Protokoll der Sitzung vom 08.05.2020

Um den aufgrund der Krise entstandenen enormen zusätzlichen Finanzbedarf decken zu können, dürfen die Steuern auf keinen Fall gesenkt werden; jedenfalls nicht, ohne dafür an anderer Stelle einen Ausgleich zu schaffen. Wenn wir auf den größten Wirtschaftseinbruch seit dem Zweiten Weltkrieg zusteuern sollten, dann muss Kapital an den Finanzmärkten mobilisiert werden, um es für den realen Bedarf der Menschen und für den Erhalt von Arbeitsplätzen und unternehmerischen Strukturen einzusetzen. Eine Sonderabgabe auf große Vermögen bleibt das Gebot der Stunde, und nicht die Anhäufung weiterer öffentlicher Schulden, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall)

Wir sehen in der Krise die wichtigste Aufgabe darin, soziale Problemlagen zu erkennen und Menschen davor zu schützen, unverschuldet in Not zu geraten. Es ist aber nichts gewonnen, wenn die Schuldenlast weiter steigt und die Sozialversicherungssysteme massiv überlastet werden. Wenn sich nur die Steuervermeider und Subventionsritter immer stärker durchsetzen, dann ist der soziale Friede gefährdet.

Denn trotz der Lasten aus der Coronakrise können die großen Herausforderungen für das Land nicht warten. Die Unterfinanzierung unserer Kommunen muss ein Ende finden. Der milliardenschwere Investitionsstau muss auflöst werden. Wir müssen die Qualität in den Kitas und Schulen verbessern. Wir müssen zivilgesellschaftliche Strukturen stärken und vieles mehr. Das geht nicht mit immer neuen Schulden und künftigen Haushaltskürzungen, liebe Kolleginnen und Kollegen.

Wir müssen jetzt mehr gegen den sozialen Abstieg ganzer Bevölkerungsgruppen tun. Wir dürfen aber die Zukunft des Landes nicht mit immer größeren Hypotheken belasten. Wir müssen das jetzt eingesetzte Geld wieder in die Hände des Staates zurückholen, wenn die Wirtschaft wieder läuft.

(Beifall)

Wer das Land verantwortungsbewusst regieren will, der muss endlich die Verbesserung der öffentlichen Einnahmen und damit eine andere Steuerpolitik auf die politische Agenda setzen. Sozial ist eben nicht nur, was Arbeit schafft, sozial ist, was den Reichtum gerecht verteilt und den Sozialstaat handlungsfähig hält. - Vielen Dank.

(Beifall)

Ich sehe hierzu keine Fragen. Dann danke ich Herrn Lippmann für den Redebeitrag. - Herr Abg. Lange, Sie haben das Wort. Ich muss aber darauf hinweisen, dass Sie nur noch etwa drei Minuten Redezeit haben.

Das ist perfekt. - Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Welt schaut auf die Wissenschaft. Die Hochschulen spielen in der Coronakrise nicht nur dann eine entscheidende Rolle, wenn es um die Beratung der Gesellschaft und der Politik geht. Auch bei der Krisenbewältigung und beim Strukturwandel werden Forschung, Wissenschaft und Innovation zukünftig eine entscheidende Rolle spielen. Gleichzeitig kommt der Finanzminister auf die absurde Idee, den Hochschulen Geld wegzunehmen. Er möchte einen sogenannten Konsolidierungsbeitrag generieren.

Meine Damen und Herren! Damit wird die Erhöhung der Mittel für den Hochschulhaushalt um den kleinen Betrag des Inflationsausgleichs zunichtegemacht. Außerdem haben die Hochschulen bereits Federn gelassen, indem die zweite Stufe der Bernburger Vereinbarung mit einem Millionenbetrag vollzogen wurde, und zwar aus den Grundstücksbudgets heraus. Die Hochschulen müssten in dem Fall, wie er Herrn Richter vorschwebt, Geld zurücklegen, anstatt es für das auszugeben, was ihre Aufgabe ist und was wir als Gesellschaft dringend brauchen. Und es wäre erneut Betrug am Bund, meine Damen und Herren.

Die Befürchtung war bislang immer, dass das Geld, wenn es der Bund über Vereinbarungen direkt an die Hochschulen gibt, durch die Hintertür herausgezogen wird, weil sich die Länder aus der Verantwortung nehmen. Beim Hochschulpakt ist das in Teilen tatsächlich auch passiert. Ich erinnere nur daran, dass jetzt Mittel in Höhe von 10 Millionen € weniger durch das Land ausgegeben werden müssten, das nicht den Hochschulen zur Verfügung gestellt wird.

Das Verhalten des Finanzministers treibt das Ganze auf die Spitze: Wir bekommen vom Bund ein Millionenbetrag und der Finanzminister kassiert das Geld für das Land Sachsen-Anhalt ein. Wir brauchen mehr Forschung und Lehre, deshalb darf es einen solchen Konsolidierungsbeitrag der Hochschulen nicht geben. Ich fordere Herrn Ministerpräsidenten Haseloff auf, an der Stelle tatsächlich zu handeln. Er kennt die Vereinbarung von Bernburg. Dort wurde vereinbart: Es gibt noch einmal diese Kürzung, dafür fällt der Konsolidierungsbeitrag weg. Das muss jetzt umgesetzt werden. Doppelt kürzen ist doppelt ungerecht und doppelt falsch, meine Damen und Herren.

(Beifall)

Ich sehe keine Fragen. Dann danke ich Herrn Lange für den Redebeitrag. - Die Landesregierung teilt sich ebenfalls die Redezeit. Als Erste

spricht die Ministerin Frau Grimm-Benne. Frau Ministerin, Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Vizepräsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! Nachdem wir in der ersten Aktuellen Debatte sehr lange geredet haben, habe ich überlegt, wie ich verschiedene Punkte, die möglicherweise etwas in die falsche Richtung gelaufen sind, in meinem Redebeitrag wieder einsammeln könnte.

Ich habe in meinem heutigen Redebeitrag in der Aktuellen Debatte unter dem Titel „Der sozialen Spaltung durch die Coronakrise aktiv begegnen“ einige Punkte hinsichtlich sozialer Ungerechtigkeiten, über die wir schon vorher debattiert haben, nicht noch einmal ausdrücklich aufgegriffen. Ich bin der Auffassung, dass sich aufgrund der Coronakrise insbesondere die soziale Spaltung verschärfen wird, und zwar zum Nachteil der Schwachen, wenn ich sie einmal so bezeichnen will: der chronisch Kranken, der Menschen mit Behinderungen, der Armen, der Alten etc., wenn wir so weitermachen.

Ich habe aus den Redebeiträgen in der Debatte eine sehr große Entsolidarisierung herausgehört. Es gibt also nicht mehr diese Solidaritätsphase im Sinne von „Wir schaffen das alle miteinander“, sondern ich empfinde die Debatte mittlerweile so, dass es hierbei zu einer Spaltung kommt; denn die eben genannten Personengruppen sind heute noch gar nicht genannt worden.

Hinzu kommen nach der siebenten, achten Woche natürlich die Angst vor einem Arbeitsplatzverlust und die Existenzangst, die Angst, das, was man sich in den letzten 20 Jahren aufbaut hat, zu verlieren. Auch wir überlegen, wie man bestimmte Arbeitsprozesse lockern kann, wie man Mehrarbeit machen und wie man all das wieder aufholen kann, was man durch das Herunterfahren hinnehmen musste.

Ich will auch mit einigen Dingen aufräumen, die mich wirklich belastet haben. Der Ministerpräsident hat in der heutigen Aktuellen Debatte gesagt: Wir haben unsere Bevölkerung im schlimmsten Fall vor der Krankheit Corona gerettet. Er hat die Zahl von 48 Toten im Land Sachsen-Anhalt genannt. Ja, man kann natürlich eine Diskussion darüber führen, dass diese Menschen nicht allein an Corona gestorben sind, dass sie mit Corona gestorben sind - möglicherweise aber schneller als ohne Corona.

Aber das, was wir hier in Deutschland insgesamt durch das Herunterfahren hinbekommen haben, ist, dass diese Menschen, egal welchen Alters und mit welcher Vorerkrankung, noch immer die

beste medizinische Versorgung erhalten haben. Hier in Deutschland musste niemand entscheiden, ob man in einem bestimmten Alter mit einer Vorerkrankung noch Zutritt zum Krankenhaus erhält, ob man, wenn man noch etwas älter ist und zwei Vorerkrankungen hat, im Grunde keinen Platz mehr auf einer Intensivstation mit Beatmungsgeräten erhält. Ich bin sehr dankbar, dass wir diese Frage in unserem Land nie beantworten mussten, und ich hoffe, dass wir auch bei all den Lockerungen, die wir jetzt vornehmen, nie dahin kommen.

(Beifall)

Zu der Frage: War es richtig, das Land so herunterzufahren? Es wird immer der Reproduktionswert von 1,0 herangezogen. Das war aber nicht der entscheidende Punkt. Der entscheidende Punkt war, Zeit zu gewinnen; das wissen Sie auch alle. Es ging nämlich darum: Selbst in unserem Land lag am 20. März 2020 die Verdopplungszeit noch bei 2,2 Tagen. Es wurden alle Anstrengungen unternommen, das öffentliche und gesellschaftliche Leben wurde so weit heruntergefahren - das können Sie unseren Lageberichten entnehmen -, dass wir am 27. März 2020 eine Verdopplungszeit von 30,5 Tagen erreicht haben. Wir liegen damit weit vor Italien. Wir müssen das weiter durchhalten. Deshalb dauert eine Pandemie so lange.

Was haben wir uns denn damals gesagt, ab wann wir Lockerungen vornehmen? Wann wollten wir Lockerungen vornehmen? Kann sich noch jemand daran erinnern? - Wenn wir eine App haben und die Fälle verfolgen können, möglicherweise auch, wenn wir einen Impfstoff haben. Jetzt wissen wir mittlerweile, dass das mit dem Impfstoff noch etwas länger dauert. Aber eine Nachverfolgungsapp haben wir nicht.

Wir haben jetzt eine Verdoppelung der Anzahl der Intensivbetten hinbekommen. Wir haben auch unsere Gesundheitsämter ertüchtigt. Aber im Augenblick erlebe ich es, dass die Landkreise ihre Gesundheitsämter wieder herunterfahren; denn es ist ja nichts mehr zu tun. Ich halte dies im Moment für eine sehr gefährliche Situation. Das treibt mich um.

Ich möchte es einmal verdeutlichen: Gerade hat mir der Ministerpräsident eine Eilmitteilung geschickt. In Nordrhein-Westfalen werden gerade alle Mitarbeiter von Schlachtbetrieben getestet. Das werden wir hier auch tun. Und ich werde noch eins draufsetzen: Wir werden hier auch alle Erntehelfer testen lassen;

(Beifall)

denn insbesondere die hygienischen Bedingungen werden beim Arbeiten in unserem Land anscheinend nicht eingehalten. Die Umsetzung all dessen, was wir in unserer Verordnung immer

wieder gesagt haben - Hygiene, Hygiene und Abstand wahren -, scheint irgendwie noch nicht zu klappen.

Bei dem, was heute über den Ticker geht, hat sich der Ministerpräsident möglicherweise missverständlich ausgedrückt. Ich halte an dem 22. Mai 2020 für Gaststätten fest. Ich möchte das auch ganz klar begründen. Wir haben überall gesagt: Wir müssen das nachverfolgen können. Wir müssen wissen, dass jemand an einem bestimmten Tag dort gewesen ist und dort gegessen hat. Das muss mit Anwesenheitslisten usw. festgestellt werden.

Das Einzige, was uns gemeinsam leider nicht gelungen ist, ist, hinsichtlich der Grenzen zu Niedersachsen, zu Thüringen und zu Sachsen ein Einvernehmen hinzukommen. Warum ist das so schade? - Weil der Mensch möglicherweise meint, er müsse immer dahin fahren, wo gerade offen ist. Das haben wir bei den Baumärkten erlebt: Da waren wir schneller als Niedersachsen, also sind alle dorthin gefahren.

Ich werde alles tun, um diese Infektionsketten zu verhindern. Das darf mir auch niemand übel nehmen; denn ich trage Verantwortung für all die Menschen, die jetzt möglicherweise aufgrund des schönen Wetters oder aufgrund der vielen Lockerungen leichtfertiger werden.

Ich möchte das am Beispiel des Landkreises Greiz verdeutlichen. Es waren zwei Ärzte - auch noch Ärzte -, die Geburtstag gefeiert haben. Es hat nicht lange gedauert und innerhalb von 14 Tagen ging das richtig los.

Ich werde es den Landräten sehr schwer machen. Ich kann auch meinem Landrat sagen: Das wird nicht über eine Allgemeinverfügung laufen, sondern es wird über Einzelfallentscheidungen laufen, ob einige vor dem 18. Mai 2020 öffnen können. Denn ich möchte abwägen, ob sich ein Landrat das auch vor Ort anschaut.

(Zuruf: Vor dem 22.!)

Mich fasst das auch emotional an, weil auf mich ein Druck abgeladen wird, von dem ich dachte, dass wir ihn alle gemeinsam tragen würden.

Ich möchte einen weiteren Punkt nennen. Man kann das alles öffnen, aber wir schaffen das mit unserer Kinderbetreuung nicht. Die ganzen Arbeitnehmer, die gebraucht werden - wir schaffen es nicht, mit diesem Tempo für diese Kinder einen Platz in den Kitas vorzuhalten. Das muss man auch berücksichtigen. Auch dort haben wir Phasen vorgesehen, damit wir die Kitas wieder langsam anlaufen lassen können. Das alles bekommen wir gar nicht hin. Bisher haben wir das Schritt für Schritt sehr ordentlich und sehr besonnen getan. Und das werden wir, denke ich, auch weiterhin so tun. - Herzlichen Dank.

Frau Ministerin, es gibt eine Frage von Herrn Gallert. - Herr Gallert, Sie haben das Wort.

Da hat es Herr Willingmann schwer, er muss zu den Anträgen sprechen - dazu habe ich jetzt leider nichts gehört -, zu den drei Personengruppen, die wir angesprochen haben.

Ich habe eine Frage, Frau Ministerin, und zwar zu dem, was Sie sagten. Die Verwirrung um den 18. und den 22. Mai 2020 für die Gastronomie wird bei mir übrigens immer größer, aber das liegt möglicherweise nicht an mir. Ich habe in diesem Zusammenhang die folgende Frage. Zumindest eine der Zahlen, an die ich mich erinnern kann, hat in der öffentlichen Debatte vor einer Woche eine Rolle gespielt. Vertreter des RKI, glaube ich, haben sich hingestellt und gesagt: Wenn wir in der Bundesrepublik Deutschland eine durchschnittliche Neuinfektionsrate von 400 haben, dann sind wir an einem Punkt, zu dem wir einschätzen, dass wir jede Neuinfektion in der Infektionskette nachvollziehen können. Das ist, wie gesagt, vor etwa einer Woche aus dem RKI gekommen, vielleicht auch von Herrn Spahn.

Rechne ich diese 400 um, dann wären das in Sachsen-Anhalt zwölf Neuinfektionen pro Tag. Das ist in etwa der Schnitt, den wir jetzt haben. Teilen Sie diese Position, dass wir bei einem Neuinfektionsgeschehen in etwa dieser Größenordnung in der Lage wären, jede Neuinfektion nachzuvollziehen und damit - das ist die Begründung - weitere Lockerungen zu realisieren?

Frau Ministerin, Sie haben das Wort.

Ich teile diese Position nicht. Wir haben selbst ausgerechnet - wir sind von zwei Personen auf fünf Personen gegangen -: Wenn wir die Ansteckung bei fünf Personen nachverfolgen können, dann kommen wir auf eine etwas höhere Zahl. Auch als wir 21 bzw. 22 am Tag hatten, haben wir es auch geschafft, das nachzuvollziehen. Das bedeutet aber: Ich muss Infektionsketten nachverfolgen können. Deshalb habe ich - das sage ich nochmals deutlich- mit dem Himmelfahrtstag meine Sorge; denn ich kann Gruppen dann möglicherweise nicht mehr nachvollziehen.

(Beifall)

Das hat nichts damit zu tun, dass ich niemandem sein Geschäft gönne. Ich habe aber die Sorge, dass wir das nicht nachvollziehen können. Ge

nauso wie bei den Friseuren wollen wir bei den Gaststätten und bei den Beherbergungsunternehmen schauen, dass wir es mit Anwesenheits- bzw. Kunden- oder Reservierungslisten nachvollziehen können. Das ist auch etwas, das uns das RKI immer gesagt hat: Wir brauchen bei den Gesundheitsämtern Teams, die nichts anderes tun als nachzuverfolgen. Das haben wir als kleines Land im Augenblick am besten hinbekommen. Wir konnten sehr schnell ins Containment gehen. Das hat uns auch vor vielen Dingen gerettet, auch vor bestimmten Hotspots.

Frau Ministerin, Herr Raue hat sich zu Wort gemeldet. - Herr Raue, Sie haben das Wort.

Frau Ministerin, wird es anlässlich der Öffnung der Gastronomie besondere Hygienevorschriften

geben? Ich erinnere nur daran, dass es häufig so ist - wer gelegentlich in einem Restaurant, einer Gaststätte an der Bar ist, der bekommt das mit -: Wenn die Bier- oder Saftgläser zurückkommen, dann werden sie kurz durch die Spüle, über den Schwamm oder was auch immer gezogen, kommen dann zum Abtropfen und werden gleich wieder verwendet. Wird es besondere Reinigungsvorschriften für das Geschirr geben, etwa in Bezug auf Geschirrspülmittel oder so?