Protokoll der Sitzung vom 08.07.2020

Ich habe drei sehr konkrete kurze Fragen. Die erste ist für das Plenum. - Könnten Sie bestätigen, dass die Schülerinnen und Schüler an den Sekundar- und Gemeinschaftsschulen, die künftig keine zweite Fremdsprache erlernen - das ist zumindest an den Sekundarschulen, aber auch an den Gemeinschaftsschulen die ganz große Masse der Schüler -, mit den Stundenvolumina, die jetzt vorgesehen sind, gerade einmal zwei Stunden über der KMK-Vorgabe, also 178 Stunden gegenüber 176 Stunden, liegen und dies nur dann, wenn die Stundenumfänge, die jetzt aufgeschrieben worden sind, tatsächlich auch realisiert werden?

Zu der zweiten Frage. Dieser Teil ist ja nur die Eintrittskarte. Auf diesem Papier wäre man gar nicht so sehr herumgeritten. Worüber Sie gar nicht gesprochen haben, ist, dass diese Stundenumfänge nur dann realisiert werden können, wenn Sie die Zuweisungen, von denen einige Zeilen weiter zu lesen ist, nicht senken. Das ist das eigentliche Problem. Das Problem ist nicht in erster Linie das Papier über die Stundentafel, das Sie erarbeitet haben. Das Problem ist vielmehr, dass Sie die Stundenzuweisungen reduzieren und es damit vielen Schulen vielleicht gar nicht möglich machen, diese Stundenumfänge zu realisieren. Dann werden wir sehr wohl Schüler haben, die unter 176 Stunden liegen. Warum haben Sie das gemacht?

Meine letzte Frage bezieht sich auf die Einstellungshemmnisse. Ich nehme ein Beispiel, das ich vor Augen habe. Es wird jemand aus Berlin im Umweltbereich an das UBA nach Dessau versetzt. Der Ehepartner ist Lehrkraft in Berlin, kommt hierher und würde gern hier arbeiten. Nach meinen Kenntnissen könnte er in Sachsen 14 Tage später in der Schule anfangen. Kann er das bei uns?

Herr Lippmann, Sie haben eine Gabe, ich sage einmal, Fragen sehr detailgenau zu stellen.

(Zurufe)

Lassen Sie uns alle Fragen, die mit dem Thema Unterrichtsverpflichtung zu tun haben, im Ausschuss erörtern. Dort rechne ich Ihnen jede Stunde in Ruhe vor. Ich glaube, das Hohe Haus wäre auch mit Blick auf die Zeitplanung ein bisschen

damit überfordert, das alles zu ertragen. Deswegen bestätige ich nichts. Lassen Sie uns diese ganzen Zahlen vielmehr im Ausschuss debattieren.

Ich sage nur eines: Es waren Schulleiter, Verbandsvorsitzende, Vertreter der Schulaufsicht und Ministeriale dabei. Die haben die Dinge sehr genau berechnet.

(Zuruf von Thomas Lippmann, DIE LINKE)

Sie können darauf vertrauen, dass man den Daumen nicht in den Wind gehalten hat, sondern dass man sich viel Mühe gegeben hat. Denn solche Entscheidungen fallen nun wirklich nicht leicht.

Sie glauben doch nicht ernsthaft, dass ich mich hier hinstelle und mich freue, nun mit solchen Anträgen konfrontiert zu werden. Aber ich mache es, weil ich es für verantwortbar und für notwendig halte. Die ganzen Rechenmodellübungen können wir, glaube ich, im Ausschuss detaillierter betreiben.

Zu dem fiktiven Beispiel, das Sie jetzt genannt haben, jemand will zum Bundesumweltamt und der Ehepartner will an die Schule, kann ich jetzt nur ja sagen. Wir müssen dem konkreten Fall nachgehen. Wir haben jeden Tag auf den Seiten des Schulamtes Stellenangebote zur Verfügung. Wir haben schon sehr viele individuelle Beispiele, sei es im Bereich Dual Career oder anderswo, bemüht. Wenn Sie einen Einzelfall haben, geben Sie mir den. Dann gehe ich dem nach und versuche, das hinzubekommen.

Es hängt natürlich ein bisschen von der Fachrichtung ab und davon, wohin man jetzt genau will. Aber dass wir nachgewiesen haben, dass dieses Land in der Lage ist, Lehrerinnen und Lehrer einzustellen, sofern sie am Markt vorhanden sind, ich glaube, diesen Beweis haben wir erbracht. Trotzdem sind die Ergebnisse des Lehrermangels jeden Tag spürbar. Wir sind gemeinsam dabei, diesem Thema mittelfristig Herr zu werden. - Vielen Dank.

Damit sind wir am Ende des Debattenbeitrages der Landesregierung angekommen. Wir kommen zur Debatte der Fraktionen.

(Unruhe)

- Ich weiß nicht, ob Sie mich missverstanden haben. Aber nach dem Zeitplan ist es so, dass jetzt die Debatte der Fraktionen kommt. Das ist nur ein dezenter Hinweis von mir gewesen. Ich hoffe, er war nicht zu dezent. Dann wird jetzt für die SPDFraktion die Abg. Frau Prof. Dr. Kolb-Janssen sprechen. - Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die AfD präsentiert mit ihrem Gesetzentwurf erneut eine Änderung des Schulgesetzes und, wie ich finde, ganz unverhohlen ihre menschenverachtende Ideologie und ihre Selektionsfantasien im Bildungsbereich. Das steht ausdrücklich so in der Gesetzesbegründung.

Da heißt es, man solle das Gesellschaftsexperiment Inklusion beenden. Und dort ist die Rede von „kognitiv minderbegabten Kindern, die aufgrund einer Intelligenzminderung keinen Schulabschluss erreichen würden, denen der gemeinsame Unterricht daher nichts bringt und zwingend lediglich nach Anhörung der Eltern auf einer Förderschule beschult werden müssten“. Das, meine sehr geehrten Damen und Herren, ist nicht nur ein Schlag ins Gesicht vieler Eltern, die Kinder mit sonderpädagogischen Förderbedarfen haben,

sondern erinnert zutiefst an ein menschenverachtendes Denken der allerschlimmsten Sorte,

(Beifall)

das Menschen mit Beeinträchtigungen danach beurteilt, was lebenswert ist und am Ende ausgesondert werden soll.

(Zurufe)

- Doch, das haben Sie hier so deutlich gesagt.

(Widerspruch)

- Sie werfen uns vor, dass wir einem „gefährlichen Konstruktivismus“ unterliegen, dass wir „die Gesellschaft verändern wollen“. Genau das wollen Sie.

(Widerspruch)

- Sie wollen entscheiden, was normal ist. Sie haben uns in Ihrer Rede versucht einzureden, dass es Dinge gibt, die nicht normal sind und die dann eben auf einer Förderschule beschult werden müssen. Das haben alle in diesem Hohen Hause gehört. Dagegen wenden wir uns ausdrücklich.

(Beifall)

Es wird Sie nicht verwundern, dass wir Ihren Gesetzentwurf ablehnen. Und - auch wenn Sie es nicht hören wollen; ich sage es an dieser Stelle noch mal, weil es mir als Juristin wichtig ist -: Die UN-Behindertenrechtskonvention ist bindendes Recht in Deutschland; das ist nicht verhandelbar. Und Inklusion ist nicht gescheitert.

Ihr Kollege Herr Wenzel war mit in Südtirol. Wir haben uns angeschaut, wie in Südtirol Inklusion funktioniert, weil dort die Rahmenbedingungen bestehen, die Inklusion ermöglichen. Das ist der Punkt, über den wir mit dem Minister noch weiter diskutieren müssen.

(Zurufe)

Wir haben das Förderschulkonzept nach vielen Diskussionen gemeinsam verabschiedet. Aber wir müssen es jetzt konkret mit Leben erfüllen.

Inklusion hat eben auch etwas mit Ressourcen zu tun. Angesichts der Situation an den meisten Schulen und dem Lehrermangel findet die Förderung derjenigen, die Förderbedarfe haben, oft nicht statt, weil das, was an Stunden im Inklusionspool ist, das, was tatsächlich an Förderschullehrkräften vorhanden ist, genutzt wird, um den ganz normalen Unterricht abzudecken. So kann Inklusion natürlich nicht funktionieren. Wir brauchen dafür die Stunden aus dem Inklusionspool.

Deshalb ist das auch eine gute Überleitung zu dem zweiten Teil, in dem wir über Ressourcen reden. Frau Hohmann hat gefragt, warum der Minister sein Versprechen gebrochen hat. Er hat gesagt: „Es gibt keine neuen Effizienz steigernden Maßnahmen.“ Die Antwort ist ganz einfach: weil er es nicht geschafft hat, sein Versprechen einzulösen, jedes Jahr tausend Lehrer einzustellen. Aber wir brauchen jedes Jahr tausend neue Lehrer, weil so viele Kolleginnen und Kollegen aus dem Schuldienst ausscheiden.

Und ja, man kann die Rahmenbedingungen beklagen, dass alles so schwierig ist. Damit sind wir nicht allein. Aber wenn wir uns umschauen in den Nachbarländern, die genau die gleichen Rahmenbedingungen haben, die sind trotzdem erfolgreicher, was die Einstellung von Lehrkräften betrifft. Das liegt daran, dass nach wie vor das Einstellungsmanagement verbesserungsbedürftig ist.

Auch mich erreichen immer wieder Anfragen von Kollegen, entweder aus anderen Bundesländern oder von jungen Leuten, die hier eine Einstellung angestrebt haben, die dann aber in andere Bundesländer gegangen sind, weil dort einfach alles einfacher, unbürokratischer und schneller ging.

Deshalb ist es wichtig, dass wir an diesen Themen weiter arbeiten. Da bin ich auch gespannt, was wir im Ausschuss an neuen Vorschlägen zum Thema Seiten- und Quereinsteiger hören, denn das Thema Seiteneinsteiger ist in Sachsen-Anhalt nach wie vor nicht ausgereizt.

Auf der Webseite, die das Ministerium selbst geschaltet hat, haben sich über tausend Interessenten angemeldet. Eingestellt wird davon kaum jemand. Da muss man zumindest fragen: Warum ist bei uns in Sachsen-Anhalt die Zahl der Seiteneinsteiger im Vergleich zu anderen Bundesländern so gering? Ich glaube, da ist noch Luft nach oben. Da gibt es viele, die engagiert sind, die qualifiziert sind, die aber an den oftmals bürokratischen Anforderungen scheitert, was die Vergleichbarkeit von Abschlüssen, sprich dessen, was man in einzelnen Seminaren gelernt hat, angeht.

Bildungspolitik ist aus meiner Sicht der wichtigste Politikbereich und wird in den nächsten Jahren noch eine viel größere Rolle spielen müssen. Deshalb brauchen wir hier Ideen und auch viel Engagement, viel Kreativität, was ich mir auch vonseiten des Bildungsministers an mancher Stelle noch ein bisschen stärker wünschen würde.

Wenn wir die Mittel für die Sekundar- und für die Gemeinschaftsschulen so kürzen, wie das jetzt vorgesehen ist, ist es tatsächlich so, dass es der erste Schritt dahin ist, dass wir unsere Zukunft verspielen. Denn ich habe auch ganz viele Anfragen und Briefe

Frau Prof. Kolb-Janssen, letzter Satz.

- ich komme zum Schluss - von Unternehmern, die heute schon beklagen, dass grundlegende Kompetenzen bei denjenigen, die den Schulabschuss gemacht haben, nicht vorhanden sind. Deshalb brauchen wir mehr und nicht weniger Unterricht in den Kernfächern. - Vielen Dank.

(Beifall)

Der Herr Schmidt hat sich zu einer Intervention gemeldet. Die kann er jetzt realisieren. - Frau Kolb-Janssen, Sie können jetzt überlegen, ob Sie darauf reagieren wollen. - Bitte, Herr Schmidt.

Vielen Dank. - Als die werte Kollegin Frau KolbJanssen Südtirol mit Deutschland verglichen hat und die dortige Situation erwähnte, dass eben dort Inklusion praktiziert wird, hat sie leider nicht erwähnt, dass man dort auch gar keinen Vergleich vornehmen kann, weil es in Südtirol gar keine Förderschulen gibt.

Was sie auch verschwiegen hat,

(Unruhe)

ist, dass bei den privaten Schulen die Inklusion äußerst gering ist, weil nämlich die Schüler gesiebt und einige gar nicht aufgenommen werden. Das wurde da bei den Fragerunden auch beantwortet.

Daran sieht man, dass Inklusion eben nicht richtig funktioniert und dass dort ein Zweiklassenmodell eingeführt wird. Dafür steht die SPD. Denn wenn wir nur noch reine Inklusion ohne Förderschulen haben, dann sorgt das für massive Probleme. Und jene, die sich das aussuchen können, schicken ihre Kinder an Privatschulen, wo eben keine In

klusion gelebt wird. Dagegen sprechen wir uns klipp und klar aus.

(Beifall)