Protokoll der Sitzung vom 27.10.2016

Herr Minister, Sie haben das Wort.

Ich fange mit dem an, was Sie zuletzt ausgeführt haben. Wenn Sie wollen, dass in den derzeit vorhandenen Ortschaften mit Ortschaftsräten wieder eine eigene Kompetenz zur Beschlussfassung besteht, dann müssen Sie eine Kommunalreform durchführen. Das betrifft nicht die Frage, wie Sie Demokratie mit der Mitwirkung von Bürgerbegehren gestalten.

Ich kann nur dringend davor warnen - unabhängig davon, dass ich die Reform, wie wir sie gemacht haben, letztlich gut finde -, in Abständen von sechs oder sieben Jahren, kommunale Strukturen anzufassen. Wir haben so viele Veränderungen gerade in diesem Teil Deutschlands mitmachen müssen, auch aufgrund von Erfahrungen, die wir uns gegenseitig erarbeiten mussten, dass wir jetzt für ein gutes Arbeiten in den Verwaltungen und in den Strukturen eine Zeit lang Ruhe brauchen. Das sage ich ganz deutlich.

Dass wir Dingen nachgehen, möchte ich Ihnen an einem Beispiel deutlich machen. Wir wollten Ortschaftsbürgermeister und Ortschaftsräte ab dem Jahr 2019 abschaffen, wenn in den jeweiligen Ortschaften weniger als 300 Einwohner leben. Diese Idee ist nicht im Ministerium entstanden, weil dort jemand Langeweile hatte. Vielmehr wurde die Kommunalverfassung unter Beteiligung von Ortschaftsbürgermeistern, Bürgermeistern und kom

munalen Vertretungen erarbeitet. Dies ist also ein Gesetz von der kommunalen Ebene für die kommunale Ebene. Dazu sind auch Workshops durchgeführt worden; das hätten Sie sich vorher ansehen können. Damals sind drei Gesetze zu einem hochmodernen Gesetz zusammengeführt worden, was sehr gut angekommen ist.

Mir und den Mitarbeitern meines Hauses ist in diesem Zusammenhang gesagt worden, durch die Kommunalreform - das war das klassische Argument - könnten Ortschaftsräte nur noch darüber entscheiden, ob die Parkbank grün oder gelb gestrichen werde und dafür brauche man sie nicht. Daraufhin haben wir gesagt, wir gehen dem Wunsch nach und legen fest, dass in diesen Ortsteilen nur noch ein Ortsvorsteher gewählt werden soll. Das war eine einstimmige Entscheidung.

Kaum war diese Regelung in Kraft gesetzt, fing es in der Altmark an zu rumoren - das kommt gelegentlich vor -, und es hieß, wir müssten es anders machen; der Minister schaffe mit diesem Gesetz die direkte Demokratie ab.

Dann haben sich auch andere auf den Weg gemacht und wollten den Status quo ante wiederhaben. Dazu haben wir gesagt: Dies ist gut. Wenn es der Wunsch der Menschen ist, sich in die Demokratie einzubringen und das alte Argument hinfällig ist, dass sie nur noch darüber entscheiden können, ob die Parkbank grün oder gelb gestrichen wird, führen wir den Status quo ante wieder ein. Deshalb werden wir das an dieser Stelle wieder darauf zurückführen.

Zu Ihrer Frage, wie viele Einwohneranträge in diesem Land bislang gestellt worden sind, kann ich - das tut mir furchtbar leid - nichts sagen; denn ich kenne nicht jede Zahl, die dieses Land betrifft, auswendig. Ich liefere Ihnen diese Zahl ausgesprochen gern nach. Sie können von keinem Minister verlangen, dass er sämtliche Zahlen, die dieses Land betreffen, auf Abruf im Kopf hat.

Ansonsten sind das vernünftige Instrumente und wir können auch gemeinsam über weitere Instrumente reden. Aber ich habe wirklich die herzliche Bitte: Wenn Sie sich einbringen wollen, dann tun Sie nicht so, als habe es bislang nichts gegeben und als sei in diesem Land alles schlecht. Vielmehr weisen wir eine gute Grundlage im Mittelfeld auf und wir sind gern bereit, auch durch Anregungen aus diesem Hause gemeinsam die Dinge nach vorn zu entwickeln.

Aber bei all dem, was man tut, muss man sich am Ende immer die Frage stellen: Wem nützt das und was bringt das? Wir werden morgen in der Aktuellen Debatte zu einem anderen Thema darauf eingehen.

Wenn Sie sehr starke direkte Demokratie schaffen, sollten Sie nicht der Versuchung erliegen, mit

sehr niedrigen Hürden Entscheidungen eines Kommunalparlamentes übersteuern zu können. Wenn Sie politische Verantwortung auch auf dieser Ebene haben, gibt es gelegentlich Entscheidungen, die nicht jeder lustig findet, beispielsweise im Hinblick auf die Schließung von Schulen, die Erhöhung von Beiträgen usw. Sie verteilen in einem politischen Amt ja nicht jeden Tag Bonbons. Es bilden sich dann auch sehr schnell Bürgerinitiativen gegen schwierige Entscheidungen. Wenn Sie dann die Hürden senken, dann werden Sie schwierige Entscheidungen in einem solchen Parlament kaum noch durchsetzen können, sei es in einem Gemeinderat oder in einem Kreistag; es wird dann immer weggestimmt.

Wir, die politische Verantwortung auf den verschiedenen Ebenen haben, müssen es aushalten - dafür werden wir bezahlt und dafür haben wir uns entschieden -, dass nicht jeder die Entscheidungen gut findet. Diejenigen, die dies aushalten, müssen wir stärken, sodass sie nicht permanent überstimmt werden in einer emotionalen Debatte, die, wenn es ums Geld geht, sehr schnell geführt wird. Das wollte ich zu bedenken geben. - Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU - Zustimmung bei den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Minister. - Wir steigen in die Fünfminutendebatte ein. Beginnen wird die Abg. Frau Schindler für die SPD-Fraktion. Sie haben das Wort, Frau Schindler.

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Es ist schon erwähnt worden: Unser Alternativantrag trägt die Überschrift „Mehr Demokratie wagen“. Es ist auch schon gesagt worden, dass Willy Brandt diese Worte geprägt hat, nämlich in seiner Regierungserklärung vor dem Deutschen Bundestag am 28. Oktober 1969. Diese Worte der Regierungserklärung, die er damals verwendet hat, sind heute genauso aktuell, wie sie auch noch weiterhin richtig sind. Ich zitiere Willy Brandt:

„Mitbestimmung, Mitverantwortung in den verschiedenen Bereichen unserer Gesellschaft wird eine bewegende Kraft der kommenden Jahre sein. Wir können nicht die perfekte Demokratie schaffen. Wir wollen eine Gesellschaft, die mehr Freiheit bietet und mehr Mitverantwortung fordert.“

Dies hat er an den Anfang seiner Rede gesetzt. Am Ende seiner Rede sagte er Folgendes - ich zitiere nochmals -:

„Die Regierung kann in der Demokratie nur erfolgreich wirken, wenn sie getragen wird

vom demokratischen Engagement der Bürger. Wir haben so wenig Bedarf an blinder Zustimmung, wie unser Volk Bedarf hat an gespreizter Würde und hoheitsvoller Distanz.

Wir suchen keine Bewunderer; wir brauchen Menschen, die kritisch mitdenken, mitentscheiden und mitverantworten. Das Selbstbewußtsein dieser Regierung wird sich als Toleranz zu erkennen geben. Sie wird daher auch jene Solidarität zu schätzen wissen, die sich in Kritik äußert. Wir sind keine Erwählten, wir sind Gewählte. Deshalb suchen wir das Gespräch mit allen, die sich um diese Demokratie mühen.

Meine Damen und Herren, in den letzten Jahren haben manche in diesem Land befürchtet, die zweite deutsche Demokratie werde den Weg der ersten gehen. Ich habe dies nie geglaubt. Ich glaube dies heute weniger denn je. Nein: Wir stehen nicht am Ende unserer Demokratie, wir fangen erst richtig an.“

(Zustimmung von Marcus Spiegelberg, AfD)

Ich denke, diese Worte sind nach vielen Jahren heute genauso aktuell wie damals. Aber seit 1969 ist auch in der Bundesrepublik Deutschland in unserer Demokratie viel geschehen, vieles hat sich verändert, gerade was demokratische Mitbestimmung betrifft. In vielen Bereichen sind Entscheidungen getroffen worden, die Mitbestimmung gewährleisten und nicht nur die Entscheidung von Wahlen hervorrufen. Vielmehr ist vor allen Dingen die Einbeziehung demokratischer Mitbestimmung geregelt worden. Die Erweiterung von Beteiligungs- und Mitbestimmungsrechten ist ein stetiger Prozess in unserer Gesellschaft.

Dieses haben wir - der Minister hat es bereits ausgeführt - in diesem Haus bereits mit vielen Gesetzesänderungen praktiziert. Die Veränderung der Kommunalverfassung in der letzten Legislaturperiode ist schon beschrieben worden, ebenso unsere Parlamentsreform in der letzten Legislaturperiode.

Trotzdem haben sich die Koalitionsfraktionen in der neuen Konstellation in ihrem Koalitionsvertrag zu weiteren Veränderungen bekannt. Diese werden weiterhin angeschoben. Dies bedarf nicht eines Antrags der AfD. Nicht Sie haben das auf den Weg gebracht. Vielmehr haben wir dieses bereits im Koalitionsvertrag vereinbart.

(André Poggenburg, AfD: Angekündigt!)

In der letzten Parlamentsreform ist die Absenkung der Zahlen der Unterstützungsunterschriften vereinbart worden. Darüber ist bereits berichtet worden.

Ich zitiere nochmals Willy Brandt in seiner Regierungserklärung: Mehr Freiheit bieten, aber auch mehr Mitverantwortung. Das sind immer die beiden Seiten einer Medaille. Wenn ich Freiheit gebe, dann muss ich auch Mitverantwortung einfordern.

Wie passend war es, dass auch Herr Poggenburg am Montag im Rathaussaal in Zeitz anwesend war. Dort steht der folgende Spruch an der Wand: Entscheide nicht in Eile, höre vorher beide Teile.

Das heißt, dass man immer abwägen muss. Vielleicht ist es immer einfacher, schnell eine Einzelmeinung zu vertreten und diese auch durchsetzen zu wollen. Aber Entscheidungen vor allem im Parlament oder in den Kommunalvertretungen berühren nicht immer nur Einzelinteressen, sondern beruhen auf der Abwägung mehrerer Interessen, auf der Abwägung zwischen Interessen von verschiedenen Bevölkerungsgruppen für die Allgemeinheit.

Ich setze in diesem Prozess immer mehr darauf, dass es nicht nur um Mitbestimmung, also Mitentscheidung geht, sondern vor allen Dingen um mehr Beteiligung. Hierbei haben wir in unserer Gesellschaft noch immer Defizite. Die Möglichkeiten, die bereits bestehen, müssen von den Bürgern auch intensiv genutzt werden.

Wir brauchen keinen Bürgerentscheid gegen einen Ratsbeschluss, wenn dieser Ratsbeschluss im Vorfeld mit allen Betroffenen und Interessierten, mit den Beteiligten intensiv besprochen wurde, was nach unserer Kommunalverfassung derzeit auch möglich ist. Niemand hindert uns daran, dass viele in diese Entscheidungsprozesse einbezogen werden.

Nach der letzten Landtagssitzung wurde darüber diskutiert, dass in den beratenden Ausschüssen Einwohnerfragestunden einzuführen sind. Darüber wollen wir beraten. Dabei wurde implementiert, dass es keine öffentlichen Sitzungen seien. Auf der kommunalen Ebene sind aber alle Sitzungen öffentlich. Die Bürger dürfen an allen Sitzungen teilnehmen. Eine Einwohnerfragestunde haben wir im Zuge der letzten Änderung der Kommunalverfassung bereits für die beschließenden Ausschüsse beschlossen. Wir haben kein Problem damit, dies auch für die beratenden Ausschüsse vorzusehen, wenn dies gewollt ist. Die kommunalen Spitzenverbände hatten sich einst gegen diese Möglichkeit ausgesprochen.

Sehr geehrte Frau Schindler, kommen Sie zum Schluss. Sie haben Ihre Redezeit bereits um die Zeit überschritten, um die sie durch die Ausführungen des Ministers verlängert wurde.

Ja, ich komme zum Schluss. - Wir brauchen mehr Demokratie. Aber wir brauchen auch mehr Demokratiebildung, damit die Demokratie gelebt werden kann. - Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD - Zustimmung bei der CDU und bei den GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Schindler. - Als Nächste spricht Frau von Angern für die Fraktion DIE LINKE. Sie haben das Wort, Frau Abgeordnete.

Danke, Frau Präsidentin. - Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! „Demokratie für alle ist, wenn alle hier lebenden Menschen die gleichen Rechte haben.“ So begann meine rechtspolitische Kollegin der LINKEN-Bundestagsfraktion Halina Wawzyniak ihren Debattenbeitrag anlässlich der durch DIE LINKE im Bundestag eingebrachten Gesetzentwürfe und Anträge, die sich allesamt mit dem Thema Demokratie und dabei auch mit den Fragen direkter Demokratie beschäftigten. Und gleich vorweg: Einige Vorhaben wurden durch die Mehrheit im Bundestag, also leider auch mit Unterstützung der SPD, direkt beerdigt. Andere Vorhaben liegen noch in den Ausschüssen und werden dann wohl qualifiziert beerdigt werden.

Doch das entscheidende Moment ist die Aussage bzw. die Botschaft des Eingangssatzes meiner Kollegin im Bundestag. Wir leben in einem Staat, der auf den Grundprinzipien der Demokratie basiert, und das ist ein hohes Gut. Wir als LINKE sagen ganz klar, dass dieses hohe Gut auch für alle hier lebenden Menschen gilt.

(Beifall bei der LINKEN)

Daher war unsere Forderung im Bundestag nach einem Wahlrecht für alle Menschen, die seit fünf Jahren hier leben, auch nur konsequent. An dieser Stelle wird die deutliche Differenz zum Ansinnen der AfD-Fraktion auch dem letzten Unwissenden klar: Wir wollen Demokratie für alle. Wir wollen ein Land, in dem alle Menschen selbstbestimmt leben und die gesellschaftlichen Verhältnisse demokratisch mitgestalten können.

Wir wollen, dass die individuelle Freiheit und Entfaltung der Persönlichkeit für jede und jeden durch sozial gleiche Teilhabe an den Bedingungen eines selbstbestimmten Lebens ermöglicht wird. Wir wollen, dass alle Menschen über die Entwicklung der Gesellschaft aktiv und selbstbewusst mitentscheiden können, die in ihr leben. Diese innere Logik sollte sich doch jedem erschließen.

(Beifall bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren! Wer sich dem entgegenstellt, sagt, dass es in Deutschland Menschen gibt, die nicht dazugehören bzw. nicht dazugehören sollen, dass es Menschen erster und zweiter Klasse gibt. Hierzu gehören auch ganz klar die Damen und Herren der AfD-Fraktion.

(Beifall bei der LINKEN - Ach! bei der AfD)

Sie sind keine Freunde der Demokratie, denn wer Minderheitenrechte nicht akzeptiert, agiert antidemokratisch.

(Beifall bei der LINKEN und bei der SPD)

DIE LINKE hat das Thema direkte Demokratie in den vergangenen Wahlperioden mehrfach auf die Tagesordnung gesetzt, aber auch außerhalb des Hohen Hauses in der breiten Öffentlichkeit thematisiert.

(Zuruf von André Poggenburg, AfD)