Protokoll der Sitzung vom 12.06.2020

mutszeugnis, und ich finde, diese Zahl sollte man so schnell nicht vergessen.

Niemanden wird es überraschen, dass gerade infolge der Coronapandemie diese Kinder und Jugendlichen und ihre Familien, die von Armut betroffen sind, diejenigen sind, die am härtesten von den Beschränkungen, die wir erlassen mussten, betroffen sind.

Sie sind es, die in überwiegend in beengten Wohnverhältnissen leben und die Ausgangsbeschränkungen ertragen mussten. Sie sind es, die sich zuweilen mit ihren Geschwistern einen Laptop oder ein altes Handy teilen mussten, um im Homeschooling zu lernen. Man muss sich überlegen, dass man dabei gar nicht mehr vom Lernen sprechen kann.

Sie sind es auch - das berichten Sozialarbeiterinnen -, die auf dem Teppich ihre Hausaufgaben machen, weil einfach kein Schreibtisch im Haus ist oder der Schreibtisch vom Geschwisterkind besetzt ist. Und - das ist eben auch die Wahrheit - das sind die Kinder und Jugendlichen, die schon vorher benachteiligt waren, die natürlich auch am intensivsten unter den existenziellen Ängsten ihrer Eltern leiden müssen.

Wir wissen zudem - auch das ist kein Geheimnis; das kritisieren wir als LINKE schon sehr lange -, dass die Regelsätze so eng bemessen sind, dass es gerade diese Familien sind, die am häufigsten auch Tafeln aufsuchen müssen. Herr Steppuhn wird das bezeugen können, wir hatten bei allen Tafeln nicht das vollumfängliche Angebot. Wir hatten teilweise bis zu 40 % Schließungen. Das sind Angebote, die diesen Kindern und Jugendlichen und ihren Familien nicht mehr offenstanden, die wegbrachen und fehlten.

(Zuruf)

Dann reden wir natürlich auch wieder über eine nicht gesunde Ernährung und Hunger in den Familien.

(Zuruf)

Es gehört zur Wahrheit auch dazu, dass natürlich in der Zeit der Pandemie die häusliche Gewalt zugenommen hat. Es wird von jedem zehnten Kind gesprochen, im Übrigen unabhängig von der ökonomischen Situation der Eltern, das während des Lockdowns häusliche Gewalt erlebt hat.

(Zuruf)

Führen wir uns alle diese Fakten, die ich gerade genannt habe, vor Augen, erschließt sich schnell, dass das natürlich für die betroffenen Familien, für die Kinder und Jugendlichen langfristig sehr, sehr negative Folgen haben wird. Ihre Benachteiligung, die schon bestand, wächst, steigt stetig an, verstetigt sich. Das ist eine Tatsache, die wir als

LINKE nicht akzeptieren wollen. Das werden wir jederzeit wieder ansprechen. Soziale Ungerechtigkeit ist kein Naturgesetz.

(Beifall)

Meine Damen und Herren! Ich bin nicht die wirtschaftspolitische Sprecherin, aber ich glaube, er wird mir zustimmen: Sachsen-Anhalt hat nur eine nachwachsende Ressource, nur einen Bodenschatz und das sind unsere Kinder. Sie - das dürfen wir alle nicht vergessen, die wir hier sitzen - sind die Grundlage unserer Demokratie.

„Sozialer Zusammenhalt“ ist eine Wortgruppe, über die wir in den nächsten Wochen und Monaten noch viel reden müssen. Sozialer Zusammenhalt ist die Grundlage unserer Demokratie, der Kitt unserer Demokratie. Wir wissen, was passieren kann, wenn dieser Kitt wegbricht. Die Kinder von heute lernen jetzt, ob und wie sozialer Zusammenhalt funktioniert.

Ich denke, wir alle sollten genau ihr Wohl aus diesem Grund in den Mittelpunkt unseres Bemühens, unseres politischen Alltagsgeschäfts stellen, und das nicht in Sonntagsreden oder Predigten, sondern täglich.

Wir werden mit Sicherheit nicht nur in diesem Parlament, sondern auch in den kommunalen Gebietskörperschaften, auch im Bundestag und in anderen Ländern, über die Milliardenlöcher sprechen, die wir gerade in den Haushalten verursachen müssen - das sage ich ausdrücklich.

Bei diesen Debatten wird es auch um soziale Verantwortung gehen, unsere Verantwortung für die Gesellschaft. Dabei steht die Frage im Mittelpunkt: Wollen wir soziale Spaltung in unserer Gesellschaft weiter vorantreiben oder stehen wir gemeinsam als Demokratinnen und Demokraten für den sozialen Zusammenhalt? - Als LINKE haben wir das klar beantwortet.

(Beifall)

Deswegen im Übrigen auch, Herr Fraktionsvorsitzender der CDU, meine Frage an Sie, weil mich natürlich interessiert, wofür Sie stehen.

Schlussendlich ist es Ziel unseres Antrags, Kindern, Jugendlichen und Familien tatsächlich eine Stimme zu geben. Das können sie - ich glaube, darin sind wir uns einig - selbst am besten, und das können all jene, die tagtäglich mit ihnen zu tun haben, die sie tagtäglich begleiten, die mit ihnen lachen, aber natürlich auch mit ihnen den Kummer teilen.

Ehrlicherweise - das gehört eben auch zur Wahrheit dazu - haben wir gerade in den letzten Wochen und Monaten sehr viel über Menschen und sehr wenig mit Menschen gesprochen. Das hat

auch etwas mit den Abstandsregelungen zu tun, aber eben nicht nur.

Gerade diejenigen, über die wir heute reden, das sind die, die schon in normalen Zeiten die geringste Möglichkeit haben, sich zu Wort zu melden. In Krisenzeiten ist es für sie natürlich noch schwerer, sich laut und hörbar zu Wort zu melden. Deswegen sehen wir in dem Kindergipfel tatsächlich die Chance, dass sie öffentlich wirksam und auch für alle hier im Haus, durch die Landesregierung - gern auch gemeinsam mit dem Landtag - organisiert, dieses Wort erhalten, dass sie zu Wort kommen und wir ihnen gemeinsam zuhören.

Im Übrigen, nur mal ganz nebenbei: Wir haben dabei nichts zu verlieren. Ganz im Gegenteil: Wir können gemeinsam Vertrauen wieder zurückgewinnen. Ich glaube, das tut uns allen gut. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall)

Ich sehe keine Fragen. Dann danke ich Frau von Angern für die Einbringung des Antrags. - In der Debatte ist eine Redezeit von fünf Minuten je Fraktion vorgesehen. Für die Landesregierung spricht Ministerin Frau Grimm-Benne.

Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! Der Oberbürgermeister der Stadt Magdeburg hat heute in seiner Pressekonferenz um 13 Uhr mitgeteilt, dass in der nächsten Woche fünf weitere Schulen und zwei Jugendeinrichtungen geschlossen werden, dass 70 Personen unter Quarantäne gestellt werden, darunter auch zahlreiche Kinder. Ich erwähne das nur deswegen, weil ich sage, dass die Maßnahmen zur Eindämmung der Coronapandemie immer auch Maßnahmen zur Umsetzung von Artikel 3 - Wohl des Kindes -, Artikel 6 - Recht auf Leben - und insbesondere Artikel 24 - Gesundheitsvorsorge - der UNKinderrechtskonvention sind.

Zunächst ist festzuhalten, dass aufgrund vielfältiger Maßnahmen auf Bundes-, Landes- sowie kommunaler Ebene die Leistung und die Wahrnehmung der anderen Aufgaben der Kinder- und Jugendhilfe grundsätzlich aufrechterhalten werden konnten, wobei selbstredend permanent auf die Expertise von Wissenschaft und Praxis zurückgegriffen wurde. Dies gilt in besonderem Maße für die Aufgaben zum Schutz von Kindern und Jugendlichen, also zur Sicherung des Kindeswohls, wobei die örtlichen Jugendämter hier sogar von einer besonderen Fokussierung ihres Handelns berichteten.

Meine Damen und Herren Abgeordneten! Lassen Sie mich nur einige Beispiele aufzeigen, welche Maßnahmen in Sachsen-Anhalt für das Terrain der Jugendhilfe zur Bewältigung der schwierigen Situation ergriffen worden sind.

Erstens. Die örtlichen Jugendämter haben gemeinsam mit den freien Trägern auf kommunaler Ebene Krisen- und Notfallpläne erarbeitet und abgestimmt - beispielsweise für Quarantänefälle - sowie zur Sicherstellung des Dienstbetriebs ihre Prozessabläufe und Strukturen angepasst.

Zweitens. Der Wahrnehmung der Schutzaufgaben - beispielsweise nach §§ 8a, 42 SGB VIII - räumten Jugendämter durchweg oberste Priorität ein und haben diesbezüglich keinerlei Abstriche gemacht.

Drittens. Um den Schutz von Kindern und Jugendlichen in Einrichtungen der Hilfen zur Erziehung zu gewährleisten, hat das zuständige Landesjugendamt in Abstimmung mit der obersten Landesjugendbehörde, nämlich mit uns, Handlungsempfehlungen in Bezug auf den Coronavirus veröffentlicht. Die Verbände der Familienarbeit sowie Familienzentren in der Region haben sich auf die neue Situation eingestellt und ihre Onlineaktivitäten verstärkt.

In diesem Zusammenhang möchte ich betonen, dass wir alles im Land weiterfinanziert haben, auf online umgestellt haben und dort auch keine Kürzungen vorgenommen haben.

In den Frühen Hilfen ist es den Familienhebammen sowie Familien-, Gesundheits- und Kinderkrankenpflegerinnen gelungen, zu den betreuten Familien direkten Kontakt zu halten, um weiterhin in möglichen Problemsituationen als verlässliche Partner ansprechbar zu bleiben.

Und es wurde mit den weitreichenden Lockerungen der Sechsten Verordnung zudem sichergestellt, dass Einrichtungen der offenen Kinder- und Jugendarbeit, der Jugendsozialarbeit und des erzieherischen Kinder- und Jugendschutzes ihre Arbeit wieder aufnehmen können. Die Landkreise und die kreisfreien Städte waren darüber hinaus im Rahmen der ihnen obliegenden kommunalen Selbstverwaltung aufgefordert, zu prüfen, inwieweit im Einzelfall oder durch Allgemeinverfügung insbesondere für Härtefälle Ausnahmen ermöglicht werden konnten. Einige Landkreise und kreisfreie Städte haben davon Gebrauch gemacht.

Die Notbetreuung war zudem für Kinder geöffnet, die nach Entscheidung des Jugendamtes zur Sicherstellung des Kindeswohls eine Kindertageseinrichtung besuchen sollten.

Am 17. April 2002 wurde die Arbeitsgruppe Kita als fachlich für die Kindertagesbetreuung zustän

diges Gremium der Jugendministerkonferenz beauftragt, nach der durch die Coronapandemie bedingten Einführung von Betretungsverboten für oder Schließungen von Kindertagesbetreuungseinrichtungen Empfehlungen für eine stufenweise Öffnung dieser zu erarbeiten. Sie wissen, dass wir mit unserem Erlass mittlerweile dabei sind, eine eingeschränkte Regelbetreuung zu praktizieren. Wir sind sozusagen schon in der dritten Stufe des Öffnungsprozesses.

Wir wollen immer wieder ein weiteres Stück in Richtung Normalität gehen, wollen aber trotzdem - in strenger Anlehnung an das Infektionsschutzgeschehen - eine sorgfältige Abwägung und Einordnung bestehender Risiken vornehmen.

Wir haben sehr viele finanzielle Anstrengungen unternommen. Ich will nur einmal Folgendes deutlich machen: Es gibt immerhin noch § 56 Abs. 1a des Infektionsschutzgesetzes, wonach jeder einen Entschädigungsanspruch besitzt, der aufgrund einer Schließung oder eines Betretungsverbots einer Kinderbetreuungseinrichtung seine Kinder nicht betreuen lassen konnte und sie zu Hause betreut hat.

Ich will auch noch einmal kurz auf das eingehen, was der Koalitionsausschuss im Bund am 3. Juni beschlossen hat, nämlich im Konjunkturpaket. Danach gibt es einen vereinfachten Zugang zur Grundsicherung für Arbeitssuchende und den einmaligen Kinderbonus von 300 €. Das hat sich jetzt verstetigt. Dazu ist heute Morgen von der Bundesfamilienministerin gesagt worden, wie der Bonus ausgezahlt wird und dass er eben nicht auf Hartz IV angerechnet wird.

Außerdem gibt es 1 Milliarde € für Ausbaumaßnahmen im Bereich der Kindertageseinrichtungen. Es wird ein Investitionsprogramm für den Ausbau von Ganztagsschulen und Ganztagsbetreuung geben. Das heißt, wir haben wieder die Möglichkeit, dort zu investieren. Schließlich werden wir eine Erhöhung des Entlastungsbeitrags für Alleinerziehende haben.

Wir haben - darauf haben wir uns eben verständigt - alle Einrichtungen so durch die Krise geführt, dass sie ihre Angebote aufrechterhalten konnten, dass sie niemanden in Kurzarbeit schicken mussten und dass alle Mitarbeiter weiterhin tätig sein können.

Wir hatten einen Fahrplan vereinbart und wollten eigentlich im Herbst gemeinsam mit allen möglichen Vertretern kompetent über bestimmte Sachen reden: über Kinder- und Jugendarbeit, über die Jugendhilfe, über die Jugendsozialarbeit. Wir wollten viele Punkte verstetigen bzw. neu aufstellen.

Ich würde herzlich darum bitten, dass wir diesen Kinder- und Familiengipfel, gegen den ich mich

gar nicht sperren möchte, in einer Zeit durchführen, in der wir das tatsächlich auch ohne Abstand machen können und nicht mit der Sorge und in der Angst, die wir heute wieder erfahren mussten, ihn möglicherweise in einer Stadt auszurichten, in der wir noch unter den Coronafolgen zu leiden haben. - Herzlichen Dank.

(Beifall)

Frau Ministerin, Herr Loth hat sich zu Wort gemeldet. Er hat sicherlich eine Frage. - Herr Loth, Sie haben das Wort.

Sehr geehrte Frau Ministerin, Sie haben gerade ein paar Investitionsprogramme aufgezählt. Können Sie schon abschätzen, wie hoch der Eigenanteil des Landes bzw. der Kommunen bei diesen Förderprogrammen sein wird?

Nein, ich habe jetzt erst einmal das, was Anfang Juni im Konjunkturpaket dargestellt worden ist, bei uns in die einzelnen Fachabteilungen gegeben, um auszuloten, was wir annehmen und wie wir das mit unseren eigenen Landesbereichen kompatibel machen können. Ich habe noch keine Abschätzung dazu, wie das aussieht. Ich weiß aber, dass der Finanzausschuss in seiner Sitzung schon einmal bestimmte Punkte angesprochen hat. Das muss ich einfach erst einmal durchrechnen.