Sehr geehrte Damen und Herren! Hiermit eröffne ich die 104. Sitzung des Landtages von SachsenAnhalt der siebenten Wahlperiode und begrüße Sie alle auf das Herzlichste.
Ich würde mich freuen, wenn Sie Ihre Gespräche langsam einstellen oder zumindest den Geräuschpegel sehr weit absenken würden.
Anlass der heutigen außerordentlichen Sitzung ist ein Verlangen von 22 Abgeordneten und damit eines Viertels der Mitglieder des Landtages. Als Beratungsgegenstand ist die dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung der Angemessenheit der Abgeordnetenentschädigung und der Kostenpauschale, vorliegend in der Drs. 7/6015, benannt worden.
Artikel 45 unserer Verfassung und § 55 Abs. 4 der Geschäftsordnung des Landtages geben mir in diesen Fällen auf, unverzüglich das Hohe Haus einzuberufen, um zumindest den angegebenen Gegenstand zu beraten; dem bin ich nachgekommen.
Zusätzlich hat der Ältestenrat in seiner ebenfalls außerordentlichen Sitzung am 18. Juni weitere Gegenstände zur Beratung auf die Tagesordnung gesetzt.
Zur Situation in den Justizvollzugsanstalten des Landes Sachsen-Anhalt insbesondere unter dem Blickwinkel des Fluchtversuches des Attentäters vom 9. Oktober 2019 in Halle, Stephan B., aus der Justizvollzugsanstalt Roter Ochse in Halle und dessen Folgen sowie Konsequenzen
Zunächst hat die Antragstellerin das Wort, und zwar spricht Frau von Angern. Frau Abgeordnete, Sie haben das Wort.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Meine Damen und Herren Abgeordneten! Ich beginne meine Rede heute mit einem Zitat.
„Im Jahr 2019 feiern Juden in Deutschland an Jom Kippur in ihrer Synagoge, und sie müssen um ihr Leben fürchten - 75 Jahre nach der Schoa. […] Dafür schäme ich mich - auch dem Letzten muss nun klar sein: Deutschland hat ein Antisemitismus- und Rechtsextremismusproblem. […] Es geht nun darum, deutlich zu machen, wofür unser Land steht - für den uneingeschränkten Schutz jüdischen Lebens, daran darf es nicht den geringsten Zweifel geben.“
Er hat nicht zugehört oder hat es nicht mitbekommen, aber das sind die Worte unseres Ministerpräsidenten kurz nach dem schrecklichen Attentat in Halle, zitiert in der „Zeit“.
Die Welt hat an diesem und auch an den folgenden Tagen auf unser Land geschaut. Es war gut und richtig, solch deutliches Zeichen, ein deutliches Zeichen gegen Antisemitismus und gegen Rechtsextremismus zu setzen. Herr Ministerpräsident, Sie haben an dem Tag mit Ihren Worten Verantwortung übernommen.
Sachsen-Anhalt und auch die jüdischen Gemeinden weltweit können und müssen erwarten, dass diesen Worten auch Taten folgen. Damit bin ich auch schon mitten in unserer Aktuellen Debatte.
Wir haben es unseres Erachtens beim Fluchtversuch des rechtsterroristischen Attentäters von Halle mit einem politischen Versagen auf mehreren Ebenen zu tun. Damit meine ich auch ausdrücklich Sie, Herr Ministerpräsident.
Zu den Fakten. Das furchtbare Attentat am 9. Oktober 2019 in Halle war der Versuch eines Massenmordes an Juden an Jom Kippur, dem höchsten jüdischen Feiertag. Der Rechtsextremist Stephan B. versuchte, in die Synagoge im Paulusviertel einzudringen, um die dort versammelten Menschen zu töten.
Nachdem ihm das mit Waffengewalt nicht gelungen war, erschoss er vor dem Gebäude eine Passantin und kurz darauf den Gast eines Döner
imbisses. Auf seiner Flucht verletzte er zwei weitere Menschen durch Schüsse und wurde schließlich von zwei Streifenbeamten festgenommen.
Datum, Ziel und die antisemitischen Motive der Tat hatte er kurz zuvor im Internet bekannt gegeben. Die Tat selbst übertrug er per Helmkamera als Livestreaming.
Meine Damen und Herren! Das furchtbare Attentat in Halle, welches zwei Menschen das Leben kostete und einen Tatverdächtigen in die Öffentlichkeit brachte, der seine Tat völlig unentdeckt vom Verfassungsschutz vorbereiten und dann auch durchführen konnte, macht deutlich, wie groß das Problem des Rechtsextremismus in Sachsen-Anhalt und in Deutschland ist.
Stephan B. wurde nach seiner Festnahme in der JVA „Roter Ochse“ in Halle inhaftiert. Am Pfingstsamstag kletterte er vom Freistundenhof aus über einen 3,40 m hohen Zaun in den Innenbereich der Anstalt, betrat ein weiteres Gebäude, suchte dort minutenlang unbeaufsichtigt nach einem Ausgang. Der Fluchtversuch misslang.
Die Anstalt wiederum informierte das Justizministerium erst drei Tage später, am 2. Juni, über diesen Vorfall.
Die eigentliche Frage, die sich seit dem Pfingstsamstag stellt, ist die: War dieser Fluchtversuch ein gewöhnlicher Vorfall innerhalb eines Gefängnisses, eine Verkettung unglücklicher Umstände, quasi ein Unfall, oder war es ein Vorfall, der hätte verhindert werden können?
Meine Fraktion sagt ganz deutlich: Dieser Fluchtversuch steht nach unserer Einschätzung am Ende einer Kette von Fehlverhalten, Versäumnissen und eben auch Desinteresse der Verantwortlichen. Dieses Desinteresse sehen wir vor allem bei der Hausspitze des Ministeriums für Justiz und Gleichstellung.
Für die Öffentlichkeit mag es merkwürdig sein, dass der Erste, der politische personelle Konsequenzen ziehen musste, der Staatssekretär war. Für uns war das ein überfälliger Schritt. Er war natürlich nach innen für die Unterbringung dieses U-Häftlings verantwortlich. Und er ist wahrlich kein Sündenbock.
Die Ministerin wiederum muss sich, aber auch uns die Frage beantworten, warum sie sich blind auf die Aussagen des Staatssekretärs verlassen hat, warum sie sie nicht kontrolliert hat. Denn natürlich trägt sie nach außen in der Öffentlichkeit, auch uns gegenüber, die politische Verantwortung.
Und, Frau Ministerin, es ist auch von Ihnen zu verantworten, dass das Parlament nur kleckerweise über diesen Fluchtversuch informiert worden ist.
Ich möchte an dieser Stelle noch einmal deutlich sagen: Ich finde es befremdlich, dass Sie als Ministerin die Rechtspolitikerinnen und Rechtspolitiker der Koalitionsfraktionen exklusiv informiert haben. Sie haben eine Informations- und Auskunftspflicht gegenüber dem gesamten Parlament.
Und ja, schon jetzt steht für uns fest, dass die Fachaufsicht im konkreten Fall versagt hat. Man hat die Verantwortung nach unten delegiert. Es wurden keine Berichte verlangt. Es wurde nicht gefragt, ob der Vollzug der Sicherheitsverfügungen und die damit einhergehenden Maßnahmen personell im Roten Ochsen überhaupt realisierbar sind, nichts.
Meine Damen und Herren! Ich hoffe sehr, dass das Gerücht, das über den Domplatz hinaus zu hören ist, dass der zuständige Abteilungsleiter lediglich zwei von fünf Wochentagen in SachsenAnhalt verbringt, nicht der Wahrheit entspricht, denn das wäre für eine solche Aufgabe völlig unangemessen.
Die Frage, warum Stephan B. seine U-Haft im Roten Ochsen und nicht in Burg-Madl absaß, wurde ebenfalls im Rechtsausschuss thematisiert. Damals lautete die Einschätzung, die vom Staatssekretär vorgetragen wurde: Beide Anstalten haben die gleichen Sicherheitsstandards.
Das ist absurd. Zumindest die Mitglieder des Rechtsausschusses wissen das auch. Dann stellt sich die Frage: War das Leichtsinn? War das Desinteresse? Was war sozusagen die Abwägung?
Und wenn man dann noch hört, dass die Entscheidung für Halle entgegen einer Empfehlung des Innenministeriums erfolgt sein könnte, weil die Verlegung nach Burg quasi einer „Majestätsbeleidigung“ des damaligen Anstaltsleiters gleichgekommen wäre, kann man sich nur fragen: Wo leben wir? Und hat überhaupt eine Abwägung zu Beginn stattgefunden?
Auch das will ich nicht unausgesprochen lassen: Man stelle sich vor, dass im Jahr 2020 am Ende einer Informationskette an das Justizministerium ein Faxgerät steht. - Das will ich gar nicht weiter kommentieren.
lament, dem Rechtsausschuss, aber auch der Öffentlichkeit entschuldigt haben, aus meiner Sicht auch glaubhaft entschuldigt haben. Jetzt erwarten wir von Ihnen absolute und ausschließliche Transparenz, um diesen Vorfall weiter aufzuklären.
Insofern haben Sie die Zukunft in der Landesregierung selbst in der Hand. Sie müssen aus meiner Sicht gegenüber der Öffentlichkeit, aber auch gegenüber dem Parlament dringend Vertrauen zurückgewinnen.