Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das Thema Barrierefreiheit des ÖPNV ist teilweise eine sehr kleinteilige Aufgabe. Noch kleinteiliger wird es, wenn man auf die kommunale Ebene geht. Hier haben wir leider keinen genauen Überblick über den tatsächlichen Stand. Die Kommunen sind nicht verpflichtet, der Landesregierung und dem Landtag gegenüber in Angelegenheiten der kommunalen Selbstverwaltung Auskünfte zu erteilen. So kennen wir nur die Projekte, die von uns unmittelbar gefördert wurden. Maßnahmen,
Wenn wir aber mit offenen Augen durch unser Land gehen, sehen wir auch dort Verbesserungen. Dies ist nicht nur ein Ergebnis des Förderengagements, das ich vorhin vorgestellt habe, sondern auch das Ergebnis der Einsicht auf allen Ebenen, dass nur ein barrierefreier ÖPNV von den Bürgerinnen und Bürgern angenommen wird; denn Barrierefreiheit hilft nicht nur den Behinderten, sondern allen.
Eines ist aber auch klar: Auch wenn wir vieles erreicht haben, nichts ist so gut, dass es nicht besser gemacht werden könnte. ÖPNV ist kein Selbstläufer. Er erfordert Vertrauen in das System. Genau das haben wir in den letzten Jahren aufgebaut, eigentlich auch mit Erfolg. In einer ADAC-Studie wurde festgestellt, dass die Bürgerinnen und Bürger von Sachsen-Anhalt mit dem ÖPNV so zufrieden sind wie in keinem anderen Bundesland. Darauf können wir gemeinsam stolz sein.
Vielen Dank, Herr Minister Webel. Es gibt eine Wortmeldung. - Frau Abg. Lüddemann, Sie haben jetzt das Wort. Bitte.
Vielen Dank. - Haben Sie eine Idee, warum das neue Haltestellenprogramm, das ich erwähnt habe und das wir gemeinsam auf den Weg gebracht haben, nicht nachgefragt wird? Können Sie uns dazu etwas mitteilen?
Ich kann Ihnen nur sagen, es sind die Kommunen, die die Anträge stellen. Es gibt keinen Zwang, einen Antrag auf Förderung zu stellen. Wir können nur immer wieder ermuntern, die Anträge doch möglichst zu stellen. Das ist nun einmal so. Das Programm zur Förderung von Lastenfahrrädern war zum Beispiel ein großer Renner, Frau Lüddemann. Das ist sofort gegangen.
Vielen Dank, Herr Minister Webel. Ich sehe keine weiteren Wortmeldungen. - Wir treten nunmehr in die Debatte ein. Die AfD hat als Erste das Wort, und zwar wird der Abg. Herr Mittelstädt sprechen. Sie haben das Wort, Herr Abgeordneter.
Danke. - Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Damen und Herren Abgeordnete! Mobilität ist in der heutigen Zeit eine wichtige Voraussetzung für gesellschaftliche Teilhabe. Der hohe Bevölkerungsanteil älterer Menschen in Deutschland ist für den ÖPNV eine zusätzliche Herausforderung. Mit zunehmendem Alter nehmen Gesundheitsbeschwerden zu und damit auch die Zahl der mobilitätsbehinderten Menschen. Die Barrierefreiheit beschränkt sich dabei keineswegs nur auf alte oder behinderte Menschen. Auch Personen, die temporär von einer Mobilitätseinschränkung betroffen sind, wie zum Beispiel Personen mit Kinderwagen, Reisende mit schweren Koffern oder Fahrrädern, sind davon betroffen.
Die Wahrscheinlichkeit, dass jeder in seiner Mobilität eingeschränkt werden kann, macht das Ziel der Barrierefreiheit im ÖPNV zur gesamtgesellschaftlichen Aufgabe. Mobilität ist somit ein zentrales Element. Jedoch werden behinderte Menschen im Alltag oftmals eingeschränkt. Es muss für jeden selbstverständlich sein, Busse, Züge, Straßenbahnen und Flugzeuge nutzen zu können. Viele Kommunen und öffentliche Verkehrsunternehmen haben darauf bereits entsprechend reagiert. Aber es gibt noch viele bauliche Probleme zu lösen. Es sind noch zahlreiche Barrieren vorhanden, die wechselseitig aufeinander wirken. Diese Wechselwirkungen verstärken sich, wenn nur Treppen vorhanden sind und Aufzüge fehlen. Der Minister hat auf diese Problematik hingewiesen.
Beispielsweise können schlecht beleuchtete und wenig übersichtliche öffentliche Plätze und Tunnel ebenfalls eine Barriere darstellen. Dunkle öffentliche Plätze erhöhen die Kriminalität. Letzteres führt möglicherweise dazu, dass die dortige Bausubstanz durch Vandalismus und Verschmutzung geschädigt wird. Die so entstandene Angst verringert das Sicherheitsempfinden und stellt somit auch ein Hindernis dar. Behinderte Menschen werden solche Plätze natürlich meiden.
Nach dem Personenbeförderungsgesetz des Bundes sind die Belange der in ihrer Mobilität oder sensorisch eingeschränkten Menschen mit dem Ziel zu berücksichtigen, für die Nutzung des ÖPNV bis zum 1. Januar 2022 eine vollständige Barrierefreiheit zu erreichen; das ist ja festgelegt worden.
Ich muss aber auch sagen - Frau Lüddemann hat ja darauf verwiesen -, es gibt allerdings dort auch Ausnahmen. Diese Frist gilt natürlich nicht, wenn Ausnahmen im Nahverkehrsplan konkret benannt und begründet werden. Man hat höchstwahrscheinlich auch damals schon erkannt, dass das Ziel bis zu diesem Zeitpunkt so nicht erreichbar sein wird.
Das Land setzt sich das Ziel, eine flächendeckende Stufenfreiheit im Schienenpersonennahverkehr als eine wesentliche Grundlage für die Barrierefreiheit bis zum Jahr 2030 zu erreichen. Hierzu ist im Jahr 2017 oder im Jahr 2018 die Festlegung in der Landesregierung getroffen worden. Das zeigt ja eigentlich auch, wie kompliziert es sicherlich ist, Barrierefreiheit in allen Bereichen des Lebens herzustellen.
Eine umfassende Freiheit von Hindernissen bei allen Arten der Mobilitätseinschränkungen ist in der Praxis nicht umsetzbar. Das hängt damit zusammen, dass mit der Zunahme der Beseitigung aller Hindernisse die Kosten und der Aufwand überproportional steigen. Deshalb hat der Gesetzgeber in § 62 Abs. 2 des Personenbeförderungsgesetzes diese Ausnahmeregelung geschaffen. Die Aufgabenträger des ÖPNV dürfen finanziell dadurch nicht überfordert werden, dass alle zur gleichen Zeit ihre Mobilitätsbedürfnisse vollkommen befriedigt haben wollen. Eine vollständige Barrierefreiheit ist nicht immer zwingend umsetzbar.
Werte Abgeordnete! Die Barrierefreiheit ist eine notwendige und erforderliche Aufgabe. Diese ist auch zielgerichtet umzusetzen. Doch der ÖPNV steht heute mit seinen Aufgabenträgern vor schwierigen Problemen. Die Leistungsfähigkeit des öffentlichen Personennahverkehrs ist gefährdet.
Um die Ausbreitung des Coronavirus zu bremsen, wurden in Deutschland ab März 2020 zahlreiche Schutzmaßnahmen ergriffen. Der Alltag hat sich damit komplett verändert. Das wirtschaftliche und öffentliche Leben wurde auf ein Minimum reduziert. Die Fahrgastzahlen im ÖPNV sind während des Lockdowns ab Ende März 2020 auch in Sachsen-Anhalt komplett eingebrochen. Teilweise gingen die Fahrgastzahlen um 90 % zurück. Schulen, Kindergärten und Universitäten wurden geschlossen. Auch die verhängten Kontakt- und Ausgangssperren, die Verlagerung der Arbeit ins Homeoffice sowie die Reisewarnung führten zu einem Rückgang des Verkehrsaufkommens. Das Mobilitätsverhalten hatte sich über Nacht geändert. Aufgrund der Einschränkung des öffentlichen Lebens wurden Fahrpläne umgestellt, Taktfrequenzen geändert und auch weniger Angebote bereitgestellt. Erst nach und nach erholt sich der ÖPNV.
In dieser Zeit machten die Verkehrsunternehmer keinen Umsatz, erzielten keine Gewinne und fuhren Millionenverluste ein. Auf mindestens 5 Milliarden € werden diese Verluste für Deutschland geschätzt. Hilfe kam vom Bund in Höhe von 2,5 Milliarden €. Ein Teil der Verluste wurde auch in Sachsen-Anhalt ausgeglichen.
Es bleibt die Frage, mit welcher Verlusthöhe im Jahr 2020 zu rechnen ist. Sind es 300 Millionen € oder sind es 400 Millionen €? Was unternimmt das Land, um hier gegenzusteuern? Welche Auswirkungen auf die Mobilität sind zu erwarten? - Das Ende der aktuellen Nachfragekrise im ÖPNV hängt von drei Faktoren ab, nämlich davon, wann die Einschränkungen Maskenpflicht und Kontaktsperren aufgehoben werden und wie schnell die Nachfrage nach Verkehrsangeboten wieder steigt.
Welche Änderung wird infolge der Coronakrise für die Mobilität entstehen? - Während des Lockdowns ging die Reduktion des Verkehrs viel weiter, als die Wissenschaft das unter Nachhaltigkeitsgesichtspunkten betrachtet hat. Der Verkehr verlagerte sich hin zu den individuellen Fahrmöglichkeiten wie Fahrrad und Auto. Es bleibt also offen, wie sich das Mobilitätsverhalten nach der Coronakrise entwickelt.
Das Unbehagen, mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu fahren, ist jetzt wesentlich stärker ausgeprägt. Vor allem Frauen sehen aufgrund der jetzigen Situation die Nutzung von Bus und Bahn sehr kritisch. Auch junge Menschen sind bei der Nutzung des ÖPNV zurückhaltend geworden.
Das sind die Zielgruppen, die als Fahrgäste fehlen. Auch die Carsharing-Branche kämpft wie der ÖPNV um das Überleben und hat starke Umsatzeinbrüche zu verzeichnen.
Der Zuwachs der Automobilität als Alternative zum Massenverkehr ist offensichtlich. Dies ist gleichzeitig ein Indiz für die gewünschte Privatsphäre und das eigentliche Hygienebewusstsein. Die aktuelle Nachfrage- und Einnahmekrise wird viele unterschiedliche und tief greifende Auswirkungen und Konsequenzen für die Verkehrsunternehmen haben.
Grundsätzlicher Veränderungsbedarf wird offensichtlich und schneller relevant. Das reicht von strategischen Grundsatzfragen im Verkehrsmix bis hin zu organisatorischen Änderungen der Betriebsabläufe. Erforderlich ist eine kundenorientierte Offensive mit einer Neuausrichtung des
ÖPNV, einem einheitlichen Tarif- und Fahrkartensystem, einem Ausbau flexibler Verkehrsangebote, einer zielgerichteten Steuerung der aktuellen Angebotskapazitäten im Linienverkehr, einem digitalen Vertrieb der Fahrscheine mit einfachem Kundenzugang bei allen Tarifmodellen, einer Entwicklung flexibler und dynamischer Tarifprodukte und mit einer Weiterentwicklung des digitalen Kundenmanagements.
Möglich sind zum Beispiel neue Mobilitätsangebote mit Carsharing, Leihrädern und E-Rollern. Das kann als Bestandteil eines Abos angeboten werden. Wenn ich im Homeoffice arbeite, brauche ich ein flexibles Auto. Die Integration von mehreren Mobilitätsangeboten auf einer Plattform soll es den Nutzern des ÖPNV ermöglichen, dass er schnell von A nach B kommen kann.
Abschließend möchte ich feststellen, dass die Pandemie uns auch weiterhin begleiten wird. Die genauen Auswirkungen hängen von der weiteren Entwicklung und von der Frage ab, ob erneut die Notwendigkeit besteht, die derzeit bestehenden Einschränkungen zu verschärfen.
Ein Satz noch. - Die Rückbesinnung auf das Auto wird den individuellen Verkehr stärken und den ÖPNV weiter zurückdrängen. Das eigene Auto geht als deutlicher Gewinner aus der Krise hervor. Das hört sich zwar etwas eigenartig an. Aber das stammt aus einer internationalen Verkehrszeitschrift.
Vielen Dank. Es gibt auch keine Wortmeldungen. - Ich möchte darauf hinweisen, ich werde vor den Redebeiträgen jeweils noch einmal ansagen, wie viele Minuten Redezeit jede Fraktion hat. Hier hat es mit der Einhaltung der Redezeit
von acht Minuten nicht ganz so geklappt. Aber beim nächsten Debattenredner sage ich es noch einmal an.
Für die SPD-Fraktion stehen fünf Minuten Redezeit zur Verfügung. Herr Dr. Grube, Sie haben das Wort, wenn das Rednerpult vorbereitet ist. Bitte schön, Sie dürfen. Sie haben das Wort.
Frau Präsidentin! Hohes Haus! Wir reden heute über Mobilität, weil sie ein Grundbedürfnis ist. Ohne Mobilität, ohne zu wissen, wie man von A nach B kommt, ist für niemanden von uns ein Leben in unserer modernen Gesellschaft möglich, vor allem, weil im Laufe eines normalen Tages für viele der Weg von A nach B nicht einzige ist, sondern wir auch noch über C, D, E usw. reden müssen.
Die Herausforderung, das jeden Tag zu bewältigen, ist für jede und jeden von uns unterschiedlich groß. Besonders groß ist sie aber für Menschen mit Behinderung, für Familien und für Seniorinnen und Senioren, vor allem wenn sie auf den öffentlichen Personenverkehr angewiesen sind.
Da sind wir mitten im Thema der Großen Anfrage der grünen Fraktion, die sich mit der Frage beschäftigt: Wie sieht es denn aus mit der Barrierefreiheit in Bus und Bahn und auf der Schiene in Sachsen-Anhalt? - Die Antwort ist weder neu noch überraschend, aber dennoch ernüchternd. Es sieht nicht gut aus mit der Barrierefreiheit im Nahverkehr in Sachsen-Anhalt.
Die Antwort zu der Großen Anfrage, die wir heute auf dem Tisch haben, zerfällt in zwei Teile, nämlich Schienenpersonennahverkehr und öffentlicher Personennahverkehr. Bei der Bewertung der Antworten fällt auf, dass das Verkehrsministerium in einem dieser beiden Bereiche, nämlich im Bereich des ÖPNV, ziemlich im Dunkeln tappt. Da gibt es keinen nennenswerten Kenntnisstand über den aktuellen Zustand der Haltestellen in Bezug auf Barrierefreiheit. Es gibt auch nicht wirklich ein Konzept, das aufzeigt, wie die offensichtlichen Defizite behoben werden sollen.
Die Landesregierung hat in der Antwort geschrieben, dass sie die Kommunen gefragt hat und keine Antwort bekommen hat. Sie haben höflicherweise weggelassen, dass es die Kommunen oft selbst nicht wissen und vielleicht auch nicht unbedingt wissen wollen, weil sie allein mit dem Wissen über den Zustand ihrer Haltestellen eben noch lange nicht in der Lage sind, die Barrierefreiheit so herzustellen, wie es ab dem 1. Januar 2022 nach dem Personenbeförderungsgesetz eigentlich ihre Pflicht wäre. Das ist übrigens kein allein sachsen-anhaltisches, sondern ein bundesweites Problem.