Protokoll der Sitzung vom 08.07.2020

Es ist eine große diplomatische Herausforderung, jetzt dafür zu sorgen, dass wir diese 750 Milliarden € dennoch in vernünftiger Weise in Gang kriegen. Ich bin zuversichtlich, dass das mit Ursula von der Leyen und Angela Merkel im Duo, auf das jetzt so viele ihre Hoffnungen setzen, auch gelin

gen wird. - Herzlichen Dank. Meine Zeit hier am Pult ist abgelaufen.

(Beifall)

Vielen Dank, Herr Minister. Ja, Sie haben das wohl erkannt. Sie haben, obwohl auch Sie eigentlich nur drei Minuten hatten, Ihre Redezeit mehr als verdoppelt.

Tut mir leid.

Herr Gallert und auch Herr Roi haben sich gemeldet. Zunächst hat Herr Gallert das Wort.

Herr Robra, ich überlege noch, ob ich Ihnen das Kompliment zurückgebe. Mal gucken; ich bin mir da noch nicht ganz sicher.

Ich lese Ihnen einmal einen „Spiegel“-Auszug vor, der etwas zu den Regierungsbeschlüssen der Bundesrepublik Deutschland von Anfang März sagt, und frage Sie nach Ihrer Meinung. Ich glaube ausdrücklich, Sie sind ein überzeugter Europäer; Sie denken auch in dem Rahmen. Deswegen würde mich Ihre Meinung interessieren.

„Am 4. März hatte die Bundesrepublik den Export von Schutzmasken und -anzügen, Handschuhen und anderer medizinischer Ausrüstung nur noch in eng gefassten Ausnahmefällen erlaubt. Am 12. März legte die Bundesregierung noch einmal nach: Ausrüstung dürfe nur exportiert werden, wenn der ‚lebenswichtige Bedarf‘ Deutschlands gesichert sei.“

- Es ging unter anderem um Beatmungsgeräte. -

„Der Vorbehalt galt ausdrücklich selbst dann, wenn ein Mangel an Schutzausrüstung in anderen EU-Staaten Menschenleben gefährdet.“

Wie bewerten Sie diesen Beschluss der Bundesregierung aus heutiger Sicht?

Herr Minister.

Ich habe den nicht mehr zu bewerten; denn der ist zurückgenommen worden. Das war allgemein als Fehler erkannt worden. Es war eine Ad-hoc-Maß

nahme, die getroffen wurde, als wir schlechterdings nicht mehr in der Lage waren, die Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland mit Schutzgütern zu versorgen.

Ist das denn alles schon vergessen, wie es in den Krankenhäusern aussah, und zwar nicht nur in Italien, Spanien und andernorts, sondern auch bei uns? Wir hatten Situationen - die Zeitungen waren voll davon -, in denen sich Krankenschwestern, Pfleger und Ärzte beklagt haben, dass keine Schutzgüter mehr verfügbar waren. In dieser Situation hat die Bundesrepublik als Abwehrmaßnahme gegen andere - die Vereinigten Staaten von Amerika beispielsweise, die längst solche Entscheidungen getroffen hatten - diese Entscheidung getroffen, durchaus auch in Abstimmung mit den Ländern.

Aber das ist schon wenig später zurückgenommen worden, weil wir gesehen haben, dass das keine Lösung ist, und weil sich auf dem europäischen Parkett sehr schnell die Gesundheitsminister abgestimmt und wechselseitig die Garantie gegeben haben, dass das kein anderer macht. Das war dann der Durchbruch für die Aufhebung dieses Beschlusses in der Bundesrepublik Deutschland. Wir alle machen das nicht. Wir alle denken auch an den anderen.

Wir haben das in Sachsen-Anhalt praktiziert, indem wir Kranke aus Italien und Frankreich aufgenommen haben. Auch da gab es ja manche, die die Stirn gerunzelt und gefragt haben: Können wir das denn? Sollen wir das denn? - Diese haben wir nicht zum Zuge kommen lassen, sondern wir haben gesagt, wir machen das. Wir würden das auch wieder so machen. Aber das ist eine sehr konkrete und auch bedauernswerte historische Momentaufnahme gewesen.

Vielen Dank. Es gibt noch eine Wortmeldung vom Abg. Roi. - Bitte, Sie haben das Wort.

Vielen Dank. - Zunächst einmal vielen Dank dafür, dass Sie Herrn Gallert noch einmal erklärt haben, dass es richtig ist, zunächst für die eigene Bevölkerung zu sorgen, wenn es einen Mangel gibt, statt zu exportieren.

Meine Frage richtet sich auf einen anderen Punkt, und zwar ist es ein Kernpunkt, der in der gesellschaftlichen Diskussion relevant ist. Das ist das Thema Flüchtlingspolitik, das Herr Gallert vorhin schon ansprach. Herr Gallert hat vorhin den Ministerpräsidenten erwähnt, der auf die Vielfalt der unterschiedlichen Meinungen gerade in Osteuropa hingewiesen hat. Nun ist es ja so, dass wir in Osteuropa sozusagen - das habe ich vorhin in

meiner Frage schon angesprochen - unterschiedliche Meinungen zum Thema Flüchtlingspolitik haben.

Herr Seehofer hat nun zu Beginn der Ratspräsidentschaft gesagt, er will einen neuen Anlauf machen und mehr Flüchtlinge in Europa verteilen. Jetzt ist aber die Frage: Respektieren wir nun, wie es Herr Haseloff gesagt hat, die Meinung der Osteuropäer, wenn sie sagen, wir wollen diese Kontingente nicht, die uns die EU aufzwingt, sage ich jetzt mal, oder respektieren wir es nicht? Wie ist da die Meinung der Landesregierung, und was wollen wir konkret tun, wenn ein Land sagt: Nein, wir machen da nicht mit? - Was ist die Position der Landesregierung? Wie gehen wir mit solchen Ländern um?

Herr Minister Robra.

Ich will gerne versuchen, das zu beantworten, wobei, ehrlich gesagt, die Position der Landesregierung, die sich darauf richtet, Hilfe zu leisten, wo Hilfe notwendig ist, am wenigsten relevant ist. Ich will noch einmal daran erinnern: Es gab einen Juncker-Plan. Herr Juncker hatte versucht, ein rationales Verteilinstrumentarium, einen Algorithmus zu schaffen, nach dem das hätte funktionieren können. Es hat nicht funktioniert; denn den einen passte das Ganze sowieso nicht und die anderen hielten den Verteilschlüssel für nicht geeignet. Also, es ist nicht so, dass es in Europa nicht schon Anläufe gegeben hätte.

Wir wissen - das ist einfach eine Frage der intellektuellen Redlichkeit -, dass eine europäische Lösung, die fair und gerecht unter Berücksichtigung der jeweiligen sozialen Lage in den Mitgliedstaaten, also ähnlich wie Juncker das seinerzeit vorgeschlagen hat, ausgerichtet ist, die gebotene wäre. Wir wissen aber auch - da stoßen wir dann an unsere Grenzen -, dass Mitgliedstaaten ihre eigenen Interessen haben. Und Deutschland als Land inmitten Europas und Sachsen-Anhalt als Bundesland innerhalb der Bundesrepublik

Deutschland, nur umgeben von anderen Bundesländern, haben es relativ leicht, klug daher zu reden. Wir sind nicht diejenigen, die direkt und unmittelbar betroffen sind. Das jetzt zu einem fairen Interessenausgleich zu bringen ist eine Riesenherausforderung.

Ich traue das Horst Seehofer zu. Er ist erfahren genug und in der Lage, da mit den anderen Innenministern der europäischen Mitgliedstaaten einen gemeinsamen Nenner zu finden. Aber wo der jetzt genau liegt und wie das Instrumentarium dann am Ende funktioniert, dafür bräuchte man die be

rühmt-berüchtigte gläserne Kugel, die ich hier nicht habe.

Vielen Dank, Herr Minister. Ich sehe keine weiteren Fragen. - Wir steigen nunmehr in die Dreiminutendebatte ein. Der erste Debattenredner wird für die SPD-Fraktion der Abg. Herr Hövelmann sein. - Bitte, Herr Abgeordneter.

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Vielen Dank, Herr Minister, dass Sie die Redezeit so tapfer überzogen haben; denn dann dürfen wir das jetzt auch machen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! In sechs Monaten wird man weder die Welt noch die Europäische Union grundlegend verändern können. Insofern ist das Ansinnen, das DIE LINKE mit ihrer Antragsüberschrift jedenfalls als Erwartungshaltung formuliert, nicht zu schaffen.

Gleichwohl ist die Europäische Union aus unserer Sicht mehr als die Ansammlung verschiedener Staaten an einem Tisch oder im Europäischen Parlament. Vielmehr steckt dahinter tatsächlich eine Friedensidee und auch eine Idee für Menschen, dass sie sich auf einem Kontinent, egal in welchem Land sie geboren sind und in welchem Land sie zu Hause sind, unter ähnlichen, hoffentlich weitgehend gleichen Rahmenbedingungen entwickeln können, dass sie gleiche Chancen haben und dass sie gleiche Möglichkeiten haben, ihr Leben zu leben.

Aus der Sicht meiner Partei gehört dazu, dass sich die Europäische Union noch stärker als bisher dem Thema der sozialen Gerechtigkeit in Europa widmet. Themen wie gemeinsame soziale Standards sind genauso anzusprechen wie ein gemeinsam definierter europäischer Mindestlohn bis hin zu der Frage, wie wir das Leben insgesamt gestalten. Die Wörter Rechtsstaatlichkeit, Bürgerrechte und Pressefreiheit sind von meinen Vorrednern angesprochen worden.

Es geht aber auch darum, deutlich zu machen, dass die wirtschaftliche Entwicklung in allen Mitgliedsländern der Europäischen Union in dem gleichen Rahmen oder mit den gleichen Standards erfolgen kann und dass die Chancen für die wirtschaftliche Entwicklung in den Mitgliedsländern der Europäischen Union vergleichbar sind. Dazu gehört eben auch, dass die Starken den Schwachen helfen. Seien wir doch stolz darauf, dass wir als Bundesrepublik Deutschland zu den Starken gehören, die anderen Nationen auf unserem Kontinent helfen können.

Wie das ist, wenn man nicht zu den Starken, sondern zu den Hilfeempfängern gehört, wissen wir in

Sachsen-Anhalt, wenn wir uns die Situation in der Bundesrepublik Deutschland anschauen. Wir sind kein Geberland, sondern wir sind ein Nehmerland und freuen uns darüber, dass die Solidarität in Deutschland funktioniert. Wir wollen gemeinsam dafür arbeiten, dass diese gemeinsame Solidarität auch in Europa funktioniert. Die europäischen Ausgleichsmechanismen haben wir selbst erlebt und wir sollten sie als positives Beispiel weitertragen.

Lassen Sie mich abschließend sagen: Ich bin optimistisch, was die Ratspräsidentschaft der Bundesrepublik Deutschland anbelangt. Wir können das Bild, das die anderen Länder Europas von uns haben, aufpolieren. Wir müssen nicht der Oberlehrer Europas sein, sondern wir können der Hilfesteller sein, wir können der Mittler und der Problemlöser sein.

(Zuruf: Der Zahler!)

- Auch der Zahler - das ist nichts Schlechtes. Der Zuruf provoziert ja gerade zu einer solchen Reaktion.

Ich bin mir, was die handelnden Personen anbelangt, weder bei der Kanzlerin noch beim Vizekanzler oder beim Außenminister oder bei den anderen Mitgliedern der Bundesregierung unsicher, dass das funktioniert. Im Gegenteil: Ich bin sehr sicher, dass es eine gute Ratspräsidentschaft wird. - Vielen Dank.

(Zustimmung)

Vielen Dank, Herr Hövelmann. Ich sehe keine Wortmeldungen. - Wir kommen zum nächsten Debattenredner. Für die AfD-Fraktion spricht der Abg. Tobias Rausch. - Bitte, jetzt dürfen Sie sprechen.

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Sehr geehrte Damen und Herren! Vorweg: Herr Gallert, Sie wollen den europäischen Zentralstaat und wir wollen die Europäische Gemeinschaft im Sinne von Charles de Gaulle und das unterscheidet uns.

Ihr Antrag trägt die Überschrift „Deutsche Ratspräsidentschaft für den notwendigen Neustart der EU nutzen“. - Vorweg möchte ich sagen, dass drei Minuten Redezeit für den Antrag zu wenig sind, weil allein den Weg des Geldes aufzuzeichnen die Zeit schon benötigt.

Welche finanziellen Lasten entstehen Deutschland zu Beginn der zweiten europäischen Präsidentschaft? - Erstens eine 40-prozentige Steigerung der deutschen Beiträge zum EU-Haushalt. Das allein bedeutet ca. 13 Milliarden € mehr pro Jahr. Statt dass die EU den Haushalt nach dem

Brexit kürzt, soll der deutsche Steuerzahler einspringen und dies bezahlen.

Zweitens das Pandemie-Anleihenkaufprogramm der EZB, das erst vor zwei Wochen auf die astronomische Summe von 1 350 Milliarden € aufgestockt wurde. Das sind 1,35 Billionen € oder aber auch 1 350 000 Millionen €, meine Damen und Herren. Die Coronakrise muss also als Vorwand für die quasi unbegrenzt rechtswidrige Staatsfinanzierung über die Notenpresse herhalten.

Bürge in letzter Instanz ist der deutsche Steuerzahler, der obendrein durch die Nullzinspolitik enteignet wird; auch dazu kein Wort von Ihnen. Nein, Sie beschwören dieses abstruse Verhalten geradezu heraus.

Drittens der Green Deal. Die EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen jongliert mit 1 Billion €, die sie für sogenannte grüne CO2-neutrale Luftschlösser verpulvern will. Ich frage mich: Wer soll das eigentlich bezahlen?

Viertens der Wiederaufbaufonds in Höhe von 750 Milliarden €. Deutschland bürgt allein für mindestens 135 Milliarden €. Nun konnten wir uns anhören, wie schön das alles ist und dass wir davon profitieren. Wir würden viel mehr davon profitieren, wenn das Geld bei uns ausgegeben würde, meine Damen und Herren.