Protokoll der Sitzung vom 17.07.2014

(Zuruf von Herrn Leimbach, CDU)

Die Probleme, die Sie hier aufgeführt hatten, gab es zum damaligen Zeitpunkt schon. Was soll sich

also ganz konkret verändert haben, dass wir neu beschließen müssen?

Frau Tiedge, es gibt mittlerweile ein durch die Unimedizin in Halle angefertigtes Konzept zur besseren Aufstellung der Unimedizin. Darin ist auch der Bereich der Rechtsmedizin benannt worden. Wenn sich beide Universitätskliniken momentan auf dem Weg der Konsolidierung befinden und überlegen, wo sie besser und effizienter werden können, und dann auch dem Land Vorschläge unterbreiten, dann glaube ich, dass das Land diese Vorschläge erst nehmen und in die Überlegungen einbeziehen sollte. Das hat sich seitdem geändert.

(Zustimmung bei der SPD)

Danke sehr, Frau Kollegin Dr. Pähle. - Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN spricht der Abgeordnete Herr Herbst.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es gibt mehreren Aussagen, die mich in der Debatte über die Rechtsmedizin in Sachsen-Anhalt erschüttert haben. Eine dieser Aussage kommt ausnahmsweise einmal nicht von der Landesregierung. Die Aussage stammt von einem Rechtsmediziner und wurde während eines Besuches des Rechtsausschusses in der Rechtsmedizin in Magdeburg geäußert. Diese Aussage lautet: Jeder zweite Todesschein in Sachsen-Anhalt ist falsch.

(Frau Weiß, CDU: Was?)

Jede zweite Todesursache, die ein Arzt auf einem Todesschein einträgt, stimmt nicht. Das heißt im Umkehrschluss, dass davon auszugehen ist, dass eine ganze Anzahl nicht natürlicher Todesursachen nicht erkannt wird.

(Herr Leimbach, CDU: Das kann nicht sein!)

Demnach werden sie auch nicht untersucht. Es kommt nicht zu Ermittlungen. Die Täter werden nie ermittelt, weil sie keiner sucht, meine Damen und Herren. Diese ungemütliche Tatsache erschüttert mich. Sie sollte uns alle erschüttern.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Noch mehr erschüttert mich, dass wir offenbar nicht von einer Landesregierung regiert werden, die aus derartigen Warnsignalen die richtigen Schlüsse zieht, meine Damen und Herren.

Im Gegenteil, Sie sind drauf und dran, auf dem Seziertisch Ihrer Sparpolitik ein weiteres lebens

wichtiges Organ eines funktionierenden Rechtsstaates zu beschädigen, meine Damen und Herren. Das können wir uns nicht leisten.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der LIN- KEN - Herr Wunschinski, CDU, lacht)

Niemand, meine Damen und Herren, aus unserer Fraktion wird Ihnen vorwerfen, Herr Möllring, dass Sie versuchen, die Defizite in der Rechtsmedizin abzubauen. Auch wir wollen das.

(Herr Leimbach, CDU: Mann, Mann! Häng das doch mal nicht so hoch! )

Niemand wird Ihnen vorwerfen, dass Sie über sinnvolle Synergien nachdenken. Niemand macht es Ihnen zum Vorwurf, dass die Gebühren für Obduktionen und andere Dienstleistungen erhöht wurden und somit stärker zur Kostendeckung beitragen.

Alle Bürgerinnen und Bürger - davon bin ich überzeugt - einschließlich der Opposition - ich denke, dass ich für beide Fraktionen sprechen kann - und der Angestellten der Rechtsmedizin sind bereit, nachvollziehbare und notwendige Schritte mitzutragen, wenn sie das Gefühl haben, dass Sie sich wirklich um die Sache kümmern und sich Ihre Entscheidungsfindung an fachlichen Aspekten orientiert.

Aber ich sage Ihnen ganz klar, dass ich dieses Gefühl nicht habe. Ich habe mehr als nur ein schlechtes Bauchgefühl, wenn ich daran denke, wie die Rechtsmedizin in Sachsen-Anhalt in Zukunft aussehen wird.

Ich denke an die Aussage mit den vielen falschen Todesscheinen. Ich befürchte, dass dieses sehr ernsthafte Problem in Zukunft zunehmen wird, nachdem Sie das Thema hier angefasst haben.

(Herr Lange, DIE LINKE: Ja!)

Sie wollen eine Prosektur in Magdeburg erhalten. Okay. Aber Sie können in dem vorliegenden Konzept bisher nicht schlüssig erklären, wie die Aufgaben der Lehre und der Rechtsmedizin gleichzeitig 24 Stunden am Tag und sieben Tage in der Woche gleichzeitig wahrgenommen werden sollen. Das können Sie nicht erklären, und so lange ist dieses Ding nicht zufriedenstellend, meine Damen und Herren.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der LIN- KEN)

Ich denke an die vielen Opfer von häuslicher und sexueller Gewalt. Ich denke an die vielen, die sich nicht trauen, eine Anzeige gegen Familienmitglieder zu erstatten. Für sie ist eine Gewaltopferambulanz, die 24 Stunden am Tag zur Verfügung steht, essentiell. Es geht um die vielen Mädchen und

Jungen, die zu Hause grün und blau geprügelt werden und dann im Kindergarten erzählen müssen, dass sie die Treppe hinuntergefallen sind. Das ist ein zunehmendes Problem, meine Damen und Herren.

(Frau Grimm-Benne, SPD: Diejenigen ge- hen nicht in die Ambulanz!)

Für diese Gruppe kann es lebensrettend sein,

(Herr Weigelt, CDU: In Stendal, in Halber- stadt, in Braunsbedra!)

jederzeit so schnell wie möglich eine Untersuchung zu bekommen, meine Damen und Herren.

Ob nun zur Ermittlung einer Todesursache oder in der Gewaltopferambulanz, jede Minute zählt. Das wird Ihnen jeder seriöse Rechtsmediziner betätigen. Ich habe auch deswegen ein ganz schlechtes Gefühl, meine Damen und Herren, weil ich miterleben musste, wie Sie zu dem Konzept gekommen sind, das heute hier vorliegt.

Seit zwei Jahren befassen wir uns im Rechtsausschuss mit der Zukunft der Rechtsmedizin im Land. Es gab auch Besuche vor Ort und Anhörungen im Ausschuss; alles inklusive. Wir Obleute sind uns darin einig, dass nur fachliche Belange die Richtschnur für die zukünftige Entwicklung sein können. Erst dann können finanzielle Erwägungen ansetzen, meine Damen und Herren. Aber wenn ich mir Ihr Konzept anschaue, dann habe ich eben den Eindruck, dass es hier anders herum gelaufen ist. Das darf nicht sein, meine Damen und Herren.

Bei der Kommunikation zum Thema Rechtsmedizin gibt die Landeregierung bis heute ein ziemlich konfuses Bild ab. Da wird sich öffentlich widersprochen. In Ausschüssen getätigte Aussagen werden zurückgenommen. Bis heute ist unklar, ob das Konzept eigentlich von allen beteiligten Häusern mitgezeichnet werden sollte. Es sollte doch eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein, meine Damen und Herren, dass das so ist.

(Beifall bei den GRÜNEN - Zustimmung bei der LINKEN)

Der heute hier vorliegende Entwurf kam als Tischvorlage. Die Ministerin für Justiz und Gleichstellung kannte ihn zum Zeitpunkt der Vorlage noch nicht. All das, meine Damen und Herren, ist qualitativ, ist handwerklich ungenügend.

Meine Damen und Herren! Ein Abbau von Defiziten ist notwendig. Aber letztlich muss klar sein, dass ein rechtsmedizinisches Institut niemals wird schwarze Zahlen schreiben können, genauso wenig wie die Polizei und genauso wenig wie Gerichte. Das ist doch klar.

Letztlich müssen wir uns auch bei dieser Fragestellung die Grundsatzfrage stellen, was uns ein Rechtsstaat wert ist, meine Damen und Herren.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der LIN- KEN - Herr Leimbach, CDU: Nein, was muss ein Rechtsstaat kosten! Meine Güte!)

Deswegen, meine Damen und Herren, haben heute beide Anträge, Herr Leimbach, ihre Berechtigung. Den Antrag der Fraktion DIE LINKE unterstützen wir. Aber auch der Antrag der Koalitionsfraktionen geht in die richtige Richtung, weil er in den letzten beiden Anstrichen genau die Defizite aufweist, die das Konzept von heute noch nicht hat. Wir werden uns während der Abstimmung über den Alternativantrag allerdings der Stimme enthalten, da in Punkt 1 von diesen Nebenstellen die Rede ist.

Wir haben einen klaren Landtagsbeschluss. Der besagt, dass es zwei Standorte geben soll und nicht irgendein neues Wording mit Nebenstellen, das zu Wurmfortsätzen führt,

(Zuruf von Herrn Leimbach, CDU)

die wie ein Blinddarm nicht richtig funktionieren. - Herzlichen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der LIN- KEN)

Danke sehr, Kollege Herbst. - Für die CDU-Fraktion spricht der Abgeordnete Herr Harms.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Diskussion macht deutlich, dass hier zwei Fachbereiche aufeinanderschlagen,

(Herr Czeke, DIE LINKE: Vier!)

Hochschulpolitik und Rechtspolitik.

(Herr Wunschinski, CDU: Und Innenpolitik!)

Ist der Theaterdonner, die Theaterrhetorik, Herr Herbst, die Sie hierbei einsetzen, wirklich das geeignete Mittel,

(Herr Herbst, GRÜNE: Das hat mit Theater nichts zu tun!)