Das liegt sicherlich auch an der Mikrofonanlage. Ich bitte, vor allem in das linke Mikrofon kräftig hineinzusprechen.
Auch auf die Gefahr hin, dass es Dialoge werden und keine Aktuelle Debatte mehr bleibt, möchte Kollegin Dirlich noch einmal nachfragen. Möchten Sie noch einmal antworten?
Nein, Herr Vorsitzender. Ich hatte vorhin ja betont, dass ich mir eine Aktuelle Debatte in dieser Beziehung nicht so richtig vorstellen kann.
Dann hätten wir Zeit, gewisse Sachen einmal näher zu erörtern, intensiver und auch kontrovers zu diskutieren. - Danke schön.
Danke, Kollege Rotter. - Als nächste Rednerin spricht für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Kollegin Lüddemann.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! 1 % der Weltbevölkerung wird im Jahr 2016 mehr Vermögen angehäuft haben als die restlichen 99 % zusammen. Diesen globalen Trend beschreibt die Hilfsorganisation Oxfam aufgrund aktueller Berechnungen.
Das ist in Deutschland zum Glück noch nicht so ausgeprägt und noch nicht so spürbar. Aber die Konzentration des Reichtums wird seit Jahrzehnten beschrieben und immer wieder kritisiert. Bevor die FDP den Armuts- und Reichtumsbericht der vorherigen Bundesregierung 2013 redigierte, war das dort zu lesen. Dank Vorabberichten sind wir darüber in Kenntnis.
Etwa in der „Süddeutschen Zeitung“ wurde berichtet, dass die Feststellung - ich zitiere - „Die Privatvermögen in Deutschland sind sehr ungleich verteilt“ durch den damaligen Wirtschaftsminister Rösler gestrichen wurde. Man kann zwar Zeilen aus einem Bericht streichen, die gesellschaftliche Realität aber nicht.
- Ob ich nun leiser oder lauter werde, die gesellschaftliche Realität bleibt die gleiche, Herr Kollege.
ist wichtig, wenn wir über das Arbeitslosengeld II reden, also über einen monatlichen Betrag in Höhe von 399 € pro erwachsener Person.
Der sogenannte Volksmund, gerade auch die Boulevard-Medien, sprechen nun von „Hartz-Kindern“ und von „Hartz-Familien“; „hartzen“ ist ein eigenständiges Verb geworden.
Mit dem Begriff „Hartz IV“ hat sich ein Bild von Armut etabliert, das von Verwahrlosung, Übergewicht, Unterschichtenfernsehen, Faulheit geprägt und zu einer stark aufgeladenen Melange vermischt wurde. Es ist ein Bild, das gern bemüht wird, um die Schuld für ökonomischen Abstieg den Betroffenen selbst zuzuschreiben. Die klassische Strategie „Blaming the victim“ macht die Opfer selbst verantwortlich. Die Ausgrenzung und Stigmatisierung unter Herabwürdigung der Betroffenen durch das Hartz-IV-System kann nicht unterschätzt werden. Gerade eine bedrohte Mittelschicht, die - gefühlt oder faktisch; das spielt in dem Fall aber keine Rolle - Unsicherheit erlebt, ist schnell geneigt, den Deklassierten die Schuld zu geben, um sich selbst zu beruhigen.
Ich sehe bei Hartz IV zwei fundamentale Schwierigkeiten. Erstens. Langjährige Erwerbsarbeit, mitunter über Jahrzehnte, schützt nicht mehr vor dem Sturz in die Armut. Zweitens. Hartz IV hebelt den meines Erachtens unverbrüchlichen Anspruch auf ein soziokulturelles Existenzminimum aus, spätestens durch die vorgesehenen Sanktionen,
die immerhin 100 % des Regelsatzes betreffen können, also auch Gelder für die laufende Miete, die Krankenversicherung und andere Leistungen, die Kollegin Dirlich aufgezählt hat.
Solche Sanktionen drohen allen und werden auch vollzogen. Dazu muss man ganz deutlich sagen - darauf lege ich wirklich großen Wert -: Das hat Rot-Grün nicht gewollt. Da muss man immer wieder festhalten: Das hat die Mehrheit von CDU und CSU im Bundesrat in die Agenda 2010 hineingestimmt.
(Oh! bei der CDU - Zuruf von der CDU: Nein! - Herr Borgwardt, CDU: Ihr macht es euch einfach! Ihr seid die Heilsbringer und wir sind die Verräter!)
- Das kann man nachlesen. Wir haben uns immer wieder für die Abschaffung dieser Sanktionen in diesem Hohen Hause und auch im Bundestag eingesetzt; das ist die Wahrheit.
Daraus ist ein Problem entstanden: die Ausweitung des Niedriglohnsektors. Letztlich ist nämlich der Niedriglohnsektor die Folge der Sanktionspraxis. Indem die Zumutbarkeitsregeln quasi abgeschafft wurden, ist nun jeder Job anzunehmen; ansonsten droht die Kürzung. In klaren Worten: Die Leistungsbeziehenden werden schlicht erpresst. - Das ist die Wahrheit, die vor Ort existiert. Und das, obwohl das Existenzminimum unantastbar sein sollte.
Ein erster Gegenschritt wurde immerhin mit der Einführung des gesetzlichen Mindestlohns, für den nicht nur die SPD, sondern auch die GRÜNEN ge
kämpft haben, erreicht, wobei wir uns immer wieder sehr stark gegen die vielen Ausnahmeregelungen positioniert haben. Das ist auch wieder eine Aushebelung; da müssen wir, glaube ich, auch noch ran.
Ein aktuellerer Ansatz, über Hartz IV zu reden, als dieses zweifelhafte Jubiläum, Kollegin Dirlich, wäre der gegenwärtige Arbeitsprozess um ein Gesetz zur Vereinfachung des SGB II.
In diesem Zusammenhang hat die grüne Bundestagsfraktion gemeinsam mit der LINKEN eine Anhörung zum Thema Sanktionen erreichen können.
Dort war zu hören, dass auch Andrea Nahles gerade im Bereich der Unter-25-Jährigen deren besonders schnelle Sanktionierung kritisch sehe. Völlig zu Recht, ist es doch eine rechtswidrige Ungleichbehandlung. Doch die Bundes-CDU stemmt sich gegen das Ansinnen, Unter-25-Jährige gleich zu behandeln. Es ist also klar, wer als pädagogisches Mittel dann doch eher die Peitsche als das Zuckerbrot gebraucht, wobei ich für das Protokoll und auch für die Öffentlichkeit noch einmal klarstellen will, dass Zuckerbrot an der Stelle nicht das richtige Wort ist; denn es geht bei dem, was Frau Nahles anbietet, ja nur darum, dass die Unter-25Jährigen in der Sanktionspraxis wie alle anderen, also gleich, behandelt werden.
Echtes Zuckerbrot wäre die Abschaffung der Sanktionen, wäre, Vertrauen in die Menschen zu setzen, ihnen die Freiheit zuzugestehen, ihren eigenen Weg zu finden, sie zu begleiten und zu fördern und nicht schon bei einem geringen Meldever - -
Ein bisher wenig beachtetes Problem will ich auch noch anführen, weil es neu in der Debatte ist. Im Rahmen des SGB-II-Vereinfachungsgesetzes bedarf es nämlich aus unserer Sicht dringend einer Anerkennung des Mehrbedarfes, wenn Kinder bei beiden Elternteilen leben, die die elterliche Sorge