Protokoll der Sitzung vom 29.01.2015

Jetzt schauen wir aber nach vorn. Herr Knöchel hat völlig Recht. Das habe ich auch schon erwähnt. Wenn man wie ich - davon bin ich fest überzeugt - ein offeneres System will, also eines mit mehr und größeren Budgets und weniger Titeln und auch mit mehr Einfluss von Parlament und Öffentlichkeit, wird man nicht zu dem tendieren, was Ihnen - das sage ich jetzt einmal so spitz - der Rechnungshof in der Beschlussempfehlung auch ein bisschen mit in die Feder gegeben hat; denn ich habe sie sehr aufmerksam gelesen. Das deckt sich mit vielen Papieren, die ich vorher schon direkt vom Rechnungshof bekommen habe.

Es wird überhaupt nicht funktionieren, dass wir eine zweite Haushaltsberatung über Ausgabereste durchführen. Das kann nicht zielführend sein. Aber wir haben schon Verbesserungen; denn ich war in allen Fraktionen. Mit dem System Isa können Sie zum Beispiel monatsgenau die Haushaltsansätze inklusive der Haushaltsreste sehen. Das ist so. Sie können den Rechner anmachen und das aufrufen. Dort steht das drin.

Ich bitte Sie darum, in den Ausschüssen zu sehen, dass man das in Zukunft für die Beratungen nutzen kann. Das war bei dem damaligen Haushalt noch nicht möglich.

Wir werden auch - das habe ich gesagt - in diesem Jahr wieder eine Mipla - darin ist das Jährlichkeitsprinzip einschließlich der Eckwerte usw. als Vorlage für die Haushaltsdiskussionen in den nächsten Jahren enthalten - mit einer entsprechenden Liste vorlegen. Aber bitte nutzen Sie nicht diese Diskussion, um weitergehende Überlegungen, die in einer modernen Finanzpolitik in anderen Ländern schon gang und gäbe sind, unter dem Aspekt eines angeblichen Misstrauens wider zurückzurollen und jeden kleinen Titel so festzuzurren, dass der Haushalt durch die Verwaltung kaum noch umgesetzt werden kann. Damit würden Sie sich selbst auch keinen Gefallen tun.

Diskutieren Sie mit uns mehr über die Strategie und über die Ziele und die Umsetzung der Politik und nicht über die Frage, ob ein Deckungskreis zu groß oder zu klein ist. Den haben Sie übrigens auch mit beschlossen. - Schönen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD)

Danke schön, Herr Minister. Es gibt eine Nachfrage des Abgeordneten Herrn Knöchel.

Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Minister, Sie sprachen gerade die Transparenz an, die Sie hinsichtlich der Ausgabereste walten lassen. Es ist aber richtig, dass ich eine Kleine Anfrage zu Ausgaberesten gestellt habe. Als wir diese dann in die Ausschüsse eingeführt haben, wurde von Ihrem Haus gesagt, dass das Papier von vor zwei Wochen jetzt schon völlig unaktuell ist, sodass es in der Tat schwierig war, zu kontrollieren - das ist unsere Aufgabe als Opposition -, was die Regierung gerade im Bereich der Ausgabereste treibt. Das müsste dann eigentlich verbessert werden.

Sie haben mir vielleicht nicht ganz aufmerksam zugehört. Ich habe gesagt, in den Ausschüssen bei der Beratung. Gemeint waren die Fachausschüsse. Die Bewirtschaftung dieser Mittel erfolgt durch die Ressorts. Damals war es noch viel schwieriger. Da gab es diese Technik noch nicht. Ich kann mich noch gut daran erinnern, dass wir immer diese langen

(Zuruf von der LINKEN)

und großen Papiere vorgelegt bekamen. Die waren immer veraltet.

Ich weiß nicht, was in den 14 Tagen zwischen Kleiner Anfrage und dem Zeitpunkt, an dem Sie mir die Frage stellen, durch das jeweilige Ressort bewirtschaftet wurde. Aber das Ressort kann Ihnen das im jeweiligen Fachausschuss sagen. Das heißt, wir fokussieren uns viel zu sehr immer auf den Finanzausschuss.

Es muss in den Beratungen über die Einzelpläne viel genauer hingeschaut werden. Das werfe ich jetzt niemandem von meinen Kolleginnen und Kollegen vor. Die Frage müssen Sie schon selbst stellen. Aber da kann derjenige Minister oder diejenige Ministerin auch sagen, dass in den letzten 14 Tagen so und so viele Mittel über die Kasse gegangen sind. Das müssen wir verbessern, aber alle miteinander.

(Herr Lange, DIE LINKE: Den Fachausschüs- sen liegt das auch nicht vor!)

- Schönen Dank.

Danke schön. Weitere Nachfragen sehe ich nicht. Wünscht noch jemand das Wort? - Niemand.

Dann können wir in die Abstimmung eintreten. Wir stimmen über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Finanzen in der Drs. 6/3753 in Gänze ab. Wer der Drucksache zustimmen möchte, den bitte ich um das Kartenzeichen. - Gegenstimmen? - Die sehe ich nicht. Gibt es Stimmenthaltungen? - Bei Stimmenthaltungen in der Opposition ist die

Drucksache beschlossen worden. Somit ist die Drucksache angenommen worden und der Tagesordnungspunkt erledigt.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 13 auf:

Erste Beratung

Maßnahmen für die Beschulung der Kinder von Zugewanderten und Flüchtlingen für eine bessere Teilhabe und Chancengleichheit

Antrag Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Drs. 6/3754

Für die Einbringerin erhält Frau Abgeordnete Professor Dr. Dalbert das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich weiß nicht, ob Sie schon einmal die Erfahrung gemacht haben, in einem Raum voller Menschen zu sein, die miteinander gesprochen haben, und Sie waren der einzige Mensch in diesem Raum, der überhaupt nichts verstanden hat - kein einziges Wort. Wer die Erfahrung gemacht hat, weiß, dass das eine sehr befremdliche Erfahrung ist und man sich ganz, ganz merkwürdig vorkommt.

Das ist die Erfahrung, die die Mehrzahl der Flüchtlingskinder macht, die zu uns kommt, und darum geht es in unserem heutigen Antrag. Wir leben heute in der größten Flüchtlingskrise seit dem Zweiten Weltkrieg. Das liegt an den zunehmenden Bürgerkriegen in vielen Ländern der Welt. Weltweit sind mehr als 50 Millionen Menschen auf der Flucht, und jeder zweite dieser Menschen ist unter 18 Jahre.

Das führt auch bei uns in Sachsen-Anhalt zu einer veränderten Situation. Auch hier gibt es eine Veränderung der Art der Flüchtlinge, die zu uns kommen. Waren das jahrelang ganz überwiegend alleinstehende Männer, beobachten wir jetzt, dass zunehmend Familien mit schulpflichtigen Kindern zu uns kommen. Jeder vierte Flüchtling, der zu uns kommt, ist unter 18 Jahre und damit schulpflichtig.

Mit wachsender Zahl sind das auch Bürgerkriegsflüchtlinge. Im Augenblick ist jeder vierte Flüchtling bei uns ein Mensch, der aus einem Bürgerkriegsland zu uns kommt. Das bedeutet, dass diese Menschen viele Jahre bei uns bleiben werden, weil überhaupt nicht abzusehen ist, dass sich die Lage in ihren Heimatländern verbessert.

In Sachsen-Anhalt hat sich die Zahl der Asylbewerberinnen und Asylbewerber seit 2011 vervierfacht. Der Zeitung konnte ich letzte Woche entnehmen, dass der Staatssekretär des Ministeriums für Bildung und Kultur, Jan Hofmann, ausgeführt hat, dass allein in den letzten vier Monaten

1 000 Flüchtlingskinder zu uns gekommen seien. All diese Kinder sind in der Situation, dass sie nach den Aufnahmeformalitäten - also im Schnitt nach vier Wochen - schulpflichtig in die Schule kommen und nichts verstehen. Ohne Deutschkenntnisse ist die Teilnahme an Bildung eben nicht möglich. Das ist der Schlüssel zum Erfolg.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Was sagt die Landesverfassung? - Unsere Landesverfassung sagt in Artikel 25 Abs. 1:

„Jeder junge Mensch hat ohne Rücksicht auf seine Herkunft und wirtschaftliche Lage das Recht auf eine seine Begabung und seine Fähigkeiten fördernde Erziehung und Ausbildung.“

Da sage ich: Ohne Deutschkenntnisse ist die Verwirklichung dieses Grundrechts nicht möglich. Deswegen ist die Verwirklichung dieses Grundrechts an die Vermittlung von Deutschkenntnissen gebunden.

Wir alle wollen doch, dass sich diese jungen Menschen, die Kinder, die Jugendlichen, die zu uns kommen, sozial integrieren, also am sozialen Leben außerhalb der eigenen Familie teilnehmen: am sozialen Leben in der Schule, am sozialen Leben im Dorf, in der städtischen Gemeinschaft, in den Vereinen, in den Musikschulen und vielem mehr. Auch dazu braucht man Deutschkenntnisse.

Es ist kein Geheimnis: Wir sind ein Land, in dem der demografische Wandel sehr eilig zuschlägt und der Fachkräftemangel größer wird. Deswegen liegt es in unserem ureigensten Interesse, jedem Kind, das zu uns kommt, den bestmöglichen Start in eine gute schulische Karriere zu ermöglichen, damit die Kinder, wenn sie die Schulen verlassen, in der Lage sind, mit uns gemeinsam unser Land zu gestalten. Auch dafür ist Deutsch die Schlüsselkompetenz.

Die Frage ist nun: Wie sieht es im Land aus? - Da haben wir einen Runderlass aus dem Jahr 2012, als sich die Situation zugegebenermaßen anders dargestellt hat als heute. Wollte ich den Inhalt dieses Runderlasses einmal zusammenfassen, dann würde ich sagen: zu wenig in zu großen Gruppen und mit zu viel Bürokratie. - Deswegen, denke ich, müssen wir da ran. Die Vermittlung von Deutsch als Fremdsprache ist die Schlüsselkompetenz und muss sofort, wenn die Kinder in die Schulen kommen, ausreichend vermittelt werden.

Das heißt zum einen, dass es nicht darum gehen kann, dass Schulen beantragen dürfen, solche Kurse einzurichten. Nein, wir sagen: Für alle Kinder, die zu uns kommen, für die Deutsch nicht die Muttersprache ist und die nicht über ausreichende Deutschkenntnisse verfügen, muss die Vermittlung von Deutsch als Fremdsprache verpflichtend sein. Sie muss in einem Umfang erfolgen, mit dem die

Kinder in ausreichender Schnelligkeit in die Lage versetzt werden, in der Schule zu folgen und am sozialen Leben teilzunehmen. Deswegen sagen wir, dass der Mindestumfang an Deutschunterricht zehn bis 15 Stunden in der Woche betragen muss.

Zur Gruppengröße - wenn man sich den Runderlass anguckt, stellt man fest, dass dort von bis zu 14 Kindern die Rede ist -: Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein sinnvolles Lernen in Gruppen von mehr als sechs bis acht Kindern möglich ist.

Förderklassen sehe ich sehr kritisch, weil wir wollen, dass die Kinder in den normalen Schulen - Zusammen mit den anderen Kindern - an Bildung teilnehmen und rasch in die Lage versetzt werden, hier mit anderen zu interagieren. Förderklassen zu bilden ist wieder eine Separierung außerhalb des normalen unterrichtlichen Kontextes; das finden wir schwierig.

Überhaupt: Es geht um den guten Start in die Regelschule. So ist es auch vorgesehen. Ich erwähne es an dieser Stelle nur deswegen, weil es anekdotische Evidenz gibt - ich habe hierzu keine Zahlen, aber es gibt anekdotische Evidenz, die mir immer wieder vorgelegt wird -, dass es häufiger passiert, dass Flüchtlingskinder, die zu uns kommen, schneller an Förderschulen überwiesen werden als andere Kinder. Ich denke: Wenn das nicht nur eine anekdotische Evidenz ist, sondern sich tatsächlich so darstellt, dann ist das nicht der richtige Weg. Die Kinder müssen ihren Fähigkeiten entsprechend an den normalen Schulen an der Bildung teilnehmen können.

Kurz und gut: Die Vermittlung von Deutsch als Fremdsprache ist die Schlüsselkompetenz für einen guten Start in die schulische Bildung. Das betrifft alle Schulen, auch die berufsbildenden Schulen. Es ist die Schlüsselkompetenz für die Teilhabe am sozialen Leben, und es ist gut für uns, weil es die Kinder in die Lage versetzt, an Bildung so teilzunehmen, dass sie später mit uns gemeinsam das Land gestalten können.

Natürlich kann das nur gelingen, wenn wir auch die Lehrerinnen und Lehrer auf diese neue Herausforderung - denn in der großen Zahl ist es eine neue Herausforderung - gut vorbereiten. Ich habe sehr wohlwollend zur Kenntnis genommen, dass sich die Landesregierung vorgenommen hat, das Zusatzstudium für Deutsch als Fremdsprache besser zu bewerben, also mehr nach vorne zu stellen. Das halte ich für einen wichtigen Schritt, um überhaupt Lehrer zu haben, die Deutsch als Fremdsprache vermitteln können.

Natürlich stellen wir auch die Frage, ob nicht alle Lehrerinnen und Lehrer - insbesondere bei den Zahlen, vor denen wir jetzt stehen - besser auf diese Herausforderung vorbereitet werden müssen. Deswegen sagen wir: Wir müssen hier an die Lehrerausbildung heran.

Deutsch als Fremdsprache wie auch interkulturelle Kompetenz sollten etwas sein, worauf alle Lehrerinnen und Lehrer vorbereitet werden, worin sie Grundkenntnisse haben, um damit in ihren Klassen umgehen zu können.

Für mich gehört dazu auch eine Sensibilisierung der Lehrerinnen und Lehrer, da viele dieser Kinder traumatisiert zu uns kommen und insofern anders reagieren als andere Kinder. Die Lehrerinnen und Lehrer müssen darin geschult sein, damit umzugehen, auch Überweisungen und Verbindungen zu anderen Fachprofessionen herzustellen, damit das nicht fehlinterpretiert wird, zum Beispiel als schlechtes Leistungsverhalten, obwohl es eigentlich nur Ausdruck von Traumatisierung ist.

Das betrifft natürlich gleichermaßen die Fortbildung von Lehrerinnen und Lehrern, die bereits an den Schulen tätig sind. Hierbei ist das Lisa gefordert, entsprechende Fortbildungsangebote für Deutsch als Fremdsprache und für die Stärkung der interkulturellen Kompetenz anzubieten.

Gestatten Sie mir an der Stelle eine Anmerkung zur Mehrsprachigkeit. Ich glaube, dass es ganz wichtig ist, an unseren Schulen Mehrsprachigkeit wertzuschätzen. Warum ist das wichtig? - Die Forschung belegt sehr klar, dass Kinder, die ihre Muttersprache besonders gut können, auch die Zweitsprache besser erlernen. Deswegen sage ich ganz deutlich: Ich befürworte Mehrsprachigkeit nicht nur, sondern ich lehne es ab, dass Kinder zu Hause mit ihren Familien nur Deutsch sprechen sollen. Sie sollen Arabisch oder Dari sprechen oder was immer ihre Muttersprache ist.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der LIN- KEN)

Das stärkt ihre Fähigkeiten, eine Zweitsprache - oder Drittsprache ist es ja oft -, nämlich die deutsche Sprache, zu lernen. Insofern: Diese Wertschätzung müssen wir leben, auch in den Schulen.

Besonders gut würde das funktionieren, wenn es uns gelänge, zweisprachig in Deutschland aufgewachsene Lehrer für unsere Schulen zu gewinnen - gerade für die Schulen, an denen es gehäuft Flüchtlingskinder gibt. Das wäre ganz wunderbar.