Protokoll der Sitzung vom 11.09.2020

Vor dem Hintergrund dieser Einschätzung sind sehr wohl Kritik und Zweifel am Agieren des Verfassungsschutzes angebracht.

Wir verschließen natürlich auch nicht die Augen davor, dass die gegenwärtigen Rahmenbedingungen in der Bundesrepublik und auch in der heutigen Welt eine sofortige Abschaffung des Verfassungsschutzes in Gänze nicht entsprechen. Auch wir wollen, dass politisch motivierte Straftaten effizient aufgeklärt werden.

Die Verbesserung der Kontrolle des Verfassungsschutzes auf dem Weg zur schrittweisen - ja, ich sage es ganz deutlich - Entmachtung und letztendlich Abschaffung der Geheimdienste steht unseres Erachtens dazu nicht im Widerspruch. Deswegen sehen wir die jetzt geschaffene Möglichkeit für öffentliche Beratungsteile der Sitzungen des nunmehr PKGr - Parlamentarisches Kontrollgremium - genannten Gremiums sowie die Regelung der künftigen Teilnahme von Referentinnen und Referenten der Fraktionen an den Sitzungen als positiven Aspekt an.

Nach meinen Ausführungen hinsichtlich der grundsätzlichen Kritik an der Institution des Verfassungsschutzes, die, denke ich, hier auch niemanden überrascht, möchte ich aufgrund der mir noch zur Verfügung stehenden Zeit insbesondere auf einen Regelungsinhalt des Gesetzes hinweisen, welchen wir nach wie vor für äußerst kritikwürdig erachten und deswegen auch ausdrücklich ablehnen.

Die Beschlussempfehlung zum Gesetzentwurf sieht nach wie vor vor, dass Erkenntnisse über 14- bis 16-Jährige nicht nur gespeichert, sondern auch im Verfassungsschutzverbund weitergegeben werden können. Erleichtert werden sollen die elektronische verbundweite Speicherung der Daten von Minderjährigen im Alter zwischen 14 und 16 Jahren sowie der Austausch zwischen den Verfassungsbehörden.

Einige von Ihnen erinnern sich vielleicht noch an die vorvergangene Wahlperiode, in der wir hier schon einmal eine Debatte über dieses Thema hatten. Damals mussten wir im Rechtsausschuss feststellen, dass die Verfassungsschutzbehörde rechtswidrig Daten von 14- bis 16-Jährigen nicht nur erhoben, sondern auch gespeichert hat. Es gab einen öffentlichen Schrei, übrigens aus allen

demokratischen Fraktionen. Und es gab damals einen Bericht der Parlamentarischen Kontrollkommission - das war auch ein Novum in dieser Art und Weise -, der besagte, dass dieses rechtswidrige Agieren auch in Zukunft ausdrücklich nicht gewünscht sei.

Es war ein Bericht, der im Übrigen von allen damals in der PKK vertretenen Fraktionen unterstützt worden ist. Ich hielt und halte das nach wie vor für eine kluge Empfehlung. Deswegen bleibe ich dabei: Diese Gesetzesänderung ist aus unserer Sicht nicht verhältnismäßig. Wir lehnen sie ab.

(Zustimmung)

Um es noch einmal ganz plastisch zu machen: Wir nehmen hier erhebliche Eingriffe in die Persönlichkeitsrechte der Jugendlichen vor. Es sind Jugendliche und für Jugendliche ist das Jugendamt zuständig. - Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Zustimmung)

Frau von Angern, es gibt eine Frage von Herrn Striegel. Stehen Sie dafür zur Verfügung? - Herr Striegel, dann haben Sie jetzt das Wort.

Frau Kollegin von Angern, ich habe eine Frage, wohl wissend, dass wir uns einig darin sind, dass es einer stärkeren Prävention bedarf, um tatsächlich gegen Bestrebungen vorgehen zu können, die Demokratie und Freiheit bedrohen. Mich interessiert, wie Ihre Fraktion beim Thema Terrorismusbekämpfung eine langfristige Perspektive für den Verfassungsschutz oder eine andere Institution sieht? Halten Sie grundsätzlich - -

(Zurufe)

Ich höre Ihnen zu.

Das ist in Ordnung.

Das reicht ja auch.

Das gilt nicht für alle hier im Raum. - Halten Sie einen kleinen Rest an nachrichtendienstlicher Behörde, die auch geheimdienstlich tätig wird, im Rechtsstaat für grundsätzlich notwendig und ge

boten? Oder sagen Sie, eine geheimdienstliche, eine nachrichtendienstliche Tätigkeit kann und darf es an dieser Stelle überhaupt nicht geben?

Frau von Angern, Sie haben jetzt das Wort.

Herr Striegel, die Antwort kann ich Ihnen tatsächlich nicht vollumfänglich geben. Ich kann Ihnen sagen, langfristig ist es das Ziel von uns, Geheimdienste nicht nur in Sachsen-Anhalt, sondern in Deutschland überflüssig zu machen.

(Zurufe)

Der Weg dorthin, der zu beschreiten ist, ist im Übrigen auch ein erster Schritt durch mehr parlamentarische Kontrolle, wie das jetzt vollzogen wird.

Unsere Grundkritik ist die, dass wir sagen, etwas, was in dieser Art und Weise agiert, kann durch demokratische Parlamente nicht kontrolliert werden. Das ist unser Problem. Jetzt müssen wir diesen Weg gehen. Ich kann Ihnen sagen, es wird von meiner Partei dazu auch noch keine abschließend befriedigende Antwort geben. Ich kann sie Ihnen momentan auch nicht geben. Ich kann Ihnen nur sagen: An diesem Ziel halten wir fest, und wir müssen an der Umsetzung arbeiten. Deswegen fordere ich jetzt auch nicht die sofortige Abschaffung. Das wäre unseriös und unredlich. Aber an dem Ziel halten wir fest. Und wir arbeiten daran, dass wir genau diese Alternative auch langfristig haben werden.

Herr Striegel, wenn Sie eine Nachfrage haben, dann erteile ich Ihnen noch einmal das Wort.

Also das verstehe ich erst einmal. Ich habe an der Stelle aber noch eine Nachfrage, weil ich dann Ihre Anträge in den Haushaltsberatungen nicht verstehe. Da machen Sie ja tatsächlich immer den Cut auf Null. Das ist de facto die komplette Abschaffung. Insofern würde mich interessieren, wie die Positionen, die Sie jetzt gegeben haben und die ich sehr gut nachvollziehen kann, zu Ihrem Antragsverhalten im Plenum in den letzten Jahren passen.

Es ist auch die klare Position, bei unserer Haltung zu bleiben. Also dieses Ziel geben wir nach wie vor nicht auf. Sie wissen aber auch, dass es beispielsweise in Thüringen an einer Koalition nicht

gescheitert ist und dass es dort sehr wohl Kompromisse und auch Veränderungen beim Verfassungsschutz gegeben hat.

Das wären auch unsere nächsten Schritte, die wir angehen würden, wenn wir diese Möglichkeit hätten. Aber in der Position, in der wir jetzt sind, werden wir dabei bleiben. Gehen Sie davon aus, dass ich dann auch in der nächsten Beratung, sofern es dazu kommt, den Haushalt der Abteilung 4 ablehnen werde.

Frau von Angern, Herr Siegmund hat sich noch für eine Intervention gemeldet. - Sie haben nun die Möglichkeit zu einer Intervention.

Das ist gut. Vielen Dank, Herr Präsident. - Sehr geehrte Frau von Angern, Sie haben soeben den Bezug zwischen dieser Coronademonstration in Berlin und diesen vermeintlichen Aktivitäten vor dem Reichstag hergestellt und indirekt die Schuld den Demonstranten gegeben, die an der großen Demonstration teilgenommen haben.

Deshalb konstatiere ich, dass anscheinend auch Mitglieder Ihrer Partei DIE LINKE und vor allem auch der GRÜNEN sowie Abgeordnete an dem vermeintlichen Reichtagssturm schuld sind;

(Zustimmung)

denn auf der Coronademonstration stand Herr Stefan Gelbhaar neben mir. Er ist Bundestagsabgeordneter der GRÜNEN. Demzufolge hatte er anscheinend die gleiche Verantwortung wie andere Hunderttausende Menschen, die Sie jetzt in einen Topf werfen. Das möchte ich einmal konstatieren.

(Zustimmung)

Eine Antwort können Sie jetzt allerdings nicht erwarten. Frau von Angern hat ja deutlich gemacht, sie antwortet nicht darauf. - Für die CDUFraktion spricht jetzt der Abg. Herr Schulenburg.

Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kollegen! Freiheit braucht Sicherheit. Und für die Sicherheit im Land ist es unabdingbar, diejenigen, die unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung bedrohen, wirksam zu bekämpfen. Meine Fraktion vertritt immer die Auffassung, dass unsere streitbare Demokratie den besonderen Schutz unserer Verfassung erfordert.

In diesem Sinne kann ich die Novelle des Verfassungsschutzgesetzes als eine gelungene und

ausgewogene Regelungskonzeption bezeichnen, durch die einerseits der Reformprozess des Verfassungsschutzes fortgeführt wird und auf der anderen Seite die Empfehlungen des NSU-Untersuchungsausschusses und das strikte Trennungsgebot zwischen Polizei und Verfassungsschutz umgesetzt sowie die parlamentarische Kontrolle gestärkt werden.

Leider ist es uns bei der Gesetzesberatung aufgrund der Haltung unseres Koalitionspartners nicht gelungen, die Quellen-TKÜ gesetzlich zu ermöglichen. Ich habe es bereits in der Landtagsdebatte über die Aufdeckung eines illegalen Prepper-Netzwerks, unter anderem auch in Sachsen-Anhalt, deutlich gesagt.

Während einige den Sicherheitsbehörden in diesem Land vorwerfen, dass sie keine Erkenntnisse zu diesen Vorgängen haben oder dass es sogar keine Bereitschaft dafür gebe, verfassungsfeindliche Strukturen offenzulegen und umfassend aufzuarbeiten, stelle ich für meine Fraktion ganz nüchtern fest: Es ist schlichtweg verlogen, vom Verfassungsschutz Aufklärung einzufordern, ohne ihn mit den für die Aufklärung notwendigen Befugnissen auszustatten.

Da die Zahl der Verfassungsfeinde in Deutschland nicht abnimmt und man mit der Zeit gehen, muss auch der Verfassungsschutz alle technischen Möglichkeiten zur Bekämpfung von Extremismus ausschöpfen dürfen. Insbesondere die sogenannte Quellen-TKÜ ist ein technisches Mittel, um konspirativ genutzte Kommunikationswege und Verbindungen zu identifizieren. Denn im Unterschied zu Telefonaten und SMS, die einfach so mitgehört und gelesen werden können, nutzen die Dienste standardgemäß eine Verschlüsselung und unterliegen derzeit nicht dem Zugriff der Sicherheitsbehörden.

Leider waren nicht alle in der Koalition dazu bereit, über ihren Schatten zu springen und die bis dato anonymen Kommunikationswege dieser Strukturen für unsere Sicherheitsbehörden aus dem Verborgenen zu holen. Vor allem im Kampf gegen den Rechtsextremismus fehlt uns dieses Aufklärungsmittel. Das ist aus der Sicht meiner Fraktion bedauerlich, führt aber nicht dazu, dass wir unsere Position zu diesem Thema aufgeben werden.

Deshalb bitte ich abschließend um Zustimmung zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Inneres und Sport. - Herzlichen Dank.

(Zustimmung)

Ich sehe keine Fragen. Dann danke ich Herrn Schulenburg für den Redebeitrag. - Für die Frak

tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat der Abg. Herr Striegel noch einmal das Wort. Bitte.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Vielleicht kann man Herrn Siegmund insofern weiterhelfen, als Herr Gelbhaar als Berliner Bundestagsabgeordneter bei den besagten Demos als parlamentarischer Beobachter unterwegs war. Ich sage es einmal so: Irgendjemand muss ja auch nach den Rechten sehen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit der heutigen zweiten Lesung des Verfassungsschutzgesetzes kommt ein intensiver Verhandlungsprozess zu einem erfolgreichen Abschluss. Das vorliegende Ergebnis ist ein guter Kompromiss. Dass im Bereich des Verfassungsschutzes die Vorstellung innerhalb der Koalitionsfraktionen teilweise weit auseinandergingen, ist nun wirklich kein Geheimnis. Herr Schulenburg hat noch einmal deutlich gemacht, wo die Unterschiede liegen.

Diese Vorstellungen sind aber allesamt aufgegangen in einem modernen und tragfähigen Verfassungsschutzgesetz. Für die Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN stand dabei immer im Vordergrund, den Inlandsgeheimdienst weitestgehend zu modernisieren und die Balance zwischen qualitativer Verbesserung bei der Arbeit, dem Schutz der Rechte der Bürgerinnen und Bürger und besserer parlamentarischer Kontrolle zu wahren. Onlinedurchsuchung und Quellen-Telekommunikationsüberwachung sind deshalb mit uns nicht zu machen. In beiden Fällen sind die Eingriffe in die Privat- und Intimsphäre der Bürgerinnen und Bürger nach unserem Verständnis zu gravierend.

Meine Damen und Herren! Der Verfassungsschutz in Sachsen-Anhalt leistet wertvolle Arbeit. Auch zur Frage, wie offen er diese Arbeit kontrollieren lässt, ist heute schon vorgetragen worden. Ich will mich dem Kollegen Erben ausdrücklich mit dem Dank an Herrn H. für diese doch sehr proaktive Information anschließen.