für Landesentwicklung und Verkehr zu berichten. Dabei sollen die sich verändernden Beratungsbedarfe der Bevölkerung unter Berücksichtigung der demografischen Entwicklung, die Art und Anzahl der in einer Region vorzuhaltenden Beratungsstellen sowie mögliche Synergien zwischen den Trägern und/oder den Beratungsstellen dargestellt werden.“

Meine Damen und Herren! Nun könnte man nach dem Redebeitrag der Landesregierung den Eindruck gewinnen, dass aus deren Sicht mit der heutigen Einbringung des Gesetzentwurfs dieser Beschluss des Landstages erledigt wäre.

Ich teile eine derartige Einschätzung nicht. Aus meiner Sicht ist die Intention des Beschlusses nur in Teilen oder nicht erfüllt worden.

(Zustimmung von Herrn Kurze, CDU)

Nach wie vor vermisse ich eine Darstellung der sich verändernden Beratungsbedarfe der Bevölkerung unter Berücksichtigung der demografischen Entwicklung, der Art und Anzahl der in einer Re

gion vorzuhaltenden Beratungsstellen sowie mögliche Synergien zwischen den Trägern und/oder den Beratungsstellen.

Angesichts des Zeitablaufs seit der damaligen Beschlussfassung des Landtages bis zum heutigen Tag könnte man davon ausgehen, dass es der Landesregierung nicht möglich war, eine solche Perspektivplanung zu erstellen. Richtig ist - und das möchte ich an dieser Stelle betonen -, dass sich dieser Teil des Landtagsbeschlusses mit der Verabschiedung des vorliegenden Gesetzentwurfes erledigen wird, weil es dann einer Perspektivplanung auf Landesebene nicht mehr bedarf, da diese dann auf der Ebene der Landkreise und kreisfreien Städte im Rahmen deren Sozialplanung erfolgen wird.

Um es deutlich zu machen: Der vorliegende Gesetzentwurf ersetzt diesen Teil des zitierten Landtagsbeschlusses nicht, sondern er regelt eine verbindliche Zusammenarbeit der unterschiedlichen Beratungsstellen im Sinne einer integrierten psychosozialen Beratung in Anlehnung an das Konzept der Liga der Freien Wohlfahrtspflege im Land Sachsen-Anhalt sowie die Einbindung der Beratungsangebote in die kommunale Sozial- und Jugendhilfeplanung.

Die soziale Infrastruktur vor Ort - auch darauf hat Frau Grimm-Benne bereits hingewiesen - kann auf der Ebene der Landkreise und kreisfreien Städte einheitlich geplant werden. Das ist gut so; denn dort kann diese Aufgabe am sinnvollsten erledigt werden. Synergieeffekte werden erschlossen, weil Beratungsangebote verbunden werden können, die bislang nebeneinander bestanden. Beratung aus einer Hand wird möglich.

Hervorheben möchte ich auch die Verschmelzung von Jugendpauschale und Fachkräfteprogramm. Dadurch wird es möglich, Angebote zielgenauer zu gestalten. Auch die nun verbindlichen Finanzierungsregelungen kommen allen Beteiligten zugute.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordnete! Gestatten Sie mir abschließend, meiner Freude darüber Ausdruck zu verleihen, dass es den regierungstragenden Fraktionen mit der heutigen Einbringung des Gesetzentwurfs gelungen ist, die Förderung der sozialen Beratungsstellen in Sachsen-Anhalt und der Kinder- und Jugendarbeit in unserem Bundesland verbindlich zu regeln.

Auch wenn Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, dies vermutlich nicht gern hören werden, so ist es doch wahr: Was lange währt, wird endlich gut.

(Zuruf von Frau Dirlich, DIE LINKE - Frau Bull, DIE LINKE, lacht)

Eines ist auch wahr: Wir haben Wort gehalten.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! Für die CDU-Fraktion beantrage ich die Überweisung des Gesetzentwurfs zur federführenden Beratung in den Ausschuss für Arbeit und Soziales und zur Mitberatung in die Ausschüsse für Finanzen sowie für Inneres und Sport. - Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

Herr Präsident, wenn Sie es mir gestatten, obwohl meine Redezeit schon überschritten ist, dann möchte ich den Dank und das Lob meiner Kollegin Frau Grimm-Benne an die Kollegen von der Fraktion der SPD zurückgeben. Ich glaube, es war ein sehr intensiver und guter Gestaltungsprozess, der aus meiner Sicht ein gutes Ende gefunden hat. - Recht herzlichen Dank.

(Zustimmung bei der CDU und bei der SPD)

In einer Kirche muss für Lob und Dank immer Zeit sein. - Jetzt darf ich als nächste Debattenrednerin die Kollegin Lüddemann von der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN aufrufen. Bitte schön, Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Landtagspräsident! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! In der Tat ist mir das gleiche Sprichwort eingefallen wie dem Kollegen Rotter: Was lange währt, wird endlich gut. - Aber genau das, finde ich, trifft auf diesen Gesetzentwurf nicht zu.

(Beifall bei den GRÜNEN - Zustimmung bei der LINKEN)

- Ja, Herr Kollege Rotter, man muss es sich einmal deutlich machen. Es ist heute so getan worden, als ob es einen Landtagsbeschluss gegeben habe - den gibt es -, in dessen Umsetzung jetzt dieses Gesetz aufs Tapet kommt. - Aber nein, die ganze Geschichte begann ja viel früher.

Im Jahr 2008 hatten wir eine Menge Proteste sowohl von der Liga als auch aus der Zivilgesellschaft. Diese haben dazu geführt, dass es überhaupt diesen Landtagsbeschluss gab. Sie haben dazu geführt, dass die Novellierung der Beratungslandschaft über Legislaturperioden hinweg in Gang kam.

(Zustimmung von Herrn Striegel, GRÜNE)

Ich will auch sagen, dass es in diesem Gesetzentwurf Unterstützenswertes gibt. Ohne Frage wurde die vernetzte Beratung sowohl in Fachkreisen als auch fraktionsübergreifend im Ausschuss für positiv befunden. Damit wird den multiplen Problemlagen vieler Menschen im Land Rechnung getragen. Sie lassen sich nun einmal nicht in Schubladen quetschen, sondern sie müssen über Beratungsstellengrenzen hinweg angepackt werden. Das ist

im Sinne der Betroffenen. Das ist aber auch logistisch, fachlich und praktisch richtig und gut im Gesetz geregelt.

Ich finde es auch gut und richtig, dass sich zentrale Forderungen aus dem Antrag der GRÜNEN zur Absicherung der Jugendförderung im Gesetzentwurf wiederfinden. Das haben wir der Koalition gern zugearbeitet. Im Sinne der Jugendverbände, denke ich, ist es auch gut übernommen worden. Zu nennen ist dabei die Verankerung der Jugendförderung im Kinder- und Jugendhilfegesetz des Landes. Das ist eine gute Sache.

Wir unterstützen auch die Kofinanzierung durch die Landkreise. Aber einen kleinen und feinen Unterschied gibt es doch. Wir haben die stufenweise Einführung der Kofinanzierung gefordert. Ich glaube, wenn man das so gemacht hätte, dann hätte man sich eine Menge Ärger mit den Landkreisen erspart. Denn ich denke, es ist in der Tat schwierig, wenn man sich die finanzielle Situation vor Ort anschaut, von heute auf morgen eine Kofinanzierung zu verlangen.