Protokoll der Sitzung vom 11.12.2014

Meine Damen und Herren! Ich sage völlig wertungsfrei: Das Ende der Schullaufbahnempfehlung hat nachweislich zu steigenden Schülerzahlen an den Gymnasien geführt. Dabei zeichnen sich zwei wesentliche Effekte ab: Erstens steigt der Lehrkräftebedarf an den Gymnasien. Zweitens wird sich auch in den nächsten Jahren der Ansturm auf die Hochschulen auf konstant hohem Niveau bewegen.

(Herr Lange, DIE LINKE: Das ist sehr gut! - Frau Bull, DIE LINKE: Gut so!)

- Das ist Ansichtssache. - Es ist kein Geheimnis: Wenn etwa die Hälfte aller Grundschüler auf das Gymnasium wechselt, fehlen der gesamten Wirtschaft immer häufiger Schulabgänger mit Sekundarschulabschluss.

(Herr Lange, DIE LINKE: Also kennen Sie die Zahlen des Hochschulpakts!)

Allein im Bezirk der Handwerkskammer Halle gab es in diesem Jahr 470 Ausbildungsplätze, die nicht besetzt werden konnten. Ein möglicher Weg, diesem besorgniserregenden Trend entgegenzuwirken - diesbezüglich bin ich dem Ministerpräsidenten Reiner Haseloff für seine Zusage auf dem Sachsen-Anhalt-Forum dankbar -, ist eine verbindliche Berufs- und Studienorientierung am Gymnasium.

Denn während auf der einen Seite immer mehr Ausbildungsstellen nicht besetzt werden können, brechen leider zu viele Studenten ihr Studium vorzeitig ab. Nicht selten hat sich der an die Universität eingeschlagene Weg für junge Menschen als Sackgasse herausgestellt. Im Ergebnis führt das zu Frust bei den jungen Menschen und auch bei den Unternehmern.

Ich habe die Zahl der Studienzweifler - so sagt man es neudeutsch - bei der Landesregierung erfragt. Die Quoten variieren von Hochschule zu Hochschule zwischen 18 % und 55 %.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Für die Koalitionsfraktionen ist klar, dass es noch besser gelingen muss, attraktive Angebote für die Studienabbrecher bei der Aufnahme einer verspäteten Berufsausbildung zu schaffen. Ziel muss es sein, die Beratungsangebote für Studienabbrecher systematisch auszubauen und auf den betrieblichen Qualifikationsbedarf zugeschnittene, intelligente Lösungen zu finden. Entsprechend einer aktuellen Studie des Bundesinstituts für Berufsbildung halten wir zum Beispiel die teilweise Befreiung der Studienabbrecher vom Berufsschulunterricht für durchaus diskussionswürdig.

Auch die Bedingungen für langzeitarbeitslose Hochschulabsolventen müssen weiter verbessert wer

den, zum Beispiel durch die Anrechnung von bereits erbrachten Lernleistungen bei der Aufnahme einer Berufsausbildung.

Die dualen Studiengänge als Garant für eine hohe Durchlässigkeit zwischen der beruflichen und akademischen Bildung haben sich - diesbezüglich muss ich Ihnen, Frau Dalbert, widersprechen - im Land Sachsen-Anhalt bestens bewährt und sollten noch weiter gefördert und ausgebaut werden.

Auch im umgekehrten Fall sollte mit dem Ausbau von Anrechnungsmöglichkeiten beruflicher Kompetenzen auf Hochschulstudiengänge die Durchlässigkeit zwischen den beiden tragenden Säulen der Fachkräftesicherung weiter erhöht werden. Dazu wurde bereits heute Morgen alles Wesentliche gesagt. Ich sage aber auch: Bei der konkreten Ausgestaltung dürfen beide Säulen im Bildungssystem nicht verwässert werden, da die Anforderungen an die beiden Systeme sehr unterschiedlich sind.

Während die akademische Bildung junge Menschen mit Hochschulzulassung zu einem akademischen Abschluss führen soll, sind die Anforderungen an die berufliche Bildung wesentlich weiter gefächert. Hierbei geht es um junge Menschen ohne Abschluss mit Förderbedarf über leistungsstarke Jugendliche bis hin zum Studienabbrecher, für die alle eine passgenaue Lösung gefunden werden muss.

Meine Damen und Herren! Die Koalitionsfraktionen sind überzeugt, dass die gegenseitige Anrechnung von Lernleistungen zudem zu einer Kultur der gegenseitigen Wertschätzung der beiden Bildungswege führen wird.

Damit komme ich zum dritten Punkt unseres Antrages. Auch darüber haben wir bereits im Mai dieses Jahres sehr ausführlich beraten und einstimmig einen Beschluss gefasst. Der Bericht des Kultusministers dazu liegt seit wenigen Tagen vor und enthält wichtige Anhaltspunkte. Mit der Umsetzung eines regionalen und transparenten Übergangmanagementsystems Schule - Beruf werden die Voraussetzungen für die Optimierung bestehender Strukturen bei der Vorbereitung und Begleitung von Jugendlichen mit mangelnder Ausbildungsreife von der Schule bis zum Berufsabschluss geschaffen.

Dabei möchte ich betonen, dass es sich hierbei nicht um ein spezifisches Problem in SachsenAnhalt handelt. Die zum Teil wenig effizienten und intransparenten Strukturen sind vielmehr bundesweit ein Problem. Das hat inzwischen auch die Bundespolitik erkannt und mit einem entsprechenden Antrag darauf reagiert.

Ein wesentlicher Faktor für das Gelingen eines optimalen Managements am Übergang von der Schule in den Beruf sind die enge Abstimmung und die sinnvolle Vernetzung aller regionalen Ak

teure, die am Ausbildungsprozess beteiligt sind. Dazu zählen neben der Agentur für Arbeit, den Schulen, den Eltern und den Unternehmen auch die Sozialpartner sowie die Industrie- und Handelskammern, die Handwerkskammern oder Berufseinstiegsbegleiter, Jugendsozialarbeiter und Kommunen, um nur einige der beteiligten Akteure zu nennen.

Ziel ist die rechtskreisübergreifende Koordinierung aller effizienten Maßnahmen, Projekte und Programme. Eine Landeskoordinierungsstelle stellt neben der Prozesssteuerung und der Evaluierung auch den Erfahrungsaustausch zwischen den regionalen Partnern im Land sicher. Die Koalitionsfraktionen sind sich darin einig, dass die optimale Versorgung aller Jugendlichen mit einem Ausbildungsplatz nach der Schule auf diese Weise noch besser sichergestellt werden kann.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Fraktionen von CDU und SPD setzen auf die hohe Qualität berufsbildender Schulen in unserem Land. Der Erfolg und die Attraktivität des dualen Ausbildungssystems als Kern der beruflichen Bildung basieren auf der Leistungsfähigkeit und der Kooperation der beiden Lernorte Unternehmen und Berufsschule.

Innovative Konzepte der beruflichen Bildung stellen sicher, dass der für die hohe Qualität der dualen Ausbildung erforderliche Ausbildungsteil an einer Berufsschule auch in Zukunft gewährleistet wird. Qualitativ hochwertige Lehr- und Lernmethoden verbunden mit einer bedarfsgerechten Ausstattung können diese Entwicklung entsprechend unterstützen.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Erlauben Sie mir abschließend ein paar Worte zu Punkt 5 unseres Antrages. Dieser Punkt ist den Koalitionsfraktionen besonders wichtig. Wie Ihnen allen bekannt ist, vermittelt die ganzheitliche Berufsausbildung umfassende und flexible berufliche Handlungskompetenz, um eigenverantwortlich Arbeitsprozesse durchzuführen und darin auftretende Probleme lösen zu können.

Besonders Berufsanfänger müssen sich bei der beruflichen Weiterentwicklung in einem Unternehmen, aber auch beim Arbeitsplatzwechsel gegenüber anderen qualifizierten Bewerbern behaupten können. Auch die Besonderheit der kleinteiligen Wirtschaftsstrukturen im Land Sachsen-Anhalt erfordert einen ganzheitlichen Ansatz bei der Ausbildung qualifizierter Fachkräfte. Für kleine und mittlere Unternehmen ist nur damit die voll umfängliche Einsatzfähigkeit qualifizierter Fachkräfte sichergestellt. Nur so können sie am Markt flexibel agieren.

Meine Damen und Herren! Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit und freue mich auf die nun folgende Debatte. - Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU und bei der SPD)

Herr Kollege Keindorf, zwei Kollegen würden Sie gern etwas fragen: Herr Gallert und Frau Professor Dalbert.

Ich würde gern die Debatte abwarten und im Anschluss daran Fragen beantworten.

Intervenieren möchten Sie nicht, Herr Gallert?

Jetzt möchten Sie intervenieren. Herr Gallert, damit habe ich Sie auf etwas gebracht.

Danke. - Ich will nur kurz einen Satz sagen. Natürlich gibt es diese Debatte, dass wir zu viele Studienanfänger hätten und es inzwischen ein überdimensionierter Bereich wäre. Wir sehen das ausdrücklich nicht so.

Herr Keindorf, der Fairness halber muss man sagen, dass man, wenn man als Argument die sogenannten Studienzweifler anführt, auf der anderen Seite auch sehen muss, dass wir im Bereich der klassischen Berufsausbildung genau das gleiche Problem haben, nämlich das Abbrechen von Ausbildungen und der Neubeginn von Ausbildungen. Wenn man die eine Zahl nennt, muss man auch die andere Zahl nennen, sonst ist dieser Vergleich nicht seriös. - Danke.

(Beifall bei der LINKEN)

Vielen Dank. - Da der Kultusminister für gestern Abend und für heute entschuldigt ist, wird der Sozialminister erneut in Vertretung auftreten. Er spricht für die Landesregierung. Bitte, Herr Minister Bischoff.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Da ich mir nicht sicher bin, ob ich die Nachfragen, die danach an meine Person gerichtet werden, umfänglich beantworten kann, leite ich diese dann an den Kultusminister weiter und trage ich Ihnen jetzt den Beitrag des Kultusministers vor.

Die Landesregierung begrüßt, dass der Wissenschaftsrat in seinen Empfehlungen zum Verhältnis beruflicher und akademischer Bildung deren Gleichwertigkeit betont und damit ein deutliches

Signal für die Gleichwertigkeit beider Bereiche gesetzt hat.

Auf diesem Gebiet sind bereits konkrete Fortschritte erzielt worden. So wird beispielsweise im deutschen Qualifikationsrahmen, den Bund und Länder zusammen mit den Akteuren aus allen Bildungsbereichen, mit den Sozialpartnern und Wirtschaftsorganisationen sowie weiteren Experten entwickelt haben, ein Abschluss als Meister der gleichen Stufe zugeordnet wie ein Bachelor.

Ein zentrales Anliegen sind bessere Orientierungsangebote für Jugendliche hinsichtlich der Entscheidung zwischen Berufsausbildung und Studium.

Zur Durchlässigkeit zwischen beruflicher und akademischer Bildung hat die Kultusministerkonferenz bereits in den Jahren 2002 und 2009 wesentliche Weichenstellungen vorgenommen.

Am 6. März 2009 hat die KMK den Beschluss mit dem Titel „Hochschulzugang für beruflich qualifizierte Bewerber ohne schulische Hochschulzugangsberechtigung“ verabschiedet. Dieser Beschluss eröffnet den Inhabern beruflicher Aufstiegsfortbildungen den allgemeinen Hochschulzugang und definiert die Voraussetzungen, unter denen Qualifizierte ohne Aufstiegsfortbildung einen fachgebundenen Zugang zur Hochschule erhalten.

Die gesetzliche Regelung des Landes wurde angepasst. Damit wurden die Zugangshürden für diese Zielgruppe abgebaut.

Die Anrechnung von außerhochschulischen Kompetenzen verkürzt ein akademisches Weiterbildungsstudium und ist für Berufstätige attraktiv. Es zeigt aber auch, dass die berufliche Bildung von den Hochschulen ernst genommen wird.

Im Rahmen von Bund-Länder-Projekten werden gegenwärtig transparente Anrechnungsverfahren entwickelt und erprobt und spezielle Studienangebote für beruflich Qualifizierte entwickelt.

Umgekehrt müssen jedoch auch die von Studienabbrechern erbrachten Leistungen bei einer anschließenden Berufsausbildung besser anerkannt werden. Die Grundsätze der Empfehlung zur Optimierung und Vereinheitlichung der schulischen Angebote im Übergangssystem mit dem Titel „Lebenschancen eröffnen - Qualifikationspotenziale ausschöpfen - Übergänge gestalten“ lauten wie folgt: erstens die Ausrichtung der Ausbildungsinhalte an den dualen Ausbildungsberufen, zweitens die anrechnungsfähigen Ausbildungsinhalte, die angestrebte Anrechnungsbereitschaft der Wirtschaft und damit eine verwertbare Verkürzungsoption für die Schülerinnen und Schüler, drittens Hinführung zum dualen Ausbildungssystem und viertens enge Abstimmung zwischen den Akteuren.

Dadurch werden die im Land Sachsen-Anhalt vorhandenen Maßnahmen aller Akteure im Über

gangssystem und die Maßnahmen, die noch zur weiteren Entwicklung des Übergangssystems vorgesehen sind, optimiert.

Dadurch stehen nicht nur die Angebote der Berufsvorbereitung in den berufsbildenden Schulen, sondern auch die Berufsorientierung in den allgemeinbildenden Schulen und ausbildungsbegleitende Maßnahmen in den Betrieben im Fokus.

Um die bisherigen Anstrengungen noch besser an diesem Ziel zu messen, wurde im November bzw. im Dezember 2013 zwischen dem Ministerium für Arbeit und Soziales, dem Kultusministerium und der Regionaldirektion Sachsen-Anhalt-Thüringen der Bundesagentur für Arbeit eine Kooperationsvereinbarung über die strategische Ausrichtung der Zusammenarbeit in Sachsen-Anhalt zur Ausgestaltung des Übergangsmanagements von

Schule in den Beruf, das sogenannte Rümsa, geschlossen.

Damit sollte sichergestellt werden, dass die vielfältige Angebotspalette von Maßnahmen der unterschiedlichen Akteure im Übergangssystem aufeinander abgestimmt, wirtschaftsnah und flächendeckend ausgerichtet und für die Jugendlichen transparent gestaltet wird. Die koordinierte und abgestimmte Gestaltung des Übergangsmanagementsystems ist ein wesentlicher Erfolgsfaktor für eine künftige auskömmliche Fachkräftesituation in der regionalen Wirtschaft.