Protokoll der Sitzung vom 08.05.2020

Lange Rede, kurzer Sinn: An dieser Stelle haben wir gesagt: Ich rufe die Präsidenten an, sie verschaffen sich ein internes Meinungsbild und geben eine Rückmeldung. Die die Rückmeldung heißt, dass man sich gut vorstellen kann, das vor unserer Taktung zu realisieren, nach der wir das offiziell umsetzen würden, auch im Hinblick auf die überregionale Buchung, beginnend mit ihrer eigenen Bevölkerung und dann mit Anrainerländern. Es geht hierbei auch um den Im- und Export von Infektionsgefahren, die damit einhergehen. Man muss genau beobachten, was man hierbei macht.

Wir sehen in Frankreich, wie teilweise regional gesteuert wird, wer nach Paris darf und wer nicht nach Paris darf, damit man seine eigenen Infektionszahlen mit Blick auf die hohen vulnerablen Gruppenanteile, die es gibt, nicht nach oben treibt und letztlich eine falsche Entscheidung trifft. Man will dabei immer auf der sicheren Seite sein.

Wir haben gesagt, wir werden in den nächsten Stunden und Tagen überlegen, ob wir uns am Dienstag für eine Stufe davor aussprechen, bei der vor Ort nach Einzelfallprüfung eines Landrates, eines Oberbürgermeisters entschieden wer

den kann, was aus deren Sicht, was aus der Sicht der dortigen Wirtschaft wünschenswert ist. Das ist sehr heterogen. Manche sagen: Um Gottes willen, das ist viel zu früh, das braucht noch Zeit usw. Letztlich kann es beantragt werden, damit sie schon vor dem 22. Mai an den Start gehen können. Das ist sozusagen das Delegationsverfahren, das übrigens in Sachsen und in Thüringen ähnlich praktiziert wird, womit wir dann auch wiederum in einer subsidiären Vorstufe, in einer mitteldeutschen Lösung sind.

Niedersachsen ist für mich zwar bezüglich des Harzes nicht ganz irrelevant; allerdings ist die Struktur in Niedersachsen sehr stark durch Mecklenburg-Vorpommern, durch die Küstenproblematik, die Küsteninfrastruktur und die Tourismuswirtschaft geprägt, weniger durch den Harz, sodass man dort ganz andere Dinge präferiert. Außerdem muss das Ganze wirtschaftlich laufen. Das kann Herr Willingmann viel besser darstellen.

Auch mit dem Dehoga muss dann gesprochen werden. Folgende Fragen sind zu klären: Wollen wir wirklich, dass Hotelzimmer wie in Niedersachsen nach der Abreise der Gäste eine Woche lang stillgelegt werden? Rechnet sich das überhaupt oder treiben wir die Hoteliers damit in den Konkurs?

Wir sagen lieber, Hygienekonzepte straffer und dafür wirtschaftlich betreibbar gestalten, nicht dass wir mit der Öffnung in eine Insolvenz geraten, die, wenn wir nicht öffnen würden, wenigstens über das Kurzarbeitergeld abgefangen werden würde. Das alles muss bei dieser ganzen Geschichte bedacht werden.

Das ist der Hintergrund, dass wir im Hinblick auf diese Vorstufe von den Präsidenten der kommunalen Spitzenverbände ein positives Signal bekommen haben. Sie haben deutlich gemacht: Wir könnten uns das vorstellen; wir würden dafür vor Ort die Verantwortung übernehmen und das sehr differenziert, sehr angepasst an die Lage in Großstadt oder Landkreis in der Fläche usw. usf. umsetzen.

Vielen Dank. - Es gibt weitere Wortmeldungen. Es haben sich Herr Abg. Raue, Herr Tobias Rausch und Herr Abg. Lippmann gemeldet. Ich hoffe, dass wir danach in die Debatte der einzelnen Fraktionen einsteigen können; denn eigentlich müssten wir jetzt mit diesem Tagesordnungspunkt schon am Ende sein. - Herr Abg. Raue, Sie haben jetzt das Wort.

Herr Ministerpräsident, im Jahr 2012/13 - ich sprach das schon einmal bei Frau Grimm-Benne

an - wurde in der Bundesregierung die Debatte - natürlich befasste sich auch der Bundestag damit - über den Bericht zur Risikoanalyse im Bevölkerungsschutz 2012 geführt. Damals gab es auch Konsequenzen, die die Länder am Ende umzusetzen hatten.

In diesem Bericht wurde von einer Pandemie, die als Blaupause hätte dienen können, mit 7,5 Millionen Toten gesprochen. Die Auswirkungen, die infolge einer solchen Pandemie, die sich über drei Jahre erstrecken sollte, auf die Wirtschaft zu erwarten waren, sind ungefähr so groß wie die einer Weltwirtschaftskrise. Diesbezüglich brauchen wir uns nichts vorzumachen. Das ist auch das, wovor wir heute Sorge haben, dass das noch eintreten kann.

Meine Frage ist jetzt: Warum war Sachsen-Anhalt am Ende so schlecht auf eine solche Pandemie vorbereitet, was zum Beispiel Schutzausrüstung anbetrifft, was Strategiepläne anbetrifft, um nicht nur die Menschen, sondern auch die Wirtschaft zu schützen, die die Grundlage und das Fundament für unser Gesundheitssystem ist?

Wie ist Sachsen-Anhalt überhaupt mit dieser Studie seit 2012/13 umgegangen? Denn das RobertKoch-Institut und viele Virologen, die sich heute teilweise mit ihren Maßnahmen auch an Ihre Seite stellen - -

Herr Raue, kommen Sie zum Ende.

Viele Virologen, auch Alexander Kekulé, beklagen, dass im Prinzip die Maßnahmen, die gefordert wurden, nie umgesetzt wurden.

Herr Ministerpräsident.

Über diesen Themenkomplex, was seit der Studie im Jahr 2012 gemacht worden ist oder nicht, ist schon so viel in der Öffentlichkeit diskutiert worden, dass ich das jetzt nicht vertiefen will. Sicherlich wird nachher Frau Grimm-Benne darauf Bezug nehmen.

(Alexander Raue, AfD: Da ist noch gar nichts diskutiert worden!)

Ich will auf eines hinweisen: Die staatlichen Eingriffe auf die Wirtschaft bei Ausbruch der Pandemie waren sehr beschränkt und selektiv nur auf die wenigen Bereiche konzentriert, die - wenn ich einmal Schule und Kita im Sinne von Prophylaxe außen vor lasse - unmittelbar mit Blick auf Körper

kontakt zur unmittelbaren Infektionsweitergabe betroffen gewesen sind.

Mehrheitlich ist die Konsequenz für die Wirtschaft nicht durch unsere Verordnungslage entstanden, sondern durch die allgemeine Situation, dass entsprechende Lieferketten wegfielen, VW und die ganzen Konzerne ihre Produktion heruntergefahren haben, unsere Zulieferer in der Luft hingen und letztlich Unsicherheiten im Konsumverhalten der Menschen eine Rolle gespielt haben.

Selbst als wir jetzt alle Läden geöffnet haben, ist es nicht so, dass unsere Einkaufseinrichtungen überfüllt wären, weil die Leute ganz andere Sorgen haben und möglicherweise jetzt alles andere wichtiger finden, als die Entscheidung zu treffen, ob sie einen neuen Jahreswagen brauchen usw. usf. Die Diskussionen mit den Gipfeln, die in Berlin gelaufen sind, kennen Sie ja.

Lange Rede, kurzer Sinn: An dieser Stelle müssen wir sehen, dass wir generell die deutsche, die europäische und die Weltwirtschaft wieder in Gang bekommen, die zu einem geringeren Anteil durch staatliches Intervenieren und durch administrative Maßnahmen betroffen war.

Trotzdem hängt alles miteinander zusammen. Es ist der gleiche Mensch, der sowohl als Familie, als Individuum, als gesellschaftliches Wesen, als Elternteil mit Kindern als auch als Produzent bzw. Akteur in der Wirtschaft unterwegs ist. Mit dieser psychologischen Situation sind wir noch nie konfrontiert gewesen. Lassen Sie uns damit Erfahrungen sammeln.

Ich denke, wenn wir jetzt konsequent alle Spielregeln einhalten, dann kann man durch diese Krise kommen und dann ist sogar auch eine zweite Welle vermeidbar, wenn wir nicht nachlassen in unseren Hygienevorschriften, die dazu geführt haben, dass wir die Pandemie so eindämmen konnten, dass alle Welt auf Deutschland schaut und staunt, wie wir das hinbekommen haben. Das darf man auch nicht vergessen. Die Welt schaut nach Deutschland und fragt sich: Wie haben sie das bloß hinbekommen? Und Sachsen-Anhalt ist mittendrin. Darüber können wir doch erst einmal froh sein. Wissen Sie, was ich noch vor sechs oder acht Wochen für Träume gehabt habe, falls ich überhaupt geschlafen habe?

Herr Raue, Sie haben eine Nachfrage signalisiert. Bitte keine großen Erklärungen, bitte nur eine kurze Fragestellung.

Herr Ministerpräsident, der Lockdown am

17. März, die umfassenden Schließungen, haben sehr wohl für einen Schock in der Wirtschaft ge

sorgt. Meine Frage ist: Hätte eine konzentrierte Aktion, die nicht die Schließung von Geschäften zur Folge gehabt hätte und

(Zuruf: Hätte, hätte, Fahrradkette!)

bereits Ende Februar erfolgt wäre, also rechtzeitig,

Herr Raue, ich habe um eine kurze Fragestellung gebeten.

(Unruhe)

bevor es notwendig gewesen wäre, diese massive Schließung der Geschäfte und des öffentlichen Lebens durchzuführen, auch darin bestehen können, Mundschutz und dergleichen an die Bevölkerung zu verteilen sowie die gleichen Hygiene- und Abstandsregeln wie jetzt anzuwenden?

(Zuruf - Unruhe)

Herr Raue!

Frau Präsident, letzter Satz. - Dann wäre es möglich gewesen, ein solches dramatisches Herunterfahren der Wirtschaft zu vermeiden.

Herr Ministerpräsident.

Ja, genauso ist es. Wenn man alles gewusst hätte,

(Siegfried Borgwardt, CDU: Richtig, so ist es!)

dann hätte man alles richtig gemacht.

(Beifall - Zurufe)

Ich muss es aber immer gleich wissen.

(Beifall)

Das ist das Schöne an der Politik: Sie müssen immer mit dem, was Sie gerade wissen, entscheiden. Dafür bekommt man manchmal auch negative Schlagzeilen, weil es logischerweise immer einige gibt, die es besser wissen, notfalls auch Kommentatoren. Aber das ist unser Leben. Solange wir gesund und munter hier sitzen, haben wir erst einmal grundsätzlich nicht alles falsch gemacht.

(Beifall)

Herr Abg. Rausch, auch Sie bitte ich an dieser Stelle mit Blick auf den Zeitplan, sich kurz zu fassen. Bitte.

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Sehr geehrter Herr Ministerpräsident Haseloff, ich unterstelle Ihnen nicht, dass Sie nicht alle Auswirkungen bedacht haben und gewollt haben, dass es so gekommen ist, wie es ist. - Das vorweg.

Zu dem Shutdown, der durchgeführt worden ist. Mich wundert, warum wir so lange damit warten, wieder ins normale Leben zurückzukehren - wir würden natürlich auch weiterhin die Risikogruppen schützen -, wenn ich mir die reinen Zahlen für Sachsen-Anhalt anschaue. Wir haben 2,27 Millionen Einwohner, haben laut Statistik ca. 1 600 Infizierte. Das entspricht einem Anteil von 0,07 % der Bevölkerung. Dafür haben wir die ganze Industrie heruntergefahren.