Erstens. Unstrittig ist, dass die unterschiedlichen, im Rahmen verschiedener Bundesprogramme seit dem Jahr 2002 geförderten Träger einen wertvollen Beitrag zur Stärkung der Demokratie in unserem Land leisten. Unstrittig ist auch, dass staatliche Förderung nur an solche Initiativen ausgereicht werden darf, die Gewähr dafür bieten, den Zweck der Programme, die Stärkung der Demokratie, auch tatsächlich zu erreichen.
Ein umfangreiches Bewilligungsverfahren stellt dies sicher. Ein jeder und eine jede von Ihnen möge sich einmal die dafür notwendigen einzureichenden Konzept- und Antragspapiere anschauen. Sofern Fördermittel zweckentfremdet würden, kämen auch Rückforderungen der ausreichenden Stelle in Betracht.
Weder die schwarz-gelbe Bundesregierung noch die als Urheberin der Extremismusklausel unter hinreichendem Tatverdacht stehende sächsische Staatsregierung waren bislang in der Lage, die Notwendigkeit der Klausel anhand tatsächlicher Missbrauchsfälle zu begründen. Beispiele, in denen Fördermittel in extremistische Organisationen flossen, sind nicht bekannt. Entsprechende Rückforderungen hat es nicht gegeben.
Damit zum Zwischenfazit: Die Klausel ist unnötig, sie hat keinen zusätzlichen Nutzen, macht aber - darauf komme ich zurück - jede Menge Schaden.
Zweitens. Die Klausel ist unklar. Drei Gutachten liegen inzwischen zu ihr vor, eines vom Staatsrechtler Professor Dr. Ulrich Battis, in Auftrag gegeben unter anderem durch die „Aktion Sühnezeichen“, eines vom Wissenschaftlichen Dienst des Deutschen Bundestages und eines vom Staatsrechtler Professor Dr. Fritz Ossenbühl für das Bundesfamilienministerium.
abverlangte Erklärung in ihrer Gesamtheit verfassungswidrig ist. Aber alle drei sind sich darin einig, dass die Klausel in ihrer Formulierung unklar und damit nicht praktikabel anwendbar ist. Die Formulierungen seien, so auch der Gutachter des Familienministeriums - Zitat -, „nicht ganz glücklich gewählt“.
Drittens. Nur ein schwacher Staat braucht Bekenntnisse. Die Extremismuserklärung ist Papier gewordenes Misstrauen einer schwachen Bundesregierung, die den Fahneneid zivilgesellschaftlicher Initiativen braucht und erzwingen will, weil sie Widerspruch, lebendige Demokratie und Auseinandersetzungen über gute Herangehensweisen zur Stärkung der Demokratie scheut. Sie ist im Übrigen das Gegenteil von freiheitlich. Das darf man an dieser Stelle auch einmal in Richtung der im Bundestag sitzenden FDP sagen.
So Doris Liebscher in einem lesenswerten Aufsatz zur Auswirkung der hier diskutierten Bekenntnisklausel auf die Demokratie.
Die Klausel schränkt den Kreis des Sagbaren ein, sie stellt alle diejenigen unter Extremismusverdacht, die nicht konsensual mit der Bundesregierung handeln wollen, die sich das Recht herausnehmen, trotz staatlicher Förderung auf Versäumnisse und Missstände hinzuweisen und beispielsweise institutionellen Rassismus in Verwaltungen oder bei der Polizei zu beklagen.
Auch jede Kritik am bestehenden Wirtschaftssystem, jedes Hinterfragen kapitalistischer Verwertungslogiken wird durch die Klausel und den Bekenntniszwang potenziell zum Ausschlusskriterium für staatliche Förderung.
- Dabei, Herr Leimbach, geht noch nicht einmal das Bundesverfassungsgericht in seinen Entscheidungen so weit, das Wirtschaftssystem oder das Privateigentum zum Kernbestand der Verfassung oder zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung zu zählen.
Wie weit das Misstrauen staatlicher Stellen gegenüber der Zivilgesellschaft inzwischen geht, zeigen die Ereignisse in Sachsen. Mit Verweis auf die Extremismusklausel und weitere Bestimmungen in den Förderrichtlinien verlangt die dortige Landesregierung inzwischen von geförderten Trägern die vorherige Freigabe von Pressemitteilungen und Meinungsäußerungen durch das jeweilige Ministe
rium. Der Satz „Eine Zensur findet nicht statt“ aus Artikel 5 des Grundgesetzes gilt in Sachsen offenbar nur noch eingeschränkt. Wie sieht es zukünftig in Sachsen-Anhalt aus?
Öffentlich eingeforderte Bekenntnisse sind gemeinhin ein Zeichen autoritärer Regime. In einer Demokratie sind sie lediglich unter sehr engen Voraussetzungen zu bekommen.
Das deutsche Recht kennt nur zwei Fälle, in denen von Bürgerinnen und Bürgern ein aktives Bekenntnis zur Verfassung verlangt wird: bei der Übernahme eines Beamten in den Staatsdienst - wir sprachen gestern darüber - und bei der Erlangung der deutschen Staatsbürgerschaft.
Im Fall der Ausreichung von Fördermitteln an Demokratieinitiativen ist ein Bekenntnisverlangen unangemessen, unverhältnismäßig und gegebenenfalls rechtswidrig, wie die Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes und von Herrn Battis nachweisen.
Meine Damen und Herren! Nicht nur der Zwang zum Bekenntnis zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung ist zu problematisieren. Die Extremismusklausel zeigt auch Effekte, die dem eigentlichen Zweck der Bundesprogramme, der Schaffung und Stärkung einer lebendigen und demokratischen Zivilgesellschaft, zuwiderlaufen. Die Klausel schafft über die Notwendigkeit von Trägern, sich gegenseitig zu bespitzeln, ein Klima des Misstrauens und des Verdachts.
Wie vermeide ich - Zitat - „den Anschein“, dass ich mit Partnern zusammenarbeite, die möglicherweise kritisch gegenüber dem Grundgesetz oder einzelnen Bestimmungen sind?
Kann ich einen Landtagsabgeordneten Matthias Höhn, einen Sebastian Striegel, die sich gestern während der Debatte als Kritiker einer einzelnen Verfassungsbestimmung zu erkennen gegeben haben, denn noch als Referenten anfragen?
Darf es sein, dass der Verfassungsschutz die Deutungshoheit darüber bekommt, wer vor Ort Demokratie mitgestalten kann?
Der Interpretationsspielraum ist weit, meine Damen und Herren. Die Missbrauchsgefahr ist groß. Der interessengeleitete Rückgriff der Regierung auf mehr oder weniger gut abgesicherte Erkenntnisse von Geheimdiensten und Verfassungsschutz ist wahrscheinlich. Deshalb lehnt die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN die Extremismusklausel ab.
Der Antrag des Landes Berlin im Bundesrat hat deshalb unsere Unterstützung. Zwar beseitigt er die Klausel nicht, er drängt die Bundesregierung jedoch, sie substanziell zu überarbeiten. Es soll zukünftig keinem Träger mehr zugemutet werden, mit geheimdienstlichen Mitteln oder im Rückgriff auf Erkenntnisse des Verfassungsschutzes seine Partner bespitzeln zu müssen. Demokratie braucht Vertrauen. Deshalb ist die Klausel zumindest zu überarbeiten.
Demokratie braucht mündige Bürgerinnen und Bürger; deshalb wäre der Bekenntniszwang abzuschaffen. Wir bitten Sie, hochgeschätzte Kolleginnen und Kollegen, um Unterstützung für unseren Antrag. Den Änderungsantrag der Koalitionsfraktionen lehnen wir ab. Er fordert Selbstverständliches und zieht nicht die notwendigen Konsequenzen.
Vielen Dank. - Ich habe eine Nachfrage zum Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Unter Punkt 2 wird eine weitreichende Aussage getroffen, in der die Feststellung enthalten ist, dass die vorausgehende Prüfung für die Bewilligung von Fördermitteln bereits die Gewähr dafür bieten müsse, dass die geförderten Träger eine dem Grundgesetz förderliche Arbeit leisteten.
Einerseits erkenne ich darin einen gewissen Widerspruch zu der recht forschen Kritik an der Erklärung, dass das eine Bespitzelungsklausel sei. Andererseits haben Sie ausgeführt, dass Demokratie Vertrauen braucht. Gleichwohl legen Sie einen Antrag vor, der unter Punkt 2 fordert, dass durch die für die Fördermittelbewilligung zuständigen Behörden sichergestellt werden soll, dass die Verfassungstreue, die Gesinnung und die für das Gemeinwesen und das Grundgesetz förderliche Tätigkeit des Trägers nachgewiesen werden. Niemand - so weit kann man Verwaltung kennen - wird das tun und aussprechen, sofern man es nicht im Vorfeld geprüft hat.
Entweder sagen Sie: Demokratie braucht Vertrauen; dann muss das nicht geprüft werden, das wird vorausgesetzt. Oder Sie sagen: Die Fördermittel ausreichende Behörde prüft das; dann braucht es keine Erklärung. Wenn es geprüft wird, dann haben Sie, so glaube ich, mit der diffamierenden Bezeichnung „Bespitzelungsklausel“ zu weit gegriffen, weil es sich dann um einen Prüfungsvorgang
Dazu kann ich gern etwas sagen. Ich glaube, Herr Schröder, wenn Sie schauen, wie Fördermittel im Land Sachsen-Anhalt in diesem Bereich ausgereicht werden - das passiert schon seit einigen Jahren -, und wenn Sie wissen, an welche Träger sie im Land ausgereicht werden, dann möchte ich schon zurückfragen, ob es denn den konkreten Verdacht gibt, dass dieser oder jener Träger nicht das Vertrauen der Landesregierung genießt.
(Frau Weiß, CDU: Das war nicht die Frage! Antworten Sie auf die Frage! - Weitere Zuru- fe von der CDU)
Ich bin gespannt auf eine Ansage von Ihnen, ob Sie dabei konkrete Fälle im Blick haben. Sollten Sie keine konkreten Fälle im Blick haben, würde ich auf das allgemeine Antragsverfahren verweisen.
Es ist doch selbstverständlich in diesem Land so, dass eine staatliche Behörde - im konkreten Fall ein Ministerium - sicherstellen muss, dass der Förderzweck eines Förderprogramms erreicht wird. Wenn der Förderzweck eines Förderprogramms lautet, Demokratie zu stärken, dann wäre es doch geradezu absurd, Institutionen in die Förderung hineinzunehmen, die auf die Abschaffung der Demokratie abzielen oder die die Demokratie in irgendeiner Form bekämpfen wollen.
Deswegen muss ein Ministerium selbstverständlich prüfen, ob der jeweilige Träger die Voraussetzungen für die Förderung erfüllt. Sollten Sie konkrete Zweifel an einer solchen Voraussetzung haben, steht es Ihnen als Abgeordnetem frei, diese entsprechenden Zweifel auch deutlich zu artikulieren. Aber ich warne vor einem: Wir sollten keine Fälle konstruieren, die in der Realität so in diesem Land noch nicht aufgetreten sind.