Protokoll der Sitzung vom 05.06.2015

Es geht um die Interessen unseres Landes. Wenn der Wirtschaftsminister sich hier hinstellt und vorgibt - ich sage bewusst: vorgibt; denn dass er die Zahlen nicht kennt, glaube ich ihm nicht -, dass er nicht weiß, wie viele Firmen von denjenigen, an denen sich das Land beteiligt hat, in die Insolvenz gegangen sind, dann - -

(Zuruf von der CDU: Wenn sie nicht mehr daran beteiligt sind, hat er gesagt!)

- Ja, aber es geht doch um die Interessen des Landes. Dann müssen Sie doch auch drei Tage weiter gucken und nicht sagen: Wir haben unser Geld da herausgenommen, jetzt interessiert uns das nicht mehr.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der LIN- KEN - Zurufe von der CDU)

Wir wollen ein Start-up-Klima hier im Lande haben und wollen dann auch gucken, wie das hier im Land weitergeht. Darum geht es.

(Zurufe von der CDU - Unruhe)

Deswegen müssen wir bei der Vergabe des Risikokapitals umsteuern.

(Unruhe bei der CDU - Glocke des Präsi- denten)

Kolleginnen und Kollegen! Zu Beginn hatte ich fast die Sorge, dass das hier eine Tranquilizerrunde

wird, aber das hat sich jetzt, Gott sei Dank, geändert.

(Zuruf von der CDU: Aber bitte zum Thema sprechen! - Zuruf von der LINKEN)

Die Akustik im Saal lässt das Verfolgen der Debatte besser zu, wenn eine andere Geräuschkulisse da ist. - Danke schön.

(Zuruf von der CDU: Ja, aber Sie haben das Thema verfehlt!)

Ein letztes Wort zum kollektiven Versagen. Wir haben die Debatte beantragt, um den Blick nach vorn anzustoßen; denn der Untersuchungsausschuss beschäftigt sich mit dem Blick nach hinten: Wer hat die Verantwortung? - Ich nehme es sehr ernst, wenn der Landesrechnungshof von „kollektivem Versagen“ spricht. Aber eines ist für BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auch klar: Es wird mit uns keine Verantwortlichkeitsdiffusion geben. Irgendjemand muss die Verantwortung übernehmen, und Sie wissen, was ich an dieser Stelle gern sage: Der Fisch stinkt vom Kopf.

(Zuruf von der CDU: Ja, ja! - Oh! bei der CDU)

Es gibt ein Aufsichtsratsgremium und es gibt einen Aufsichtsratsvorsitzenden.

(Zustimmung bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

Damit schließen wir die Aktuelle Debatte ab. Gemäß unserer Geschäftsordnung werden Beschlüsse in der Sache nicht gefasst.

Ich darf Gäste im Landtag von Sachsen-Anhalt herzlich willkommen heißen: Schülerinnen und Schüler des Gymnasiums „Stephaneum“ in

Aschersleben. Willkommen im Haus!

(Beifall im ganzen Hause)

Auch wenn die Volksbewegungen hier noch im Gange sind, fahren wir in der Tagesordnung fort.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 auf:

Erste Beratung

Ausbildung für jugendliche Flüchtlinge ermöglichen

Antrag Fraktion DIE LINKE - Drs. 6/4057

Einbringerin ist die Abgeordnete Frau Görke. Bitte sehr, Sie haben das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Bildung wirkt - und ich möchte an dieser Stelle noch ausdrücklich hinzufügen: nachhaltig. Das ist ein aus der Sicht der LINKEN besonders wichtiges Wesensmerkmal von Bildung. DIE LINKE hat nicht umsonst in der Vergangenheit beharrlich darauf verwiesen, dass einem Land ohne eine nachhaltige Infrastruktur im Bildungsbereich, sei diese nun im frühkindlichen, schulischen, betrieblichen, volkshochschulischen oder universitären Bereich angesiedelt, sehr schnell - salopp gesagt - die Puste ausgehen kann. Einen langen Atem gewinnt man durch Kondition, und diese beinhaltet im bildungspolitischen Ressort auch und gerade eine Chancengleichheit,

(Zustimmung bei der LINKEN)

Chancengleichheit selbstverständlich auch für jugendliche Flüchtlinge, die in unserem Land Zuflucht und, wenn möglich, auch Zukunft und ein Zuhause finden. Nun bedürfen sie dringend einer beruflichen Perspektive, um aktiv dazu beitragen zu können, ihre eigene Zukunft zu sichern.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es hilft uns derzeit leider auch nicht weiter, dass der Bund durch seine Gesetzgebung den jugendlichen Flüchtlingen zwar per se den Zugang zu Ausbildung ermöglicht, die reale Umsetzung jedoch daran scheitert, dass die finanzielle Unterstützung bis heute gesetzlich nicht geregelt ist. In unseren Augen ist das nichts weiter als ein Kartenhaus, das bei der ersten Betrachtung zwar recht schön aussieht, aber beim ersten Windhauch leider wieder in sich zusammenfällt.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Dabei möchte ich betonen, dass wir die Änderungen im Asylverfahrensgesetz und in der Beschäftigungsverordnung für durchaus gute Schritte in die richtige Richtung halten, aber sie greifen zu kurz bzw. behindern sich mitunter sogar gegenseitig. Gedacht sei hier auch an die sogenannte BAföGFalle.

Was nutzt uns eine Verkürzung der Zugangsfristen zum Arbeitsmarkt und zur Ausbildung, wenn dieses Ziel dadurch ad absurdum geführt wird, dass die Fristen des Zugangs zu den Instrumenten der Ausbildungsförderung nicht entsprechend verändert wurden? - Dies ist ein Widerspruch, der zugunsten der jungen Menschen dringend aufgehoben werden muss.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Auch die Unterteilung in die verschiedensten Aufenthaltstitel macht es Betroffenen und auch Behörden nicht leicht. Damit jugendliche Flüchtlinge aber überhaupt in die Lage versetzt werden können, einen Ausbildungsplatz anzunehmen, sind sie

- wie übrigens auch viele deutsche Auszubildende - auf Ausbildungsbeihilfe oder auf Leistungen nach dem BAföG angewiesen.

Nach unserer Auffassung ist die Landesregierung dringend dazu aufzufordern, auf der Bundesebene, unter anderem im Bundesrat, aktiv darauf einzuwirken, dass sich hierbei schnellstmöglich etwas tut. Die Zeit drängt. Sie konnten es mitverfolgen: Die Bundesagentur für Arbeit selbst startete einen Appell an die Politik, verbindliche, einfachere Regelungen zu schaffen, die eine Arbeitsmarkt- und Ausbildungsintegration möglich machen.

Gestatten Sie mir, unseren Forderungen durch ein Beispiel, das hier nur exemplarisch - Herr Kollege Herbst konnte es gestern auch verdeutlichen - für viele andere Schicksale stehen kann, ein Gesicht zu verleihen. Das von mir nun angeführte Beispiel lenkt den Fokus explizit auf die Defizite in der Berufsausbildung von Asylantragstellerinnen und -antragstellern und Flüchtlingen, ohne natürlich die besondere Situation in ihren Lebensumständen gänzlich außen vor zu lassen. Beide Problemfelder sind in diesen Fällen oft untrennbar miteinander verknüpft und sollten stets gemeinsam gedacht werden. Das bedarf natürlich auch einer besonderen Sensibilität bzw. einer besonderen interkulturellen Kompetenz in der öffentlichen Verwaltung.

Zu meinem Beispiel: Im Jahr 2012 reiste ein junger, damals 22-jähriger, Mann aus dem Iran nach Deutschland ein und beantragte Asyl. Er wurde in eine Unterkunft für Asylsuchende in Magdeburg aufgenommen. Durch den Kontakt in seinem näheren Umfeld erfuhr er vom Projekt „Jobbrücke“, das junge Menschen bei der Berufsfindung aktiv unterstützt. Die Möglichkeit, eine Berufsausbildung aufzunehmen, hatte er nach damaligen Regularien noch nicht. Da er aber nicht untätig sein wollte, konnte er durch externe Hilfe und ein hohes Maß an Eigeninitiative zwei integrative Deutschkurse erfolgreich absolvieren. Möglich machte dies unter anderem ziviles Engagement, das die Kursbesuche ermöglichte.

Durch die Novellierung des Asylverfahrensgesetzes in Verbindung mit der Beschäftigungsordnung wurde es Menschen in seiner Situation dann - zumindest theoretisch - ermöglicht, eine Ausbildung zu beginnen. Welche Odyssee, angefangen vom Eintrag seines geänderten Aufenthaltsstatus bis hin zu dem bereits vorher feststehenden Berufsausbildungsvertrag, damit verbunden war, möchte ich nicht in allen Etappen aufführen. Hoch motiviert, guten Mutes und mit viel Elan startete er seine Ausbildung bei einem Magdeburger Unternehmer, der ihn bereits in einem Vorpraktikum getestet und für gut befunden hatte. Ein Antrag auf Berufsausbildungsbeihilfe wurde gestellt, da es aus nachvollziehbaren Gründen schier unmöglich ist, in einer Gemeinschaftsunterkunft den stres

sigen Alltag einer dualen, theoretischen und praktischen, Berufsausbildung zu absolvieren.

Erst jetzt wurde augenfällig, dass die Nachbesserungen zum Zugang in die Berufsausbildung nicht leistungsrechtlich flankiert worden waren. Nur mit der Ausbildungsvergütung allein war es ihm schier unmöglich, ein Zimmer und den Lebensunterhalt zu finanzieren; Eltern sind in diesem Fall nicht erreichbar. Neben den theoretischen und praktischen Ausbildungsteilen musste er zudem beständig seine Deutschkenntnisse festigen und diese ausbauen. Wie unschwer zu erkennen ist, erforderte auch dies einen hohen Zeit- und Kostenaufwand.

Jedoch lagen die immensen Defizite der Gesetzesnovelle nicht allein im monetären Bereich. Auch die Instrumentarien der Berufsförderung wie Stütz- und Einzelunterricht standen ihm nicht zu. Erst nach vier Jahren Aufenthalt in Deutschland dürfen auch diese berufsbegleitenden Hilfen in Anspruch genommen werden. Das ist unfassbar und logisch überhaupt nicht nachvollziehbar.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Nein, logisch nachvollziehbar wäre es nur, wenn man grundsätzlich davon ausgeht, dass am Ende des Asylverfahrens grundsätzlich die Abschiebung steht - ein zynischer Ansatz, den ich hier im Hohen Hause natürlich niemandem unterstellen mag.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Tatsächlich hat man hiermit jungen Flüchtlingen nun Zutritt zu einem schönen Palast, den ich einmal Berufsausbildung nennen will, gewährt, gleichzeitig aber alle Räume und Flure versperrt und die Schlüssel weggeworfen. Nun steht er da und will in die oberste Etage, die ich als Ausbildungsziel, Erlangung der Ausbildungsreife bzw. bestandene Ausbildungsprüfung bezeichnen möchte, kommt aber nicht dorthin.

Trotz großer Anstrengungen konnte der junge Mann die Defizite, die ihm durch die sprachliche Benachteiligung in der theoretischen Ausbildung erwachsen waren, nicht ausgleichen. Die bis dahin absolvierten Deutschkurse reichten für Fach- und Spezialbegriffe der berufstheoretischen Ausbildung eben nicht aus, da die Kurse erst einmal sehr allgemein angelegt sind. Der junge Mann isolierte sich zunehmend, da er die Ziele nicht erreichen konnte, aus Schamgefühl über sein vermeintliches Versagen. Schließlich gab er auf. Und, ja, es bleiben auch Blessuren auf der Arbeitgeberseite. Im Regen stehen gelassen von der Politik fühlten sich beide Seiten.

Eine Geschichte, die so schön, so hoffnungsfroh begann, und dem MDR-Fernsehen sogar eine Reportage wert war, hatte eben kein Happy End. Gescheitert an der Realität, an bürokratischen Hürden