Die nächsten Monate geben aus meiner Sicht für eine solche begrenzte Regelung noch ausreichend Zeit. Wir sollten uns dieser Aufgabe stellen. - Herzlichen Dank.
Danke sehr, Herr Kollege Erben. - Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN spricht der Abgeordnete Herr Striegel. Bitte sehr.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren Kolleginnen und Kollegen! Zwei Jahre nach dem Abschluss des ersten NSU-Untersuchungsausschusses im Deutschen Bundestag und seines bayerischen Pendants, ein gutes Jahr nach dem Abschluss der Landes-Untersuchungsausschüsse in Thüringen und Sachsen sowie im Verlauf der Ausschussarbeit in Baden-Württemberg, Hessen sowie Nordrhein-Westfalen und nicht zu vergessen im Rahmen des NSU-Prozesses gegen Beate Zschäpe und die vier Mitangeklagten André Eminger, Holger Gerlach, Carsten S. und Ralf Wohlleben wurde eines klar: Ohne V-Leute aus Verfassungsschutz und Polizei wäre das Terrornetzwerk des NSU nicht zu denken.
V-Personen der Sicherheitsbehörden spielten über zwei Jahrzehnte eine nicht unmaßgebliche Rolle in der Szene, aus der der Nationalsozialistische Untergrund erwuchs, und sie wirkten in dem Terrornetzwerk selbst mit. Ihre Rolle bei der Verhütung der Terrortaten, der Enttarnung von Tätern und der Unterstützung bei der Aufhellung von Strukturen war gleichzeitig gering bis nicht vorhanden. Der NSU wurde durch Zufall und Selbstaufdeckung bekannt. Die V-Leute der unterschied
V-Leute sind ein Anachronismus des Rechtsstaats. Sie sind der verzweifelte Versuch des Staates, zur Verhütung und Aufklärung von Straftaten und Terrortaten mit denjenigen zusammenzuarbeiten, die diese Taten begehen. Sie sollen umworben, mit Erleichterungen geködert oder schlicht gekauft werden, um ihre Kameraden zu verraten. Der Staat macht sich mit dem V-Leute-System mit Verbrechern gemein. Nazis werden zu Staatsdienern. Welche Erfolge kann dies bringen und welchen Preis zahlt eine Gesellschaft für solches Handeln?
(Unruhe bei der CDU - Herr Leimbach, CDU: Mann! - Herr Rosmeisl, CDU: Junge, Junge! - Weitere Zurufe von der CDU)
Im Netzwerk der Mitglieder und Unterstützer des NSU soll es rund 40 V-Leute der Dienste und der Polizei gegeben haben, ein größerer Teil davon im Umfeld des Thüringer Heimatschutzes, einer maßgeblich von einer V-Person des Verfassungsschutzes, Tino Brandt alias V-Mann Otto, aufgebauten rechtsextremen Vereinigung.
Brandt wurde im Jahr 1994 als Quelle des Thüringer Landesamtes geworben und mit einer kurzen Unterbrechung bis in das Jahr 2001 hinein als solche geführt. Brandt erhielt in dieser Zeit insgesamt ca. 100 000 €. Durch die ausgezahlten Prämien für seine Tätigkeit war es ihm möglich, Geld in die rechte Szene fließen zu lassen und diese weiter zu stärken und aufzubauen, was das Thüringer Landesamt in Kauf genommen und womit es zumindest mittelbar diese Strukturen gestützt hat. Seine Berichte waren - darin sind sich inzwischen alle einig - von minderer Qualität.
Nach Ansicht des Untersuchungsausschusses in Thüringen wurde mehrfach wenigstens versucht, Brandt vor Strafverfolgung zu schützen. 35 Ermittlungsverfahren waren gegen ihn anhängig; keines davon erfolgreich, jedenfalls nicht, solange er V-Mann war.
Auch für den V-Mann Kai Dalek des LfV Bayern gilt, dass er maßgeblich daran beteiligt war, rechte Strukturen, das Thule-Netz und die Infrastruktur der rechten Szene zu stärken.
Die ostdeutsche Naziszene in den 90er-Jahren wäre ohne die Mitarbeit des Verfassungsschutzes nicht denkbar gewesen. Das ist ein Problem für die Demokratie, meine Damen und Herren.
Selbst da, wo V-Leute Informationen zum Terrornetzwerk des NSU hatten und sie mitteilten, wurden sie nicht genutzt. So soll der NSU-Unterstützer André Kapke den V-Mann des Bundesamtes für Verfassungsschutz Michael See alias Tarif im Jahr 1998 nach dem Untertauchen des Trios auf diese angesprochen und ihn gefragt haben, ob er die drei verstecken könne. Statt diese Kontaktmöglichkeit zur Verhaftung einzusetzen, blieb sie ungenutzt.
Carsten Szczepanski alias Piatto, ein V-Mann des Landesamtes für Verfassungsschutz Brandenburg, tauschte sich in der Haft mit dem NSU-Unterstützer und V-Mann des LKA Berlin aus, der für das Jenaer Trio zuvor Sprengstoff organisiert hatte. Außerdem erhielt Piatto Informationen zur Beschaffung von Waffen durch Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe und teilte dieses auch mit.
Diese zentrale Information wurde aus dem Brandenburger Verfassungsschutzamt jedoch niemals weitergegeben. Der damals Verantwortliche ist heute Leiter des LfV in Sachsen. Es ist hochwahrscheinlich, dass dafür der Quellenschutz ausschlaggebend war.
Herr Minister, ich widerspreche Ihnen an dieser Stelle sehr deutlich. Ich glaube, Leib und Leben von Menschen müssen geschützt werden, aber Quellenschutz darf nicht das Oberste sein, sondern man muss Aufklärung betreiben und trotzdem Leib und Leben dieser Leute schützen.
Auch für den langjährigen V-Mann des Bundesamtes für Verfassungsschutz Thomas Richter alias Corelli, der Anlass für unsere heutige Debatte ist, gilt das Vorgenannte. Er erhielt über den Zeitraum seines Einsatzes hohe Zahlungen. So sollen allein 180 000 € an V-Mann-Honoraren geflossen sein, die mindestens in Teilen wieder in die rechte Szene flossen. Zusammen mit Auslagen und einer Abschaltprämie waren es wohl rund 300 000 €.
Er war eine zentrale Stütze der rechten Szene in Sachsen-Anhalt und weit darüber hinaus, weil er Infrastruktur zur Verfügung stellen konnte. Zugleich führten auch seine Informationen trotz nachgewiesener Kontakte zum NSU - ich nenne nur die sogenannte Garagen-Liste - und möglicher weiterer Verbindungen zum Beispiel zum „Weißen Wolf“, einem Magazin, in dem für den NSU geworben wurde, zum „Fahnenträger“ oder zur Ku-KluxClan-European-White-Knights-Struktur, die ebenfalls von einem V-Mann geführt wurde und deren Verbindungen zum Mord an der Polizistin Michele Kiesewetter bis heute nicht vollständig aufgeklärt sind, nicht zur Enttarnung des Terrornetzwerkes.
liefern. Wo sie es tun, steht - das Beispiel ist genannt worden - der Quellenschutz einer Verwendung häufig entgegen. Gleichzeitig wird durch Honorarzahlungen, Auslagenersatz und Abschaltprämien Geld in die Szene gepumpt oder der Szeneaufbau wird durch Infrastruktur unterstützt.
Man stelle sich das nur vor: Bei einem V-Mann findet eine Razzia statt. Es werden Sachen beschlagnahmt. Was macht das jeweilige Landesamt für Verfassungsschutz? - Hinterher werden ihm seine Server, seine Computer wiedergegeben bzw. ersetzt. Das kann doch nicht sein!
Das alles bringt mich und meine Fraktion zu der Einschätzung, dass das V-Mann-System gescheitert ist. Es gehört abgeschafft ebenso, wie der Verfassungsschutz in seiner bisherigen Form abgeschafft gehört.
Nun könnte man meinen, auch der Bundestag und dort die Fraktionen der CDU und der SPD hätten aus den Versäumnissen im Bereich des NSU Konsequenzen gezogen. - Weit gefehlt! Statt das V-Mann-Unwesen einzudämmen, soll durch einen heute vom Bundestag zu verabschiedendes Gesetz - der Minister und auch Herr Erben haben hierzu vorgetragen - deren Einsatz noch ausgeweitet und erleichtert werden.
Auch verurteilte Straftäter kommen als V-Personen infrage. V-Leute sollen für den Großteil der zu begehenden Straftaten sogar explizit straffrei gestellt werden. Das ist noch einmal eine Neuerung der gesetzlichen Regelung. Die Zusammenarbeit mit ihnen ist lediglich zu beenden, wenn diese - Zitat - „rechtswidrig einen Straftatbestand von erheblicher Bedeutung verwirklicht haben“. Selbst hierbei sind Ausnahmen zulässig, über die der Behördenleiter oder sein Stellvertreter entscheidet. Der Minister hat auf das Wort „grundsätzlich“ verwiesen.
Ein solches Vorgehen ist die völlig falsche Konsequenz aus dem Versagen von Verfassungsschutz und anderen Sicherheitsbehörden im Kontext des NSU. Richtig ist jedoch das vom Land Thüringen unter seiner neuen Regierung gewählte Vorgehen,
V-Leute nur noch im absoluten Ausnahmefall der Terrorismusbekämpfung und ausschließlich mit Genehmigung des Innenministers und des Ministerpräsidenten einzusetzen. So wird zumindest die politische Kontrolle dieses Instruments gestärkt.
unzureichend. Im Bereich von V-Personen findet sie praktisch nicht statt; das muss ich aus eigener Erfahrung sagen. Es ist schon allein aus diesem Grund absurd, der LINKEN vorzuwerfen, sie hätte den V-Mann Corelli des Bundesamtes für Verfassungsschutz enttarnt. Was man nicht weiß, das kann man auch nicht enttarnen.
Ob wir oder Kollegen auf der Bundesebene die Umstände, unter denen die Aufdeckung der Identität des V-Manns Thomas Richter alias Corelli erfolgte, jemals vollständig werden aufklären können, wage ich jedenfalls zu bezweifeln.
Soweit im September 2012 eine so zugespitzte Situation bestand, wie vom Innenminister in den vergangenen Tagen immer wieder beschrieben worden ist, hätte zwingend auch die Parlamentarische Kontrollkommission informiert werden müssen. Das ist damals nicht geschehen. Meine Kollegin Quade hat schon auf die Zusammenhänge aufmerksam gemacht und gesagt, dass es auch nicht wirklich logisch erscheint.
dass wir als Parlament in solchen und ähnlich brisanten Fällen unverzüglich, vollständig und wahrheitsgetreu informiert werden. Das ist das Mindeste. Ich will aber auch sagen - und das sage ich sehr deutlich -: Wir nehmen durchaus zur Kenntnis, dass bei der Verfassungsschutzbehörde und bei der Behördenleitung ein Mentalitätswechsel zu spüren ist und versucht wird, Dinge tatsächlich vorzutragen und die Parlamentarische Kontrollkommission zu informieren.
Wir müssen aber auch - da bin ich beim Kollegen Erben - die rechtlichen Grundlagen dafür schaffen, um eine echte parlamentarische Kontrolle des Verfassungsschutzes zu ermöglichen. Wir müssen also nicht nur den V-Mann-Einsatz regeln, sondern auch die parlamentarische Kontrolle. Hierbei ist Sachsen-Anhalt weiter in der Bringschuld, nachdem die Fraktionen der CDU und der SPD unseren Gesetzentwurf vor zwei Jahren sang- und klanglos abgelehnt haben.
Wir Kontrolleure müssen einen umfassenden Zugang zu allen Bereichen der Arbeit des Verfassungsschutzes erhalten, also auch zum Bereich der Führung von V-Personen. Wir benötigen die Unterstützung sicherheitsüberprüfter Mitarbeiterinnen, wenn effektiv kontrolliert werden soll. Wir Parlamentarier müssen in der Lage sein, uns mit den Kontrolleuren aus anderen Ländern und dem Bund auszutauschen. Denn während die Verfassungsschutzbehörden im Verbund zusammenarbeiten,
Wer die Demokratie und den Rechtsstaat stärken will, der muss die parlamentarische Kontrolle des Verfassungsschutzes ausbauen und das V-MannWesen abschaffen. Das sollte die Lehre aus dem Skandal rund um den V-Mann Corelli sein.
Danke, Frau Präsidentin. - Ich möchte eine Vorbemerkung machen und habe dann eine Verständnisfrage. Wir haben gedacht, dass wir von Ihrer Fraktion Argumente zu dem angeblichen Geheimnisverrat des Ministers hören. Also ich habe jetzt davon in Ihrer Rede relativ wenig Konkretes gehört. Das stelle ich fest.
(Zustimmung bei der CDU - Herr Leimbach, CDU: Null! - Herr Wunschinski, CDU: Rich- tig! - Herr Thomas, CDU: Schöner Arbeits- tag!)