Damit war aus der Sicht des Innenministeriums der V-Mann spätestens jetzt enttarnt. Das Geheimnis war nach meiner Überzeugung aufgedeckt; es war kein Geheimnis mehr.
In dem Bewusstsein der nunmehr drohenden endgültigen öffentlichen Enttarnung - und sei es nur durch weitere sich verdichtende Spekulationen in den Medien - habe ich am 17. September 2012 den damaligen Bundesinnenminister Friedrich und den Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz Maaßen über genau diese MDRAnfrage telefonisch informiert.
Ein Austausch über den Aufenthaltsort von Thomas Richter erfolgte nicht. Punkt. Die Anfrage des MDR wurde durch die Verfassungsschutzabteilung des Landes an das Bundesamt für Verfassungsschutz weitergeleitet.
Um Gefahren für das Leben und die körperliche Unversehrtheit von Thomas Richter abzuwenden, sah ich es als meine Amtspflicht an, bei einem streng vertraulichen Hintergrundgespräch mit den journalistischen Spitzen des Mitteldeutschen
am 17. September 2012 an den verantwortungsvollen Umgang mit Fakten und Schlussfolgerungen zu appellieren.
Alleine die Spekulationen in der Öffentlichkeit über eine Tätigkeit von Thomas Richter für den Verfassungsschutz hätten lebensgefährdende Racheakte der rechtsextremistischen Szene nach sich gezogen und waren zu vermeiden. Eine Bestätigung der Annahme und der Schlussfolgerungen der Medien erfolgten in diesem Gespräch nicht.
Meine Damen und Herren! Dem Staat ist der Schutz von Individualrechtsgütern, wie Würde, Leben und Gesundheit, anvertraut. Dieses Vertrauen erstreckt sich auf alle Bürgerinnen und Bürger, unabhängig von ihrer Person und ihrer Aufgabe. - Herzlichen Dank.
Herr Minister, es gibt Nachfragen des Abgeordneten Lange. - Aber bevor sie beantwortet werden, möchte ich Ihre Aufmerksamkeit darauf lenken, dass wir heute besondere Gäste im Hause haben. Es handelt sich um eine Delegation, an der Spitze Herr Andrea Rigoni, Mitglied des italienischen Abgeordnetenhauses und Berichterstatter des Ausschusses für Wanderbewegungen, Flüchtlinge, Vertriebene der Parlamentarischen Versammlung des Europarates. Willkommen im Haus!
Signore e Signori, onorevole deputato! Benvenuto nel Parlamento della sassonia-Anhalt. Mi fa piacere salutarla nell mio ufficio piu tardi.
(Oh! bei der SPD - Ah! bei der CDU - Hei- terkeit und Beifall im ganzen Hause - Zuruf: Wie lange haben Sie das gelernt?)
Herr Minister, ich habe eine Frage. Ich habe Ihnen sehr genau zugehört. Sie haben noch einmal von den Telefonaten mit dem Innenministerium und dem Verfassungsschutz berichtet. Sie sagten: Ein Austausch über den Aufenthaltsort erfolgte nicht. Das glaube ich Ihnen sehr gern. Ich will nur fragen: Ist Ihnen denn in diesen Telefonaten gesagt worden, dass „Corelli“ in Sicherheit gebracht wurde?
Wissen Sie, jetzt wird es schwierig. Um die Vermutung Ihrer Kollegin zu widerlegen, könnte ich Ihnen den Inhalt des Telefonats wiedergeben.
- Aber Sie wollen mich doch jetzt nicht in die Versuchung bringen, tatsächlich ein Geheimnis zu verraten.
- Danke. - Wenn sich herumsprechen würde, dass ich Ihnen von Gesprächen, die man mit Ministern auf Bundesebene führt und bei denen man auch danach fragt, wie es den Kindern gehe und wie alt sie seien - das gehört alles dazu -, alles erzählen
Aber wenn Sie davon ausgehen, dass ich sage, das, was Ihre Kollegin vermutet, stimmt nicht, haben Sie eine indirekte Beantwortung Ihrer Frage. - Herzlichen Dank.
Danke, Herr Minister. - Als nächster Debattenredner spricht der Abgeordnete Herr Erben für die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will zum aktuellen Anlass zurückkommen. Aktuell war die Berichterstattung um die Enttarnung des V-Manns „Corelli“ beginnend ab der letzten Woche, indem aus einem mir zumindest nicht vorliegenden Bericht des Sonderermittlers Jerzy Montag für das Parlamentarische Kontrollgremium im Deutschen Bundestag berichtet worden ist.
Weil hier aber immerhin schon allgemein über den Verfassungsschutz sehr umfangreich vorgetragen und debattiert wurde, will ich auch allgemein zu diesem Thema etwas vorweg stellen.
Ich glaube, wenn wir uns die Entwicklung der großen Zahl der Verfassungsschutzbehörden in Deutschland anschauen - dabei beziehe ich die Verfassungsschutzbehörde in Sachsen-Anhalt ausdrücklich ein -, dann wurden seit Bekanntwerden des NSU-Versagens zahlreiche Maßnahmen ergriffen. Ich glaube, auch unsere Verfassungsschutzbehörde zeichnet sich dadurch aus, dass sie sich im verstärkten Maße in Öffnung gegenüber der Öffentlichkeit und auch in Transparenz übt.
Das ist bei einem Nachrichtendienst nicht ganz so einfach, weil damit auch ein Mentalitätswechsel verbunden ist, aber ich glaube, wir sind dabei auf einem erfolgreichen Weg.
Zum Thema zurück. Wir haben die Erklärung des Innenministers heute hier und gestern auch in der Parlamentarischen Kontrollkommission gehört. Die meisten werden die Pressemitteilungen der Parlamentarischen Kontrollkommission von gestern zur Kenntnis genommen haben. Dabei werden Sie auch mitbekommen haben, dass es uns gerade auch als Kontrollgremium um einen wesentlichen Punkt ging: Warum hat die Parlamentarische Kontrollkommission auch erst aus der Zeitung von dem Thema erfahren?
Die Erklärung des Innenministers haben Sie gleichfalls dazu zur Kenntnis genommen. Ich glaube, das hätte besser laufen können. Aber wir werden uns mit Sicherheit weiter mit dem Thema beschäf
tigen dürfen. Denn die Parlamentarische Kontrollkommission hat den Bericht von Jerzy Montag angefordert. Ich bin recht optimistisch, dass er uns auch zugestellt werden wird. Deswegen will ich auch heute nur allein aufgrund von Zeitungswissen hier keinerlei Bewertung vornehmen. Das können wir dann tun, wenn wir den Bericht kennen und wissen, wie Herr Montag zu seiner Bewertung gekommen ist, die jüngst in der Zeitung zu lesen war.
Das gibt mir die Gelegenheit, unsere Auffassung als Sozialdemokraten zum Einsatz von nachrichtendienstlichen Mitteln, insbesondere dem V-Leute-Einsatz, hier kundzutun.
Wir halten einen V-Leute-Einsatz im Bereich des Verfassungsschutzes für unverzichtbar. Denn will der Verfassungsschutz im extremistischen und natürlich auch im terroristischen Bereich erfolgreich arbeiten, dann braucht er auch menschliche Quellen.
Wir haben heute eine interessante zeitliche Parallele. Der Innenminister hat bereits darauf hingewiesen: Während wir hier über den Vorgang „Corelli“ debattieren, entscheidet der Bundestag in zweiter und dritter Lesung über eine Novelle zum Verfassungsschutzrecht. Dabei kommt es mir auf eine ganz entscheidende Stelle an.
Denn Konsequenz aus dem NSU-Versagen war unter anderem auch, dass wir festgestellt haben, dass das V-Leute-Wesen eine Schwachstelle in dem System ist, dass wir nur aufgrund von behördeninternen Weisungen V-Leute im Einsatz haben, dass nicht klar geregelt ist, welche Straftaten ein V-Mann schon auf dem Kerbholz haben darf und welche Straftaten er im Rahmen seines V-MannEinsatzes begehen darf, dass wir nicht verhindert haben - jedenfalls nicht abschließend verhindert haben -, dass mit dem Geld des Staates, das an den V-Mann fließt, extremistische oder terroristische Organisationen aufgepäppelt werden.
Vielmehr haben wir haben den V-Leute-Einsatz lediglich im Gesetz genannt. Wir haben aber keinerlei Regeln aufgestellt - jedenfalls nicht als Gesetzgeber. Das halte ich für ein Defizit; denn wir brauchen klare gesetzliche Regelungen für den V-Leute-Einsatz - ich schließe gleich noch an - und auch für den Einsatz verdeckter Ermittler in unserem Landesgesetz in Sachsen-Anhalt.
Verdeckte Ermittler sind Beamte, die letztlich in die Szene eingeschleust werden. Sie sind in unserem Gesetz nicht einmal genannt, sondern sie kommen zum Einsatz allein aufgrund des Begriffs „insbesondere“. Weil sie nach dem Wort „insbesondere“ nicht genannt sind, kommt man zu dem Ergebnis: Verdeckte Ermittler kann man auch im Bereich des
Verfassungsschutzes einsetzen. In einem so sensiblen Bereich brauchen wir eine gesetzliche Regelung. Eine ganze Reihe von Ländern hat das bereits in den letzten zwei Jahren in ihren Gesetzen nachgeholt.
Ich habe wiederholt eine solche Regelung vorgeschlagen und angemahnt. Vielleicht ist der heutige Tag sowie die Debatte und die Entscheidung im Deutschen Bundestag dafür Anlass, dass wir uns dieser Aufgabe in der aktuellen Wahlperiode noch stellen. Denn es wäre schon ein gewisser Treppenwitz, wenn die Landesregierung von SachsenAnhalt im September im Bundesrat der Neufassung der §§ 9a und 9b des Verfassungsschutzgesetzes des Bundes zustimmen würde - dabei geht es um den V-Leute-Einsatz und die verdeckten Ermittler - und wir in Sachsen-Anhalt weiterhin die Monstranz vor uns hertragen: Eigentlich ist es so, wie das geregelt ist, ganz schick und wir können auf eine gesetzliche Regelung verzichten.
Die nächsten Monate geben aus meiner Sicht für eine solche begrenzte Regelung noch ausreichend Zeit. Wir sollten uns dieser Aufgabe stellen. - Herzlichen Dank.