Protokoll der Sitzung vom 15.10.2020

Herr Minister Stahlknecht, Sie haben jetzt das Wort für die Landesregierung.

Frau Präsidentin, vielen Dank für diesen GenderBeitrag; der war gut. - Sie wollen einen Aufnahmestopp in Ihrem Antrag. Hierzu ist zunächst einmal festzuhalten: Deutschland und damit auch Sachsen-Anhalt sind zur Aufnahme von Menschen, die nach der Genfer Flüchtlingskonvention oder den Regularien des gemeinsamen europäischen Asylsystems einen Schutzanspruch in Deutschland haben, verpflichtet. Ein Aufnahmestopp wäre also schlicht europa- und völkerrechtswidrig.

(Zustimmung)

Sie stellen einen Antrag, der europa- und völkerrechtswidrig ist.

(Zurufe)

Für mich war und ist klar: Menschen, die in großer Not zu uns kommen, weil sie in ihrem Heimatland verfolgt oder dort an Leib oder Leben bedroht werden und keine andere Fluchtalternative haben, müssen hier Schutz bekommen - ganz einfach.

Ebenso klar ist aber auch: Der in der Geschichte der Bundesrepublik einmalig hohe Zustrom von Schutzsuchenden in den Jahren 2015 und 2016, der die Asyl- und Aufnahmesysteme vor erhebliche Herausforderungen gestellt hat, darf sich nicht wiederholen. Auf nationaler Ebene wurden deshalb seit dem Jahr 2015 zahlreiche legislative und administrative Maßnahmen ergriffen, um die Systeme zu entlasten und eine zweite Flüchtlingskrise zu verhindern.

Nur einige Beispiele: Asylverfahren wurden vereinfacht und beschleunigt. Der Kreis der sicheren

Herkunftsstaaten wurde ausgeweitet, alle Balkanstaaten gehören dazu. Die Zugangszahlen aus dieser Region sind danach drastisch zurückgegangen, faktisch auf null.

Fehlanreize wurden verhindert. In Sachsen-Anhalt haben wir früh dafür gesorgt, dass grundsätzlich bis zum Ende des Asylverfahrens und bei negativem Verfahrensausgang auch darüber hinaus alle Asylsuchenden zentral in der Erstaufnahmeeinrichtung verbleiben.

Wer seiner Ausreisepflicht nicht nachkommt oder gegen Mitwirkungspflichten, zum Beispiel beim Asylverfahren oder bei der Beschaffung von Passdokumenten, verstößt, dem werden die sozialen Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz gekürzt.

Kriminelle Ausländer, auch Asylsuchende und Schutzberechtigte, können leichter abgeschoben werden, allerdings nicht nach Syrien, weil Syrien als nicht sicher gilt.

Auf europäischer Ebene wurden und werden der Schutz und die Kontrolle der Außengrenzen erheblich ausgebaut. Hierfür wurde auch die europäische Agentur für die Grenz- und Küstenwache Frontex bereits deutlich gestärkt.

Diese und andere Maßnahmen wirken, wie die Entwicklung der Asylantragszahlen zeigt. In Sachsen-Anhalt sind die Neuzugänge von 19 484 Antragsstellern im Jahr 2016 auf 4 168 im Jahr 2019, also auf rund ein Fünftel zurückgegangen. In diesem Jahr bis zum 30. September sind 2 532 neue Erstanträge registriert worden.

Warum Sie davon reden, dass wir schon wieder eine Massenflucht nach Deutschland haben, kann ich anhand der Zahlen überhaupt nicht nachvollziehen. Wir bewegen uns auf dem Niveau der Jahre 2013, 2012 und 2011, als das eine selbstverständlich hinnehmbare Tatsache war.

Trotz dieser Erfolge besteht unbestritten weiter Handlungsbedarf, ja, insbesondere auf europäischer Ebene. Derzeit konzentriert sich die Asylmigration in der EU faktisch auf einige wenige Mitgliedsstaaten mit funktionierenden Asylsystemen, darunter auch Deutschland.

Ein wesentlicher Grund hierfür ist, dass die Regeln des Dublin-Systems, nach denen in den allermeisten Fällen der Ersteinreisestaat für die Durchführung des Asylverfahrens und damit auch für die Aufnahme der Schutzsuchenden zuständig ist, vielfach nicht eingehalten werden.

Auch hinsichtlich der Anerkennungs- und Versorgungsstandards gibt es unter den Mitgliedsstaaten immer noch gravierende Differenzen. Dies alles gibt den Schutzsuchenden Möglichkeiten und Anreize zur sogenannten Sekundärmigration, also zur Weiterwanderung in Mitglieds

staaten, in denen sie für sich bessere Bedingungen erwarten.

Ich könnte eine Reihe von weiteren Maßnahmen aufzählen. Ich will aber aufgrund der Zeit abkürzen. Was Abschiebungen angeht, gibt es Staaten, die diejenigen, die dorthin zurückkehren müssten, nicht zurücknehmen. Das haben wir hundertfach diskutiert. Es gibt Staaten, in die Sie nicht abschieben können, weil sie als nicht sicher gelten.

Diese Nichtmitwirkung von einer Vielzahl von Staaten wie Indien und afrikanischen Staaten führt teilweise zu einer Unmöglichkeit der Rückführung. Unter Pandemiebedingungen und in Coronazeiten sind Rückführungen unter ganz besonderen Voraussetzungen, wenn überhaupt, durchführbar. - Das soll es aus meiner Sicht gewesen sein. - Vielen Dank.

(Zustimmung)

Vielen Dank, Herr Minister. Ich habe eine Wortmeldung von Herrn Raue. - Bitte.

Herr Minister, ich habe eine Frage. Ist das DublinAbkommen irgendwie noch nach wie vor ausgesetzt oder wie begründen sich so umfangreiche Asylansprüche gerade in Deutschland? - Das ist hier die Frage. Denn das zwingt uns doch dazu, die Aufnahme durchzuführen. Ist das ein Verteilmechanismus in der EU, der schon irgendwie läuft, oder wie kommt es zustande, dass so viele Menschen in Deutschland asylberechtigt sein sollen?

Herr Minister.

Zunächst einmal: Jeder, der nach Deutschland kommt und den Antrag auf ein Asylverfahren stellt, wird geprüft. Dann wird er nach dem Dublin-Abkommen in den Staat zurückgeführt, in dem er zuerst angekommen ist. Rein theoretisch müssten das fast alles Dublin-Fälle sein, weil die Bundesrepublik Deutschland keine Außengrenzen hat, es sei denn, es landet jemand mit dem Flugzeug.

Das ist auch die reine Lehre aus der Geschichte. Das Dublin-Abkommen ist eine Zeit lang außer Kraft gesetzt worden. Ich habe das sehr kritisch gesehen. Im Augenblick ist die Rückführung nach dem Dublin-Abkommen aufgrund der pandemischen Lage schwer umsetzbar.

Eine kurze Nachfrage gestatte ich Ihnen noch.

Betrifft die Aussetzung des Dublin-Abkommens auch die 6 000 bei uns eigentlich Ausreisepflichtigen?

Die betrifft es nicht.

Sie können das nicht - -

Herr Minister, einen kleinen Moment bitte.

Sorry.

Herr Raue, Sie waren noch nicht ganz fertig. Jetzt sind Sie fertig. - Jetzt haben Sie auch das Wort, Herr Minister.

Sie haben teilweise Dublin-Fälle und Sie haben Rückführungsfälle, die nicht unter das DublinAbkommen fallen. Die einzelnen Zahlen kann ich Ihnen gern nachliefern, ich kenne sie nicht auswendig.

Wenn Sie beispielsweise Rückführungen nach Indien haben, hat das nichts mit Dublin zu tun. Dublin ist das Abkommen innerhalb der EU und nicht mit Indien. Wenn Sie zurückführen wollen in die afrikanischen Staaten, sind das keine DublinFälle.

Dahin können Sie im Moment schwer zurückführen, weil Indien die Rückführung behindert und verhindert. Das muss man ganz deutlich so sagen. Es ist übrigens Aufgabe der Bundesregierung, in bilateralen Gesprächen dafür Sorgen zu tragen, dass dort Bewegung hineinkommt.

Sie haben auch Gegenden, in denen es überhaupt keinen Staat mehr gibt und kein staatliches Handeln, und Sie haben auch in diesen Gegen

den, in denen es noch Staaten gibt, Staaten, die nicht bereit sind, sie zurückzunehmen. - Das ist die Wirklichkeit.

Vielen Dank, Herr Minister. Ich sehe keine weiteren Wortmeldungen. - Somit steigen wir in die Dreiminutendebatte der Fraktionen ein. Der erste Debattenredner wird der Abg. Herr Erben sein. Sie dürfen jetzt zum Pult kommen und bekommen gleich das Wort. Bitte.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Kolleginnen und Kollegen! Die Überschrift Ihres Antrags, Herr Kirchner, lautet „Remigration ermöglichen - Kehrtwende in Deutschland einleiten“. Warum haben Sie eigentlich nicht gleich „Ausländer raus!“ darübergeschrieben?

(Beifall)

Das würde doch den Inhalt viel besser wiedergeben.

(Zuruf)

Da wüsste man schon, was im Text darunter steht, und würde das in der Überschrift viel besser zusammenfassen.

Ihr Vortrag hat das noch verstärkt. Sie ignorieren das Verfassungsrecht. Sie treten völkerrechtliche Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland mit Füßen. Deswegen sage ich Ihnen ganz klar: Wir werden Ihren Antrag ablehnen. Damit ist eigentlich alles gesagt. - Herzlichen Dank.

(Beifall)

Herr Abg. Erben, es gibt eine Kurzintervention von Herrn Farle. Sie hätten die Möglichkeit, darauf zu reagieren. - Bitte.

(Zuruf)

Sehr geehrter Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Falls es Ihnen nicht aufgefallen ist, habe ich dafür Verständnis; denn Sie beschäftigen sich ja nicht tiefer gehend mit politischen Prozessen, die auf EU-Ebene abgehen.