Protokoll der Sitzung vom 17.07.2014

Guten Morgen, meine sehr geehrten Damen und Herren! Mit einer geringen zeitlichen Verzögerung, die der Vorfreude auf den vor uns liegenden Tag geschuldet ist, eröffne ich die 71. Sitzung des Landtages von Sachsen-Anhalt der sechsten Wahlperiode und begrüße alle Mitglieder des Hohen Hauses und auch die Gäste herzlich.

Auf Ihren Tischen liegt eine, wie ich finde, tolle Dokumentation des Baugeschehens, die man mit nach Haus nehmen kann und mit der man das Geschehen noch einmal nachvollziehen kann.

Wir starten nunmehr in die 71. Sitzung mit dem Tagesordnungspunkt 2. Danach folgen vereinbarungsgemäß die Tagesordnungspunkte 3 und 4.

Ein Blick in die Runde belegt, dass die Beschlussfähigkeit des Hohen Hauses gegeben ist.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf:

Beratung

Mehr Rechte für Werkvertragsarbeitnehmer und -arbeitnehmerinnen - Umkehr der Beweislast

Antrag Fraktionen CDU und SPD - Drs. 6/3270

Für die Einbringerin erteile ich Herrn Abgeordneten Steppuhn das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Im Rahmen der Landtagssitzung am 16. Mai haben sich zum Antrag mit dem Titel „Missbrauch von Werkvertragsgestaltung verhindern“ alle Fraktionen unseres Hauses dafür ausgesprochen, diesen mit Leben zu erfüllen, diesem Antrag zu folgen.

Alle Fraktionen haben im Rahmen der Debatte erklärt, dass es ein sinnvoller Weg wäre, auch die sogenannte Beweislast im Zuge von Werkvertragsgestaltungen umzukehren. Das ist für uns Anlass genug, diese Debatte fortzusetzen und mit einem Antrag dieses Wollen zu konkretisieren.

Die große Koalition in Berlin hat sich vorgenommen, für mehr Ordnung auf dem Arbeitsmarkt zu sorgen. Hierzu gehört auch, Maßnahmen gegen den Missbrauch von Werkvertragsgestaltungen zu ergreifen. Da möchten wir, basierend auf einem Gutachten, das die Landesregierung in NordrheinWestfalen in Auftrag gegeben hat, ansetzen und konkret mit einem Antrag die Landesregierung bitten, im Hinblick auf die Beweislastumkehr bei Werkverträgen gegenüber der Bundesregierung und dem Bundesrat tätig zu werden.

Bevor ich deutlich mache, worum es dabei konkret geht, lassen Sie mich mit einem Zitat von Detlef Wetzel, dem Vorsitzenden der IG Metall, beginnen. Herr Präsident, ich darf zitieren. Detlef Wetzel von der IG Metall sagt:

„Wir lehnen Werkverträge nicht grundsätzlich ab, aber in den vergangenen Jahren wurden massiv Tätigkeiten ausgelagert, um bestehende Tarifverträge zu umgehen und schlechtere Arbeitsbedingungen durchzusetzen. Das passiert massenhaft, da reden wir nicht nur über einige schwarze Schafe. In der Stahlindustrie ist etwa jeder dritte Arbeitnehmer per Werkvertrag beschäftigt - obwohl die Arbeit die gleiche geblieben ist.“

Ich denke, diese aktuelle Aussage macht deutlich, vor welchen Problemen wir stehen. Es ist auch kein Geheimnis, dass die Anzahl der Werkvertragsarbeitnehmer ständig zunimmt.

Ein Weg, den Missbrauch von Werkvertragsregelungen wirksam zu verhindern, ist die Umkehr der sogenannten Beweislast. Zukünftig soll nicht mehr der Arbeitnehmer die komplette Beweislast für sein über einen Werkvertrag geregeltes Arbeitsverhältnis tragen, sondern derjenige, der den Vertrag vorlegt und gestaltet. Dies ist in der Regel der Arbeitgeber, der Unternehmer, in der Regel ein Nachunternehmen des Unternehmens, das Leistungen ausgliedert.

Worum genau geht es bei der Werkvertragsproblematik und der Beweislastumkehr? - Es gibt dazu im Englischen einen neu geprägten Begriff, der sich „Inhouse Outsourcing“ nennt. Dieses ist durch Dienstleister und Werkvertragsunternehmer legal nur dann möglich, wenn der Subunternehmer im Betrieb des Auftraggebers einen eigenen Betrieb für seine eigene Leistung organisiert. Dazu muss er weder über eigene Räume noch über eigene Betriebsmittel verfügen. Diese kann ihm der Besteller des Werkvertrags überlassen. Er muss aber die von ihm geschuldete Leistung mit seinem eigenen Personal so organisieren und abwickeln, dass er die Verantwortung für die geschuldete Leistung und für das Tun oder Unterlassen dieses Personals gegenüber dem Auftraggeber und dessen Leuten übernehmen kann und auch übernimmt.

Das hört sich sehr nach Fachchinesisch an. Deshalb will ich noch einmal plastisch deutlich machen, wo die Grauzone, die Grenze zwischen legaler und mehr oder weniger nicht legaler Beschäftigung bei Werkverträgen besteht. Immer dann - das war einmal die Grundlage, warum man Werkverträge zugelassen hat -, wenn man Auftragsspitzen in einem Unternehmen abfangen will oder krankheitsbedingte Ausfälle hat, besteht die Möglichkeit, diese per Werkverträgen abzufangen.

Was in diesem Bereich nicht erlaubt ist, ist, dass man rein Personal überlässt. Ein Werkvertrag ist immer dann legal, wenn ein Teil der Leistung von einem anderen Unternehmen - auch unter der Regie dieses Unternehmens, das den Auftrag annimmt - abgeleistet wird. Dann handelt es sich um einen legalen Werkvertrag. Wenn es um reine Personalüberlassung geht, ist dies nicht so.

Welche Rolle spielt in diesem Zusammenhang die sogenannte Beweislastumkehr? - Werkvertragsarbeitnehmer haben einen Arbeitsvertrag, in der Regel mit dem Unternehmen, bei dem sie beschäftigt sind, das über Werkverträge bei dem Unternehmer bzw. in dem Betrieb anfängt, wo letztendlich dieser Arbeitsauftrag abgeleistet wird.

Wenn man von der Beweislastumkehr spricht - das ist der springende Punkt, deshalb will ich das noch einmal deutlich machen -, dann finden sich die Dinge, um die es dabei geht - ob ein Werkvertrag legal oder nicht legal ist -, immer in den vertraglichen Beziehungen des Werkvertragsunternehmers und des vergebenden Unternehmens wieder.

Das heißt, der Arbeitnehmer hat überhaupt keinen Zugriff auf diese Unterlagen, um die es geht, um zu beweisen, ob er nun legal oder mehr oder weniger nicht legal beschäftigt ist. Von daher ist es für den Arbeitnehmer auf der Grundlage des Arbeitsvertrags sehr kompliziert zu beweisen - wie das sonst geschieht, wozu er eigentlich in der Lage ist -, um was für ein Arbeitsverhältnis es sich handelt.

Diese Unterlagen sind nur in den Betrieben zugänglich, die miteinander diesen Vertrag gemacht haben. Da ist derjenige, der den Auftrag vergibt, und derjenige, der den Werkvertragsarbeitnehmer beschäftigt. Von daher ist es, glaube ich, im Umkehrschluss richtig, dass man die Beweislast umkehrt, damit der Werkvertragsarbeitnehmer mehr Rechte hat - auch aus seinem Arbeitsvertrag resultierend -, die aus dem Arbeitsvertrag nicht ersichtlich sind.

(Zustimmung bei der SPD)

Ich habe es schon erwähnt: Die Landesregierung in Nordrhein-Westfalen hat ein Gutachten in Auftrag gegeben, das zu genau diesem Schluss kommt: dass es ein guter Weg wäre, die Beweislast umzukehren, weg vom Arbeitnehmer, hin zum Arbeitgeber, hin zum Unternehmer, um dort zu einer Eindämmung des Missbrauchs von Werkverträgen zu kommen. Dem Gutachten zufolge wird ein viel größerer Druck zur Rechtstreue erzeugt, wenn die Beweislast umgekehrt wird.

Das ist auch deshalb sinnvoll, weil der Arbeitnehmer, wie erwähnt, nicht im Besitz von Vertragsunterlagen der Unternehmen untereinander ist. Die Beweislast muss daher dort angesiedelt werden, wo die Verantwortlichkeiten liegen, und die liegen

in den Geschäftsbeziehungen der Unternehmen untereinander.

Meine Damen und Herren! Mit der Umkehr der Beweislast werden die Rechte von Werkvertragsarbeitnehmerinnen und -arbeitnehmern deutlich gestärkt. Dies ist der Wille der Koalition. In diesem Sinne werbe ich für die Annahme unseres Antrags. - Schönen Dank.

(Zustimmung bei der SPD und von Herrn Kurze, CDU)

Danke schön, Kollege Steppuhn. - Für die Landesregierung spricht der Sozialminister Norbert Bischoff.

Herr Präsident! Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dem vorliegenden Antrag unterstützen die regierungstragenden Fraktionen ein Kernanliegen der Landesregierung, nämlich gute Arbeit - wie es auch der DGB in seiner Studie im letzten Jahr vorgestellt hat - durch faire und attraktive Rahmenbedingungen auf dem Arbeitsmarkt zu ermöglichen.

Unter dieser Überschrift wurde schon im arbeitsmarktpolitischen Gesamtkonzept, das von der Landesregierung im letzten Herbst beschlossen wurde, ausgeführt, dass die Schaffung von attraktiven sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätzen und der Einsatz für eine faire Ordnung auf dem Arbeitsmarkt zu den wichtigen arbeitsmarktpolitischen Zielen der Landesregierung gehört.

Neben Mindestlohn, Stärkung der Tarifpartnerschaft und Verhinderung von Missbrauch im Bereich der Leiharbeit ist in diesem Zusammenhang auch der Missbrauch von Werkvertragsgestaltungen ein wichtiges Thema. Ich will das nicht weiter ausführen, weil Herr Steppuhn das ausführlich getan hat.

Auch die Abgrenzung zwischen Leiharbeit und Werkverträgen ist manchmal gar nicht so einfach. Es stellt sich auch die Frage: Inwieweit ist ein Arbeitnehmer von seinem Arbeitgeber abhängig? Ist er noch ein Stück weit selbständig, sodass er seine Arbeitszeit selbst einteilen kann und Ähnliches, oder ist er tatsächlich so abhängig beschäftigt, dass es ein normales Arbeitsverhältnis ist?

Deshalb begrüße ich es sehr, dass die regierungstragenden Fraktionen mit dem vorliegenden Antrag der Landesregierung einen klaren Auftrag mitgeben wollen, die Bundesregierung bei der Umsetzung des im Berliner Koalitionsvertrag vereinbarten Vorhabens zur Verhinderung des Missbrauchs von Werksverträgen zu unterstützen.

Mit dieser Linie unterstützen sie übrigens auch eine langjährige Position der Arbeits- und Sozialministerkonferenz der Länder, die in der Vergangenheit schon mehrfach mit Sorge darauf hingewiesen hat, dass in den letzten Jahren Unternehmen zunehmend Tätigkeiten auf Dauer und zu niedrigen Konditionen per Werkvertrag auslagern.

Dazu liegen Zahlen vor - eine hat Herr Steppuhn eben genannt -: Jeder Dritte - bei der IG Metall jedenfalls nachgewiesen - ist davon betroffen. Die Hans-Böckler-Stiftung spricht von deutschlandweit mehr als 600 000 Menschen. Es gibt viele divergierende Zahlen, weil es einfach keine amtliche einheitliche Statistik darüber gibt. Deshalb ist es wichtig, dass wir mehr Ordnung in diese Linie bekommen.

Besonders deutlich wird dieses Problem zum Beispiel in der fleischverarbeitenden Industrie oder - das kennen Sie - bei den sogenannten Regaleinräumern in den Supermärkten. In diesen Fällen liegt oft die Vermutung nahe, dass eine Konstruktion über Scheinwerkverträge genutzt wird, um die Schutzvorschriften für die Beschäftigten zu umgehen. Es sind Scheinwerkverträge, weil es sich in Wahrheit um Fälle unerlaubter Arbeitnehmerüberlassung oder manchmal auch um Fälle von Scheinselbständigkeit handelt.

Es geht also nicht darum, Werkverträge abzulehnen oder zu verteufeln, denn sie werden gebraucht - das hat Herr Steppuhn auch gesagt -, um Spitzen abzufangen, sondern es geht einfach darum, Missbrauch zu verhindern. Umso mehr ist es erforderlich, die beschriebene Fehlentwicklung zu verhindern.

Dazu, wie das im Einzelnen geschehen könnte, hat Nordrhein-Westfalen ein umfangreiches Gutachten erstellen lassen, worauf auch in der Begründung zu dem vorliegenden Antrag Bezug genommen wird.

Zudem plant die Bundesregierung in Umsetzung des entsprechenden Auftrags aus der Koalitionsvereinbarung für 2015 einen Gesetzentwurf, der die nötigen Verbesserungen in Richtung Missbrauchsabwehr infolge von Scheinwerkverträgen bewirken soll. Mir ist bekannt, dass die Vorarbeiten in diesem Jahr beginnen sollen.

Sachsen-Anhalt wird sich - deshalb nehmen wir den Auftrag ernst - im Rahmen der sicher zu erwartenden Bund-Länder-Beteiligung - vielleicht

auch in Arbeitsgruppen - einbringen, wird die Initiative aus Nordrhein-Westfalen unterstützen und sicherlich für die Erarbeitung von Lösungen einen wesentlichen Beitrag leisten. - Vielen Dank.

(Zustimmung bei der SPD und bei der CDU)

Danke schön, Herr Minister. - Für die Fraktion DIE LINKE spricht Frau Abgeordnete Thiel-Rogée.

Guten Morgen, Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Steppuhn hat es vorhin schon gesagt: Das ist eigentlich die Fortsetzung der Debatte, die wir im Mai schon hatten. Deswegen ist es inhaltlich etwas schwierig. Aber wir hatten uns versprochen, dass wir das Thema Beweislastumkehr übernehmen wollten, zumindest die Antragsstellung an den Bundesrat.

Trotzdem möchte ich - Herr Steppuhn hat das sehr ausführlich gemacht - etwas aus meiner letzten Rede wiederholen: Ein Hinweis auf einen Scheinwerkvertrag ist, wenn ein Werkvertragler, der über eine Fremdfirma in einen Betrieb geschickt wird, regelmäßig von Personal in diesem Betrieb angeleitet wird und Werkzeug gebraucht, das vorhanden ist. Auch wenn der Werkvertragler ähnliche Aufgaben erfüllt wie die Stammbelegschaft, ist das ein Hinweis auf Scheinwerkverträge. Weil es wahrscheinlich nicht ganz so einfach ist, diese zu erkennen und auch durch Arbeitnehmer einzuklagen - -

(Zuruf von Herrn Leimbach, CDU)

- Dass sie ihr Recht einklagen, dass das erkannt wird. Wer war das eben?

Scheinwerkverträge sind illegal, sie sind eine Form von verdeckter Leiharbeit. Es gibt keinen Kündigungsschutz und die Löhne sind deutlich niedriger. Hinzu kommen schlechte Arbeitsbedingungen, und die Beschäftigten haben keinen Anspruch auf die Regelungen des Tarifvertrages des jeweiligen Unternehmens, in dem sie tätig sind.

Nun liegen die Regelungsvorschläge aus dem Gutachten für die Landesregierung in NRW vor. Herr Steppuhn hatte einiges dazu gesagt. Es geht im Schwerpunkt um die Beweislastumkehr. Die Forderung ist, die Arbeitgeber sollen künftig nachweisen, dass die Beschäftigten echte Werkvertragsmitarbeiter sind und kein Scheinwerkvertrag vorliegt.