Protokoll der Sitzung vom 11.12.2014

Die Frage nach der Verantwortung für Danos nun vorliegende schwere Schädigung wird vor Gericht verhandelt. Aber ich habe meine Zweifel daran, dass die wahre Verantwortung je geklärt werden kann. Denn Danos Eltern waren Leistungsberechtigte nach einem deutschen, von der Politik gemachten Gesetz, dem Asylbewerberleistungsgesetz.

Alle Leistungsempfänger, also Asylbewerberinnen und Asylbewerber, sogenannte Geduldete sowie anerkannte Geflüchtete mit bestimmten befristeten Aufenthaltserlaubnissen, erhalten eine Gesundheitsversorgung nur bei akuten Erkrankungen und Schmerzzuständen.

(Herr Striegel, GRÜNE: Das ist ein Skandal! - Zustimmung von Frau Zoschke, DIE LINKE)

Meine Damen und Herren! Diese Regelung führt dazu, dass immer wieder angemessene Behandlungen verweigert werden, was wiederum zu schweren direkten Schäden oder zu Folgeschäden für die Gesundheit führt. Somit verkehrt sich das ins Gegenteil, was eigentlich der Gesundheitsversorgung dienen soll, und macht Menschen im schlimmsten Fall krank.

(Beifall bei den GRÜNEN - Zustimmung von Herrn Gallert, DIE LINKE)

Meine Damen und Herren! Dafür gibt es auch Beispiele in Sachsen-Anhalt. Ich habe das eingangs erwähnt. Zum Beispiel habe ich jemanden in einer Flüchtlingsunterkunft in Zeitz getroffen, der dort, in der Flüchtlingsunterkunft, einen offenen Armbruch erlitten hatte. Er wollte beim Wachdienst bzw. bei der Pforte einen Krankenwagen für den Weg ins Kreiskrankenhaus rufen. Ihm wurde ebenfalls gesagt, er solle doch laufen oder sich ein Taxi rufen.

Ein weiteres Beispiel ist mir aus Friedersdorf bekannt. Dort ist vor einigen Jahren ein junger Mann verstorben. Dieser Fall ging auch durch Medien. Es wurde ein Krankenwagen wegen Unwohlseins gerufen. Der Mann hat nur Aspirin bekommen und ist später, als der Krankenwagen noch einmal kommen musste, am Folgetag im Krankenhaus verstorben. Die Todesursache ist unklar. Ich möchte damit zum Ausdruck bringen, dass zumindest nicht immer die adäquate Versorgung für die Menschen gewährleistet wird. Aspirin wird schnell ausgeteilt, aber das ist natürlich weniger als ein Tropfen auf den heißen Stein.

Meine Damen und Herren! Dass wir in Deutschland Gesetze haben, die hier lebende Menschen vom Zugang zu notweniger Gesundheitsversorgung systematisch ausschließen, finde ich beschämend.

(Beifall bei den GRÜNEN - Zustimmung bei der LINKEN)

Diese Schlechterstellung hat nicht nur für die Betroffenen selbst Folgen, sondern auch für die Sichtweise in der Gesellschaft auf geflüchtete Menschen. Die implizite Unterstellung, sie wollten sich unrechtmäßig Gesundheitsleistungen erschleichen, ist ein Schlag in das Gesicht der Menschen, die dem Horror aktueller Krisen und Konflikte entflohen sind und die bestimmt ganz andere Fluchtgründe und Motive hatten als das, meine Damen und Herren.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Die Verweigerung des Zugangs zu Gesundheitsleistungen ist die vielleicht radikalste und folgenschwerste Einschränkung von Menschenrechten, die wir schutzbefohlenen Menschen zumuten, die zu uns nach Deutschland kommen. Das ist unver

antwortlich, unchristlich und unrechtmäßig, meine Damen und Herren.

(Beifall bei den GRÜNEN - Zustimmung bei der LINKEN)

Der Schutz des Lebens und der Gesundheit sind keine freiwilligen Leistungen, sondern Menschenrechte, zu deren Wahrung sich Deutschland verpflichtet hat. Im internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte verpflichtet sich Deutschland, das Recht auf höchstmögliche körperliche und geistige Gesundheit für jedermann zu wahren, und zwar unabhängig von Staatsangehörigkeit, Aufenthaltsstatus und jeglichen sonstigen Kriterien. Die Schlechterstellung dieser Gruppe im Asylbewerberleistungsgesetz ist genau das Gegenteil davon und somit ein klarer Rechtsbruch.

Das sieht auch das Bundesverfassungsgericht so, das am 12. Juli 2012 urteilte: Die Menschenwürde ist migrationspolitisch nicht zu relativieren. Das Bundesverfassungsgericht stellte darüber hinaus fest, dass die von Deutschland ratifizierten Menschenrechtsverträge geltendes Recht sind und bindend für alle staatlichen Ebenen, von der Bundesebene über die Länder bis hin zur kommunalen Ebene. Das Gericht hat festgestellt, dass das Asylbewerberleistungsgesetz verfassungswidrig ist. Das Gesetz ist eben keine tragfähige Grundlage, um Leistungen für Asylsuchende rechtskonform und menschenwürdig zu gewährleisten; es müsste abgeschafft und durch etwas völlig Neues ersetzt werden.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Leider sehen wir im Moment keine Entwicklung in diese Richtung. Die Groko denkt überhaupt nicht an die Abschaffung des Gesetzes, sondern will das Gesetz lediglich überarbeiten. Dass dabei nichts Gutes herauskommen kann, das zeigt der Umstand, dass am Grundsatz der sogenannten gruppenbezogenen Differenzierung festgehalten werden soll. Dabei ist es gerade dieser Grundsatz der gruppenbezogenen Relativierung, der sich mit dem Gesetz und mit den Menschenrechten beißt, meine Damen und Herren. Daraus müsste man eigentlich lernen.

Bei der Gesundheitsversorgung bewegte sich seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts gar nichts. Noch immer können Asylsuchende und Geduldete nicht einfach einen Arzt aufsuchen, wenn es ihnen schlecht geht. Zunächst müssen sie auf das zuständige Sozialamt gehen; dort entscheiden dann Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ohne medizinische Ausbildung darüber, ob ein Arztbesuch in ihren Augen notwendig ist oder nicht. Das ist völlig schizophren, wie ich finde. Keiner von uns würde das mit sich machen lassen.

Oft genug werden ernsthaft kranke Menschen zurückgewiesen oder müssen sich intime Fragen zu

ihrem Zustand gefallen lassen, die ihre Persönlichkeitsrechte verletzen. Erst wenn diese bürokratische und zeitlich aufwendige Prozedur vorüber ist und mit der Aushändigung eines Krankenscheins endet, dürfen die Kranken endlich den Weg zum Arzt antreten. Für jede Folgebehandlung, die notwendig wird, muss dieses entwürdigende Prozedere wiederholt werden. Das, meine Damen und Herren - das muss man deutlich sagen -, ist eine Willkürbehandlung und die ist eines demokratischen Rechtsstaates unwürdig.

(Beifall bei den GRÜNEN - Zustimmung bei der LINKEN)

Um diesem Problem abzuhelfen, legen wir Ihnen heute einen Antrag vor, der darauf abzielt, in Sachsen-Anhalt in Zusammenarbeit mit den Krankenkassen und den Kommunen eine Gesundheitschipkarte für Asylsuchende und für geduldete Menschen einzuführen. Wir wollen damit dem Beispiel von Bremen, von Berlin und von Hamburg folgen. Auch das Flächenland Brandenburg arbeitet im Moment an der Implementierung einer solchen Versicherungskarte.

Meine Damen und Herren! Wir sagen auch ganz ehrlich, dass der Antrag, den wir Ihnen heute vorlegen, nur ein erster Schritt auf dem Weg zu einer besseren und menschenrechtskonformen Gesundheitsversorgung für Flüchtlinge sein kann. Verbessern muss sich vor allem auch die Qualität der Gesundheitsversorgung. Es ist auch eine aufsuchende Behandlung notwendig, wenn Menschen in der Gemeinschaftsunterbringung wohnen. Daher fordern wir unter Punkt 2 unseres Antrages eine Verbesserung der Qualität. Wir fordern die Landesregierung auf, an dieser Stelle Akzente zu setzen und sich an den bundespolitischen Überlegungen dazu konstruktiv zu beteiligen.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Die Karte kann also eine grundsätzliche Reform des Zugangs zu Leistungen und der Gewährleistung von Leistungen nicht ersetzen, aber sie schafft konkrete Verbesserungen an einer entscheidenden Stelle: Den Leistungsberechtigten wird die von mir geschilderte entwürdigende Prozedur im Sozialamt erspart. So wird auch die Einschätzung des Gesundheitszustandes demjenigen überlassen, der als einziger etwas davon versteht, nämlich einem Arzt.

Die Erfahrungen der Geflüchteten und der Bundesländer mit der Gesundheitskarte sind durchweg positiv. Der Zugang zu einem Arzt oder zu einer Ärztin wird erheblich erleichtert und endlich in die Hände der Betroffenen gelegt. Damit steigen auch die Chancen der Geflüchteten, dass ihre gesundheitlichen Probleme rechtzeitig erkannt und behandelt werden können. Es wird zudem die Selbstbestimmung der Menschen gestärkt, die eine

Grundvoraussetzung dafür ist, sich in Deutschland erfolgreich zu orientieren und zu integrieren.

Meine Damen und Herren! Für mich ist es nicht das wichtigste, aber auch ein wichtiges Argument, dass die Kosten für das Gesundheitssystem sinken. Berlin hat errechnet, dass seit der Einführung der Karte bereits Mittel in Höhe von 1,2 Millionen € eingespart wurden. Das heißt, auch in dieser Hinsicht ist eine positive Folge zu erwarten. Zudem sinken die Kosten auch durch die Früherkennung von Krankheiten, die dann nämlich nicht ausbrechen und nicht chronisch werden.

Es ist also wie bei jeder integrationspolitischen Maßnahme, die einen tatsächlichen Nutzen hat: Wenn man Integration wirklich will, dann muss man mit den Mitteln der Politik etwas dafür tun, dass sie auch ermöglicht wird. Die Gesundheitskarte für Geflüchtete schafft nicht nur Vorteile für Tausende von Asylsuchenden und Geduldeten; sie schafft auch Klarheit und Sicherheit bei den Abrechnungsmodalitäten der Ärztinnen und Ärzte. Die Einführung der Karte ist somit auch eine vertrauensbildende Maßnahme.

Meine Damen und Herren! Die Anzahl der Menschen, die in Deutschland Asyl beantragt haben, hat sich innerhalb eines Jahres mehr als verdoppelt. Das bedeutet auch für Sachsen-Anhalt, dass wir doppelt so viele Menschen wie vor einem Jahr menschenwürdig unterbringen müssen und dafür sorgen müssen, dass sie bestmöglich betreut werden.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren! Einige Menschen glauben, darauf reagieren zu müssen, indem sie sagen: Integration ist nicht mehr so wichtig; die werden doch irgendwo untergebracht und das ist das Wichtigste. Diesen Leuten muss ich klar entgegenhalten: Wir haben in den letzten Jahren eine Qualitätsdebatte geführt.

Dabei ging es um die Erkenntnis, dass Deutschland und auch Sachsen-Anhalt ein Einwanderungsland ist. Es ging um die Erkenntnis, dass Einwanderung für unsere Gesellschaft wichtig ist, dass sie weiterentwickelt werden muss, um Menschen wirklich willkommen zu heißen. Es ging um Qualitätsstandards bei der Unterbringung und bei der Betreuung von Flüchtlingen, also um wirkliche Schritte, die eine Integration möglich machen.

Meine Damen und Herren! Es ist elementar wichtig, dass wir diese Debatte trotz der steigenden Zahl von Asylsuchenden als eine Qualitätsdebatte weiterführen, und keine Abstriche bei der Qualität machen und nur über Zahlen reden. Gerade jetzt müssen wir diese Qualitätsdiskussion führen.

Wenn ich mir die Maßnahmen ansehe, die auf der Bundesebene getroffen werden, dann ist mir dabei alles andere als wohl zumute. Dort wird im Mo

ment die Taktik verfolgt, ein Paket zu schnüren, das aus einer Verbesserung und einer Verschlechterung besteht, und das dann im Bundesrat durchzubringen. Ich sage Ihnen ganz ehrlich: So kann es nicht weitergehen, wenn wir es mit der Integration ernst meinen.

Integrationspolitik ist nicht die Echternacher Springprozession: zwei Schritte vor, einen zurück. Wenn wir es ernst meinen, dann brauchen wir klare Maßnahmen. Wer es nicht ernst meint, der braucht erst gar nicht davon zu sprechen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren! Wer heute eine Asylflut heraufbeschwört, wer Menschen als Wirtschaftsflüchtlinge abstempelt oder wer so tut, als sei es ein irgendwie relevantes Problem, wenn Menschen in ihrer privaten Wohnung eine andere Sprache als Deutsch sprechen, der kippt Wasser auf die Mühlen einer sich verhärtenden Front von antieuropäischen Rechten, die überhaupt kein Interesse daran haben, verantwortlich unser Land und Europa zu regieren.

(Zustimmung von Herrn Striegel, GRÜNE - Zuruf von der CDU: Oh, oh, oh!)

Es darf eben nicht passieren, dass wir auf die aktuellen Herausforderungen, auf die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts, mit den Werkzeugen der 90er-Jahre reagieren.

Meine Damen und Herren! Vor wenigen Tagen haben sich der Bund und die Länder im Bundesrat darauf geeinigt, die Krankenkassenkarte für Geflüchtete einzuführen. Auf der Bundesebene sind noch gesetzliche Regelungen zu schaffen, um dies für jedes Land klar und nach einem einheitlichen Verfahren zu ermöglichen. Beispielsweise muss das Problem der Konnexität geklärt werden.

Doch die Bundesländer haben bereits damit begonnen, diese Krankenkassekarte einzuführen. In einer Vereinbarung, die der Bund und die Länder geschlossen haben, werden die Länder auch dazu aufgefordert, jetzt damit zu beginnen, jetzt dieses Thema aufzugreifen und jetzt zu handeln. Meine Damen und Herren! Mit dem Antrag, den wir Ihnen vorgelegt haben, möchten wir diesen Impuls aufgreifen und zeigen, dass wir als Land konstruktive Integrationspolitik mit Verantwortung machen können. Insofern bitte ich Sie um Ihre Zustimmung zu unserem Antrag. - Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN - Zustimmung bei der LINKEN)

Danke schön, Kollege Herbst. - Für die Landesregierung spricht nun Herr Minister Bischoff in Vertretung des Innenministers.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich spreche stellvertretend für den verhinderten Kollegen Innenminister Stahlknecht. Doch als Gesundheits- und Integrationsminister ist auch mir das Anliegen wichtig und bin auch ich dafür verantwortlich.

Da ich nur eine Redezeit von fünf Minuten habe, möchte ich mich in meinen Ausführungen auf die Gesundheitskarte beschränken und nicht auf alle Fassetten eingehen, die Herr Herbst angesprochen hat und die im Übrigen wieder neu aufgeflammt sind, weil die Flüchtlingsbewegungen so groß sind und weil die Krisenherde in der Welt so groß sind.

Die Diskussion um die Gesundheitskarte wird vor allem in den erwähnten Stadtstaaten bereits seit deren Einführung im Jahr 2005 geführt. In der bisherigen Zeit ist die Diskussion darüber jedoch nicht in dem Ausmaß aufgeflammt, wie es derzeit der Fall ist. Es ist richtig, dass jeder Mensch einen Anspruch auf eine angemessene und individuelle Grundversorgung mit Gesundheitsleistungen hat. Das gilt für alle, auch für Asylsuchende.

Nach geltendem Recht stehen diesem Personenkreis zunächst Krankenhilfeleistungen nach § 4 des Asylbewerberleistungsgesetzes zu. Das heißt, ihnen sind in erster Linie zur Behandlung von akuten Erkrankungen und Schmerzzuständen erforderliche Leistungen zu gewähren. Auch Leistungen für werdende Mütter, Geburten und allgemein übliche Schutzimpfungen werden finanziert.

Darüber hinaus regelt § 6 des Asylbewerberleistungsgesetzes, dass weitergehende Leistungen insbesondere dann gewährt werden, wenn dies zur Sicherung der Gesundheit unerlässlich oder zur Deckung besonderer Bedürfnisse von Kindern geboten ist. Diese Regelung gibt den Leistungsbehörden die Möglichkeit, einem besonderen Bedarf im Einzelfall gerecht zu werden.