Ich denke an dieser Stelle an die Generation meiner Eltern, die sich bewusst entschieden haben, nicht zu wegzugehen in die industriellen Zentren Westdeutschlands, um dort gut besser bezahlte Arbeit zu finden. Das wäre für viele der leichtere und verständlichere Weg gewesen. Viele sind gegangen, und für viele schien es damals auch die einzige Alternative zu sein. Deshalb können wir froh sein über alle, die sich entschieden haben, zu bleiben, und sich hier neue Chancen erarbeitet haben: vielleicht ein kleines Unternehmen gegründet oder sich in ihrer Stadt oder Gemeinde
eingebracht haben. Da jetzt viel von Wertschätzung die Rede ist: Diese Generation verdient sie doppelt und dreifach.
Sehr geehrter Herr Ministerpräsident, ich hoffe an dieser Stelle auch, dass auf Bundesebene eine vernünftige Lösung zur Regel des Härtefallfonds aus den nicht erfolgten Rentenüberleitungen getroffen wird, denn auch diese Generation verdient eine Wertschätzung, die ihrer Lebensleistung angemessen ist.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ganz sicher ist allerdings: In 30 Jahren sind viele Weichen gestellt worden, von denen wir uns in der Rückschau wünschen, sie wären anders gestellt worden. Es ist gut und richtig, runde Jahrestage zum Anlass zu nehmen, auch Fehlentwicklungen anzusprechen und zum Beispiel die Geschichte der Treuhand oder die Folgen der Wirtschafts- und Währungsunion aufzuarbeiten. Für die Politik eröffnet sich dadurch allerdings keine Möglichkeit, die Uhren zurückzudrehen. Wir müssen dort anpacken, wo wir heute stehen.
Ich habe vorhin gesagt, Sachsen-Anhalt kann etwas. Genauso wichtig ist aber die Feststellung: Sachsen-Anhalt kann mehr, Beispiel: Einkommenssituation. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Sachsen-Anhalt haben im Durchschnitt einen Bruttolohn, der um 500 € unter dem in dieser Hinsicht schwächsten westdeutschen Bundesland Schleswig-Holstein liegt. Er liegt aber auch um 50 € unter dem in Sachsen und um 70 € unter dem in Brandenburg. Armin Willingmann tut das Beste, was man dagegen machen kann: Er siedelt in unserem Land erfolgreich Unternehmen mit hoch qualifizierten Arbeitsplätzen an.
Gefordert sind dabei vor allem die Unternehmen. Aber das Land kann mit gutem Beispiel vorangehen. Deshalb ist das Tariftreue- und Vergabegesetz so wichtig.
Ich hoffe sehr, dass die CDU-Seite in der Landesregierung jetzt endlich über ihren Schatten springt und den Weg für die parlamentarische Beratung dieses Vorhabens aus dem Koalitionsvertrag frei macht.
Beispiel Gesundheitsversorgung. Ja, SachsenAnhalt kommt gut durch die Krise. Daran hat die Gesundheitsministerin Petra Grimm-Benne einen hohen Anteil. Ich sage an dieser Stelle ganz bewusst „Gesundheitsministerin“. Denn was in die
aber auch einen Investitionsstau und es braucht wie alle Flächenländer Innovationen für eine hochwertige Gesundheitsversorgung im ländlichen Raum. Unsere Vorschläge dafür liegen auf dem Tisch.
Beispiel Bildungspolitik. Sowohl bei der Einstellung neuer Lehrerinnen und Lehrer als auch bei der Nutzung digitaler Möglichkeiten bleibt Sachsen-Anhalt hinter anderen Ländern zurück. In keinem Politikbereich sind die daraus erwachsenden Risiken für die Zukunft so groß wie hier. Die Antwort darauf kann kein Dialog über einen Schulfrieden sein, sondern nur ein entschlossenes Anpacken. Auch dafür gibt es eine Vielzahl von konkreten Ideen.
Meine Damen und Herren! Die Liste ließe sich fortsetzen und wir werden sie fortsetzen. Denn wenn wir 40 Jahre Sachsen-Anhalt begehen, dann soll unser Land so stark und so leistungsfähig, so gerecht und so lebenswert sein, wie es seinen Potenzialen entspricht und wie es die Menschen in diesem Land auch verdient haben.
Übrigens: Als der Berichterstatter seinerzeit die Beschlussempfehlung in der Volkskammer vorstellte, musste er mündlich noch einen Druckfehler auf der Landkarte korrigieren, die zum Gesetz gehörte. Der Druckfehler bezog sich, wie könnte es anders sein, natürlich auf das Land an sich - Zitat -:
„Bei Sachsen-Anhalt sind Halle und HalleNeustadt noch getrennt aufgeführt. Ich wurde darauf hingewiesen, dass das falsch ist, und ich bitte Sie, dort zu korrigieren, dergestalt, dass Halle-Neustadt gestrichen ist.“
Was sagt uns das? - Politik und politische Entscheidungen waren schon immer dynamische Prozesse, manchmal bis zur letzten Sekunde. Ich glaube, wir müssen in den nächsten Jahren sehr viel mehr Dynamik an den Tag legen, damit die richtigen Entscheidungen für unser Land getroffen werden können. - Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
tenrednerin. Für die Fraktion DIE LINKE spricht die Abg. Frau von Angern. - Sie haben jetzt das Wort.
Danke. - Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Abgeordneten! 30 Jahre deutsche Einheit, 30 Jahre Sachsen-Anhalt - das ist eine viele Seiten umfassende Geschichte von Erfolgen, Niederlagen, empfundenen und tatsächlichen Ungerechtigkeiten und gelungenen wie gescheiterten Neuanfängen. Vor allem aber ist es die Geschichte von Millionen von Menschen, die all dies erlebt haben.
Zu diesen 30 Jahren gehören Milliardentransfers, die Ostdeutschland in der Tat verändert haben. Dazu gehören aber auch das unheilvolle Prinzip „Rückgabe vor Entschädigung“, das Wirken der Treuhand und der Transfer von Menschen nach Ostdeutschland, die fast flächendeckend Führungspositionen innehaben.
In diese Zeit fällt auch, dass sich Deutschland wieder an Kriegen beteiligt. Auch nicht zu vergessen ist die Agenda 2010, die bis heute zu tiefgreifenden sozialen Verwerfungen und Brüchen für sehr viele Menschen geführt hat und die Kinderarmut gefördert und verstetigt hat.
Natürlich müssen wir an dieser Stelle auch über die DDR reden. Meine Partei und auch ich selbst haben uns dazu bekannt und bekennen uns dazu, die zentrale Verantwortung für das Scheitern der DDR zu tragen. Wir verantworten, dass die sozialistische Idee im real existierenden Sozialismus der DDR zu einer freiheitsverachtenden sozialistischen Diktatur und, ja, zu einem maroden, die natürlichen Lebensgrundlagen verschlingenden Wirtschaftssystem verkommen ist.
Ich füge hinzu: Für mich als Juristin, die als Anwältin auf das Grundgesetz vereidigt worden ist, wiegt besonders schwer, in welch eklatanter Weise für die SED und den Staat DDR grundlegende Menschen- und Bürgerinnenrechte gerade dann nichts wert waren, wenn es um den Machterhalt ging. Das vergessen wir nicht und wir bekennen uns zu unserer Verantwortung.
Ich füge aber auch hinzu: Verdrängen Sie bitte endlich nicht länger, dass die SED ohne Zweifel nicht die alleinige Verantwortung für diese Entwicklung trug.
Zur CDU der DDR, deren Mitglied Sie, Herr Ministerpräsident, in meinem Geburtsjahr 1976 geworden sind, hätten Sie heute etwas sagen können. Sie haben es verabsäumt.
Wie glaubhaft ist es angesichts dieses eigenen blinden Fleckes, wenn Sie hier in diesem Saal wieder und wieder und auch heute Ihre DDRTiraden ausschließlich an meine Fraktion adressieren? Heute regiert DIE LINKE in Ländern mit und stellt in Thüringen den Ministerpräsidenten. Wir sind kommunal stark verankert, als verlässliche Partnerin anerkannt und arbeiten vor Ort nicht selten auch mit der CDU zusammen.
Herr Ministerpräsident, es ärgert mich, wenn Sie in der Ausgabe der „Leipziger Volkszeitung“ vom 8. Oktober dieses Jahres im Zusammenhang mit dem Halle-Attentat dahin gehend zitiert werden, mit der LINKEN und der AfD nicht zusammenarbeiten zu wollen. Sie setzen beide gleich und sind damit geschichtsvergessen und aus meiner Sicht auch verantwortungslos.
Sehr geehrte Damen und Herren! Wir feiern heute den 30. Jahrestag der deutschen Einheit. Es ist ein Jubiläum, das uns daran erinnert, dass Mut die Verhältnisse zum Tanzen bringen kann und gebracht hat, ein Jubiläum, das für Freiheit und Demokratie steht, aber eben auch ein bittersüßes Jubiläum, das uns daran erinnert, dass die letzten 30 Jahre keine einfachen waren.
„Es wird niemandem schlechter gehen als zuvor, dafür vielen besser.“, sagte Helmut Kohl am 1. Juli 1990. Ja, mit Zuversicht gingen die meisten Ostdeutschen in die Einheit. Sie hofften auf gleichen Lohn für gleiche Arbeit, auf gleiche Ausbildungs- und Karrierechancen, auf die Gleichberechtigung von Männern und Frauen und auf gute Renten. Sie hofften auf Demokratie und auf soziale Sicherheit und Gerechtigkeit.
Aber - das gehört auch zur Wahrheit dazu - für viele Menschen haben sich diese Erwartungen bis heute nicht erfüllt. Mit dem Untergang der DDR wurde auch die soziale Infrastruktur, die soziale Sicherheit aus den Angeln gehoben. Es wurden Biografien unsichtbar gemacht. Geschichten werden nicht mehr erzählt. Die Erzählung der Wiedervereinigung ist daher für mich bisher kein Märchen mit Happy End.
Sehr geehrten Damen und Herren! Die ostdeutsche Revolution von 1989 war nicht nur ein Abgesang auf die DDR und ein Aufbäumen gegen Überwachung und Unterdrückung. Sie war auch eine mutige Reformbewegung für mehr Demokratie und für mehr soziale und ökologische Gerechtigkeit.
Von diesem Teil der Geschichte ist aber nicht viel übrig geblieben. Stattdessen frage ich: Wo stehen wir heute? - Gegen den Bundestrend sinkt in unserem Land die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten in Vollzeit. Menschen in
In kaum einem Land ist die Kinderarmut so stark ausgeprägt wie in unserem Land. Das Bildungssystem geht am Stock und unsere Kommunen gehören zu den ärmsten im Osten. Antisemitismus, Rassismus und Rechtsextremismus sind bis in unsere Sicherheitsbehörden hinein verankert.
Dass Teile von Nordrhein-Westfalen jetzt auch so arm sind wie Sachsen-Anhalt, ist nicht die Angleichung der Lebensverhältnisse, wie wir sie uns vorstellen.
Ja, es gibt Herausforderungen, die vor uns stehen. Neben der Bekämpfung der Armut und der dringend erforderlichen Erhöhung der Löhne steht der Strukturwandel vor uns. Mit dem Kohlausstieg droht in noch mehr Gegenden die systematische Verarmung.
Natürlich sind auch wir für den schnellstmöglichen Ausstieg aus der Kohle. Aber für die meisten Menschen in diesem Land bedeutet das Wort Strukturwandel lediglich schlechter bezahlte Jobs und einen sinkenden Lebensstandard. Da kann man ihnen auch nicht verübeln, dass sie misstrauisch sind.