Protokoll der Sitzung vom 26.02.2015

Neun Jahre nach der Föderalismusreform wird nun erstmalig auf Landesebene in Sachsen-Anhalt der Strafvollzug für Erwachsene geregelt werden. Hierbei bündelt man die Regelungen für den Vollzug der Freiheitsstrafe, der Jugendstrafe und der Untersuchungshaft in einem eigenen Justizvollzugsgesetzbuch.

Der Maßstab für Transparenz, Wirksamkeit, Erfolg, Praktikabilität sowie Modernität eines solchen Gesetzes muss dabei stets sein, wie der Schutz der Allgemeinheit, aber auch die Resozialisierung der Strafgefangenen als gleichrangige Vollzugsaufgaben verankert werden sollen. Alle Personen, denen für einen bestimmten Zeitraum ihre Freiheit entzogen wird, müssen menschenwürdig untergebracht werden. Ich denke, darin sind wir uns einig.

Der Strafgefangene muss letztendlich natürlich auch befähigt werden, nach seiner Entlassung sein Leben in Freiheit eigenverantwortlich und straffrei zu führen. Kostengünstig wäre das im Übrigen auch. Er muss in der Lage sein, sich wieder in die Gesellschaft einzugliedern. Daran sind alle Normen, die wir in dieses Gesetz hineinschreiben werden, zu messen.

Nun noch einige wenige Punkte zum vorliegenden Gesetzentwurf. Die Beratung in den Ausschüssen und eine Anhörung, die hoffentlich durchgeführt werden wird, müssen letztendlich Zeit und Gelegenheit geben, ausführlich, intensiv und im Einzelnen über die Punkte dieses umfangreichen Gesetzentwurfs zu diskutieren.

Aus rechtspolitischer Sicht begrüße ich natürlich ganz klar den mit dem Gesetzentwurf verfolgten

Ansatz der verstärkten Therapieorientierung und des individualisierten Ansatzes zur Behandlung der Gefangenen unabhängig vom verhängten Strafmaß. Wir unterstützen natürlich auch den Ausbau der Sozialtherapie, also die Erweiterung des Aufgabenspektrums.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Letzteres hat natürlich seinen Preis, zumindest kurzfristig betrachtet, wenn man die Nachhaltigkeit solcher Maßnahmen zunächst einmal außen vor lässt. Dies ist aus unserer Sicht aber auch die einzige tatsächliche und vor allem überfällige Maßnahme, um dem Resozialisierungsauftrag des Strafvollzugs tatsächlich gerecht zu werden.

Meine Damen und Herren! Es ist kein Geheimnis, dass die LINKE den Auftrag des Vollzugs nicht im Wegsperren straffällig gewordener Menschen

sieht, sondern in der Vorbereitung eines Lebens in Freiheit ohne Straftaten. Das ist auch sicherheitspolitisch gesehen der sinnvollste Ansatz. Deswegen ist das gut investiertes Geld.

Insgesamt wird deutlich, dass Sie, Frau Ministerin, den personellen Mehraufwand vor allem durch Strukturkonzentration, also vermutlich durch Ihren Dreistandortevollzug realisieren bzw. ausgleichen wollen. Diesen Ansatz hat der Ministerpräsident bereits in seiner Regierungserklärung im Sommer vergangenen Jahres hier im Landtag unterstützt.

Mit Blick auf die Debatte zum vorhergehenden Tagesordnungspunkt fehlt mir jedoch der Glaube, dass dieses Vorhaben mit dieser Koalition tatsächlich umgesetzt werden wird. Es wird nicht ausreichen, dass der Ministerpräsident derselben Partei angehört wie die Mitglieder der CDU-Fraktion. Aber auch das werden wir sicherlich noch intensiv im Ausschuss beraten.

Meines Erachtens müssen wir gegebenenfalls beim Personalentwicklungskonzept nachbessern, um das Gesetz nicht auf den Knochen der Bediensteten umsetzen zu müssen. Denn in einem Punkt können wir uns alle sicher sein: Die Gefangenen werden sehr schnell ihre Rechte kennen, und sie werden nicht zögern, diese vor Gericht einzufordern.

Lassen Sie uns also ehrlich prüfen, was das Gesetz personalpolitisch und strukturpolitisch bedeutet. Lassen Sie uns prüfen, was das für den vorgesehenen Einstellungskorridor bedeutet, der auf keinen Fall als üppig bezeichnet werden kann.

Der Ansatz einer engen Verzahnung bzw. einer enggliedrigen Verkettung von Gericht, Vollzug und sozialen Diensten wird von uns ausdrücklich begrüßt. Gleiches gilt für die nachgehende Betreuung und den vorübergehenden Verbleib in den Justizvollzugsanstalten bzw. die Wiederaufnahmemöglichkeit. Aufgrund bisheriger Erfahrungen sind das

sehr sinnvolle und auch im gesellschaftlichen Interesse liegende Maßnahmen.

Abschließend möchte ich ausführen, dass meine Fraktion nach wie vor bedauert, dass der Strafvollzug nach einer Entscheidung der Föderalismuskommission in Länderhand übergegangen ist. Selbst als Freundin des Föderalismus muss man zu dem Ergebnis kommen, dass Strafvollzug kein Spielball der Landespolitik sein darf und bundesweite Standards gelten müssen.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Freiräume für Experimente im positiven Sinne wären auch so möglich. Ich werbe deshalb auch heute dafür, das nicht einfach hinzunehmen, sondern diese Entscheidung zu überdenken, initiativ zu werden und gegebenenfalls auch rückgängig zu machen.

Meine Fraktion wird der Überweisung in den Rechtsausschuss natürlich zustimmen. - Vielen Dank.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Danke schön, Frau Abgeordnete von Angern. - Als nächster spricht Herr Abgeordneter Borgwardt für die CDU-Fraktion.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich freue mich - ich hätte nie gedacht, dass ich so was sage -, dass Frau Kollegin von Angern wieder in die übliche Rolle zurückgefallen ist. Denn bei dem vorherigen Diskussionsbeitrag hatte ich einen etwas anderen Eindruck. Darüber können wir aber vielleicht noch einmal im Ausschuss reden.

Vielleicht noch eine Bemerkung. Sehr geehrte Frau von Angern, Sie haben die Reihenfolge angesprochen. Ich habe mich auch gefragt, warum ich in meiner Eigenschaft - - Niemand unter den parlamentarischen Geschäftsführern ist auf die Idee gekommen, einmal nachzufragen. Es stimmt. Es scheint offensichtlich so zu sein, dass es an der Drucksachennummer liegt. Das eine ist nämlich 6/3798 und das andere ist 6/3799. Möglicherweise ist das der Grund der unterschiedlichen Reihenfolge. Es kann ja vielleicht auch so sein.

Herr Kollege Borgwardt, wenn Ihnen das am Herzen liegt, was Sie gesagt haben, dann müssen Sie es ein bisschen lauter aussprechen. Dann kann man es auch verstehen. Das ist akustisch schwer verständlich. Vielleicht können Sie das Pult etwas herunterfahren.

Herr Präsident, unsere Fraktion ist doch immer lernfähig, wenn es darum geht, ordentlich wahrgenommen zu werden. Das ist doch völlig klar.

Meine Damen und Herren! Wir haben schon sehr viel davon gehört, dass es einen Musterentwurf gibt. Der Gesetzentwurf schafft aber nicht nur landesrechtliche Regelungen für den Strafvollzug. Vielmehr ist er essentieller Bestandteil der Gesamtkonzeption zur Justizvollzugsstrukturreform, auf die sich die Koalitionspartner von CDU und SPD für diese Wahlperiode verständigt haben.

Der Gesetzentwurf sieht, wie in anderen Bundesländern auch, einen erhöhten - deswegen wahrscheinlich vorhin auch die Nachfragen - personellen und sächlichen Aufwand vor, insbesondere durch ein vorgeschriebenes standardisiertes Diagnoseverfahren. Die Frau Ministerin ging ebenfalls darauf ein.

Entschuldigung, Kollege Borgwardt. Da in den letzten Reihen keine Gebärdendolmetscher sitzen, ist die Gestik des aufgehaltenen Ohrs wahrscheinlich ein Signal für ein schlechtes Verstehen. Vielleicht können Sie noch ein klein wenig lauter reden. Ich weiß, ich bin auch ein schlimmer Nuscheler und werde immer wieder ermahnt.

Das Rednerpult hat jetzt die Höhe des Kollegen Striegel. Weiter runter geht es nicht. Ich kann das Rednerpult also nicht weiter runter fahren.

(Heiterkeit bei der CDU)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich versuche es jetzt noch einmal. Hinzu kommt, dass ich meine Blätter zusammenstreiche, weil die Zeit weiter läuft. Das ist aber natürlich auch eine gute Idee.

Als Parameter für den modernen Strafvollzug in Sachsen-Anhalt definiert das Gesetz selbstverständlich auch die zukünftige Struktur unseres Justizvollzugs. Das Strafvollzugsgesetz ist das Fundament - das ist hier schon mehrfach betont worden - für den Justizvollzug.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir haben uns im Rechtsausschuss intensiv mit dem Vollzugsrahmenkonzept der Landesregierung befasst. Frau Ministerin Kolb ist bereits auf viele Punkte eingegangen. Der Gesetzentwurf baut auf viele bewährte Regelungen des Bundesstrafvollzugsgesetzes und auf die Erfahrungen des Strafvollzugs und der Vollzugspraxis auf.

Der Kerngedanke ist die Resozialisierung der Gefangenen von Anfang an, damit die Wiedereingliederung in die Gesellschaft nach der Haftentlassung gelingen kann. Hierbei werden die Sicher

heitsinteressen der Bürgerinnen und Bürger nicht aus dem Blick verloren.

Neu ist der freiheitsorientierte und therapiebegleitende Ansatz, der uns durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in das Hausaufgabenheft geschrieben worden ist. Vollzugliche Maßnahmen, wie etwa Arbeitstherapie, Arbeitstraining, Psycho- und Sozialtherapie, dienen dazu, von Beginn der Haft an den Gefangenen konsequent auf die Freiheit vorzubereiten und seine Rückfälligkeit zu vermeiden.

Ein elementarer Eckpunkt des Gesetzentwurfes ist - wie bereits erwähnt - die Festschreibung der Einzelunterbringung von Gefangenen. Der Rechtsausschuss war bereits mehrfach mit Vorfällen von Übergriffenen Gefangener auf Mithäftlinge beschäftigt. Die Einzelunterbringung als Regelunterbringung dient dem Schutz der Privat- und Intimsphäre der Gefangenen. Selbstverständlich besteht aber auch weiterhin die Möglichkeit einer gemeinschaftlichen Unterbringung, zum Beispiel wenn Gefangene dies wünschen oder wenn besondere Hilfsbedürftigkeit oder medizinische Indikationen der Gefangenen dies verlangen.

Die CDU-Fraktion freut es außerordentlich, dass in den gesetzlichen Neuregelungen der Schutz der Allgemeinheit und die Resozialisierung als gleichrangige Vollzugsaufgaben gesetzlich verankert werden.

Zur effektiven Durchsetzung von Ersatzansprüchen der Opfer bzw. Verletzten werden Auskunftsansprüche gewährt. Es wird auch über den Vollzugsverlauf und über die Opferrechte umfassend informiert. Die Gedanken des Opferschutzes finden auch bei der Gewährung von Lockerungen, bei Maßnahmen zur Vorbereitung der Entlassung und bei der Nachsorge Berücksichtigung.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist bereits viel über die gesetzliche Neuregelung gesagt worden. Ich möchte die Gelegenheit nutzen, auf ein paar Punkte einzugehen, bei denen Sachsen-Anhalt - die Ministerin hat es schon erwähnt - vom Musterentwurf abweicht, was wir als CDU-Fraktion ausdrücklich begrüßen.

Das betrifft zum Beispiel die Erwähnung der Lockerungen. Ich will gar nicht näher darauf eingehen. Das haben Sie angesprochen.

Ganz besonders freut uns, dass die Forderung der Rechtspolitiker der Union berücksichtigt worden ist, dass - ebenfalls abweichend vom Musterentwurf - bei den zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilten Strafgefangenen Langzeitausgang - das ist bereits von der Frau Ministerin ausgeführt worden - nicht bereits nach fünf, sondern erst nach zehn Jahren im Vollzug zu gewähren ist.

Außerdem enthält der Gesetzentwurf der Landesregierung entgegen dem Musterentwurf Mitwir

kungs-, Beschäftigungs- und Arbeitspflichten. Frau von Angern äußerte sich kritisch mit Blick auf die Bereitstellung von Arbeitsplätzen. Wir sehen also vor, dass der Gefangene weiterhin grundsätzlich arbeiten muss; denn Arbeit zeitigt durch die Stärkung des Selbstwertgefühls und durch das Aufzeigen eines klaren Tagesablaufs positive Effekte. Das ist jedenfalls die Meinung der CDU-Fraktion.

Darüber hinaus weicht der Gesetzentwurf der Landesregierung von dem im Musterentwurf vorgesehenen Grundsatz der Vergütung von Maßnahmen ab, die für die Erreichung des Vollzugsziels als zwingend erforderlich erachtet werden. In Sachsen-Anhalt soll entgegen dem Musterentwurf geregelt werden, dass die Gefangenen, wenn sozialtherapeutische Maßnahmen während der Arbeitszeit stattfinden, ihre Vergütung weiter erhalten sollen, um einen finanziellen Anreiz für die Teilnahme an den sozialtherapeutischen Maßnahmen zu schaffen. Dies begrüßen wir außerordentlich.

Gut finden wir auch, dass die Landesregierung das im Musterentwurf vorgesehene Gleichrangigkeitsprinzip von offenem und geschlossenem Vollzug dahingehend konkretisiert, dass die Gefangenen zunächst grundsätzlich im geschlossenen Vollzug untergebracht werden, um ihre Eignung für den offenen Vollzug sachgerecht prüfen zu können.

Wir werden dem Schutzbedürfnis der Allgemeinheit Rechnung tragen und den geschlossenen Vollzug als Regelvollzug normieren.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Gestatten Sie mir abschließend noch ein paar Worte zu Aspekten, bei denen wir Beratungsbedarf sehen. Entgegen dem Musterentwurf ist im Gesetzentwurf der Landesregierung vorgesehen, dass vom Grundsatz der Einzelunterbringung in den Anstalten, mit deren Errichtung vor dem 3. Oktober 1990 begonnen wurde, abgewichen werden darf.

Während der Einschlusszeiten sollen die Gefangenen gemeinsam untergebracht werden, solange die räumlichen Verhältnisse der Anstalt dies erfordern. Eine gemeinschaftliche Unterbringung von mehr als zwei Personen ist nur bis zum 31. März 2024 zulässig.

Die Idee der Mehrfachunterbringung bis in das Jahr 2024 beruht auf einem gleichlautenden Gesetz des Landes Thüringen. Nach Auffassung meiner Fraktion sollte der Landtag besser keine Regelungen beschließen, die erst in der übernächsten Wahlperiode in Kraft treten sollen, zumal die Einzelunterbringung eigentlich elementarer Eckpunkt dieses Entwurfes ist.