Protokoll der Sitzung vom 20.06.2014

(Beifall bei den GRÜNEN)

Danke schön, Kollege Herbst. - Für die Landesregierung spricht nunmehr der Minister für Inneres und Sport Herr Stahlknecht.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Die Große Anfrage der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat die Unterbringung nicht dauerhaft aufenthaltsberechtigter ausländischer Mitbürger zum Inhalt und knüpft

- Herr Herbst, Sie haben es gesagt - im Wesentlichen an Ihre Große Anfrage vom 1. Juni des Jahres 2012 an.

Der Personengruppe der „nicht dauerhaft aufenthaltsberechtigten Ausländer“ - so der technische Begriff - gehören insbesondere Asylbewerber und ehemalige Asylbewerber an, deren Aufenthalt geduldet wird, da eine Abschiebung aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich ist. Wir haben ja mehrfach darüber gesprochen, dass wir in der Vergangenheit Fälle hatten, wo Menschen in dem Duldungsstatus sehr, sehr lange Zeit - aus meiner Sicht nicht gut - in einer zentralen Unterkunft untergebracht waren. Ich komme gleich darauf zu sprechen, dass wir dort einen völlig anderen Weg wollen.

Die Große Anfrage umfasste 28 Fragen, die überwiegend - Sie haben es ausgeführt - in Teilfragen gegliedert sind. Viele Fragen sind in der Tat inhaltsgleich mit den Fragen der Großen Anfrage des Jahres 2012.

Schwerpunktmäßig befasst sich Ihre Große Anfrage mit der Unterbringung von Asylbewerberinnen und Asylbewerbern und geduldeten ehemaligen Asylbewerbern in Gemeinschaftsunterkünften sowie der Realisierung des Bestrebens, den Personenkreis verstärkt in Wohnungen unterzubringen.

Erfragt wurden unter anderem Daten zur Kapazität und zum Belegungsstand in den Gemeinschaftsunterkünften, zur Qualifikation und zur Anzahl des eingesetzten Personals, zur Höhe von Tagessätzen für den Betrieb von Gemeinschaftsunterkünften sowie zum Inhalt quantitativer und qualitativer Vorgaben und deren Überprüfung.

Für die Aufnahme - dazu zählen die Unterbringung, die Gewährung von Leistungen nach den jeweils maßgeblichen Leistungsgesetzen und eine angemessene Betreuung - sind nach dem Aufnahmegesetz des Landes Sachsen-Anhalt die Landkreise und kreisfreien Städte im Rahmen des übertragenen Wirkungskreises zuständig.

Aufgrund der Zuständigkeit der Kommunen war die Landesregierung bei einer größeren Anzahl der gestellten Fragen auf die Übermittlung der erbetenen Angaben durch die Aufnahmekommunen angewiesen. Sofern Angaben einzelner Kommunen nicht vorliegen, insbesondere weil diese nicht in der Lage waren, eine Aktenauswertung im Sinne der Fragestellung in der Kürze der Zeit vorzunehmen, wurde in die betreffenden Antworten ein entsprechender Hinweis aufgenommen.

Da Sie einen Entschließungsantrag gestellt haben, der - davon gehe ich aus - in den Innenausschuss überwiesen werden wird - ich sage dazu nachher noch etwas -, besteht vielleicht die Gelegenheit, dass Ihnen diese Fragen nachträglich beantwortet werden.

Wie schon ausgeführt, obliegen die Aufnahme und die Unterbringung von Asylbewerberinnen und Asylbewerbern sowie Geduldeten - ich will es abkürzen - den Landkreisen und kreisfreien Städten als Aufgaben des übertragenen Wirkungskreises.

Unter Beachtung bundes- und landesrechtlicher Vorschriften haben die Kommunen bei der Aufgabenwahrnehmung Handlungsspielräume, die sie frei ausfüllen können. Für die Ausgestaltung der Handlungsspielräume hat das Ministerium für Inneres und Sport Leitlinien für die Unterbringung und für die soziale Betreuung von nicht dauerhaft aufenthaltsberechtigten Ausländern erarbeitet, die am 16. Januar 2013 in Kraft getreten sind. Wir haben darüber mehrfach diskutiert. Diese sollen den Aufnahmekommunen als Orientierungshilfe dienen.

Die Umsetzung der Handlungsempfehlungen wird im Wege eines Monitorings von uns überprüft. Nach zwei Jahren - schon im nächsten Jahr werden wir sicherlich wieder darüber sprechen - erfolgt auf der Grundlage des so gewonnenen Daenbestandes die Auswertung.

Wir haben im Übrigen Gesprächsrunden mit den verantwortlichen Oberbürgermeistern und Landräten geführt, in denen wir auch unsere Vorstellungen zur dezentralen Unterbringung vorgetragen haben.

Wie Sie wissen, ist das Land Sachsen-Anhalt verpflichtet, entsprechend seiner Aufnahmequote, die sich am Königsteiner Schlüssel orientiert, die im Bundesgebiet um Asyl nachsuchenden Flüchtlinge aufzunehmen. Das ist eine mit den anderen Bundesländern vereinbarte und einzuhaltende Praxis.

Nach Beendigung der Wohnverpflichtung in der Aufnahmeeinrichtung - in Sachsen-Anhalt ist dies die Zentrale Anlaufstelle für Asylbewerber des Landes Sachsen-Anhalt in Halberstadt - werden die Asylbegehrenden auf die Landkreise und die kreisfreien Städte entsprechend einer Quote, die auf der Grundlage der Einwohnerzahlen ermittelt wird, verteilt.

Die Zahl der in das Bundesgebiet einreisenden Asylantragsteller ist in den vergangenen Jahren, meine Damen und Herren, deutlich gestiegen. Insbesondere seit dem Jahr 2012 ist ein signifikanter Anstieg der Zahl von Asylbegehrenden auch in Sachsen-Anhalt zu verzeichnen. Diese Entwicklung spiegelt sich auf der Landesebene wieder, sodass sich die Aufnahmekommunen bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben nach dem Aufnahmegesetz steigenden Herausforderungen stellen müssen.

Die für die Beantwortung der Großen Anfrage erstellte Datenübersicht zeigt deutlich, dass die Landkreise und kreisfreien Städte große Anstrengungen unternommen haben, untergeachtet stei

gender Zugangszahlen eine Unterbringung im Sinne der Leitlinien sicherzustellen.

Es gab zwischendurch auch die von außen an uns herangetragene Besorgnis, dass diejenigen, die zu uns kommen, aufgrund der steigenden Zahlen nicht untergebracht werden können. Diese Besorgnis hat sich nicht bewahrheitet. Deshalb ein Dank an die Landkreise und auch an die Stadt Halberstadt dafür, dass sie mit der Zunahme der Zahl der Menschen, die zu uns kommen, gut fertig geworden sind. - Das ist nicht überall so gewesen.

(Zustimmung von Herrn Schröder, CDU)

Ich will es an Zahlen deutlich machen. Entsprechend der Großen Anfrage von 2012 waren zum 31. Dezember 2011 50,8 % der nicht dauerhaft aufenthaltsberechtigten Ausländerinnen und Ausländer in Wohnungen und 49,2 % der Betroffenen in Gemeinschaftsunterkünften untergebracht, also, wenn Sie wollen, jeweils ungefähr die Hälfte.

Wir haben dann einen Anstieg bei den Asylbewerberzugangszahlen von 1 413 Personen im Jahr 2011 auf 3 405 Personen im Jahr 2013 gehabt. Herr Herbst, das entspricht immerhin einer Steigerung um 140 %, die dann auch gemanagt werden musste. Gleichwohl konnten die Landkreise auch angesichts dieser Steigerung im Jahr 2013 die Unterbringung von mehr als 50 % der nicht dauerhaft aufenthaltsberechtigten Ausländer in Wohnungen realisieren. 45,8 % der ausländischen Mitbürger waren zum 31. Dezember 2013 in Gemeinschaftsunterkünften untergebracht.

Daran sehen Sie, dass die Leitlinien und unsere Vorstellungen gegriffen haben. Wir haben mit den Landräten und mit den Oberbürgermeistern der kreisfreien Städte eine andere Verfahrenspraxis verabredet. Aber solche strategischen Verabredungen, die am 1. Januar 2013 in Kraft getreten sind, können nicht über Nacht umgesetzt werden. Die Tatsache, dass trotz der Zunahme von Fallzahlen eine Steigerung bei der Unterbringung in Wohnungen erfolgt ist, ist ein gutes Zeichen. Natürlich sind wir noch nicht am Ende des Weges, Herr Herbst.

(Herr Herbst, GRÜNE: Das habe ich auch betont!)

- Ich weiß. Ich fand Ihre Rede auch sehr angemessen und angenehm. Ich greife Sie auch gar nicht an, sondern ich spreche mit Ihnen, weil Sie derjenige sind, der dafür sehr gut kämpft.

Ich will Ihnen nur sagen, dass das ein Stück auf dem Weg zu dem Ziel ist, das wir gemeinsam erreichen wollen. Uns trennt Ihre Vorstellung, sofort eine dezentrale Unterbringung zu realisieren. Das wollen wir nicht. Wir sagen vielmehr, dass Menschen, die zu uns kommen, eine Zeitlang zentral untergebracht sein müssen, damit wir mit ihnen auch Formalien bereden können und sie unter

stützen können, sofern sie der deutschen Sprache noch nicht mächtig sind.

Was die Kontrollen betrifft - Sie sprechen das auch in Ihrem Entschließungsantrag an -, haben wir eine etwas andere Auffassung. Es finden Kontrollen statt, teilweise auch unter der Beteiligung der zuständigen Referatsleiter des Innenministeriums. Im Wege der Kontrollen sind teilweise auch Mängel festgestellt worden, die abgestellt wurden. Aufgrund einer kritischen Öffentlichkeit werden Mängel auch gemeldet und teilweise auch medial begleitet. Diese Mängel werden vernünftigerweise abgestellt.

Über die Qualifikation von Personal zur Betreuung - das haben Sie angesprochen - sollten wir im Innenausschuss reden, auch gemeinsam mit den Landräten; denn wir müssen es gemeinsam machen. Wir dürfen diesen strategischen Weg, den wir gehen wollen, nicht von oben nach unten durchregieren; so will ich es einmal formulieren. Die Landräte müssen vielmehr auf diesem Weg mitgenommen werden. Ich denke, sie sind auf diesem Weg bei uns.

Neben all den Problemen des Asylrechts, die Sie angesprochen haben und die angesichts der Veränderungen nötig sind - diese werden im Übrigen auf der Bundesebene und im europäischen Kontext zu beschließen sein -, brauchen wir auf diesem Weg alle Menschen, damit die Willkommenskultur, die wir in Sachsen-Anhalt begonnen haben, Früchte trägt. - Herzlichen Dank.

(Zustimmung bei der CDU)

Danke schön, Herr Minister. - Es gibt eine Nachfrage vom Abgeordneten Herrn Striegel.

Herr Präsident, herzlichen Dank. - Herr Minister, danke für den Vortrag zur Großen Anfrage. Sie haben auch etwas dazu gesagt, wie die Daten zustande gekommen sind. Eine Frage habe ich. Im konkreten Alltag, wenn man in die Gemeinschaftsunterkünfte geht, dann zeigt sich immer wieder, dass einerseits das, was uns auf dem Papier gesagt wird, und andererseits die Realität vor Ort manchmal auseinanderklaffen. Wie sind zum Beispiel die Angaben zu den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zustande gekommen?

Ich lese, dass es zum Beispiel in Krumpa fünf voll ausgebildete Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter geben soll, die über einen Hochschulabschluss verfügen. Ich höre aber gleichzeitig von den Menschen, die dort untergebracht sind, dass sie diese Sozialarbeiter nie in dieser Menge angetroffen haben, dass sie sie eher selten sehen und dass es Zweifel bezüglich der Qualifikationen gibt. Wie sind

die entsprechenden Daten zustande gekommen? Wie stellt sich die Meldekette dar?

Bei Großen Anfragen, die Bereiche außerhalb unseres Hauses betreffen, ist es grundsätzlich so, dass die entsprechenden Ansprechpartner angeschrieben und gebeten werden, uns das zu mitzuteilen, was Sie in Ihrer Frage begehren. So läuft das. Das läuft in allen Ministerien auf der sogenannten Arbeitsebene. Das soll nicht despektierlich klingen. Ich gehe davon aus, dass meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, sofern keine Gründe für Zweifel an der Glaubwürdigkeit einer Mitteilung vorliegen, diese Mitteilungen in das Datenmaterial einfließen lassen.

(Zustimmung bei Herrn Scheurell, CDU)

Danke schön, Herr Minister. Weitere Nachfragen sehe ich nicht. - Für die Fraktion der SPD spricht Abgeordnete Frau Schindler.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Es wird nicht verwundern, dass ich an einem Tag wie heute, den die UN Weltflüchtlingstag genannt hat, einen ähnlichen Einstieg in meinen Redebeitrag verwende, wie Sie, Herr Herbst, es bereits getan haben.

Auch ich habe das Zitat in meiner Rede enthalten. Wenn ich es wiederhole, ist das keine reine Wiederholung, sondern es macht die Wertigkeit und die Wichtigkeit dieser Aussage deutlich:

„Der Weltflüchtlingstag ist den Flüchtlingen, Asylsuchenden, Binnenvertriebenen, Staatenlosen und Rückkehrern auf der ganzen Welt gewidmet, um ihre Hoffnungen und Sehnsüchte nach einem besseren Leben zu würdigen.“

Wie wir heute schon in den Medien hören konnten, hat der UNHCR seine Flüchtlingszahlen veröffentlicht. Es wird ein trauriger Negativrekord zu vermelden sein. Aufgrund von Krieg und Gewalt an den Konfliktpunkten der Welt, wie in Syrien, Zentralafrika und anderswo, wird wohl der Höchststand von mehr als 50 Millionen Menschen, die von Flucht und Vertreibung betroffen sind, zu vermelden sein.

Doch in der Debatte über Zahlen und Kontingente werden häufig die Menschen und ihre persönlichen Geschichten hinter den Zahlen vergessen. Der UNHCR hat den diesjährigen Uno-Flüchtlingstag unter das Motto „Jeder Mensch hat eine Geschichte“ gestellt. Es sind wohl mehr als 50 Millionen Geschichten, die erzählt werden.

Sehr geehrte Damen und Herren! Die vorliegende Antwort auf die Große Anfrage gibt einen Gesamtüberblick über die aktuelle Belegungssituation aller Einrichtungen im Land bis hin zu den sozialen Betreuungsangeboten für die einzelnen Betroffenen.

Ich möchte voranstellen, dass die Unterbringung der Betroffenen gemäß § 1 Abs. 1 und 2 des Aufnahmegesetzes den Landkreisen und kreisfreien Städten in Sachsen-Anhalt obliegt. Zu der Frage des Wie der Unterbringung hat das Land SachsenAnhalt vor dem Hintergrund bundesrechtlicher Vorgaben, insbesondere von § 53 Abs. 1 des Asylverfahrensgesetzes, wonach im Übrigen in der Regel in Gemeinschaftsunterkünften untergebracht werden soll, selbstverständlich seine Handlungsspielräume ausgenutzt und humanitäre Gesichtspunkte berücksichtigt.

So hat die Landesregierung die heute bereits viel zitierte Leitlinie für die Unterbringung und soziale Betreuung von nicht dauerhaft aufenthaltsberechtigten Ausländern erarbeitet, welche im Januar 2013 in Kraft getreten ist. In diesem Zusammenhang möchte ich, bevor ich auf die Große Anfrage im Einzelnen eingehe, anmerken, dass dieser Schritt ein richtiger und guter war. Auch im Vergleich mit Regelungen anderer Bundesländer ist erkennbar, dass das Land Sachsen-Anhalt in diesem Punkt einen im Wesentlichen ausgewogenen Kompromiss zwischen dem, was rechtlich möglich wäre, und dem, was den Bedürfnissen der Betroffenen entspricht, gefunden hat.

Natürlich würde ich mir und würde auch meine Fraktion an der einen oder anderen Stelle weitere, vor allen Dingen soziale Betreuungsangebote wünschen. Dennoch kommt es aus meiner Sicht derzeit vor allem auf die konsequente Umsetzung der Leitlinien an.

(Zustimmung von Frau Niestädt, SPD)

Diesbezüglich möchte ich die Landesregierung bitten und ermuntern, die Landkreise und kreisfreien Städte auf ihre Verpflichtungen hinzuweisen und im Falle der Ultima Ratio auch fachaufsichtlich einzugreifen.