Protokoll der Sitzung vom 25.11.2016

Das Ganze ist nicht trivial, weil insbesondere die Gesetz- und Verordnungsgebung der EU, des Bundes und der Länder sowie der kommunalen Ebene zunehmend ineinander greifen. Mit Stichtag zum 1. Januar 2012 hat man einen Bürokratiekostenindex eingeführt, der die jährliche Belastung ab diesem Zeitpunkt abbildet. Im zurückliegenden Jahr 2015 ist dieser Bürokratiekostenindex erstmals auf einen Wert unterhalb seiner Ausgangsbasis von 100 gefallen und lag Ende 2015 bei 99,1 Punkten.

Aber, meine Damen und Herren, diese Verbesserung geht im Wesentlichen auf nur drei Regelungsvorhaben mit einer Gesamtentlastung von rund 850 Millionen € pro Jahr zurück. Obwohl an anderer Stelle neue Belastungen hinzukamen, konnte die Wirtschaft 2015 bei den Informations- und Dokumentationspflichten spürbar entlastet werden.

Ich möchte dies nur vor dem Hintergrund erwähnen, dass selbst kleine Maßnahmen große Wirkungen haben. Das soll auch für uns in der Landespolitik Ansporn sein, der Regelungswut den Kampf anzusagen.

Insgesamt, meine Damen und Herren, schlagen die Bürokratiekosten für die gesamte deutsche Wirtschaft mit gut 48 Milliarden € zu Buche. Insgesamt gibt es 11 000 Statistik- und Informationspflichten. Allein diese Kosten werden mit 25 Milliarden € bemessen. Allein der Umstand, dass beispielsweise Rechnungen zehn Jahre lang aufbewahrt werden müssen, verursacht Kosten von

6 Milliarden €. Die Steuergesetzgebung kostet unsere Unternehmen 3,5 Milliarden € an bürokratischem Aufwand.

Das alles, meine sehr verehrten Damen und Herren, sind monströse Zahlen, welche jedoch die Dimension verdeutlichen, um die es heute in dieser Debatte geht. Ich bin daher den Ministern Schröder und Dalbert dankbar, dass sie mit der Initiative „ELER reset“ seitens der Landesregierung mit ersten positiven Schritten hierbei vorangehen.

(Zustimmung von Gabriele Brakebusch, CDU, und von Siegfried Borgwardt, CDU)

Meine Damen und Herren! Sachsen-Anhalt hat sich nach dem harten Strukturwandel in den 90erJahren gut entwickelt. Diese Entwicklung wird aber im Wesentlichen von kleinen und mittleren Unternehmen getragen. Mittelstand und Handwerk sind es auch, die am meisten von überbordender Bürokratie betroffen sind, weil sie sich nicht wie Großunternehmen eigene Abteilungen leisten können. Es ist eben oft die Arbeitszeit des Chefs, der Aufträge akquirieren muss, der sich um seine Mitarbeiter kümmert und der neue Produkte entwickeln muss, um wettbewerbsfähig zu bleiben, die durch hohe Bürokratieaufwendungen beschnitten wird. Das können wir nicht gut finden. Daher sollte das Thema für uns in Sachsen-Anhalt ganz oben auf der Agenda stehen.

Meine Damen und Herren! Nach dem Regierungswechsel im Jahr 2002 haben wir hierzulande zwei Mittelstandsfördergesetze mit dem Ziel umgesetzt, Verwaltungsverfahren zu effektivieren. Dazu haben wir seinerzeit Genehmigungsverfahren gestrafft und drastisch vereinfacht.

Weiterhin haben wir eine sogenannte Mittelstandsklausel eingeführt, die seitdem alle neuen Gesetze und Verordnungen auf die Auswirkungen für Mittelstand und Handwerk überprüft. Die jetzige Regierungskoalition hat eine Fortsetzung des Bürokratieabbaus auf unterschiedlichen Ebenen im Koalitionsvertrag festgeschrieben.

Meine Damen und Herren! Die wesentlichen Maßnahmen haben wir heute in unserem Antrag aufgeführt. Wir bringen den Antrag auch in einer sehr frühen Phase der Legislaturperiode ein, damit wir möglichst schnell entsprechende Entlastungen einführen können. Dazu gehören feste Fristen für die Bearbeitung von Anträgen. Wir wollen die Behörden anspornen, Anträge schneller zu bearbeiten. Jeder Tag Verzögerung kostet viel Geld. Das ist leider noch nicht in allen Amtsstuben so angekommen. Aber wir wollen, dass sich diese Erkenntnis flächendeckend durchsetzt.

Wir wollen eine zeitliche Befristung von Gesetzen, wenn Sie so wollen, Gesetze mit Verfallsdatum. Sie werden staunen, dass das Auslaufen von so manchem Gesetz noch nicht einmal bemerkt wird. Vor Jahren gab es beispielsweise eine EU-Richt

linie, die sogenannte Richtlinie zur Sortierung von Rohholz. Darin war festgelegt, wie Bäume wachsen müssen und wie groß die Astlöcher zu sein haben. Diese Richtlinie wurde im Jahr 2007 durch das EU-Parlament kassiert, ohne dass es irgendeine Auswirkung auf die Forstwirtschaft hatte.

Wir haben uns ferner darauf verständigt, eine sogenannte One-in-one-out-Regel für Sachsen-Anhalt einzuführen. Dahinter verbirgt sich, dass man für jedes neue Gesetz oder für jede neue Verordnung ein anderes Gesetz oder eine andere Verordnung abschafft.

Das ist nicht neu. Der Bund praktiziert dies seit 2015. Aber die Wirkung, meine Damen und Herren, ist enorm. Allein im zurückliegenden Jahr konnte nach Angabe des Normenkontrollrates der Bürokratieaufwand auf der Bundesebene erstmals um 1,3 Milliarden € gesenkt werden.

Wichtig ist uns auch, notwendige übergeordnete Gesetzesvorhaben, zum Beispiel der EU, nur 1 : 1 umzusetzen. Deutschland neigt ja immer wieder einmal dazu, EU-Recht zu oft zu stringent auszulegen oder noch etwas draufzusetzen.

Diese Folgen - ich bezeichne es einmal als Umsetzungswahn - können wir in diesen Tagen am Beispiel der sogenannten Abfallkennzeichnungsverordnung begutachten. Ich darf daran erinnern: Seit dem 1. Oktober darf Styropor nicht mehr mit sonstigem Bauschutt zusammen entsorgt werden. Stattdessen müssen die alten Dämmplatten separat verbrannt werden. Das Dumme ist nur, dass es kaum Verbrennungsanlagen mit der dafür notwendigen HBCD-Zulassung gibt. An diese Folgen hat scheinbar niemand gedacht.

Ich bin der Landesregierung sehr dankbar, dass sie auf dem Erlassweg rasch gehandelt hat, um Stillstand und Kurzarbeit auf unseren Baustellen zu verhindern. Ich habe aber die Hoffnung, dass sich unsere Umweltministerin Frau Dalbert der Initiative des Saarlandes und Sachsens anschließt und diesem Unfug bei der Umweltministerkonferenz am nächsten Mittwoch ein Ende bereitet.

Ein weiterer Schwerpunkt unserer Bemühungen ist das gesamte Thema Digitalisierung. Ich möchte dies nur kurz anreißen, da meine Redezeit leider zu kurz ist, um alle Facetten, die wir in den nächsten Jahren zu bewältigen haben, jetzt und hier wiederzugeben.

Uns geht es zunächst um die Digitalisierung der wichtigen Verwaltungsabläufe und um die Antragstellung über digitale Formulare. Dies alles wollen wir in eine umfassende Digitalisierungs- oder, wie ich es nenne, E-Government-Strategie einbinden.

Meine Damen und Herren! Jeder von uns hier sollte das Thema Entbürokratisierung sehr ernst nehmen. Denn wenn man zum Beispiel die Bürger

fragt - die Diskussion hatten wir gerade bei dem vorherigen Tagesordnungspunkt -, was sie mit der Politik verbinden, dann hört zu häufig nicht unbestreitbare Erfolge wie Wohlstand, Freiheit oder Frieden, sondern oft: eine ausufernde Bürokratie. Deshalb ist es, glaube ich, so wichtig, mit einem spürbaren Bürokratieabbau einen konstruktiven Beitrag für mehr Akzeptanz der Politik zu sorgen.

Wim Wenders, der große deutsche Regisseur, hat einmal zur EU-Politik gesagt: Aus der Idee Europa wurde die Verwaltung. Jetzt halten die Menschen die Verwaltung für die Idee. - So weit, meine Damen und Herren, sollten wir es nicht kommen lassen.

Praxisferne Vorschriften wie die im letzten Jahr geplante Arbeitsstättenverordnung, eine Chemikalienverordnung, die für seit Jahrzehnten bekannte Stoffe Dutzende Seiten Dokumentation in

20 Sprachen fordert, eine Vorfristigkeit der Sozialversicherungspflicht, die außer einem wahnsinnigen Verwaltungsaufwand keine Effekte hat, oder der Irrsinn bei den Dokumentationspflichten zum Mindestlohn werden nicht dazu führen, dass sich das Vertrauen der Wirtschaft in die Politik weiter verbessert.

Nein, meine Damen und Herren, so etwas gehört abgeschafft genauso wie die zahlreichen weltfremden Auf- und Umlagen im Klima- und Umweltschutz, die zwar keine Auswirkungen auf den Erhalt der Schöpfung, wohl aber auf die Kosten für die Unternehmen haben.

Meine Damen und Herren! Ich werbe für eine neue Form der Gesetzgebungskultur. Mit unserem Antrag wollen wir den Startschuss dafür geben, dass diese neue Form die Bürokratie verschlankt.

Meine Damen und Herren! Das Vaterunser hat 56 Wörter und die zehn Gebote haben

297 Wörter. Die DIN-Norm EN 12586 braucht allein 52 eng bedruckte Seiten mit acht Kapiteln und 40 Unterpunkten, um uns das Aussehen und die Handhabung einer Schnullerkette für Kleinkinder zu beschreiben. Wenn man den lieben Gott mit wenigen Worten beschreiben kann, dann frage ich mich, warum das mit einer weltlichen Kinderschnullerkette nicht auch möglich ist.

(Beifall bei der CDU - Zustimmung bei der AfD)

Sie sehen also, meine Damen und Herren, wir haben viele Aufgaben vor uns. Ich werbe bei allen Fraktionen nicht nur um Zustimmung zu unserem Antrag, sondern auch darum, sich mit eigenen Vorschlägen und Gedanken einzubringen, wie wir die Bürokratie abbauen und wie wir bestimmte Sachen etwas verständlicher formulieren können.

Ich möchte vielleicht mit einem Zitat aus dem Bundesreisekostengesetz enden. Hierin steht

nämlich wortwörtlich: „Der Tod stellt aus versorgungsrechtlicher Sicht die stärkste Form der Dienstunfähigkeit dar.“ - Wohl dem, der das versteht.

Meine Damen und Herren, ich danke für Ihre Aufmerksamkeit, möchte aber, da ich um Zustimmung zu dem Antrag werbe, noch darauf verweisen, dass Bestandteil der Beschlussvorlage ist, dass über die Ergebnisse in den zuständigen Ausschüssen zu berichten ist.

Ich möchte das mit Ihrem Einverständnis, Herr Präsident, etwas konkretisieren. Ich möchte den zuständigen Ausschuss benennen, und zwar den Ausschuss für Wirtschaft, Wissenschaft und Digitalisierung. Ich glaube, dort ist das Anliegen am besten aufgehoben. Mit dem Beschluss erfolgt dann die Berichterstattung nur in diesem einen Ausschuss. - Vielen Dank.

(Zustimmung bei der CDU und bei der AfD)

Danke, Herr Thomas. - Es gibt keine weiteren Anfragen. Das gibt mir die Gelegenheit, zunächst einmal auf unserer Nordtribüne Vertreterinnen und Vertreter von Trägern, Verbänden und Vereinen des Landes Sachsen-Anhalt zu begrüßen. Herzlich willkommen bei uns!

(Beifall im ganzen Hause)

Für die Landesregierung hat Minister Herr Prof. Dr. Willingmann das Wort. Bitte sehr.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordneten! Bürokratie - dieses Wort hat in der Tat einen schlechten Ruf, heutzutage wohl mehr denn je. Der Bürokrat ist für viele Menschen heute ein Synonym für Kleinlichkeit und Behäbigkeit. Dennoch ist Bürokratie notwendig. Oder, um es mit einem geflügelten Wort dieses Hauses zu sagen: Schön ist das alles nicht, aber es muss sein.

Schließlich muss der Staat Rahmenbedingungen für wirtschaftliche und gesellschaftliche Betätigungen in Form von Gesetzen und Verordnungen gestalten. Er muss diese Regeln auch umsetzen und ihre Einhaltung kontrollieren. Niemand hier im Hause würde so etwas bezweifeln.

Dies schafft jene Rechtsicherheit, von der auch der Abg. Thomas gesprochen hat, und gerade dies wird von den Unternehmen geschätzt. Es ist jene Verlässlichkeit, die uns übrigens im internationalen Verkehr bei allem Schimpfen über Bürokratie immer wieder hoch angerechnet wird.

Kurzum: Verwaltung und Bürokratie müssen in einem gerüttelten Maß sein. Das heißt aber natür

lich nicht, dass man es nicht besser organisieren kann oder abbauen könnte. Wir brauchen - so wurde es bereits gerade bei der Einbringung des Antrages gesagt - ein vernünftiges Verhältnis von Aufwand und Nutzen.

Eine effiziente Verwaltung und eine moderne, schlanke Regulierung, das sind die Voraussetzungen für die Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft und für die Stärkung von Beschäftigung und Wachstum in Deutschland. Aber der Gesetzgeber sollte nur diejenigen Bereiche regeln, in denen privatwirtschaftliche Absprachen allein nicht zielführend sind.

Deshalb ist es für die Landesregierung ein zentrales Anliegen, Bürokratie abzubauen.

Es muss unser Ziel sein, die Verwaltungslasten gerade für die kleinen und mittelständischen Unternehmen im Lande zu reduzieren oder, um es plakativ zu sagen, so viel Bürokratie wie nötig, aber so wenig wie möglich zu haben. Deshalb brauchen wir einen nüchternen Blick - in dem Antrag ist es bereits formuliert - auf die bürokratischen Hürden.

Sie wissen hier im Hohen Hause, dass der Bürokratieabbau im Koalitionsvertrag festgeschrieben ist und dass wir einen Maßnahmenkatalog dazu erstellen wollen. Wichtige Punkte dazu sind bereits genannt worden. Dort, wo es möglich und sinnvoll ist, wollen wir Gesetze und Verordnungen befristen, von einem Antrags- zu einem Anzeigeverfahren übergehen oder auch feste transparente Fristen zur Bescheidung von Anträgen setzen. Wir wissen alle, dass so etwas wünschenswert ist, und für die Wirtschaft ist es unerlässlich.

Es ist darüber hinaus sinnvoll, eine One-in-oneout-Regel aufzustellen, das heißt, jede neue notwendige Regulierung soll erst dann in Kraft treten, wenn an anderer Stelle etwas gestrichen wurde. Bei allem gesetzgeberischen Ehrgeiz müssen wir uns darüber im Klaren sein, dass wir an zahlreichen Stellen durch bundes- und europarechtliche Regelungen begrenzt sind.

Eine weitere gute Möglichkeit - auch dies wurde bereits bei der Einbringung des Antrages gesagt - ist die fortschreitende Digitalisierung der Verwaltung. Wir arbeiten an dieser digitalen Agenda. Auch sie wird dazu führen, dass Bürokratie abgebaut werden kann.

Ausfluss unseres Ziels, Vorschläge zum Bürokratieabbau zu prüfen und dann auch umzusetzen, ist auch die Evaluierung von Antragsformalitäten für unsere Förderprogramme. Hier wissen wir von den Klagen aus der Wirtschaft, von den Klagen der Antragsteller. Hier muss etwas geschehen. Dafür ist eine Legislaturperiode Zeit.