Protokoll der Sitzung vom 03.11.2020

Die Folge solchen Handelns ist: Deutschland wird schleichend, doch unweigerlich in eine Zeit manövriert, die wir vor 30 Jahren hierzulande überwunden geglaubt hatten. Dieser Entwicklung muss deutlich entgegengewirkt werden. Wir dürfen nicht länger tolerieren, dass Parlamente auf der Bundes- und der Landesebene auf diese Art und Weise ignoriert werden, schon gar nicht, wenn es um massive Einschränkungen der Grundrechte geht.

Wesentliches Merkmal der Demokratie ist die Gewaltenteilung zwischen Exekutive, Legislative und Judikative. Selbst der ehemalige Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts Prof. Ferdinand Kirchhof mahnt - ich zitiere -:

„Im ersten schnellen Zugriff war das richtig. Jetzt ist aber in der Demokratie das Parlament gefragt, so weitreichende und unser gesamtes Leben längerfristig umfassende Grundrechtsangriffe zu legitimieren, vorzuformen und zu begrenzen.“

Das gelte auch für die Landtage. Weiter heißt es:

„Auch habe ich Zweifel, ob sich derartige Rechtsverordnungen noch auf das Infektionsschutzgesetz in Verbindung stützen lassen.“

Die Vorschriften dort seien für abgrenzbare Einzelfälle, nicht für flächendeckende und dauerhafte Maßnahmen gedacht, so Herr Kirchhof.

Eine Telefonkonferenz mit der Kanzlerin, wie sie vor einer Woche stattgefunden hat, ersetzt nicht die öffentliche Diskussion in den Parlamenten, auch deshalb nicht, weil damit viel zu wenig die Interessen der Bevölkerung berücksichtigt werden können, Interessen, die wir als gewählte Vertreter in die Parlamente tragen. Ich fordere deshalb Parlaments- statt Regierungsbeschlüsse, um zielgenaue Maßnahmen gegen die tatsächlichen Verbreitungsherde einleiten zu können.

Übrigens sprechen sich selbst Mediziner und Ärzte gegen das Herunterfahren des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebens aus. Keine Frage: Das Senken der Fallzahlen ist politisch eine dringende Aufgabe. Das darf aber nicht um jeden Preis erzwungen werden. Die Maßnahmen zur Eindämmung der ersten Welle der Coronapandemie zwischen März und Mai 2020 wurden von der Bevölkerung weitgehend akzeptiert. Es ist zu hoffen, dass vergleichbare Maßnahmen bei der gegenwärtigen Entwicklung der Pandemie ebenfalls akzeptiert werden. Allerdings wird der Vertrauensvorschuss zunehmend aufgebraucht. Das ist daran erkennbar, dass in der Bevölkerung die Zweifel an den Maßnahmen wachsen, die die Exekutive an der Legislative vorbei beschlossen hat.

Die zweite Welle wurde bereits seit dem Sommer dieses Jahres vorausgesagt. Es war also ausreichend Zeit, die Parlamente in die Diskussion über die notwendigen Maßnahmen einzubinden. Die jetzt gefassten Beschlüsse zeigen deutlich, für wie entbehrlich die Länderchefs und die Kanzlerin die Parlamente halten, deren Mitglieder sie in dieser für viele Menschen so existenziellen Zeit zu reinen Statisten degradieren.

Wir Abgeordnete sind in der vorigen Woche wie auch heute erneut vor vollendete Tatsachen gestellt worden. Das, was uns bzw. der Bevölkerung zugemutet wird, findet nur zum Teil meine Zustimmung. Ich fordere deshalb, die Maßnahmen zu relativieren, insbesondere in Bezug auf das Hotel- und Gaststättengewerbe. Erforderlich ist eine Abstimmung über die beschlossenen Maßnahmen speziell für Sachsen-Anhalt. Das Hotel- und Gaststättengewerbe wird zu Unrecht drangsaliert und in Existenzgefahr gebracht. Ich fordere deshalb die Streichung der speziell für sie geltenden Auflagen aus dem Maßnahmenkatalog. - Vielen Dank.

Ich sehe hierzu keine Fragen. Deswegen können wir gleich zu dem nächsten Debattenredner kommen. Es spricht, ebenfalls als fraktionsloser Abgeordneter, Herr Poggenburg. - Herr Poggenburg, Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Abgeordnete! Nun haben wir ihn, den lang erwarteten und vorausgesehenen zweiten Lockdown, der ein bisschen als Variante „light“ verharmlost wird, dies aber in Wirklichkeit gar nicht ist. Wir erleben ein zweites Bündel an übertriebenen Zwangsmaßnahmen und an Repressionen, die eben kein maßvolles Agieren darstellen, sondern die ein fast schon maßloses Obrigkeitsagieren, eine Obrigkeitswillkür darstellen.

Sehr geehrter Ministerpräsident - er ist gerade nicht anwesend -, Sie haben vorhin von einem Akt der nationalen Solidarität gesprochen. Es ist wohl eher ein Akt bundesweiter Gleichschaltung, der hier zu sehen ist. Das trifft den Kern der Sache eigentlich viel besser.

Was erleben wir denn hier gerade wieder? - Wir erleben ein kontrolliertes, programmiertes An-dieWand-Fahren des Kleinunternehmertums und des Mittelstandes. Wir erleben wieder Einschränkungen von Freiheitsrechten, von Grundrechten.

Natürlich gibt es besonders schutzbedürftige, besonders anfällige Personen und Personengruppen. Diese müssen geschützt werden; das kann man zielgerichtet tun. Natürlich müssen Krankenhäuser Kapazitäten vorhalten, auch das ist richtig. Auch das kostet alles Geld. Auch das würde schon Einschränkungen beinhalten; diese würden in der Bevölkerung aber angenommen werden und wären akzeptabel. Das, was wir jetzt hier sehen, ist es nicht.

Was erleben wir gerade? - Wir erleben Schulen, in denen Kinder und Jugendliche gezwungen werden, beim Sportunterricht Masken zu tragen. Für mich ist das schon Nötigung. Für mich ist das im Grunde schon versuchte Körperverletzung, ganz ehrlich. Denn das macht krank.

Wir erleben Branchen, beispielsweise die Gastro- und Hotelbranche sowie die Kunst- und Kulturschaffenden, also gerade diejenigen, die in den letzten Monaten seit dem Frühjahr durchgehalten haben, die sich darauf verlassen haben, was man ihnen gesagt hat, nämlich: Wenn ihr die Zwangsmaßnahmen umsetzt, wenn ihr euch besonders an sie haltet und euren Umsatz, eure Arbeit einschränkt, wenn ihr euch bemüht, hier irgendwie durchzukommen, dann schaffen wir das. - Wir schaffen es nicht, wie wir sehen. Es kommt die zweite Welle. Viele, die kurz vor dem Aus standen, rutschen jetzt ins Aus.

(Zuruf: Genau!)

Das ist Teil der Politik, die wir hier im Moment sehen. Es trifft also wieder genau diejenigen, die wirklich am meisten versucht haben, dafür zu kämpfen, die Krise zu meistern. Dabei sind die

beiden genannten Branchen wirklich nur Beispiele.

Wir haben Situationen in Schulen - ich habe mich darüber informiert; es betrifft übrigens Grundschulen, Berufsschulen, das ganze Programm -, dass Schüler im Klassenraum, sei es an der Schulbank oder in Arbeitsrunden, ohne Maske beieinandersitzen, aber sofort, wenn sie aufstehen und einen Schritt tun, um zum Papierkorb oder an die Tafel zu gehen, müssen sie eine Maske aufsetzen. Sie müssen auf dem Flur eine Maske tragen, sie müssen auf dem Schulhof eine Maske tragen. Jetzt erklären Sie den Schülern und den Eltern wirklich einmal diese Idiotie.

(Zuruf: Das stimmt!)

Das ist kaum noch zu erklären.

Letztens fand ich eine Schlagzeile in der „FAZ“ unter der Rubrik „Kultur“ ganz toll. Es wurde gefragt, ob nun auch der geistige Notstand drohe.

(Heiterkeit)

Ich muss sagen: Ja, ganz eindeutig ja. Manchmal kommt es einem fast so vor, das Ganze kann doch nur ein großes Experiment sein, an einem Tag X wird über den Staatsfunk die Meldung kommen: Manöver beendet;

(Heiterkeit)

wir wollten nur einmal sehen, ob und, wenn ja, wie viele Politiker, Bürger und Organisationen das eigene Denken willfährig ablegen, es bei irgendeinem Pförtner der Merkel-Regierung abgeben, und wie viele Teile unserer Gesellschaft vielleicht noch selbst denken, freiwillig denken, quer denken und mitdenken.

Leider ist es so, dass wir gerade - ich will nun nicht jeden Einzelnen ansprechen; es gibt auch Ausnahmen - zumindest den regierungstragenden Parteien und Fraktionen insgesamt das Zeugnis ausstellen müssen, einen solchen Test voll bestanden zu haben - natürlich was die totale Obrigkeitshörigkeit angeht, nicht das freie Denken.

So ist es auch gut und richtig, dass es immer mehr Menschen gibt, Abgeordnete, Bürger, Organisationen, die das Ganze nicht unwidersprochen hinnehmen, die sagen: Wir lassen uns nicht einfach als Coronaleugner diffamieren, nur weil wir Kritik üben; wir lassen uns nicht als Covidioten abstempeln, nur weil wir selbst denken und Dinge hinterfragen.

Sie zeigen Widerstand - natürlich Widerstand friedlicher Art in Form von Debatten und Diskussionen. Sie kritisieren zu Recht, dass solche grundlegenden Entscheidungen, wie sie von der Bundesspitze getroffen wurden - man möchte fast von einer Ermächtigung über die Hintertür

sprechen; dazu hätte mancher frühere politische Taktierer wahrscheinlich Beifall gespendet -, doch nicht am Parlament vorbeigehen dürfen. Auch das wird immer öfter kritisiert. Das finde ich gut. Ich finde es auch gut, dass wir heute diese Sondersitzung dazu führen. Sie ist emotionsgeladen. Ich hoffe, dass sich die politische Debatte in diesem Sinne etwas verschiebt und dass in gewisser Weise ein Umdenken stattfindet. - Vielen Dank.

Es gibt keine Fragen hierzu. Damit ist dieser Debattenbeitrag beendet. Wir kommen zum Abschluss der Debatte zu dem Redebeitrag des Abg. Herrn Borgwardt. Herr Borgwardt, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mir war klar, wie die Debatte hier ablaufen wird. Dazu muss ich kein Prophet sein. Die Frage ist, ob das im März anders gewesen wäre; aber das ist eine hypothetische Frage.

Ich war eigentlich geneigt, jetzt nur noch auf Redebeiträge einzugehen. Aber wer das kennt, der weiß, dass manche - insbesondere die, die Reden nach Jahren noch einmal lesen - fragen werden: Wieso ist die CDU-Fraktion als Einzige nicht auf die tatsächlichen Werte eingegangen? - Mir bleibt also nichts anderes übrig.

Da ich aber genügend Zeit habe, will ich trotzdem drei Bemerkungen voranstellen. Von niemandem hier, auch nicht von der CDU-Fraktion, habe ich ein Patentrezept gehört. Alle fabulieren durch die Nacht, alle. Das ist die erste Feststellung. Sie bleibt ohne große Emotionen, das war mir klar. Denn sie stimmt.

Zu der zweiten Feststellung. Wenn ich das hier so höre, glaube ich, die Menschen draußen, die das vielleicht auch hören, könnten den Eindruck gewinnen, dass die CDU-Fraktion, die SPD-Fraktion oder die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN jeden Morgen aufstehen und sich fragen: Wie kann ich die Bürger am meisten gängeln? Wie kann ich den Betrieben am meisten schaden?

(Heiterkeit und Zustimmung - Zurufe)

Wie kann ich das Leben am stärksten negativ beeinflussen? Man muss doch bekloppt sein, wenn man das glaubt.

Wir persönlich halten all diese Maßnahmen für schwierig und einschneidend.

(Beifall)

Wir wünschen sie uns überhaupt nicht. Deswegen lassen wir uns von keinem, weder von links noch

von rechts, einreden, dass wir genau das tun, wozu Sie hier den Eindruck erwecken wollen.

Ich will einmal mit zwei Legenden aufräumen. Eines ist Fakt: Ich schätze im Allgemeinen die sehr geehrte Kollegin Eva von Angern. Aber etwas anderes ist auch Fakt: Ich kann mir sehr gut vorstellen, wie die Spitzenkandidatin Wahlkampf führen wird. Das war ein leichtes Vorgeplänkel. Aber man muss schon bei der Wahrheit bleiben.

Wir sollen uns ein Beispiel am Kollegen Ramelow nehmen? - Gute Nacht, Freunde. Jetzt räume ich einmal mit der Legende auf. Dort ist nichts anderes, als in Sachsen-Anhalt und in allen anderen 14 Bundesländern auch passiert.

Da haben nämlich eine Regierungskoalition und die dortige Exekutive entschieden; auch in Thüringen. Nur in Thüringen hat ein Fraktionsvorsitzender, nämlich Herr Prof. Voigt - so läuft das nämlich -, dasselbe wie zwei Fraktionen hier getan, nämlich Anträge eingebracht. Das hat ihn dann in die Lage versetzt. - Das ist die Wahrheit, liebe Kollegen der LINKEN.

Das wird hier verkauft nach dem Motto, dass wir uns daran ein Beispiel nehmen können. Sie hätten ein Beispiel geben können, indem Sie das schon drei Wochen eher gebracht hätten. - Also, diese Jacke ziehen wir uns nicht an.

(Beifall)

Zweitens. Die AfD musste natürlich noch einen drauflegen. - Das machen wir nicht mit. Wir warten übrigens noch bei einer anderen Sache auf eine Verfassungsklage. Ich meine, die Zeit läuft auch irgendwann ab. Dann wird das der Diskontinuität unterfallen.

(Zurufe)

- Nein, wir reden über etwas anderes. Wir reden jetzt nicht über die zu dem parlamentarischen Untersuchungsausschuss, sondern über die andere, die Sie angekündigt haben. Diese wurde bis heute nicht eingereicht. - Das nur nebenbei.